Forschung braucht Öffentlichkeit

Forschungsförderung: ganz im Sinne der Industrie?

Industrievertreter gewinnen zunehmend an Einfluss auf die Forschungsagenden öffentlicher Einrichtungen. Angesichts dieses Geflechts aus Industrie und Politik muss die Öffentlichkeit bei der Forschungsförderung ein unmittelbares Mitspracherecht erhalten.

Wenn heute in Deutschland über einen „Bio­ökonomierat“ 1 diskutiert wird, dann kommt diese Diskussion etwas spät. Der „Forschungs- und Technologierat Bioökonomie (BioÖkonomieRat)“ produziert bereits seit einem Jahr Empfeh­­l­ungen und gute Ratschläge für die Bundesregierung. War die Gründung des Nationalen Ethikrats seinerzeit noch mit Pauken und Trompeten erfolgt, so hat das Bundesforschungsministerium den Bioökonomierat still und heimlich ins Leben gerufen. Warum? Die Einrichtung des Bioökonomierates kann als Antwort auf ökonomische und ökologische Herausforderungen der Politik gelesen werden, zum Beispiel die Förderung von alternativen Energie- und Rohstoffressourcen. Wahrscheinlicher aber ist, dass sie das Ergebnis stetiger Lobbyarbeit ist, mit der die Industrie esowie Natur- und Ingenieurwissenschaften versuchen, die Weichen für die öffentliche Forschungsförderung in ihrem Sinne zu beeinflussen.

„Bioscience for Life?“

Helen Wallace hat eine Studie vorgelegt, die die Entwicklung einer staatlich geförderten Bioökonomie nachzeichnet. Die Mitarbeiterin der Nichtregierungsorganisation GeneWatch UK gibt in der Studie „Bioscience for Life?“2 einen umfassenden Überblick über staatliche Förderinitiativen auf europäischer und nationaler Ebene (Großbritannien). Sie konzentriert sich dabei auf die Förderung der Biotechnologien. Allein in Großbritannien zählt sie 60 verschiedene Unterstützungsprogramme über die vergangenen 15 Jahre. Sie zeigt darüber hinaus die Versäumnisse auf, zu denen es in der politischen und wissenschaftlichen Realisierung gekommen ist. Zum Beispiel: • Die EU beziehungsweise die britische Regierung haben über Investitionen in den Bereich Biotechnologie ohne die notwendige Sorgfalt entschieden. Auf Kosten-Nutzen-Analysen, wie sie für andere große Infrastrukturprogramme üblich sind, wurde verzichtet. • Die Politik hat sich bei der Entscheidungsfindung vor allem auf Berater mit „kommerziellen Interessen und Perspektiven“ gestützt. • Finanzielle, soziale und die Umwelt betreffende Risiken, die die öffentlich-privaten Kooperationen mit sich brachten, musste der Steuerzahler tragen.

Wissensbasierte (Bio)Ökonomie

Die Anfänge der Bioökonomie (eigentlich ist mit diesem Euphemismus eine Bio(Technologie)Ökonomie gemeint) verortet Wallace in der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa. Die OECD-Experten entwickelten die Strategie einer wissensbasierten Ökonomie, die die europäischen Länder gegenüber der drängenden asiatischen Konkurrenz fit machen sollte. Die wissensbasierte BIOökonomie ist in einer Kette von europäischen Wettbewerbsstrategien der vorläufige Endpunkt, der zugleich die zunehmende forschungspolitischen Fixierung auf die Biowissenschaften und Biotechnologien widerspiegelt. Die Europäische Union versteht die wissensbasierte Bioökonomie als wesentlichen Bestandteil ihrer Lissabon-Strategie, die Europa zu einem der dynamischsten Wirtschaftsräume der Welt machen sollte.

Zivilgesellschaft bleibt bei Entscheidungen außen vor

Spätestens ab 2004 wurden die so genannten Technologieplattformen als zentrales neues Element der EU-Forschungsförderung eingeführt. In elf von heute insgesamt 30 Technologieplattformen spielen Biotechnologien eine Rolle. In Förderprogrammen wie „Pflanzen für die Zukunft“ ist Biotechnologie zentral. Ausgestattet mit üppigen finanziellen Mitteln fördern die „Plattformen“ vor allem Kooperationen zwischen öffentlicher Wissenschaft und privaten Unternehmen - unter Führung der Industrie. Ursprünglich war gedacht, dass auch zivilgesellschaftliche Organisationen an den Plattformen beteiligt werden. Dieser Anspruch konnte aber nicht realisiert werden, wie eine Überprüfung ergeben hat. Dies ist umso mehr von großer Bedeutung, als dass die Plattformen heute schon die Forschungsfragen von Morgen festlegen.

Wenige Experten

Der Trend, den Wallaces Studie aufzeigt, ist eindeutig. Die Vertreterinnen und Vertreter der Industrie haben an Einfluss auf die Forschungsagenden öffentlicher Einrichtungen gewonnen. Wallace spricht von „Biotech barons“ und meint damit eine Gruppe von britischen Biotech-Unternehmern, die sich Ende der 1990er Jahre als Berater des damaligen Premierministers Tony Blair und seiner New-Labour-Partei verdingten. Um das Verhältnis zwischen Beratern, Beratenem und dem Gegenstand der Beratungenzu charakterisieren, erzählt Wallace die Anekdote, der zufolge Blair zwar immer ein großer Verfechter von der Ausweitung von Computer-gestützten Datenbanksystemen gewesen sei, selbst aber keinen Computer habe, da er einen solchen nicht bedienen könne. Auch in Deutschland haben die Industrievertreter erheblichen Einfluss auf die Wissenschaft. Beispielsweise ist der Forschungsvorstand des BASF-Konzerns, Stefan Marcinowski, Mitglied im Vorstand der Max-Planck-Gesellschaft. Seit Anfang dieses Jahres berät er zudem als Mitglied des Bioökonomierates die Regierung in Fragen der Bioökonomie und ihrer Grundlagen in Forschung und Entwicklung. So hat der BASF-Vorstand einen unmittelbaren Zugang zu den Stellschrauben forschungspolitischer Entscheidungen. Marcinowski ist beileibe nicht das einzige Beispiel.

Bisher nicht erfüllte Hoffnungen

Mit der Entwicklung der ersten gentechnischen Methoden und der rapiden Erweiterung des molekularbiologischen Wissens kam in den achtziger Jahren die Idee einer genetischen Revolution auf, die die Fantasie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowohl in der Medizin als auch der Landwirtschaft beflügelte. Ohne diese Versprechungen wäre das Human Genome Project nicht möglich gewesen. Die damals geschürte Hoffnungen auf medizinischen Fortschritt sind bislang nicht erfüllt worden. Nichtsdestotrotz hat sich die Zielrichtung des medizinischen Handels dramatisch verschoben. Helen Wallace zufolge gab es „in der Medizin einen Wechsel hin zu einer persönlichen Vorsorge, die auf dem genetischen Risiko basiert“. Wenn Wallace ihre Studie mit einem Fragezeichen betitelt: „Bioscience for Life?“, so deutet sich damit auch schon die Schlussfolgerung an, die man aus der fundierten und empfehlenswerten Studie ziehen muss. Um es kurz zu machen: Um die Fehlentwicklungen in der staatlichen Forschungsförderung zu korrigieren, wünscht sich Wallace mehr Transparenz und Gegenexpertise. Angesichts des Geflechts aus Industrie und Politik kann die zentrale Forderung aber nur die unmittelbare Mitsprache der Öffentlichkeit bei der Forschungsförderung sein.
Helen Wallace (2010): Bioscience for Life? Who decides what research is done in health and agriculture. 188 Seiten plus Anhang. GeneWatch UK. Kostenloser Download im Netz unter: www.genewatch.org.

  • 1Siehe auch den Beitrag „Technikfreunde“ von Steffi Ober auf Seite 15 in diesem Heft.
  • 2Etwa: „Biowissenschaften für das Leben?“
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
200
vom Juli 2010
Seite 20 - 21

Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.

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Erste Empfehlungen des Bioökonomierates im Test

Benny Haerlin von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft hat in der aktuellen Ausgabe der unabhängigen bauernstimme einen schönen Test der ersten Empfehlungen des Forschungs- und Technologierat Bioökonomie dargestellt: Er hat im digitalen Dokument eine Schlagwortsuche durchgeführt. ‚Landwirtschaft‘ bekommt einen Treffer. Weiter schreibt Haerlin: „‚Landwirt’ und ‚Bauer’ kommen überhaupt nicht vor, ‚Landschaft’ nur als Teil des Wortes ‚Forschungslandschaft’, ‚Wirtschaft’ und ‚Wachstum’ finden sich dagegen im Überfluss.“
(Christof Potthof)

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