Geschlechtstests

AKTIONS-SPECIAL

Die Reproduktionsmedizin steht nicht still. Was möglich ist, gilt zunächst als abwegig oder „ethisch problematisch“, dann etabliert sich in einigen Ländern ein legales Angebot - und wenn erst einmal das reproduktive Reisen in Gang gekommen ist und genug Nachfrage aufgebaut wurde, wächst der Druck, die neueste Methode auch dort zu etablieren, wo sie bisher verboten war.
Pink or Blue“, „IntelliGender“, „In-Gender“ oder „Gender Selection“ - hinter diesem Marketing im Internet verbirgt sich eine Bandbreite von vorgeburtlichen Geschlechtstests. Manche Tests versprechen, das biologische Geschlecht eines Embryos möglichst früh in der Schwangerschaft festzustellen - und somit beim „falschen“ Geschlecht die Möglichkeit einer Abtreibung innerhalb legaler Fristen zu eröffnen. Hier gibt es in den letzten Jahren immer neue, allerdings bisher noch relativ unzuverlässige Verfahren, um die fötale DNA im Blut der Schwangeren auf X- oder Y-Chromosomen zu untersuchen. Zum anderen gibt es Technologien, die die Geschlechtswahl bereits vor der Schwangerschaft ansetzen. „MicroSort“ ist ein zunächst für die Tierzucht entwickeltes Verfahren: Es besteht darin, vor der In-Vitro-Fertilisation (IVF) die Spermien nach X und Y-Chromosomen vorzusortieren. Auch MicroSort verspricht nur eine erhöhte Wahrscheinlichkeit - von 90 Prozent, wenn ein Mädchen gewünscht ist, und von 75 Prozent, wenn das Kind ein Junge werden soll. Die „sicherste“, aber auch aufwändigste und teuerste Methode ist die Geschlechtswahl via Präimplantationsdiagnostik: Hier werden die Chromosomen der Embryonen vor der IVF getestet und nur die Embryonen mit dem „richtigen Geschlecht“ in die Gebärmutter implantiert. In den USA, wo Geschlechtswahl legal ist, boten einer Studie des Genetics and Public Policy Center zufolge 42 Prozent der befragten 415 Reproduktionskliniken im Jahr 2006 diese Dienstleistung bereits an. Kostenpunkt: Etwa 20.000 US-Dollar.

Strategien der Geschlechtswahl

Es ist dort insbesondere eine Szene von Selbsthilfegruppen und Internetforen, die die Nachfrage nach diesen Tests fördert. In den Foren tauschen sich die „Betroffenen“ über das Leiden am falschen Geschlecht ihrer Kinder aus oder über die Sehnsucht, ein Mädchen oder einen Jungen zu bekommen. Sie postulieren den Anspruch auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Mädchen und Jungen in einer Familie - kurz „family balancing“ oder „gender variety“. Eine der Vorkämpferinnen dieser Bewegung, Jeniffer Merill Thompson, erklärt etwa: „Ich wollte nicht nur eine Jungen-Mama sein.“ Der klassische Fall für Erfahrungsberichte in den Medien ist der einer Frau, die schon mehrere Söhne hat, und sich sehnlichst ein Töchterchen wünscht. Mit solchen Beispielen grenzt sich dieses Kun­dinnenmilieu von Praktiken der Geschlechtswahl ab, wie sie etwa in Indien oder China bekannt sind, bei denen es vorrangig darum geht, einen Jungen zu gebären. Kampagnen gegen sex selection in den USA (www.endsexselection.org) problematisieren diese Unterscheidung in „gute“ und „schlechte“ Praktiken der Geschlechtswahl und weisen darauf hin, dass es nicht um „kulturelle“ versus „moderne“ Methoden geht (siehe auch Rajani Bhatia in GID 192). Vielmehr geht es bei beiden Strategien der Geschlechtswahl um einen von den Anbietern aktiv gepushten Markt. Und es geht bei beiden um die Festschreibung problematischer Geschlechterstereotypen. Dass die Testanbieter in den USA oftmals auf „gender“ und nicht auf „sex“, also auf das soziale, nicht das biologische Geschlechts verweisen, wird dieser Tatsache gerecht, auch wenn die Bezeichnung formal irreführend ist. Schließlich werden mit diesen Tests die an das X- Chromosom gebundenen Träume von rosa Mädchenzimmern mit vermarktet - oder die an das Y-Chrosomom gekoppelten Vorteile einer zukünftigen „männlichen“ Biografie.

Moratorium oder Legalisierung?

Dass der Markt für die Geschlechtswahl via PID sich in den USA etabliert, fördert nun auch den Druck auf die Legalisierung dieser Tests in anderen Ländern. In Australien diskutieren derzeit BioethikerInnen die Frage, ob das Moratorium für solche Tests, das in diesem Jahr ausläuft, verlängert werden soll. Ein Argument ist, dass immer mehr Paare in die USA oder auch nach Thailand reisen, um das Geschlecht ihres zukünftigen Kindes vorherbestimmen zu lassen. In Deutschland steht die Geschlechtswahl via PID derzeit noch nicht auf der Wunschliste der privaten Reproduktionsindustrie - hier laufen deren Lobbyisten gerade eher Sturm gegen das Verbot der Eizellspende oder der PID für die Selektion von sogenannten genetischen Fehlbildungen. Das neue Gendiagnostikgesetz hat gerade erst das Verbot von Geschlechtstests zu einem frühen Zeitpunkt in der Schwangerschaft etabliert. Enttäuscht erklärt eine Vertreterin der Kölner PlasmaGen AG am Telefon, das die Firma ihren „Gender Test“, einen Bluttest für die achte Schwangerschaftswoche, jetzt vom Markt nehmen müsse. Aber: In Holland oder Belgien gebe es sicher Möglichkeiten, einen entsprechenden Test zu erwerben.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
200
vom Juli 2010
Seite 28 - 29

Susanne Schultz lehrt Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt a. M., forscht zu Demografiepolitik, ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Rosa Luxemburg Stiftung und promovierte zum Thema Frauengesundheitsbewegungen.

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AKTIONS-SPECIAL Kinder sind nicht planbar (QueerFem AG)
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