Präzise Technik? Kritik an Genome Editing. Stellungnahme

Aus Anlass der aktuellen Diskussion über neue Gentechnik-Verfahren erneuert das Gen-ethische Netzwerk (GeN) seine Kritik an der Anwendung von Gentechnik in der Landwirtschaft und der Medizin. Für uns sind beide Anwendungsfelder eng miteinander verknüpft. Technische und regulative Probleme, die in dem einen Bereich eine Rolle spielen, sollten in dem anderen zum Thema gemacht werden. Wir betrachten es als unsere Aufgabe, hierauf aufmerksam zu machen – ebenso wie auf die ökonomischen Interessen und behindertenfeindlichen Diskurse, die hinter den Versprechen von Genome Editing stehen.

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Präzise Technik?

Die Stellungnahme als pdf (417 KB).
Das Beiblatt zur Stellungnahme mit Quellen und weiterführenden Hinweisen als pdf (475 KB).

 

Revolution! … ?
Die Techniken heißen TALEN, RTDS, ODM oder CRISPR-Cas. Sie bringen die Molekularbiologie in die Schlagzeilen. WissenschaftlerInnen versprechen, mit diesen Verfahren des Genome Editing die Möglichkeiten der Veränderung des Erbguts zu revolutionieren und auf diesem Wege die großen Probleme der Menschheit zu lösen. Große Hoffnungen werden geweckt: Krankheiten wie Aids, Alzheimer und Krebs sollen bald geheilt und der Welthunger gestillt werden können.

… warum nur kommt uns das so bekannt vor?
Das Gen-ethische Netzwerk begleitet seit 1986 kritisch Gen-, Bio- und Reproduktionstechnologien. In dieser Zeit kreuzten schon viele Versprechen unseren Weg. Die allermeisten davon konnten in der Folge nicht erfüllt werden. Die Entwicklung neuer Technologien hat nun erneut einen Hype um den Zugriff auf Genome ausgelöst. Basis der erneuerten Versprechen ist, dass nicht mehr „verändert“, sondern präzise „umgeschrieben“ wird.

Präzision! … ?
Diese Präzision der neuen Verfahren steht im Vordergrund der öffentlichen Diskussionen. Doch genauer betrachtet, zeigt sich:  Dem Präzisions-Versprechen werden CRISPR & Co. nicht wirklich gerecht. Im Kontext der medizinischen Anwendung werden immer wieder auch unbeabsichtigte Effekte der Veränderung von Genen diskutiert. In den Debatten um die Nutzung in der Agro-Gentechnik spielen diese jedoch überraschenderweise kaum eine Rolle - zu Unrecht!


Selektion!
Das Ziel der durch Genome Editing scheinbar in greifbare Zukunft rückenden „Verbesserungen“ wird in der aktuellen Debatte kaum in Frage gestellt. Dabei befeuert die idealisierte Darstellung der neuen technischen Entwicklungen nicht nur Fantasien über die mögliche Eliminierung genetisch bedingter Krankheiten, sondern auch über die Schaffung „perfekter Menschen“. Das Versprechen, soziale Probleme technisch lösen zu können, verstärkt den Glauben an die Möglichkeit Fehlerfreiheit und trägt so zur Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung als „vermeidbar“ bei.

Profit!
Bei allen Heilsversprechen darf zudem nicht vergessen werden, dass sowohl für die Industrie als auch für Wissenschaftsinstitutionen ökonomische Interessen eine wichtige Rolle spielen. Patente auf die neuen Methoden sind hart umkämpft. Es geht um Milliarden - und weniger um das tatsächliche Wohl der Menschheit. Diese Ökonomisierung von Wissenschaft und Forschung führt zu einer PR-Sprache, in der schlechte Nachrichten keinen Platz haben.

 

Was ist Genome Editing?

Genome Editing bezeichnet molekularbiologische Verfahren, mit denen gezielt Veränderungen in DNA-Sequenzen vorgenommen werden sollen. Die wichtigsten sind die „programmierbaren Nukleasen“ und die „Oligonukleotid-gesteuerte Mutagenese“. Mit den neuen Verfahren ist das Versprechen verbunden, dass einzelne Sequenzen des Genoms - anders als bei klassischen Gentechnik-Verfahren - präzise „umgeschrieben“ würden und das Ergebnis daher von natürlichen Mutationen nicht zu unterscheiden sei. Die künstlichen Veränderungen können Gene inaktivieren oder ihre Funktionsweise verändern. Gemeinsam ist den Verfahren, dass sie zellinterne Reparaturmechanismen ausnutzen, um die gewünschten Veränderungen am Genom vorzunehmen.

Programmierbare Nukleasen
Als „programmierbare Nukleasen“ werden Enzyme bezeichnet, die an bestimmte Stellen im Genom binden. Diese Fähigkeit, an bestimmte DNA-Sequenzen zu binden, ist entsprechend des Zielortes modifizierbar. Nach der Bindung zerteilen („schneiden“) die Nukleasen das Genom, erzeugen also Strangbrüche der DNA. Das wiederum löst zelleigene Reparaturmechanismen aus. Welcher Mechanismus dabei zum Einsatz kommt, ist schwer zu steuern, aber entscheidend für die Auswirkungen des Verfahrens. Die Sequenz des betroffenen Gens kann durch das Einfügen oder Entfernen einzelner Basen inaktiviert werden oder durch eine andere – funktionale – Sequenz (beispielsweise ein anderes Gen) ersetzt werden.
Proteingeleitete Nukleasen: Zinkfinger-Nukleasen (ZFN) und transkriptionsaktivatorartige Effektornukleasen (TALEN) setzen sich aus unterschiedlichen Proteindomänen zusammen, die jeweils an kurze DNA-Sequenzen binden. Durch die individuelle Kombination verschiedener solcher Elemente mit einer unspezifischen Nuklease wird ein Enzym erzeugt, das eine Affinität für eine spezifische Sequenz besitzt, an ihnen bindet und sie schneidet.
RNA-geleitete Nukleasen: Das Clustered regularly interspaced short palindromic repeats- Cas9-System (CRISPR-Cas) verwendet einen zur Zielsequenz komplementären RNA-Strang (Leit-RNA), der die Affinität des Systems zu bestimmten Orten im Genom bestimmt. CRISPR wurde im Genom von Bakterien als Teil von deren adaptiver Immunabwehr entdeckt. Cas9 bezeichnet eine Nuklease, die in Kombination mit der Leit-RNA bestimmte Sequenzen schneidet. Da der Entwurf einer RNA-Sequenz wesentlich unkomplizierter ist, als die passgenaue Herstellung von proteingeleiteten Nukleasen, ist das RNA-System deutlich kostengünstiger und schneller zu etablieren.

Oligonukleotid gesteuerte Mutagenese (OgM)
Bei dieser Methode wird eine künstliche DNA-Sequenz hergestellt, die eine gewünschte Mutation enthält und bis auf diese Abweichung komplementär zu dem Bereich des Genoms ist, der verändert werden soll. Dieses künstliche DNA-Molekül wird in die Zelle geschleust, legt sich an die komplementäre DNA-Sequenz im Genom und die Abweichung in der Sequenz wird durch noch nicht vollständig geklärte Mechanismen eingebaut. Das Rapid Trait Develelopment System (RTDS) des US-Unternehmens Cibus basiert auf dieser Methode.

Gene Drive
Normalerweise gibt eine Keimzelle durchschnittlich 50 Prozent ihres Erbguts an die nächste Generation weiter. Durch künstliche Gene Drive- Mechanismen kann dieser Anteil deutlich erhöht werden. Dabei wird ein Nukleasekomplex verwendet, um ein bestimmtes Gen zu schneiden und zu inaktivieren. Eine Sequenz, die für denselben Mechanimus kodiert, wird eingeschleust und durch interne Reparaturmechanismen in die DNA-Schnittstelle eingebaut. Dies setzt eine Kettenreaktion in Gang, durch die auch das zweite homologe Chromosom verändert wird. Der zelleigene Reparaturmechanismus benutzt das schon veränderte erste Chromosom als Vorlage und baut auch im zweiten Chromosom das Erbgut des Genome Editing-Mechanismus ein. Dadurch beinhalten die Zellen und nachfolgende Generationen ausschließlich die inaktivierte Genvariante.

 

Kritik an Genome Editing

Keine fehlerfreie Technik

Auch wenn die Berichterstattung über Genome Editing häufig das Gegenteil behauptet: Von der beworbenen Präzision der neuen Verfahren kann keine Rede sein.

Off Target-Effekte statt Präzision
Da die Nukleasen eine Toleranz von einigen Basenpaaren besitzen, können neben der Zielsequenz potenziell tausende weitere DNA-Sequenzen als „Off Target-Effekt“ verändert werden. In Studien, die auf die Entwicklung von Genome Editing-Verfahren für den therapeutischen Einsatz am Menschen zielen, werden meist nur wenige Fokusregionen auf abweichende Genveränderungen kontrolliert, nicht das gesamte Genom. Off Target-Effekte werden dennoch zumeist als „minimal“ beschrieben. Doch kleinste Veränderungen können genügen, um Entwicklung und Funktion von Zellen zu beeinflussen – mit nicht vorhersehbaren Konsequenzen im Organismus. Bei der Anwendung am Menschen wird präklinisch daher nicht abschließend geprüft werden können, welche Langzeitfolgen für PatientInnen möglich oder zu erwarten sind!
Auch beim Einsatz an Pflanzen und Tieren können Off Target-Effekte auftreten, und auch hier sind die langfristigen Auswirkungen einer Verbreitung solcher nicht intendierter Veränderungen nicht vorhersehbar. Die Folgen sind dabei - im Falle der Nutzung außerhalb geschlossener Systeme - nicht auf den jeweils betroffenen Organismus beziehungsweise dessen Keimzellen beschränkt, sondern können sich auch in Ökosysteme weiter verbreiten.

Unerwünschte On Target-Effekte
Die gängige Vorstellung, mit Genome Editing-Verfahren könnten gezielt ganz bestimmte Funktionen erzeugt oder (wieder) in Gang gesetzt werden, beruht auf unzulässigen Vereinfachungen: Für die allermeisten intensiv erforschten Gene sind verschiedene Funktionen bekannt; in unterschiedlichen Geweben, zu unterschiedlichen Entwicklungszeitpunkten oder sogar in unterschiedlichen Signalkaskaden innerhalb ein und derselben Zelle (pleiotrope Geneffekte). Diese Komplexität, sowohl des Informationsgehalts des Genoms als auch der Informationsübertragung, wird bei der Darstellung von Genome Editing gern vernachlässigt. Auch in dem unwahrscheinlichen Fall, dass Off Target-Effekte eines Tages absolut ausgeschlossen werden können, nicht intendierte Effekte am richtigen Ort im Genom (On Target) werden beim Einsatz von Genome Editing-Verfahren ein Problem bleiben. Auch mögliche epigenetische Effekte werden nicht bedacht.

Ungelöste Probleme in der Anwendung
Ein weiteres Problem entsteht, wenn die Techniken an menschlichen Embryonen eingesetzt werden. Bisherige Versuche zeigen, dass mit CRISPR-Cas9 Embryonen nicht in allen Zellen gleich verändert werden. Ein Test einzelner embryonaler Zellen kann also nicht sicherstellen, dass jede Zelle des Embryos (nur) die gewünschte Veränderung enthält.
Beim somatischen Einsatz der Methode zur Therapie von bestehenden Erkrankungen tauchen ähnliche Probleme wie bei konventionellen Gentherapie-Ansätzen auf. Auch hier sind „Transportmittel“ notwendig, um die Nukleasen in die Körperzellen (in vivo) einzubringen. Dazu eignen sich - wie bei früheren Ansätzen zur Gentherapie - am ehesten Viren. Diese haben den Nachteil, dass sie an unerwünschten Stellen ins Genom integrieren können und ihre Aktivität zeitlich und lokal schwer zu begrenzen ist. Bei Krankheiten wie Krebs steht der Einsatz von Genome Editing-Verfahren vor einem weiteren Problem: Charakteristisch für Krebszellen ist ihr Wachstumsvorteil gegenüber nicht betroffenen Zellen, das hieße, auch gegenüber „reparierten“. Daher müsste jede einzelne erkrankte Zelle erreicht werden, um eine therapeutisch nachhaltige Wirkung zu erzielen.
Auch bei Pflanzen schwankt die Effizienz der Genome Editing-Methoden und macht eine genaue Dokumentation der DNA-Veränderungen schwer, wenn nicht sogar unmöglich. Bei der Verwendung von programmierbaren Nukleasen müssen auch hier weiterhin die altbekannten (bakteriellen und viralen) Methoden genutzt werden, um diese in die Zellen einzubringen.

Deregulierung statt Vorsorge

Von der Gentechnik-Industrie werden die neuen Verfahren als eine willkommene Gelegenheit gesehen, um existierende Gesetze und Regulierungen zu umgehen und bisherige Verbote in Frage zu stellen.
Wenn Genome Editing-Verfahren zur Anwendung kommen, um neue Pflanzensorten zu entwickeln, ist das später häufig nicht mehr nachweisbar. Diesen Umstand versuchen sich Gentechnik-Konzerne und ihre Lobbyverbände zunutze zu machen, um die Pflanzen vollständig von der Gentechnikregulierung auszunehmen. Feldversuche sowie Produktzulassungen könnten dann ohne spezielle Sicherheitsprüfungen erfolgen und die Produkte müssten nicht als „gentechnisch verändert“ gekennzeichnet werden. Auch die bei Gentechnik-Pflanzen obligatorische Beobachtung nach dem Inverkehrbringen wäre nicht mehr vorgeschrieben. Das GeN hält dagegen solche Sicherheitsmaßnahmen im Falle einer Freisetzung sowohl bei klassischen als auch bei den neuen Gentechnik-Verfahren für unabdingbar, um unbeabsichtigte Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit zu bemerken. Sollten die Lobbybemühungen zur Deregulierung der Genome Editing-Pflanzen erfolgreich sein, bedeutete dies eine Abkehr vom Vorsorgeprinzip. In ihrer Argumentation verschweigt die Indus- trie zudem geflissentlich, dass dem EU-Gentechnikrecht ein prozessorientierter Ansatz zugrunde liegt: Die Frage, ob gentechnologische Eingriffe im Endprodukt noch nachweisbar sind, ist gar nicht relevant. Was zählt, ist die Anwendung der Verfahren im Entwicklungsprozess.
Auch in der Anwendung von Genome Editing am Menschen erzeugen die Diskussionen ein Klima, das die Aufhebung bestehender Regulierungen für den Umgang mit gentechnologischen Neuerungen begünstigt. Bislang war es international Konsens, menschliche Keimzellen nicht zu reproduktiven Zwecken zu verändern. Dieses Tabu wird durch die Debatte und bereits genehmigte Versuche angegriffen. In der Bundesrepublik ist jede Veränderung menschlicher Keimzellen verboten. Daran darf nicht gerüttelt werden! Für das GeN ist klar: Reproduktive Techniken dürfen nicht für die Erzeugung eines Forschungsgegenstandes eingesetzt werden.

Kein Platz für Kritik

Die Art und Weise, wie Forschung (nicht nur) im Bereich des Genome Editing betrieben wird, ist nicht dazu geeignet, Kritikpunkte ernst- und aufzunehmen oder diese überhaupt wahrzunehmen. WissenschaftlerInnen und Forschungsgruppen stehen unter großem Druck, möglichst viele Artikel in möglichst hochrangigen Fachzeitschriften zu veröffentlichen und Ergebnisse in möglichst kurzer Zeit vorzulegen. Um Forschungsgelder einzuwerben, müssen sie mit möglichst spektakulären Ergebnissen und Versprechungen die Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit und InvestorInnen gewinnen. Einerseits leidet unter diesen Bedingungen die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit und die kritische Überprüfung von Forschungsergebnissen bleibt auf der Strecke. Forschung mit dem Ziel, Probleme zu identifizieren oder bereits erzielte vermeintliche Erfolge zu reproduzieren, findet oft gar nicht statt. Andererseits hat sich längst eine PR-Sprache entwickelt, in der Informationen über Misserfolge, unintendierte Effekte und ähnliches keinen Platz haben – sie werden oftmals nicht veröffentlicht. Kurzum: Wissenschaft folgt viel zu sehr bereits den Kriterien der medialen Aufmerksamkeit und ökonomischen Verwertbarkeit.

Patente und Start-ups

Dass auch in der Forschung ökonomische Motive wesentlich sind und eine klare Unterscheidung zwischen Grundlagenforschung und Anwendung nicht möglich ist, zeigt die Geschäftstätigkeit der drei WissenschaftlerInnen, die CRISPR-Cas zum ersten Mal beschrieben beziehungsweise angewendet haben: Alle gründeten Start-ups, mit denen sie InvestorInnen anlocken. Die Darstellung der neuen Verfahren und ihrer Potenziale ist in erster Linie darauf gerichtet, das Interesse von GeldgeberInnen zu wecken beziehungsweise aufrechtzuerhalten. Ökonomische Interessen und Strukturen treiben so - wie so oft in der Geschichte gentechnologischer Neuerungen - die Spirale aus Versprechen und Zukunftsfantasien an. Dadurch erfährt die Forschung an Genome Editing eine Beschleunigung, die insbesondere in Bezug auf medizinische Anwendungen mehr als ungünstig ist: Editas Medicine beispielsweise kündigte im Februar 2016 und wenige Wochen vor dem Börsengang der Firma in vivo-Experimente mit CRISPR-Cas am Menschen an. Das Unternehmen hielt es offensichtlich für erforderlich, eine baldige Rendite durch marktfähige Anwendungen in Aussicht zu stellen. Die vielen Fragen, die der Einsatz von CRISPR-Cas am Menschen in vivo aufwirft, werden in solchen Zusammenhängen verschwiegen. Ebenso unklar ist derzeit noch, wer eigentlich die geistigen Eigentumsrechte an dem Verfahren hält: Die EntdeckerInnen liefern sich derzeit einen milliardenschweren Patentstreit.
Genome Editing-Verfahren, in erster Linie CRISPR-Cas, sollen angeblich zu einer Art „Demokratisierung“ der Gentechnik führen: Da sie einfacher und kostengünstiger anzuwenden sind als klassische Gentechnik-Methoden, stünden sie angeblich auch kleineren Saatgutunternehmen oder Universitäten bei der Entwicklung neuer Pflanzen zur Verfügung. Dadurch trügen die Verfahren dazu bei, die Oligopolstruktur des (Agro-)Gentechnik-Marktes aufzuweichen. Aber: Wenn man sich die Verteilung von Patenten anschaut, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Große internationale Agrarkonzerne sind sehr aktiv, wenn es um Rechte an Genome Editing-Verfahren geht. Die beiden US-amerikanischen Chemiekonzerne und Saatgut-Schwergewichte DuPont und Dow Chemical haben so viele Patente angemeldet, dass sie nach ihrer Fusion über Rechte auf die große Mehrheit der neuen Gentechnik-Verfahren und die damit hergestellten Pflanzen verfügen. In verschiedenen Bereichen haben Kooperationen von Konzernen mit kleineren Unternehmen außerdem zur Bildung von Netzwerken geführt, die bei einigen Verfahren die relevanten Claims kontrollieren.

Diskursschleifen

Gar nicht so neu an den neuen Gentechnik-Verfahren ist der gesellschaftliche Diskurs, der sie begleitet. Vor allem CRISPR-Cas wird bisweilen als Heilmittel für nahezu alle gesellschaftlichen Probleme dargestellt: Medienbeiträge erwecken mitunter den Eindruck, dass die neuen Verfahren nicht nur die ausreichende und ausgewogene Ernährung der Weltbevölkerung sichern, sondern auch nahezu jede Art von Krankheiten eliminieren werden – und das bereits in unmittelbarer Zukunft und ohne jegliche Nebenwirkungen.
Diese Rhetorik erinnert stark an die 1990er Jahre: Damals war das Humangenom-Projekt angetreten, um den vermeintlichen „Code des Lebens“ zu „entschlüsseln“ und auf dieser Grundlage „umschreiben“, „umprogrammieren“ oder gar „korrigieren“ zu können. Auch damals fehlte es nicht an Versprechen, mit Hilfe von Gentherapie unheilbare Krankheiten heilen und innerhalb kürzester Zeit hitze-, salz- oder krankheitsresistente Pflanzen züchten zu können. Doch tatsächlich zeigte das Projekt in erster Linie, dass die Funktionsweise von Genen und ihre Interaktion mit der Umwelt weitaus komplexer sind, als reduktionistische und deterministische Vorstellungen nahelegen.
Dass der aktuelle Diskurs in mancher Hinsicht wie eine Neuauflage dieser alten Debatten erscheint, zeigt schon der verwendete Terminus. „Genome Editing“ impliziert ein präzises Umschreiben, Ändern oder Löschen von Text oder Textbausteinen. Auch der hierzulande für medizinische Anwendungen häufig benutzte Begriff „Genomchirurgie“ suggeriert molekulare Präzision, Machbarkeit und Krankenbehandlung gleichermaßen. Solche Vokabeln vermitteln ein mechanistisches Bild komplexer biologischer Prozesse. Sie suggerieren diese präzise und fehlerfrei steuern zu können. Das verdeckt nicht nur die technologischen Hindernisse und Schwierigkeiten der neuen Verfahren, sondern auch ethische und gesellschaftliche Fragen rund um deren mögliche Anwendungen. Das GeN setzt sich dafür ein, dass diese Fragen nicht als bloßes Hintergrundrauschen auf dem Weg zur vollständigen Optimierung von Mensch, Gesellschaft und Natur behandelt werden.

Genome Editing in der Medizin

Die öffentlichen Diskussionen um die Anwendung von Genome Editing-Technologien am Menschen werden von der Debatte um vererbbare Veränderungen an embryonalen Keimzellen dominiert. Dabei werden verschiedene Probleme der Techniken thematisiert, wie Off Target-Effekte. Diese treten aber bei der somatischen, therapeutischen - nicht vererbbaren - Anwendung am Menschen genauso auf und können unvorhersehbare Effekte haben.

Perspektive „Keimbahntherapie“?
Die Möglichkeit der Veränderung menschlicher Keimzellen beschäftigt Symposien, Konferenzen und Tagungen. Die vermeintliche Sicherheit der Technik regt Machbarkeitsfantasien von einer endgültigen „Eliminierung“ von Krankheit und Behinderung durch die sogenannte Keimbahntherapie an. Aus der Schwere der Krankheiten und Behinderungen wird sogar eine Verpflichtung zu Forschung und Anwendung der neuen Techniken abgeleitet. Dem gegenübergestellt wird das so genannte Enhancement, also die „Verbesserung“ der menschlichen Erbanlagen, die in der Diskussion meist zurückgewiesen wird. Hinter der Rhetorik der Krankheitsbeseitigung stehen jedoch auch fragwürdige Gesundheitsideale, die gutes Leben mit körperlicher Unversehrtheit gleichsetzen. Dabei sind die Übergänge zu Vorstellungen von der Verbesserung behinderungsbedingter Körperzustände fließend. Deshalb halten wir die Beteuerung, bestimmte Techniken nur für „schwerste“ Fälle einsetzen zu wollen, für eine Floskel. Ist der erste Schritt der legalen Anwendung selektiver Techniken wie dem Genome Editing erstmal gemacht, wird es starke Stimmen geben, die die Ausweitung auf immer mehr Zustände fordern.

Weitere Normalisierung
KritikerInnen der Keimzellenveränderung argumentieren, dass es eine Alternative zur „Keimzelltherapie“ gibt: nämlich die pränatale Selektion von Embryonen mittels Präimplantationsdiagnostik (PID). Mit dieser Methode könnten die Embryonen ausgewählt werden, deren DNA keine Anzeichen von Veränderungen mit Krankheitswert aufweisen. Eine genetische Veränderung der Embryonen mit unerwünschten genetischen Eigenschaften sei damit überflüssig. Diese Argumentation lehnen wir ab. Das GeN hat sich immer wieder gegen eine Legalisierung der PID ausgesprochen. Diese Positionierung behält ihre Gültigkeit, auch wenn die neuen Techniken und ihre Anwendung am Menschen ebenfalls problematisch sind. Das GeN lehnt alle pränatalen selektiven Maßnahmen und die zugrunde liegende Sichtweise auf Behinderung als zu vermeidendes Unglück ab - dazu gehören Pränataldiagnostik, PID und Genome Editing. Die Gefährlichkeit der Diskussion um Eingriffe in Keimzellen zeigt sich auch darin, dass andere Techniken damit als kleinere Übel legitimiert werden.

Somatische Anwendungen
Während derzeit über bestehende technologische Hindernisse wie etwa Off Target-Effekte bei vererbbaren Veränderungen an embryonalen Keimzellen diskutiert wird, gerät aus dem Blick, dass der Einsatz von Genome Editing-Verfahren bei der Therapie bestehender Erkrankungen oder Behinderungen vor denselben Problemen steht: Off Target-Effekte, die eine Genveränderung an unerwünschter Stelle erzeugen, können bei somatischen Anwendungen ebenso wenig ausgeschlossen werden. Auch die Frage der unintendierten On Target-Effekte bleibt systematisch ungeklärt.
Zudem lösen Genome Editing-Verfahren nicht die Probleme, die von konventionellen Gentherapieversuchen bekannt sind. Der Tod des 18-jährigen Jesse Gelsinger beendete 1999 eine erste Phase überzogener Hoffnungen und verfrühter Heilungsversprechen durch gentherapeutische Ansätze. Die Aufarbeitung des Falles offenbarte ein von Konkurrenz und Karrierezielen bestimmtes Wissenschafts- und Forschungssystem, das keine Zeit lässt, Verfahren in kleinen Schritten und mit der gebotenen Sorgfalt auf ihre Eignung für klinische Anwendungen zu prüfen. An diesem System hat sich seitdem zu wenig geändert. Nun werden bereits die ersten klinischen Studien mit CRISPR-Cas durchgeführt und die zu erwartenden technischen Probleme und mögliche negative Auswirkungen auf die Gesundheit der PatientInnen dabei kaum diskutiert. Gerade angesichts der mit den Techniken verbundenen überzogenen Hoffnungen steht zu befürchten, dass weder Risiken noch Langzeitwirkungen der Anwendung an Menschen ausreichend untersucht, sondern Erkenntnisse darüber im Trial and Error-Verfahren und damit auf dem Rücken von Menschen gewonnen werden.

Genome Editing in der Landwirtschaft

Klassische Gentechnik-Methoden werden in erster Linie dazu verwendet, Pflanzen tolerant gegen bestimmte Herbizide oder giftig für Pflanzenschädlinge zu machen.
Diese Pflanzen sind eingebettet in ein industrielles, input- und kapitalintensives Landwirtschaftsmodell. Methoden sowie Pflanzen werden meist patentiert, eine Wiederaussaat von Saatgut oder die bäuerliche Weiterzüchtung der Sorten ist nicht vorgesehen. Trotz aller gegenteiliger Versprechungen ist es bisher nur in Einzelfällen gelungen, Sorten mit anderen Eigenschaften zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Dies soll sich nach Ansicht der BefürworterInnen mit den neuen Verfahren ändern. Doch dafür gibt es aus Sicht des GeNs noch keine stichhaltigen Hinweise. Zwar haben viele der gegenwärtigen Projekte Eigenschaften wie Trockenheitstoleranz, veränderte Inhaltsstoffe oder Krankheitsresistenzen zum Ziel, doch das war bei der klassischen Gentechnik nicht anders. Entscheidend ist jedoch, inwiefern diese Versprechungen auch eingehalten werden.

Neue Verfahren – alte Probleme
Bei der einzigen mit Genome Editing entwickelten Pflanze, deren Hersteller derzeit einen Anbau in der Europäischen Union forciert, handelt es sich um eine herbizidtolerante Rapssorte. Und betrachtet man beispielsweise verschiedene mögliche Strategien, Pflanzen gegen Pilze resistent zu machen, zeigt sich das grundlegende Problem gentechnologischer Herangehensweisen: Monogenetische Resistenzen können zwar Abhilfe schaffen, dies erweist sich in der landwirtschaftlichen Praxis jedoch als wenig nachhaltiger Lösungsweg, da diese Resistenzen schnell durch Schädlinge überwunden werden können. Dem gegenüber kann die alternative Strategie einer ökologischen beziehungsweise standortangepassten Züchtung verfolgt werden. Hier wird versucht, die Entwicklung einer Resistenz auf eine möglichst breite Basis zu stellen – beispielsweise, indem die Pflanzen als Ganzes gestärkt werden, um so einem Schaderreger besser widerstehen zu können.
Alles deutet darauf hin, dass auch die Pflanzen-
entwicklung mit neuen Verfahren dazu verwendet wird, ein Landwirtschaftsmodell zu stützen, das keine nachhaltigen Lösungen für die aktuellen Probleme bietet.

Gegen jede Gentechnik in der Landwirtschaft!
Das GeN setzt sich seit seiner Gründung für eine gentechnikfreie Landwirtschaft ein. Denn die Gentechnik ist eine Risikotechnologie: Grundlegende Fragen nach den ökologischen Auswirkungen sowie der Sicherheit für Menschen, Tiere und Umwelt sind bis heute unbeantwortet. Das gilt auch für die Pflanzen, die mit sogenannten neuen Gentechnik-Verfahren hergestellt wurden.
Zum jetzigen Zeitpunkt kann wenig Konkretes über die Risiken gesagt werden, da sich die meisten derartigen Pflanzen erst in sehr frühen Entwicklungsstufen befinden oder nur als Idee existieren. Manche dieser Risiken stehen mit den gentechnisch übertragenen Eigenschaften der genetisch veränderten Pflanzen in Zusammenhang, andere mit der Technik an sich. Die meisten Studien zur Risikobewertung werden von der Industrie selbst durchgeführt oder (teil-)finanziert. Eine unabhängige Risikoforschung findet kaum statt. Deshalb muss das Vorsorgeprinzip angewandt werden, das ein Verbot ermöglicht, wenn es plausible Bedenken gegenüber deren Sicherheit gibt.
Die Pflanzenbiotechnologie wird auch konzeptionell der Komplexität der Pflanzen-Umwelt-Interaktion nicht gerecht. Sie basiert in vielen Bereichen weiterhin auf einer mittlerweile veralteten Vorstellung von genetischer Regulation. Dass auch kleine Änderungen auf der DNA-Ebene weitreichende Folgen haben können, wird in den Diskussionen in der Regel nicht erwähnt. Die neuen Gentechnik-Verfahren können außerdem potenziell mehrfach an einer Pflanze durchgeführt werden, was zum Einbau weitreichender Veränderungen genutzt werden kann.

Aussterben auf Rezept?
Eine besondere Anwendung von neuen Gentechnik-Verfahren ist der Gene Drive-Mechanismus. Damit werden gentechnische Veränderungen bezeichnet, die dazu führen, dass Eigenschaften mit praktisch einhundert Prozent Wahrscheinlichkeit an die nächste Generation weitergegeben werden. Der Eingriff kann - und soll - zum Aussterben von als Schädlinge definierten Arten führen, was schwerwiegende ökologische Schäden zur Folge haben kann.

 

Forderungen des Gen-ethischen Netzwerks

Kein Genome Editing an reproduktiven menschlichen Zellen!
Genome Editing ist ein weiterer Versuch, technische Lösungen für soziale und gesellschaftliche Pro-
bleme zu propagieren. Eine Debatte um die „Keimbahntherapie“ befördert Machbarkeitsfantasien und legitimiert den Wunsch nach möglichst perfektem Nachwuchs. Das GeN lehnt daher die vererbbare Veränderung menschlicher Zellen ab.

Keine Erzeugung von Embryonen als Forschungsgegenstand!
Reproduktive Techniken dürfen nicht für die Forschung am Menschen eingesetzt werden. In der Bundesrepublik ist jede Veränderung menschlicher Keimzellen verboten. Daran darf nicht durch eine Aufweichung des Embryonenschutzgesetzes gerüttelt werden.

Keine verfrühte somatische Anwendung des Genome Editing am Menschen!
Unter den derzeitigen Voraussetzungen sind die Techniken des Genome Editing auch für eine somatische Nutzung am Menschen zu gefährlich. Die Verfahren lösen keine Probleme, sondern fügen ihnen neue hinzu. PatientInnen müssen vor einer somatischen Gentherapie umfassend über die Unwägbarkeiten möglicher On und Off Target-Effekte aufgeklärt werden.

Keine Legitimierung anderer selektiver Techniken!
Andere Techniken wie Pränataldiagnostik (PND) oder Präimplantationsdiagnostik (PID) dürfen nicht als das vermeintlich kleinere Übel durch die Problematisierung von Genome Editing legitimiert werden.

Genome Editing ist Gentechnik und muss als Gentechnik reguliert werden!
Genome Editing-Methoden greifen mit technischen Mitteln auf der Ebene von Genen und Genomen in die Organismen ein. Juristisch ist bezüglich der Veränderung von Pflanzen von Bedeutung, dass in der EU der Prozess und nicht dessen Ergebnis (d.h. das Produkt) bewertet wird und dass die genutzten Verfahren nicht wie gesetzlich gefordert „seit Langem als sicher gelten“ können.

Keine Freisetzung von Organismen, die mit Genome Editing-Verfahren hergestellt wurden!
Die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen ist verbunden mit einer besonderen Qualität von Risiken. Die Auswirkungen der gentechnischen Veränderungen sind weder auf der Ebene der DNA oder der veränderten Organismen noch auf der Ebene der Umwelt vorhersehbar.

Das Vorsorgeprinzip muss zur Anwendung kommen!
Zentral bei der Anwendung des Vorsorgeprinzips ist, dass keine durchgehend geschlossene Kausalkette zwischen einer unerwünschten Wirkung auf Umwelt oder Gesundheit und deren Auslöser bekannt sein muss, um Sicherheitsmaßnahmen einzuleiten. Der begründete Verdacht auf negative Auswirkungen ist ausreichend, um ein Verbot oder Einschränkungen bei der Anwendung zu erlassen. Bei der Einführung einer neuen Technologie ist Unwissen über bestimmte Zusammenhänge eher die Regel als die Ausnahme.

Keine Konzentration der Forschungsförderung auf Genome Editing!
Öffentliche Forschungsgelder dürfen nicht aufgrund eines temporären Hypes bestimmter Forschungsansätze einseitig verteilt werden, sondern müssen auch die Weiterentwicklung anderer
Forschungsrichtungen ermöglichen.

3. Februar 2017

Gen-ethisches Netzwerk e.V.

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