Pränataldiagnostik: Ökonomisierte Normkontrolle
AKTIONS-SPECIAL
Engmaschige Kontrollen in der Schwangerschaft sind längst Routine. Zusatzuntersuchungen für Privatzahlerinnen verstärken den Eindruck, dass gesunde Kinder „machbar” sind.
Vorgeburtliche Untersuchungen sind in Deutschland zur Routine geworden: Rund zehn Untersuchungen umfasst der Leistungskatalog der Krankenkassen. Dazu gehören neben Gewichtskontrollen und Labortests drei Ultraschalluntersuchungen, die in der 10., 20., und 30., Schwangerschaftswoche durchgeführt werden. Je nach Befund folgen so genannte invasive Untersuchungen, wie Fruchtwasserpunktion. Seit einigen Jahren treibt das zunehmend ökonomisierte Gesundheitssystems zusätzliche Blüten: Fast alle Gynäkologen und viele Hebammen bieten so genannte IGEL-Leistungen an, „individuelle Gesundheitsleistungen“, die von den Schwangeren aus eigener Tasche bezahlt werden müssen. „Mehr Sicherheit für Sie und Ihr Kind“, verspricht zum Beispiel gynomed ruhr, ein Zusammenschluss von FrauenärztInnen aus dem Ruhrgebiet, und preist im Internet diverse Test in unterschiedlichsten Preiskategorien an: Von einer einfachen Beratung (zwischen 4 und 10 Euro), über Antikörpertests (Toxoplasmose, Windpocken, je rund 20 Euro), über die Doppleruntersuchung (zwischen 40 und 80 Euro) bis hin zum Erst-Trimester-Screening (176-340 Euro).1
Studienergebnisse sprechen deutlich gegen dieses zunehmende „Geschäft mit der Angst“. Dabei beziehen sich die Untersuchungen, wie die des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vor allem auf die „Treffsicherheit der Tests“.2
Verkürzt gesagt: Zu wenig Schwangere bekommen eine korrekte positive Diagnose, angesichts einer weitaus größeren Anzahl von Frauen, die durch ein falsch positives Ergebnis unnötig beunruhigt werden.
Überwachung des Mutterleibs
In der Öffentlichkeit weitaus weniger thematisiert werden dagegen die ideologischen und normativen Grundlagen, auf denen die engmaschigen Überwachungen des Mutterleibs aufbauen. „Besorgt sehen wir die routinemäßige Ausweitung vorgeburtlicher Diagnoseverfahren im Rahmen des üblichen Schwangeren-Check-ups. Die Mehrzahl der pränatalen Tests dient nicht dem guten Fortgang einer Schwangerschaft, sondern der gezielten Suche nach Normabweichungen des Fötus“, erklärte das Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik bereits 1995 und wendet sich bis heute gegen einen „Mythos der Machbarkeit“ der suggeriert, dass gesunde Kinder machbar sind. Behinderte Menschen und ihre Familien würden als Folge immer stärker ausgegrenzt.3 Die Kritik gilt für die Selbstzahlerleistungen gleichermaßen: Untersuchungen, wie das Ersttrimester-Screening zur Bestimmung des Risikos für chromosomale Fehlbildungen eröffnen keine therapeutischen Optionen, sondern konfrontieren mit der Entscheidung, die Schwangerschaft fortzuführen oder abzubrechen. Fast 40 Prozent aller Schwangeren sollen diese private Leistung laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bereits in Anspruch nehmen.
Verschiebung von Verantwortlichkeiten
Die IGEL-Leistungen sind aber nicht nur eine weitere Umdrehung im Zyklus der zunehmend „überwachten Frau“. Sie verschieben auch Verantwortlichkeiten - von den Kassen (und damit dem öffentlichen Gesundheitssystem) auf die „Selbstzahler“ - von den GynäkologInnen und Hebammen auf die schwangere Frau. In dem angebotenen Markt der Diagnostikmöglichkeiten kann die „informierte Kundin“ wählen und sich ein „individuelles“ Paket zusammenschnüren: die „Schwangerschaft auf Probe Plus“ je nach Geldbeutel aus dem Serviceregal.
- 1„IGeL. Mutterschaftsvorsorge plus“, www.gynomed.de.
- 2Susanne Schultz, „Der Run auf die schwangere Frau“, der Freitag, 7.3.2008.
- 3Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik, „Frankfurter Erklärung zur vorgeburtlichen Diagnostik” (1995), www.bvkm.de.
Monika Feuerlein ist freie Journalistin und arbeitete mehrere Jahre lang als Redakteurin für den Gen-ethischen Informationsdienst (GID).
AKTIONS-SPECIAL Im Supermarkt... (Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik)
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