Protest gegen die bundesweite Einführung von Erweiterten DNA-Analysen

Kritik am Beschluss des Bundeskabinetts

(Berlin, 20.05.2019) Das Bundeskabinett hat am Mittwoch (15.05.) beschlossen die DNA-Analyse von Alter, Augen-, Haut- und Haarfarbe im Rahmen der baldigen Strafrechtsreform bundesweit einzuführen.

Tausende Menschen protestieren in München gegen das Bayerische Polizeigesetz.

Mehr als 30.000 Menschen protestierten am 10.05.2018 in München gegen das neue Polizei-Aufgaben-Gesetz in Bayern, das unter anderem die Einführung der Erweiterten DNA-Analysen enthält. Foto: Casey Hugelfink

Das Gen-ethische Netzwerk (GeN) protestiert gegen die sowohl aus wissenschaftlicher, datenschutzrechtlicher als auch gesellschaftlicher Perspektive hochproblematische Ausweitung polizeilicher DNA-Befugnisse.

Schon im April 2017 hatte sich das Gen-ethische Netzwerk zusammen mit 24 anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen gegen die Legalisierung dieser „Erweiterten DNA-Analysen“ ausgesprochen. Aufgrund von vielfältigen wissenschaftlichen und politischen Bedenken wurden sie nicht eingeführt – das soll nun, zwei Jahre später, nachgeholt werden. Doch die problematischen Aspekte der Technologie sind nach wie vor absolut ungelöst und werden nun abermals ignoriert!

Unsere wichtigsten Kritikpunkte sind:

  • Die Analyse der Pigmentierung von Augen-, Haar- und Hautfarbe ist zwar grundsätzlich möglich, allerdings sind die Ergebnisse keineswegs so verlässlich wie häufig suggeriert wird. Verschiedene Studien zeigen, dass die Treffsicherheit der Tests von Fall zu Fall stark abweicht.
    Eine Fehlleitung von Ermittlungen aufgrund von zu großem Vertrauen in die DNA-Technologie erscheint demnach höchst wahrscheinlich.
     
  • Die Analysen umfassen nur äußerliche Merkmale, die jeweils auf viele Menschen zutreffen. Sagen sie Merkmale von Minderheiten voraus, steht zu befürchten, dass die Ermittlungen nach Täter*innen Diskriminierung oder gar rassistische Hetze verstärken oder auslösen. Dies gilt erst recht, wenn die Ergebnisse in Öffentlichkeitsfahndungen verwendet werden. Im Unterschied zu Zulassungen der Techniken in anderen Ländern, liegt in Deutschland kein Vorschlag vor, diesen gefährlichen Effekten vorzubeugen.
     
  • Auch die Vorhersagegenauigkeit des Alters ist wissenschaftlich außerordentlich umstritten. In einer Stellungnahme der Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin 2018 (s.u.) wurde der Einsatz dieser Technologie bei jungen Migrant*innen mit der Begründung kritisiert, die Technologie sei „noch nicht ausreichend reif für einen Einsatz in der forensischen Praxis“. Vor dem Einsatz müsse man „noch wichtige Fragen“ klären, wie der Einfluss der Lebensumstände von DNA-Spurenleger*innen auf die Analyseergebnisse und Strategien zur Qualitätssicherung. Diese Fragen wurden nach wie vor nicht beantwortet.
     
  • Die Erweiterten DNA-Analysen stellen eine massive Verletzung von bisherigen Standards des Datenschutzes dar. Noch dürfen nur „nichtkodierende“ Bereiche der DNA analysiert werden, die keine Rückschlüsse auf Eigenschaften einer Person erlauben – mit der einzigen Ausnahme der chromosomalen Geschlechtsanalyse. Die Erweiterten DNA-Analysen umfassen nun auch Bereiche der DNA die möglicherweise weitreichende Informationen, wie Krankheitsrisiken, enthalten können.


„Befürworter*innen versprechen fälschlicherweise immer noch ein ‚genetisches Phantombild’ obwohl die intensive wissenschaftliche Debatte der letzten zwei Jahre deutlich gezeigt hat, dass diese Beschreibung in keiner Weise dem technischen Stand entspricht.“ so die Molekularbiologin Dr. Isabelle Bartram vom Gen-ethischen Netzwerk. „Der Beschluss des Bundeskabinetts, die Analysen trotz der wissenschaftlichen Kritik einzuführen, ist nicht evidenz-basiert, sondern beruht auf falschen Sicherheitsversprechen. Wir sehen die Gefahr, dass vor allem rassistisch diskriminierte Minderheiten über öffentlichkeitswirksame Fahndungen zu verdächtigen Gruppen gemacht werden.“

 

20. Mai 2019

Gen-ethisches Netzwerk e.V.

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Pressekontakt

Dr. Isabelle Bartram, GeN - Gen-ethisches Netzwerk e.V.
Tel.: 030/685 7073
E-Mail: isabelle.bartram[at]gen-ethisches-netzwerk.de

 

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