Expertokratie in Brüssel?
EU lässt bei der GVO-Zulassung weiter Wünsche offen
Die Europäische Union kommt bei der Novellierung des Zulassungsverfahrens für gentechnisch veränderte Organismen nicht zu einem kohärenten System und verweist drei Anträge erstmal in eine weitere Überprüfung.
Mit einer Vorlage für den EU-Umweltministerrat Anfang Juni hat die französische Regierung den Diskussionen um die Reformierung der europäischen Zulassung von gentechnisch veränderten (gv) Organismen neue Nahrung gegeben. Dabei hat die Regierung der nächsten EU-Ratspräsidentschaft (ab dem 1. dem Juli 2008) im Wesentlichen Punkte aufgenommen, die schon seit längerem in der Debatte genannt werden. Darunter sind die stärkere Berücksichtigung der Wirkung von in den gv-Pflanzen produzierten Insektengiften auf Nichtzielorganismen und der Unkrautvernichtungsmittel, die gemeinsam mit Herbizid-toleranten Pflanzen genutzt werden. Dabei soll eine mögliche Giftigkeit in der Art von äußerlich angewendeten Pflanzenchemikalien geprüft werden. Damit verbunden ist eine Frage, die an anderen Stellen schon mehrfach in die Debatte eingebracht wurde: Warum prüft nicht die Europäische Umweltbehörde EEA die Umwelt-Risiken? Weiterhin nennt das Papier der französischen Regierung die Notwendigkeit einer Harmonisierung der Zulassung von GVP zwischen den Mitgliedstaaten, gesteht diesen aber gleichzeitig zu, dass ihre Stellungnahmen von der europäischen Zulassungsbehörde EFSA stärker berücksichtigt werden sollen.
Unabhängige Risikoforschung stärken!
Nichtsdestotrotz lässt der neue Vorschlag aber weiter Wünsche offen. Völlig unberücksichtigt bleibt die Forderung nach der Stärkung von unabhängiger Risikoforschung. Das Gen-ethische Netzwerk hatte im Mai dieses Jahres gemeinsam mit anderen Verbänden den Aufruf „Crash-Test für Gen-Mais - Unabhängige Risikoforschung stärken!” lanciert.1 Damit wird insbesondere auf den Missstand aufmerksam gemacht, dass die Zulassung in erster Linie auf den Daten basiert, die von den interessierten Firmen eingereicht worden sind. In dem Aufruf an die europäische Politik wird gefordert, dass die interessierten Konzerne zehn Prozent ihres Umsatzes in einen Fonds zur Stärkung der unabhängigen Risikoforschung zahlen müssen. Der Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft (BöLW) fordert, es „müsse ein Aspekt eine Rolle spielen, der bislang völlig vernachlässigt werde: wie sich beim Anbau einer bestimmten GVO-Pflanze der Fortbestand einer Produktion ohne Gentechnik sichern lasse”. Damit macht der BöLW ein Thema auf, das gerade auch unter dem Dach der Vereinten Nationen in Bonn verhandelt wurde. Das Biosicherheits-Protokoll spricht die sozio-ökonomischen Aspekte des Anbaus und des Handels von gentechnisch veränderten Organismen für die Erhaltung und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt an. Es geht damit auf das Miteinander von ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten ein, wie es in dem mittlerweile schon mehr als 15 Jahre wärenden Rio-Nachfolgeprozess für die Nachhaltigkeit gefordert wird. Für Beobachter ist die Erwähnung „sozio-ökonomischer” Kriterien in der französischen Vorlage ein begrüßenswertes Novum für die EU-Gremien. In ihrer Sitzung am 7. Mai hat die EU-Kommission zum wiederholten Male zum Ausdruck gebracht, dass sie bei den GVO nicht in der Lage ist, ein kohärentes Bild zu erzeugen: Entsprechend fragt Marco Contiero von der EU-Sektion der Umweltorganisation Greenpeace, wie es zusammenpasst, wenn die Kommission drei Zulassungs-Dossiers2 zur wiederholten Prüfung an die EFSA zurückgibt, wenn sie genau deren Einschätzungen nicht vertraut. Der Präsident der EU-Kommission, Manuel Barroso, hat sich nun für eine andere Strategie entschieden. Er teilte den Regierungen der Mitgliedsstaaten Anfang Juni folgende Variante mit: Es soll eine neue Gruppe von Experten in ein neues Gremium berufen werden, dessen vorrangige Aufgabe zu sein scheint, das Zulassungsverfahren der EU zu überarbeiten, und die Zulassung zu erleichtern.
Expertokratie versus Beteiligung
Grundsätzlich steht immer noch auch die Forderung von Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer im Raum, die Politik aus dem Verfahren herauszunehmen und streng wissenschaftlich zu entscheiden.3 Diesem Ansinnen müssen die Mitgliedsstaaten in jedem Fall widerstehen. Es ist ein gefährlicher Schritt hin zu einer Expertokratie, dabei wäre eine breitere Beteiligung von Interessierten ein wünschenswerter Weg.
Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.