Pränataldiagnostik als Geschäft

Marktwirtschaftliche Dynamiken und Pränataldiagnostik-Boom

Viele pränataldiagnostische Untersuchungen werden heute als privat zu bezahlende „Individuelle Gesundheitsleistungen“, kurz IGeL, von FrauenärztInnen angeboten und inzwischen in großem Umfang von Schwangeren in Anspruch genommen. Welche marktwirtschaftlichen Dynamiken prägen den aktuellen Boom der Pränataldiagnostik?

Dass Pränataldiagnostik ein Geschäft ist, wird von vielen nur als Nebenschauplatz angesehen. Die einen interpretieren die ökonomischen Regeln als notwendig für eine Dienstleistung, die auf „Gesundheit“ und „Sicherheit für Mutter und Kind“ gerichtet ist – und halt etwas kostet. Die anderen betrachten sie als Preis für eine gesellschaftlich und politisch gewollte Selektion. In beiden Fällen werden dominierende gesundheitspolitische Ziele angenommen, die die Gestalt der Versorgung schwangerer Frauen bestimmen sollen und die der Ökonomie diffus übergeordnet sind. Ob diese Gewichtung tatsächlich stimmt – also ob politische Absichten kalkulierte Versorgungskonzepte hervorbringen und die dafür erforderlichen Geldflüsse gezielt fließen, ist allerdings fraglich. Derzeit scheint die Kontrolle von Geldströmen in der Gesundheits- und Forschungspolitik zwar eines der wenigen, wirkungsvollen Steuerungsinstrumente zu sein. Das muss aber nicht heißen, dass diese Steuerung immer auch gezielt Effekte erzeugt, die alle beteiligten Akteure gemeinsam vor Augen haben. Es gibt auch sich verselbständigende Prozesse, gegenläufige Wirkungen, widersprüchliche Interessen und unterschiedliche Ziele. Das alles überschattende Gebot der Forschung – ständige Innovation mit möglichst anwendungsorientierter Ausrichtung – kann beim Laborunternehmen und in der Arztpraxis freudig aufgenommen, aber gesundheitspolitisch ein Ärgernis werden. Eine Gynäkologenpraxis, die unter dem Budgetierungsgebot „leidet“, kann sich von privat angebotenen Produkten Vorteile versprechen, ebenso wie das privatwirtschaftliche Laborunternehmen oder der Gerätehersteller, die beide ihre Angebotspalette erweitern. Für die Krankenkassen und den öffentlichen Gesundheitsetat können sich hier jedoch Probleme ergeben. Soll das Angebot in den Leistungskatalog aufgenommen werden – also von den Kassen bezahlt werden – oder nicht? Dieses Budget ist offensichtlich limitiert – Grund dafür, Epidemiologie und Qualitätssicherung zu bemühen, um die Leistungskataloge zu beschränken (siehe Kasten). Bislang werden 70 Prozent aller Gesundheitsausgaben von den Kassen bezahlt – ein garantierter Absatzmarkt. Doch der Prozentsatz öffentlich finanzierter Gesundheitsdienstleistungen wird sinken. Die Angebote in Diagnose und Therapie werden und sollen aber weiterentwickelt und gesteigert werden. Das ist aber nur in einem wachsenden privaten Sektor möglich, der tatsächlich im Entstehen begriffen ist. Das Feld der Gesundheitsversorgung ist ein Wirtschafts- und Wachstumsfaktor erster Güte. Nicht nur private Anbieter profitieren davon. Auch die Politik hofft auf Wachstumsimpulse in einem Wirtschaftszweig, der in den Industrienationen zwischen 12 und 15 Prozent des Bruttoinlandproduktes erwirtschaftet. Nicht nur in ausgewiesenen Privatkliniken oder Wellness-Parks werden die „KundInnen“ umworben. Im Arzt-PatientInnengespräch in der Praxis, innerhalb der gängigen, öffentlich finanzierten Räume, werden die medizinischen „Manufakturfertigungen“ privat vermarktet. Spitzenreiter sind die Gynäkologenpraxen, in denen so genannte Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) angeboten werden, die nach der üblichen Gebührenordnung taxiert, aber privat bezahlt werden.

Innovative Sprechweisen, innovative Risiken – innovative Korruption

Sprechweisen eilen der neuen Realität vorweg – und bilden sie ab. Ganz selbstverständlich sind PatientInnen heute „KundInnen“, Krankenhäuser sind „Unternehmen“ und ÄrztInnen sind „DienstleisterInnen“. Nicht von ungefähr ist die gerade verabschiedete Gesundheitsreform als Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) tituliert worden. Besonders offensichtlich wird die Ökonomisierung des Denkstils, wenn Manager im Gesundheitswesen über die nahe Zukunft spekulieren. Gesundheitsökonom Jürgen Zerth von der Universität Bayreuth etwa kündigt an: Wer nicht in der Lage sei, selbst zuzuzahlen, müsse künftig unter Umständen früher sterben. Aber: Auch wer sich einen Mercedes leisten könne, würde einen Unfall eher überleben als ein Golffahrer. Sein „Bayreuther Versicherungsmodell“: ein „wett-bewerbliches und europataugliches Gesundheitssystem“ mit individuellen, risikoorientierten Versicherungsprämien.(1) Enorme Ausdehnungsmöglichkeiten der privaten Märkte folgen auch einer dominierenden Umorientierung innerhalb der Medizin. Die Krankenbehandlung weicht dem Risikomanagement und der Prävention – in der Regel als individualisierbare, auf Gene und persönlichen Lebensstil orientierte Krankheitsvermeidung und Früherkennung. Präventionsstrategien funktionieren als aktive Markterweiterung. Die Gynäkologie hat hier lange Zeit eine Vorrei-ter-Rolle gespielt. Schwangere Frauen sind „Patientinnen“ und unfruchtbare Paare neue „KundInnen“ geworden. Jede Lebensphase einer Frau gilt als kontroll- und behandlungsbedürftig. Heute potenzieren Gewichtsma-nagement, Body- and Skin-Modellings und Anti-Aging-Kontrolle, die jeden Anschluss an ärztliche Tätigkeiten im ursprünglichen Sinne verloren haben, die Angebote der niedergelassenen Praxen. Solche steigernden Verfahren sind mittlerweile in sehr vielen Bereichen aufzufinden. Die Logik: Nicht die Geldmittel sind knapp, sondern die Kranken. Für alle Behandlungskontexte ist neben den bereits erwähnten Regeln der Markterweiterung durch Innovation, privatisierte Angebote und ausufernde Krankheitsbegriffe, die attraktive Belohnung der BehandlerInnen systemprägend und oftmals schwer von Korruption zu unterscheiden.(2) MedizinerInnen in Deutschland bekommen von geschätzten 15.000 bis 20.000 PharmareferentInnen Besuch. Diese hinterlassen pro Besuch 1 Kilogramm Papier mit Produktwerbungen und nicht selten Geschenke.(3) Weiterbildungsseminare werden nahezu durchgängig von der Industrie finanziert. Intensive Kontakte zu den AutorInnen von medizinischen Leitlinien werden gepflegt. Sie kooperieren zu 87 Prozent mit jenen Pharmafirmen, deren Produkte sie empfehlen.(4) Klinische Studien sind für Pharmafirmen vorteilhaft als Joker im Marketing. Deshalb werden gern vorteilhafte Ergebnisse veröffentlicht.(5) Auch beliebt ist die „Anwendungsbeobachtung“, das heißt die Studien zu zugelassenen Medikamenten. Ärzte, die mitmachen, können pro Verschreibung mal 50, mal 1.000 Euro verdienen – eine getarnte Marke-tingstrategie, um das Verschreibungsverhalten der Ärzte zu beeinflussen.(6)

Marketing für Erst-Trimester-Screening

All diese sozialen Techniken der Markterweiterung sind auch in der pränatalen Diagnostik zu erkennen. Zunächst sind im Mutterpass die „medizinisch notwendigen“ Leistungen festgelegt worden. Damit wurde die Versorgung der Schwangeren zu einer flächendeckenden Suche nach pränatalen Auffälligkeiten. Die Anzahl der bezahlten Angebote lässt sich durch Risiko-Vermutungen, Normabweichungen wie nicht optimales Reproduktionsalter der Frau oder Auffälligkeiten beim Ungeborenen erheblich erweitern. Nachdem der Risiko-Denkstil in die Köpfe aller Einzug gehalten hat, werden zusätzlich „individuelle Gesundheitsleistungen“ (IGeL) angeboten, die privat hinzu gekauft werden können und mehr Sicherheit versprechen. Ein Beispiel: die Frühdiagnostik in der Schwangerschaft. Die „neuen Wege in der Frühschwangerschaft“, so die Fetal Medicine Foundation in Deutschland (FMF), führen in die ultraschallgestützte Vermessung der Nackenfalte des Ungeborenen, kombiniert mit Labortests und dem „Basisrisiko Alter“, um die übliche Suche nach Trisomie 21 und anderen Normabweichungen zu effektivieren. In den öffentlich geförderten Gynäkologenpraxen, Kliniken und Labors wird dieses Frühscreening zusätzlich als privat zu zahlende Dienstleistung Frauen angeboten. Einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zufolge kaufen derzeit schon 29 Prozent aller Schwangeren diesen Erst-Trimester-Test.(7) Geworben wird – wie immer – damit, dass die Diagnostik ausgefeilter sei und deshalb Fehldiagnosen und unnötige Fruchtwasseruntersuchungen vermieden werden könnten. Es darf bezweifelt werden, dass es tatsächlich darum geht, Diagnosen, Fehldiagnosen und Abbrüche zu minimieren. Mehr abrechenbare Leistungen anbieten zu können, und zwar im Rahmen der öffentlich geförderten Schwangerenvorsorge, das ist der Motor der Expertenvereinigung und der interessierten, zertifizierten Ärzteschaft. Einmal verunsichert, können Frauen leicht überzeugt werden, diese neue, noch „qualitätsvollere“ Diagnostik zu kaufen. Ziel sei es, ein „zertifiziertes und kontrolliertes Erst-Trimester-Screening flächendeckend und schnellstmöglichst in Deutschland zu etablieren“, so die Homepage der FMF.(8) Computerprogramme, die nach festgelegten Standards die angesprochenen Risikoziffern verrechnen, bekommen jene Einrichtungen, die bei der FMF Kurse belegt haben und regelmäßig ihre Diagnosen prüfen lassen. Dafür bekommen sie ein Zertifikat, eine neue Software und die Berechtigung, mit ebenfalls registrierten Laborunternehmen das Erst-Trimester-Screening vermarkten zu dürfen. Ein gemeinnütziger Verein, in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM), ordnet die Verhältnisse rund um das Screening ganz nach eigenem Gusto. Dieser Verein hat Einfluss, weil er eine Lobbyorganisation ist, die alle relevanten Interessenten unter das FMF-Dach vereinigen konnte: „Frauenärzte, Pränataldiagnostiker, Labore, Humangenetiker, Software-Hersteller und nicht zuletzt die Industrie haben erstmalig eine innovative Verbindung untereinander geschaffen – und das unter der Schirmherrschaft der englischen Muttergesellschaft FMF-London“, so Prof. Dr. med. Rüdiger Osmers, Chefarzt der Frauenklinik in Hildesheim und Vorstandsmitglied der FMF-Deutschland. Wirklich neu ist die Zusammenarbeit zwischen diesen AkteurInnen nicht. Als „innovativ“ könn-te man das wohlgeordnete Vorgehen und den Willen zur Privatinitiative der Diagnoselobbyisten bezeichnen. In den Jahren 2000 und 2001 hatten sich verschiedene VertreterInnen von Laborunternehmen, gynäkologischen Praxen und Kliniken, humangenetischen Instituten sowie die DEGUM und anwendungsbezogene Firmen zusammengefunden, um die FMF aus der Taufe zu heben. Der Biochemiker Helmut Wagner war dabei. Das FMF-zertifizierte Labor Wagner, Stibbe + Partner unterhält beste Beziehungen. Helmut Wagner sitzt im Vorstand der FMF. Sein Partner Werner Stibbe ist Leiter des Bereichs Labormedizin im Zentrum für In-Vitro-Fertilisation und Reproduktionsmedizin in Bad Münder. Die Klinik pflegt seit zwei Jahren eine „überörtliche Partnerschaft“ mit dem Laborunternehmen. Eine ideale Verbindung: Der Zugang zu den KonsumentInnen könnte nicht besser sein. Weitere Laborunternehmen und Firmen sind im Vorstand und an der Gestaltung des Frühscreenings beteiligt, die „einfache kostengünstige Bluttests“ anbieten oder Datensysteme für Frauengesundheit. Die wissenschaftliche Kompetenz in der deutschen Sektion der FMF wird unter anderem von Bernd-Joachim Hackelöer repräsentiert. Er gehört gemeinsam mit Manfred Hansmann zu den Initiatoren des Ultraschallscreenings in den 1980er Jahren. Als langjähriger Präsident der DEGUM hat er viel Erfahrung mit Zertifizierungsstufen und Qualitätskontrollen. Die allerdings werden heute angesichts des neuen Screeningprogramms als unzureichend deklariert. Mangelnde Qua-lität und hohe Fehlerquoten kommen immer erst dann zur Sprache, wenn Innovationen in Aussicht stehen und „Qualität“ zum Werbeslogan werden kann. Vorstandsvorsitzender Eberhard Merz, ebenfalls Gynäkologe und in der DEGUM tätig, verspricht bessere Ergebnisse und weniger falsche Diagnosen – und Kostenersparnisse für die Krankenversicherer. Das Diagnoseangebot zur vorgeburtlichen Qualitätsprüfung wird nicht kleiner oder gezielter werden. Es wird durch einen privat organisierten Markt aufgebläht, von dem vor allem die erwähnten Anbieter, die Laborgemeinschaften, Softwareanbieter und Facharztpraxen profitieren. Als private Initiative können sich die Diagnoselobbyisten, weitgehend unabhängig von Kassen, politischen Entscheidungen und Standesorganisationen, für die kommende Zeit der privatisierten Gesundheitsversorgung ausrüsten.

Diagnostisches Perpetuum mobile

Ein weiteres Beispiel für die Suche nach immer neuen pränataldiagnostischen Produkten sind Vorstöße zum ITA-Screening. Die Abkürzung ITA steht für „Invasive Throphoblast Antigen“ – ein Molekül, das im Urin und Blut Schwangerer vorkommt. Sind die ITA-Konzentrationen von einer Norm abweichend, wird ein Trisomie-Risiko beim Ungeborenen angenommen. In der Fachzeitschrift „Frauenarzt“ rief Dr. Ulrich Sancken im Juli 2002 GynäkolgInnen dazu auf, Schwangere zur freiwilligen Teilnahme an einer ITA-Studie zu motivieren. Die Reihenuntersuchung sollte klären, wie aussagekräftig ein neues, in den USA entwickeltes Dia-gnose-Verfahren ist. Gesponsert wurde der Massentest durch die Bad Nauheimer Firma Nichols Institute Diagnostika GmbH. Sancken arbeitet für das Zentrum für Humangenetik der GmbH Bioscientia, die mit 13 Niederlassungen in der BRD und einem internationalen Bereich im Mitt-leren Osten zu den großen Laborunternehmen gehört. Angeboten werden von der Firma zwei neue Screenings – als IGeL-Leistung – und natürlich werden viel exaktere Ergebnisse versprochen: Integriertes und sequenzielles Screening als neue Methoden der Risikoabschätzung fetaler Chromosomenanomalien. Diese Angebote machen sich die schon vorhandenen Untersuchungen zunutze und kombinieren sie neu. Sowohl das sequenzielle als auch das integrierte Screening bestehen aus zwei Tests im ersten und zweiten Trimester, bei denen die Nackentransparenz-Messung mit Bluttests zu PAPP-Werten (biochemischer Marker) und hCG-Werten kombiniert werden. Die Anbieter versprechen, damit eine bessere Erkennungsrate erzielen zu können und weniger falsch-positive Ergebnisse. All das ist in großen europäischen und US-amerikanischen Studien erprobt worden, die öffentlich finanziert wurden. Die Anbieter setzen sich positiv vom FMF ab und behaupten auch, das Problem der Fruchtwasseruntersuchung und Spätabbrüche technologisch minimieren zu können. Auch auf der Firmen-Homepage ist zu lesen, was viele im Gesundheitssektor wissen und beflügelt: „Während es in der Gesetzlichen Krankenversicherung kein Wachstum mehr gibt, wächst der freie Markt um 8-10 Prozent“. Allein nach „individuellem Wunsch der Schwangeren“ wird die Untersuchung im ersten Trimester für 29,14 Euro angeboten – plus Gebühren für Beratung und Interpretation. Das integrierte Screening kostet 104,92 Euro, das sequenzielle Screening 90,35 Euro. Leiter der Bioscientia Healthcare GmbH ist übrigens Dr. Lothar Krimmel. Als Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung entwickelte er das IGeL-Konzept und gründete verschiedene Unternehmen mit so klingenden Namen wie „MedWell“. Die GmbH schickt Starterpakete an niedergelassene MedizinerInnen. Im Angebot sind 12 Labor-IGeL-Untersuchungen zum genetischen Thrombose-Risiko oder Hormondiagnostik im Rahmen von Anti-Aging-Programmen.

Politischer Ausblick

Wenn also nicht nur die eugenische, auf vorgeburtliche Selektion orientierte Politik das Feld der pränatalen Diagnostik bestimmt, sondern auch privatwirtschaftliche Logiken treibende Kraft sind, müssen auch diese Systemregeln in der Debatte berücksichtigt werden: Die Dynamik der Markterweiterung über technologische Innovationen, über laufend neue, privatisierte Angebote und die immer selbstverständlicher werdende Haltung, dass „Gesundheit“ und „Sicherheit“ Waren sind, die man kaufen kann und muss. Wie kann unter diesen Bedingungen und an welchen Stellen die Pränataldiagnostik inklusive (Spät-) Abbrüchen eingedämmt werden? Viele Ansätze beschäftigen sich derzeit mit einer veränderten Beratung schwangerer Frauen. Sie zielen darauf ab, Richtlinien und gesetz-liche Rahmenbedingungen für das medizinische Angebot zu verändern und darüber die Dynamik der pränatalen Untersuchungen zu bremsen. Der etablierte Trend, privatisierte Dienstleistungen im gesamten Gesundheitswesen als selbstverständlich anzusehen, ist damit aber nicht außer Kraft gesetzt. Die Gesundheitsgesellschaft folgt zunehmend dem Motto: Wer zahlen kann, kauft sich die Diagnostik hinzu. Eine grundsätzliche Debatte über die Aufgaben, Orientierungen und vor allem über die Grenzen der Medizin, sie bleibt unerlässlich.

  1. Zit. aus: ver.di, Krankenhausinfo, Dezember 2006, S. 3-4
  2. Erfreulicherweise diskutieren mittlerweile Selbsthilfe- und Patientenorganisationen über die Problematik dieser Methoden. Eine kleine Initiative für „unbestechliche Ärztinnen und Ärzte“, die gegen die allgegenwärtigen Geschenke und Beeinflussungen der Pharmahersteller vorgehen will, gibt neue Hoffnung. (vgl. BioSkop-Zeitschrift zur Beobachtung der Biowissenschaften Nr. 37, März 2007, 11)
  3. Eine Studie in den USA kommt zu einem menschlich sehr verständlichen Ergebnis: Je mehr „Geschenke“ jemand erhält, desto häufiger glaubt er oder sie, dass Pharmareferenten keinen Einfluss auf ihr Verschreibungsverhalten haben. JAMA (2000) 283: 373-80
  4. Ökonomie & Praxis, Mai 2004 (Sonderausgabe), S.7
  5. Vgl. Philip Mirowski/Robert van Horn: The Contract Research Organization and the Commercialization of Scientific Research in: Social Studies of Science, Vol 35, Nr. 4, 503-548
  6. Vgl. Markus Grill: Die Scheinforscher in: Stern 5/2007, 108-112)
  7. BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) 2006: Schwangerschaftserleben und Pränataldiagnostik. Repräsentative Befragung Schwangerer zum Thema Pränataldiagnostik, Köln, S. 33
  8. http://www.fmf-deutschland.info/de/downloads/FMF_11-14_SSW-Screening.pdf
  9. online: www.iqwig.de/download/S0503_Vorbericht_Ultraschallscreen ing_in_der_Schwangerschaft.pdf
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
188
vom Juni 2008
Seite 5 - 9

Erika Feyerabend ist Autorin und Journalistin und Mitbegründerin und Mitarbeiterin bei BioSkop e.V. - Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften und ihrer Technologien.

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Nackentransparenz-Messung: Unbekannte Testqualität

Welche Leistungen die gesetzlichen Krankenkassen erstatten, bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Im Herbst 2005 beauftragte er das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit IQWiG, die „diagnostische Güte“ vom Fehlbildungs-Ultraschall im ersten und zweiten Schwangerschaftsdrittel als Reihenuntersuchung zu prüfen. Wie groß das „Risiko“ sein soll, ein Kind mit Trisomie 21 (Down-Syndrom) zu gebären, wird im ersten Trimester (erste drei Schwangerschaftsmonate) unter anderem anhand von Ultraschallaufnahmen der Nackenfalte ermittelt. Die Test-Angebote, die das Nackenfalten-Screening integrieren, sind bislang eine „Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL)“, die die Schwangere selbst bezahlen muss. Bekannte PränatalmedizinerInnen wünschen sich dieses „Erst-Trimester-Screening" aber als Kassenpflichtleistung. Der Vorbericht des IQWiG ist kaum dazu angetan, den Wünschen der Pränataldiagnostik-Lobby zu dienen.(1) Am 17. Juni soll ein Endbericht folgen, auf dessen Grundlage der G-BA dann entscheidet, ob die Krankenkassen zukünftig Fehlbildungsscreenings finanzieren müssen. Nach intensiver Literaturrecherche hatten die IQWiG-ExpertInnen 62 internationale Studien ausgewählt, um die Entdeckungsrate der Reihenuntersuchungen sowie beeinflussende Faktoren wie Erfahrung des Untersuchers und Qualität der Diagnosegeräte zu bewerten. Auf Basis dieser Recherchen könne man vage schätzen, so das IQWiG, dass in einem Nackentransparenz-Screening bei 1.000 Frauen sieben ein Kind mit Chromosomen-Anomalien erwarten würden. Fünf davon könnten durch die Diagnostik entdeckt werden, zwei blieben jedoch unerkannt. Mit einem „positiven Testergebnis“ wären aber nicht nur besagte fünf Frauen konfrontiert – sondern insgesamt 53, denen das Screening ein auffälliges Ergebnis meldet. All das sind Schätzungen. Denn die begutachteten Studien sind so unterschiedlich, dass sie keine allgemeingültigen Aussagen gestatten. Dass die Qualität von Geräten und UntersucherInnen die Entdeckungsrate beeinflussen, kann nur vage vermutet werden. Annegret Braun, Leiterin der PUA-Beratungsstelle zu Pränatalen Untersuchungen und Aufklärung in Stuttgart, schreibt in einer kritischen Stellungnahme zum IQWiG-Vorbericht: „Als IGeL kann die Nackentransparenz-Messung noch als ein ‚Geschäft mit der Angst’ angesehen werden. Als Vorsorgeleistung wird dieser Gesichtspunkt verschleiert." Fußnote: www.iqwig.de/download/S0503_Vorbericht_Ultraschallscreening_in_der_Schw… Überarbeiteter und gekürzter Nachdruck aus BIOSKOP Nr. 41, März 2008 (www.bioskop-forum.de/zeitschrift.htm)

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