20 Jahre „Kein Patent auf Leben!”

Einführung

Die Gründung der Initiative „Kein Patent auf Leben!" war - im deutschsprachigen Raum, vielleicht auch in ganz Europa - der Beginn der systematischen Beobachtung und Kritik der Patentierungspraxis in den Bereichen Bio- und Gentechnologie, Medizin und Landwirtschaft. Nicht zuletzt aus diesem Grund steht „Kein Patent auf Leben!" im Zentrum dieses GID-Titelthemas. Daneben gab es aber auch andere Versuche der Auseinandersetzung mit der Patentierung von Genen, Geweben, Pflanzen, Tieren und so weiter. Auch diese sollen hier ihren Platz finden.
Wenn aber schon ein Titelthema zu Kein Patent auf Leben!, dann ist es nur recht und billig, eine Aktion an den Anfang zu stellen: Am 30. November zogen Gentech- und Patent-KritikerInnen gemeinsam vom Münchner Odeonsplatz in der Innenstadt zur Erhardtstraße, wo das Europäische Patentamt residiert. Programmatisches Motto war „Wir blasen Euch den Marsch! Keine Patente auf Pflanzen und Tiere - Keine Gentechnik auf dem Acker, im Futter und in Lebensmitteln!“. GID-Redakteur Christof Potthof berichtet aus München. Hubert Weiger, der Vorsitzende von Bund Naturschutz in Bayern und Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, erinnerte bei dieser Gelegenheit an den Satz „Unabhängig vom Schutz des geistigen Eigentums wollen wir auf landwirtschaftliche Nutztiere und -pflanzen kein Patentrecht“ aus dem Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Koalition und fragte: „Ist die Bundesregierung tätig geworden, hat sie das Patentrecht geändert? Nein, sie hat nichts getan, sie hat keinen Finger gerührt!“ In Bezug auf die Gesetzestexte liegt Weiger richtig, allerdings hat Bundeslandwirtschaftministerin Ilse Aigner (CSU) letztendlich doch eine Neuerung auf den Weg gebracht: Bereits im Februar dieses Jahres stand in einer Pressemitteilung der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung Folgendes zu lesen: „Im Geschäftsbereich des [Bundeslandwirtschaftsministeriums] soll ein Biopatent-Monitoring aufgebaut werden, um mögliche Auswirkungen auf die Landwirtschaft frühzeitig erkennen zu können. Mit der Aufgabe wurden die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) und das Bundessortenamt (BSA) betraut.“1 So gesehen steigt die Bundesregierung nach zwei Jahrzehnten jetzt ihrerseits in die systematische Beoachtung der Patentierungspraxis ein - man darf gespannt sein mit welchem Erfolg. Während der Kundgebung vor dem Europäischen Patentamt warnte Christoph Then, Sprecher des internationalen Bündnisses No Patents on Seeds (Keine Patente auf Saatgut) vor dem EU-Einheitspatent, das möglicherweise noch im Dezember verabschiedet werden soll.

Glückwunsch!

Von einem Ritter und von Mikrowellen ist in dem an-schließenden Beitrag die Rede, zwei Begriffe, die Freundinnen und Freunden, Kolleginnen und Kollegen der Menschen hinter der Initiative Kein Patent auf Leben! in den Sinn kommen, wenn sie nach Ruth Tippe und Christoph Then gefragt werden. Wir wollen dem hier nicht vorgreifen... Es gibt in der Geschichte von Kein Patent auf Leben! eine Reihe von erzählenswerten Erinnerungen - positive wie negative. Die eine oder andere - Neem-Patent und Krebsmaus, das zugemauerte Patentamt in München und anderes - haben wir in einer kleinen Chronologie zusammengetragen. Die erste Lehre, die wir daraus ziehen: 20 Jahre passen nicht auf zwei GID-Seiten ... aber das hatten wir uns schon gedacht. So empfehlen wir unserer geneigten Leserschaft diese kleinen Auszüge als Einladung zu verstehen, vielleicht einen der kommenden Winterabende der Geschichte von Kein Patent auf Leben! (und gegebenenfalls der Geschichte der „Patente auf Leben“) zu widmen.2 Es ist wirklich ein Wahnsinn - um es hier aus gegebenem Anlass mal etwas drastisch auszudrücken -, was in all den Jahren zusammengekommen ist.

Wissenschaft gegen Monopole?

Eine ganz andere Strategie verfolgt der australische Verein CAMBIA. Von dem Gentechniker Richard Jefferson bereits in den 1980er Jahren gegründet, sollten unter dem Dach von CAMBIA insbesondere gentechnische und molekularbiologische Verfahren und Methoden patentiert werden, aber nicht, um ihre Nutzung einzuschränken. Vielmehr sollte eine möglichst breite und einfache, und insbesondere auch kostenlose Lizensierung der Methoden dafür sorgen, dass die Vorherrschaft biotechnologischer Großkonzerne sich nicht weiter ausweitet. Ob dieser Ansatz, der vor allem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ansprechen sollte, zum gewünschten Ziel geführt hat, erfähren wir von unserer Autorin Anne Bundschuh. Sie beschreibt das Konzept und lässt auch den CAMBIA-Gründer Jefferson zu Wort kommen. Schlussendlich bringt sie es auf den Punkt: Alternativen zum aktuell vorherrschenden Modell von umfassender Patentierung werden immer wichtiger.3 Wie weit die Monopol-Bildung im Saatgut-Sektor fortgeschritten ist, hat in diesem Jahr der Autor Toralf Richter im Auftrag der Erklärung von Bern, Swissaid und anderer schweizerischer Organisationen beispielhaft in einem Bericht zusammengetragen.4 Richter kommt zu dem Schluss, dass Intransparenz in Bezug auf die züchterische Herkunft von Gemüse im Regelfall bewusste Kaufentscheidungen der EinkäuferInnen des Handels wie auch der KonsumentInnen verhindert. Die Züchtungsunternehmen der Sorten sind zwar bekannt, sie werden jedoch seinen Recherchen zufolge nicht am Produkt sichtbar gemacht. Der Blick in die Liste zugelassener Sorten vermittelt immerhin eine Ahnung über den Fortschritt der Konzentration: Der Gentech-Branchenprimus Monsanto ist mittlerweile auch bei nicht gentechnisch veränderten Gemüsesorten marktbeherrschende Macht geworden. So gehört dem Konzern zum Beispiel ein Drittel der beim Gemeinschaftlichen Sortenamt der Europäischen Union zugelassenen Tomatensorten (84 von 231 Sorten). Bei Blumenkohl ist die Situation noch weiter fortgeschritten: Praktisch die Hälfte der zugelassenen Sorten (49 Prozent) gehören Monsanto. Auch im Bereich der medizinischen Forschung und der Entwicklung von Diagnose beziehungsweise Therapie spielen Patente eine große Rolle. So ist es kein Wunder, wenn Organisationen, die die Interessen der PatientInnen und anderen Betroffenen vertreten (wollen), ihrerseits Standpunkte über Patente entwickeln. GID-Redakteurin Uta Wagenmann und Patent-Kritiker Christoph Then beleuchten diese Organisationen in ihrem Rückblick auf den Verlauf der Verhandlungen über die EU-Biopatent-Richtlinie (98/44). Besonders geraten die Organisationen in den Blick, die selbst Patente angemeldet und zum Beispiel über die ökonomische Verwertung der eigenen Besonderheiten versucht haben, ihren Einfluss geltend zu machen - nicht zuletzt auf die Agenden von Forschungsinstitutionen. Dass dies von den Verbänden der Biotech- und Pharma-Industrie dankend in den politischen Prozess eingespeist wird zeigen Wagenmann und Then in ihrem Beitrag. Das BRCA-Netzwerk, ein Zusammenschluss von Betroffenen zur Bereitstellung von Hilfe bei familiärem Brust- und Eierstockkrebs, bezieht explizit Stellung gegen Patente auf Gene. Wohl kein anderes Krankheitsbild ist derart intensiv in die Debatten um die Patentierung von Genen im medizinischen Kontext geraten, wie dies bei Brustkrebs beziehungsweise beim familiären Brustkrebs - und zum Teil auch bei Eierstockkrebs - der Fall gewesen ist. Das US-Unternehmen Myriad hält Patentansprüche auf die so genannten „Brustkrebs-Gene“. Das Unternehmen vermarktet Diagnose-Verfahren, mit denen festgestellt werden kann, ob Frauen (und in selteneren Fällen auch Männer) bestimmte Genvariationen tragen, die möglicherweise auf eine Disposition für familiären Brustkrebs hinweisen. Im Interview macht die Vorstandsvorsitzende und Mitbegründerin des Netzwerks, Andrea Hahne, deutlich, dass der Myriad-Test „allein kaum etwas bringt, wenn Strukturen fehlen, in denen die Frauen begleitet, beraten und adäquat informiert werden“. Das BRCA-Netzwerk bietet mittlerweile in 16 Städten Gesprächskreise für Betroffene an. Nach einer so langen Zeit der Patent-Kritik würde es naheliegen, die Frage aufzuwerfen, ob das ganze Engagement schlussendlich als Erfolg gewertet werden kann - dem wollen wir, die Redaktion, hier jedoch nicht nachgehen. Vielmehr wollen wir zum Schluss nur eine Ermunterung für die Zukunft hinzufügen: Es muss was passieren, sonst passiert nichts!

  • 1Das BSA soll den Bereich der Pflanzen, die BLE die Patente auf Nutztiere auswerten. Pressemitteilung der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung vom 29.02.12, im Netz unter www.ble.de > Presse > Pressemitteilungen oder unter www.kurzlink.de/gid215_v.
  • 2Das Büro des Gen-ethischen Netzwerk hilft gerne mit Material(-Tipps); Tel.: 030/6857073, Fax: 030/6841183, eMail: gen@gen-ethisches-netzwerk.de.
  • 3Von einem solchen Beispiel schreibt im Übrigen unsere Autorin Silke Helfrich - wenn auch nicht in diesem Schwerpunkt, sondern im Landwirtschaft-und-Lebensmittel-Teil dieser GID-Ausgabe.
  • 4Toralf Richter (2012):„Strukturen und Entwicklungen des Schweizer und internationalen Marktes für Saatgut am Beispiel ausgewählter Gemüsesorten“. Im Auftrag von: Erklärung von Bern, Swissaid, BioSuisse, pro species rara und anderen. Im Netz unter www.evb.ch oder www.kurzlink.de/gid215_w. [KORREKTUR des Links im Juni 2014: Der Bericht von Toralf Richter findet sich nun unter http://www.evb.ch/fileadmin/files/documents/Saatg…]
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
215
vom Dezember 2012
Seite 6 - 7

GID-Redaktion

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