Kurz notiert – Mensch und Medizin
Pränataldiagnostik
NIPT: Kassenleistung beschlossen
Der vorgeburtliche genetische Test auf die Trisomien 13, 18 und 21 kann voraussichtlich ab Frühjahr 2022 auf Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Anspruch genommen werden. Den Weg bereitete der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in seiner Sitzung am 19. August. Dort wurde die Versicherteninformation zum Nicht-invasiven Pränataltest (NIPT) sowie dem Leben mit einem Kind mit Trisomie verabschiedet. Folglich tritt nun auch der Beschluss zur Kassenfinanzierung des NIPT von September 2019 in Kraft. Zur rechtsaufsichtlichen Prüfung wurde die Versicherteninformation dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) vorgelegt und nicht beanstandet. Nun stehen noch letzte administrative Schritte, wie die Veröffentlichung des Beschlusses im Bundesanzeiger und die Verhandlung einer Abrechnungsziffer für den Test aus. (Siehe „NIPT: Erneutes Stellungnahmeverfahren“ unter Kurz notiert, GID 257, S.28; PM G-BA, 19.08.21, www.g-ba.de; Ärzteblatt, 23.08.21, www.aerzteblatt.de) (ts)
Gesundheitssystem
Umfassende Reformen gefordert
Anlässlich der Bundestagswahlen forderten und fordern zahlreiche Akteur*innen die nächste Regierung zu einer bedarfsorientierten Krankenhauspolitik und einer umfassenden Reform des Gesundheitswesens auf. Die Bundesärztekammer (BÄK) stellte beispielsweise ein Papier mit zwölf konkreten Themen zusammen, „die die Bundesregierung in der Gesundheitspolitik sofort angehen muss“. Unter anderem sprechen sich die Autor*innen für weniger Profit- und mehr Patient*innenorientierung aus, mahnen ein professionelleres Pandemiemanagement sowie eine Vorbereitung auf Folgen der Erderwärmung an und befürworten den Ausbau der Digitalisierung. Auch beim Deutschen Pflegetag am 15. Oktober sprachen sich Landespolitiker*innen verschiedener Parteien für eine große Pflegereform aus, unter anderem, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Der Personalmangel wird auch von Bürger*innen als wichtigster Handlungsbedarf eines verbesserungswürdigen Gesundheitssystems wahrgenommen. Das ergab eine Online-Umfrage unter 10.000 Bundesbürger*innen ab 18 Jahre, die das Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag des AOK-Bundesverbandes durchgeführt hat. Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP wird sich eine der 22 Arbeitsgruppen zur Ausarbeitung von Details dem Thema „Gesundheit und Pflege“ widmen. (Ärzteblatt, 15.10.21 u. 19.10.21, www.aezteblatt.de; AOK, 18.10.21, www.aok-bv.de; BÄK, 19.10.21, www.bundesaerztekammer.de) (ts)
Klimaschutz im Gesundheitssystem
Zusammen mit 300 Organisationen und Expert*innen aus dem Gesundheitssektor wendete sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit einem Sonderbericht an die Regierungen und Delegationen der 26. UN-Klimakonferenz, die dieses Jahr vom 31. Oktober bis zum 12. November 2021 in Glasgow stattfinden soll. Die WHO bezeichnet den Klimawandel als „die größte Gesundheitsbedrohung der Menschheit“ und verweist auf physische und psychische Auswirkungen. Auch auf dem Gesundheitswirtschaftskongress in Hamburg im September wurde zu mehr Klimaschutz im Gesundheitssystem aufgerufen. Der Beirat der Stiftung Mercator möchte drei Millionen Euro investieren, um auf diese Thematik aufmerksam zu machen. Bis Ende 2025 soll ein Programm zur Verbreitung der Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Gesundheit laufen. Die Stiftung setzt hierbei auf eine bessere Wissensvermittlung, größere Vernetzung und mehr Bewusstsein in der Politik, im Gesundheitswesen und in den Medien. Sie möchte den „Gesundheitssektor zu einem Treiber für ambitionierten Klimaschutz“ machen. (Stiftung Mercator, 21.09.21, www.stiftung-mercator.de; Ärzteblatt, 11.10.21, www.aerzteblatt.de) (lp)
Wissenschaftskritik
„Rasse“ in medizinischen Studien
Das New England Journal of Medicine (NEJM) will ab 2022 nur noch Studien veröffentlichen, die eine „Rasse“ oder ethnische Zugehörigkeit der Proband*innen nennen. Von der als antirassistisch gemeinten Neuerung erhofft sich die Redaktion das Wissen darüber, wie repräsentativ eine Studie für die Gesamtgesellschaft ist. Die Entscheidung steht im Widerspruch zu der aktuellen Einschätzung vieler Biolog*innen, „Rasse“ sei ein soziales Konstrukt ohne biologische Basis, das erst durch Rassismus entstanden ist. In einer begleitenden Online-Diskussion stellten die eingeladenen Expert*innen fest, dass die Selbstzuordnung von Menschen in ethnische oder „Rasse“-Kategorien, oft nicht mit der Verteilung von erkrankungsrelevanten Genvarianten übereinstimmen. Gleichzeitig hätten die sozialen Kategorien durch die gesellschaftliche Hierarchisierung aber große gesundheitliche Auswirkungen. Die entstehenden gesundheitlichen Unterschiede könnten wiederum von Wissenschaftler*innen fälschlicherweise als genetisch begründete Unterschiede verstanden werden. (F&L, 24.09.21, www.forschung-und-lehre.de; NEJM, 30.09.21, www.doi.org/10.105/NEJMp2113749; siehe auch Online-Artikel: „Rasse“ in medizinischen Studien, 27.10.21, www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/4332) (ib)
US: Verklagt wegen Zellen-Diebstahl
70 Jahre nach dem Tod von Henrietta Lacks, am 4. Oktober 2021, verklagt die Lacks-Familie mehrere Pharmafirmen. 1951 wurden der Afroamerikanerin im Johns Hopkins-Krankenhaus in Baltimore ohne ihr Einverständnis Krebszellen entnommen, am 4. Oktober desselben Jahres starb sie an Gebärmutterhalskrebs. Die „HeLa-Zellen“ sind die ersten Zellen, die im Labor vermehrt werden konnten und revolutionierten die Forschung. Sie brachten Medikamente, Impfungen und neue Technologien hervor. Heutzutage sind mehr als 17.000 Patente dokumentiert, die mit HeLa-Zellen in Verbindung stehen. Die verklagten Unternehmen haben mit diesen Zellen Mio. US-Dollar Profite gemacht, wovon die Familie keinen Cent erhalten hat. Sie verlangt nun eine finanzielle Entschädigung, sowie einen Verzicht der Forschung auf HeLa-Zellen ohne deren Einverständnis. (Live Science, 07.10.21, www.livescience.com; BioNews, 09.10.21, www.bionews.org.uk) (lp)
Reproduktionsmedizin
UK: Längere Speicherzeiten für „Social Freezing” geplant
Im Vereinten Königreich sollen Embryonen und Keimzellen zukünftig bis zu 55 Jahre eingefroren bleiben können. Damit wird die Grenze für „Social Freezing“, also das Einfrieren von Keimzellen aus „sozialen“ Gründen, der Grenze für „medizinische“ Keimzellspeicherung angepasst. So kündigte es das Department of Health and Social Care (DHSC) am 6. September 2021 an. Offene Fragen in der Regulierung sind insbesondere die innerfamiliäre „Spende“ sowie die posthume Verwendung von Keimzellen bzw. Embryonen. Der Entscheidung gingen die vom Progress Education Trust lancierte #Extendthelimit-Kampagne und eine öffentliche Konsultation im Jahr 2020 voran. Laut dem DHSC sorge die Aktualisierung für mehr reproduktive Wahlmöglichkeiten und Autonomie für die individuelle Familienplanung – ohne eine auf der Unterscheidung in „medizinische“ und „soziale“ Gründe basierende Ungleichbehandlung. (PM DHSC, 06.09.21, www.gov.uk; Bionews, 04.10.21., www.bionews.org.uk) (ts)
Schweiz: Ehe für Alle – spät, dafür umfangreich
Am 26. September 2021 haben sich die Schweizer Stimmberechtigten mit deutlicher Mehrheit für die Ehe für Alle ausgesprochen. Es wird damit gerechnet, dass das neue Zivilstandsgesetz 2022 in Kraft tritt. Das Ja zur Ehe für alle wurde von Bundesrat, Parlament und einer breiten Mehrheit der politischen Lager getragen. Schon Ende 2020 war eigentlich alles klar: Mitte Dezember entschied das Parlament in Bern mit großer Mehrheit, dass die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werden soll. Die Gesetzesänderung wurde als längst überfälliger Schritt in Richtung Gleichstellung gesehen. Nach dem angepassten Schweizer Zivilstandsgesetz erhalten gleichgeschlechtliche (Ehe-)Paare zudem auch das Recht auf Nachzug eines*einer Partner*in aus dem Ausland. Ein besonderer Aspekt ist das Adoptionsrecht: Gleichgeschlechtliche Paare haben danach das Recht auf gemeinsame Adoption eines Kindes. Lesbische (Ehe-)Paare erhalten den Zugang zur Samenspende. Vor allem das Adoptionsrecht führte dazu, dass konservative Kreise aus Parlament und Gesellschaft das Referendum gegen das Gesetz ergriffen. Argumentiert wurde mit dem Kindeswohl, das in Gefahr sei. Die Mehrheit hat sich davon aber nicht beeindrucken lassen. Dass lesbische (Ehe-)Paare jetzt den Zugang zur Samenspende erhalten, ruft auch die Lobbyisten der Fortpflanzungsmedizin auf den Plan. Debattiert wird über den Zugang zur „Eizellspende“ für Frauen, die aktuell in der Schweiz verboten ist. Für Männerpaare bliebe dann die ebenso verbotene „Leihmutterschaft“. Eine Debatte, die auf die Schweiz zukommen wird. (SRF, 27.09.21, www.srf.ch) (gp)
Genomforschung
Präventive Therapie für Zaki-Syndrom?
Ein internationales Forschungsteam hat die genetische Ursache für das neu beschriebene Zaki-Syndrom entdeckt und sieht Ansatzpunkte für eine präventive Therapie. Neugeborene mit dem Syndrom haben oft einen kleinen Kopf, verschiedene Besonderheiten im Gesicht, teilweise zusammengewachsene Zehen, spärliche Behaarung sowie Fehlbildungen von Niere und Herz. Die Betroffenen weisen die gleiche Genvariante im sog. Wnt-less (WLS) Gen auf. Wie das New England Journal of Medicine (NEJM) berichtet, wurden Wirkstoffe, die in den von der Genvariante betroffenen Signalweg eingreifen, in den letzten Jahren bereits entwickelt, da er auch im Kontext von Erkrankungen, u.a. Krebs, eine Rolle spielt. Als Medikamente zugelassen sind sie jedoch noch nicht. Voraussetzung für eine vorgeburtliche Therapie wäre zudem eine Möglichkeit das Zaki-Syndrom pränatal zu diagnostizieren. Weitere ausführliche Tests und klinische Versuche wären nötig. Aktuell kommen etwa drei Prozent aller Neugeborenen mit Auffälligkeiten zur Welt, deren genetische Ursachen unklar sind. Selbst bei bekannter Genese gibt es äußerst selten (präventive) Therapieansätze. (NEJM, 30.09.21, www.doi.org/10.1056/NEJMoa2033911; Ärzteblatt, 1.10.21, www.aerzteblatt.de) (ts)
Gesund mit „kranken“ Genen
Eine von sechs Personen besitzt unwissentlich erkrankungsrelevante Genvarianten, die präventiv behandelt werden könnten. So lautet das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftler*innen der University of California zusammen mit dem US-Unternehmen Invitae. Das Team hatte das Erbgut von fast 10.500 Personen auf 147 Genvarianten geprüft, die in vergangenen Studien mit Erkrankungsrisiken in Verbindung gebracht wurden. Bei 15,5 Prozent der Teilnehmenden wurde mindestens eine dieser Genvarianten gefunden. Die Bewertung des tatsächlichen Gesundheitsrisikos ist jedoch nicht eindeutig. Bei einer Begrenzung auf 59 DNA-Marker, die laut Empfehlung einer industriefinanzierten Fachgesellschaft ein Risiko für Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bedeuten, waren nur noch 3,1 Prozent der Teilnehmenden betroffen. Zudem änderten sich während des Untersuchungszeitraum der Kenntnisstand über mehrere Genvarianten, und damit die Befunde einiger Proband*innen. (BMC Medicine, doi: www.doi.org/10.1186/s12916-021-01999-2; BioNews, 31.08.21, www.bionews.org.uk) (ib)
Neue Gentherapiemethode
Forscher*innen haben in menschlichen Zellen Mechanismen entdeckt, die benutzt werden können, um fremde RNA mit zelleigenen Proteinen zu umhüllen. So verpackte Moleküle könnten dann leichter als bei bisherigen Methoden in andere menschliche Zellen geschleust werden, da sie nicht vom Immunsystem erkannt werden. Das System beruht darauf, dass das menschliche Genom eine große Anzahl Sequenzen enthält, die ursprünglich von Viren oder Retrotransposons stammen – beides sind DNA-Sequenzen, die ihren Ort im Genom wechseln können, indem sie die Information für die dafür nötigen Werkzeuge selber enthalten. Während die meisten dieser Elemente in ihrer jetzigen Form funktionslos sind, können einige, wie z.B. das Protein PEG10 RNA-Moleküle umhüllen. Die Forscher*innen des US-amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT) fanden heraus, welche RNA-Sequenzen das Protein bevorzugt umhüllt und nutzen dieses Wissen, um fremde RNA von Zellen in Zellkulturen verpacken zu lassen. Die fremde RNA wird dann wiederum nach dem Einschleusen in Proteine übersetzt – zum Beispiel in einem Genome Editing-Komplex der das Erbgut der behandelten Zelle verändert. Ihr System tauften die Forscher*innen SEND (selective endogenous encapsidation for cellular delivery). (Science, www.doi.org/10.1126/science.abg6155; SingularityHub, 24.08.21, www.singularityhub.com) (ib)
Biopolitik
(Ent)kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen
In verschiedenen Ländern änderte sich die Gesetzgebung, fanden Gerichtsverhandlungen, wegweisende Abstimmungen und Proteste bezüglich der rechtlichen Regelungen zu Schwangerschaftsabbrüchen statt: In Texas trat am 01. September ein Gesetz in Kraft, welches Abtreibungen ab dem Moment verbietet, in dem der fetale Herzschlag festgestellt werden kann, also etwa ab der sechsten Schwangerschaftswoche (SSW). Nachdem ein US-Bundesrichter einer Klage der Regierung von US-Präsident Biden stattgab und das hoch umstrittene Gesetz am 06. Oktober aussetzte, gab ein Berufsgericht in Texas zwei Tage später der republikanischen Regierung des Bundesstaats Recht und das Gesetz trat vorläufig wieder in Kraft. Die US-Regierung kündigte an vor den Obersten Gerichtshof (Supreme Court) zu ziehen, die juristischen Auseinandersetzungen zum „Herzschlag-Gesetz“ halten also an. In einem wegweisenden Urteil erklärte der Oberste Gerichtshof Mexikos eine der bundesstaatlichen Regelungen zur Kriminalisierung von Abtreibungen für verfassungswidrig. Als Präzedenzfall dürfte sich das Urteil auf die Gesetzgebung aller 32 Bundesstaaten auswirken. Das Unterhaus des chilenischen Parlaments stimmte knapp mit 75 Ja- zu 68 Nein-Stimmen für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zu 14. SSW. Ob der konservative Senat den Vorschlag annimmt, bleibt abzuwarten. In Deutschland lehnte der Bundesrat am 17. September einen von mehreren Landesregierungen eingebrachten Gesetzentwurf zur Abschaffung des viel kritisierten §219a StGB, das sog. Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, ab. All diese Entwicklungen wurden und werden von feministischen Protesten und Forderungen nach reproduktiver Selbstbestimmung begleitet. (Ärzteblatt, 17.09.21, 21.09.21, 29.09.21, 11.10.21 u. 18.10.21, www.aerzteblatt.de) (ts)
Blutspende-Einschränkungen gelockert
Zukünftig können homosexuelle Männer leichter Blut spenden. Die Bundesärztekammer (BÄK) und das Paul-Ehrlich-Institut haben im September die Blutspende-Richtlinien gemeinsam aktualisiert. Nun dürfen alle Menschen die vier Monate „risikolos“ Sex hatten Blut spenden, da danach „Infektionen mit HBV, HCV oder HIV sicher ausgeschlossen werden“ können. Eine völlige Gleichstellung erfolgt jedoch nicht. Sexualverkehr mit einer Transperson gilt pauschal als „sexuelles Risikoverhalten“ und auch schwule Männer mit einem neuen Sexualpartner oder mehr als einem Sexualpartner werden von der Blutspende ausgeschlossen. Heterosexueller Sex zählt dagegen laut Richtlinien nur bei häufig wechselnden Partner*innen als risikoreich. Dies sei laut BÄK durch „epidemiologische Daten“ begründet. Auch die niederländische Blutbank hat ihre Richtlinien vor kurzem geändert und lässt homosexuelle Männer jetzt spenden – sie müssen jedoch 12 Monaten vor der Spende in einer monogamen Beziehung sein oder vier Monate auf Sex verzichten. Es sei jedoch geplant, vom kommenden Jahr an auch Homosexuelle ohne festen Partner als Blutspender zu akzeptieren. (Ärzteblatt, 02.09.21, 24,09.21, www.aerzteblatt.de; BÄK, 24.09.21, www.bundesaerztekammer.de) (ib)
Biobanken & Big Data
Autismus-Forschung gestoppt
Ein kontroverses Forschungsprojekt wurde im September nach Kritik aus der Autismus-Community nach nur drei Wochen pausiert. Die im Projekt „Spektrum 10k“ involvierten Wissenschaftler*innen wollen den Einfluss von Genetik und Umweltfaktoren auf die Ausprägung von Eigenschaften auf dem Autismus-Spektrum untersuchen. Unter der Leitung von Simon Baron-Cohen vom britischen Autism Research Centre (ARC) sollten 10 Jahre lang 10.000 Menschen auf dem autistischen Spektrum sowie ihre Familien beforscht werden. Cohen stand bereits für seine Theorien zu Autismus in der Kritik, wonach Betroffene ein „extrem männliches Gehirn“ mit geringer Empathie-Fähigkeit hätten. Betroffenenverbände kritisierten, dass Menschen auf dem Spektrum nicht gefragt worden seien, welche Forschungsziele für sie relevant sind. Die Aussage, Spektrum 10k wolle Autismus nicht „heilen“, wurde angesichts wissenschaftlicher Artikel der involvierten Personen angezweifelt, in denen auch von Therapieansätzen die Rede ist. Zudem wurden Befürchtungen über die eventuelle Verwendung der Daten und der späteren Forschungsergebnisse, z.B. für selektive pränatale Screenings, geäußert. Spektrum 10k plant nun, Menschen auf dem Spektrum und ihre Familien nach ihren Wünschen zu befragen und in die Datennutzungsstrategie mit einzubeziehen. (Spektrum 10k, 10.09.21, www.spectrum10k.org; Nature, www.doi.org/10.1038/d41586-021-02602-7; Petition: https://chng.it/WyY9ZgWjRZ) (ib)
Polizeiliche DNA-Analysen
Schweiz: DNA-Profilgesetz – Ständerat bessert nach
Die Schweizer Strafverfolgungsbehörden sollen künftig mehr Freiheiten bei der Erstellung von DNA-Profilen erhalten. Das beriet der Ständerat im September. Die Polizei soll in Zukunft aus DNA die mögliche Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie eine „biogeografische Herkunft“ einer unbekannten Person vorhersagen können (DNA-Phänotypisierung). Zudem soll in den DNA-Datenbanken nach biologischen Verwandten von Verdächtigen gesucht werden dürfen. Im Nationalrat wurde die Vorlage durchgewunken – trotz gravierender Mängel. Der Ständerat hat nun einige Anpassungen vorgenommen. So soll ein spezifischer Deliktkatalog die Phänotypisierung und der Verwandtensuchlauf auf die Aufklärung von schweren Gewaltverbrechen einschränken. Auch bei den Löschfristen der DNA-Profile will die kleine Kammer eine Verkürzung der Aufbewahrungsdauer und verlangt für bestimmte Fälle einen Gerichtsentscheid. Jetzt geht die geänderte Vorlage wieder zurück zum Nationalrat, der sich im Rahmen der anstehenden Differenzbereinigung mit den Änderungen befassen wird. Kritiker*innen weisen darauf hin, dass die umstrittenen Verfahren im Rahmen der Forensik wenig aussagekräftig sein und zur Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen führen können. (Schweizer Parlament, 22.09.2021, www.parlament.ch; Biorespect, www.biorespect.ch/mensch/gentests/forensik) (gp)
Genome Editing
CRISPR-Gentherapie
Zwei Jahre nachdem die ersten Menschen mit einer CRISPR-Cas-basierten Gentherapie behandelt wurde, scheint es den meisten Patient*innen besser als vorher zu gehen. „Uns wird gesagt es sei lebensverändert“ so einer der Studienleiter, Stephan A. Gupp vom Children‘s Hospital of Philadelphia (CH). Auf einer Konferenz stellte er Daten von 22 Patient*innen mit angeborenen Bluterkrankungen, Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie vor. Bei beiden Erkrankungen sorgen Genvarianten für Funktionsprobleme von Hämoglobin, das Sauerstoff im Blut transportiert. Die Gentherapie CTX001 wurde von den Firmen Vertex Pharmaceuticals und CRISPR Therapeutics entwickelt. Für die Behandlung werden Blutstammzellen entnommen und im Labor ein anderes Hämoglobin, dass normalerweise nur im Fötalstadium aktiv ist, reaktiviert. Die genveränderten Stammzellen werden dann zurück in die Patient*innen gegeben. Eine Person erlitt schwere, aber behandelbare Nebenwirkungen. Die Sichelzellanämiepatient*innen hätten nach der Therapie keine schmerzhaften Organverletzungen mehr, die sonst mit der Krankheit einhergehen. Keine der Thalassämie-Patient*innen hätte die sonst überlebensnotwendigen Bluttransfusionen gebraucht. Insgesamt sollen in der Studie 90 Personen behandelt werden, Langzeitdaten stehen noch aus. („Erste Gentherapie mit CRISPR“, Kurz Notiert GID 252, S.28; CH, 10.08.21, www.chop.edu; BioNews, 16.08.21, www.bionews.org.uk) (ib)
Behinderung
Unterstützung für Krankenhausassistenz beschlossen
Zukünftig soll sich die Betreuungssituation von Menschen mit Behinderung bei Krankenhausaufenthalten verbessern. Unter bestimmten Voraussetzungen wird Angehörigen oder anderen vertrauten Menschen der Verdienstausfall erstattet, wenn sie den Krankenhausaufenthalt begleiten. Diese Neuregelung geht zurück auf eine Forderung des Bundesrats, die vom Bundestag aufgegriffen wurde. Wie Ende Juli beschlossen, sollen zukünftig die Krankenkassen bezahlen, wenn Bezugspersonen die Assistenz im Krankenhaus übernehmen. Erfolgt die Begleitung durch Mitarbeiter*innen der Behindertenhilfe, sind die Träger*innen der Eingliederungshilfe zahlungspflichtig. Eine wichtige Kritik vom Sozialverband VdK Deutschland e.V., der die Neuregelung grundsätzlich begrüßt, ist der Ausschluss von Menschen mit Demenz. Es sei Aufgabe des nächsten Bundestags Nachbesserungen an dem ohnehin „überfälligen Beschluss“ vorzunehmen. (Ärzteblatt, 17.09.21, www.aerzteblatt.de) (ts)
Corona
Neue EU-Behörde für Gesundheitskrisen
Ab 2022 soll die neue EU-Behörde namens HERA (Health Emergency Preparedness and Response Authority) vollständig einsatzbereit sein. Ihr Zweck ist die Vorsorge von Gesundheitskrisen wie der Covid-19-Pandemie. Wie die EU-Kommission Mitte September bekannt gab, nimmt HERA aber schon jetzt ihre Arbeit auf. Die Behörde soll vorbeugend Risiken einschätzen und die Arzneimittelentwicklung und den Ausbau von Industriekapazitäten unterstützen. In einer aktuellen Krisensituation soll HERA u.a. die Herstellung und Verteilung von Arzneimitteln, Impfstoffen und Schutzausrüstung sicherstellen, sowie Soforthilfen bereitstellen. Bis 2027 stehen Hera sechs Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt zur Verfügung. (PM EU-Kommission, 16.09.21, ec.europa.eu; Ärzteblatt, 16.09.21, www.aerzteblatt.de) (ib)
Impfstoff-Patente
Das internationale Bündnis People‘s Vaccine Alliance, dem u.a. Oxfam, Amnesty International, und Brot für die Welt angehören, fordert weiterhin die Aussetzung von Patenten für Covid-19-Impfstoffe. Den Widerstand durch reichere Länder hält das Bündnis für sehr kurzsichtig: das Virus würde laut Epidemiolog*innen schnell mutieren und die vorhandenen Impfungen könnten schon bald ineffektiv sein. Auch Deutschland stellt sich nach wie vor gegen eine Patentaussetzung. Die Strategie der deutschen Regierung, Impfstoff an ärmere Länder zu spenden, statt auf Profit für Pharmaunternehmen zu verzichten, geht nicht auf: Das Ziel von 100 Mio. gespendeter Corona-Impfdosen in diesem Jahr wird vermutlich verfehlt. Die Regierung macht dafür die Herstellerfirmen verantwortlich. In einem Brief an die neue EU-Gesundheitsbehörde HERA ist von bürokratischen Hürden, Preisfestsetzungen und wenig planbaren Liefermengen die Rede. Bislang hat Deutschland 17,1 Mio. Impfdosen an 21 Länder gespendet. (www.peoplesvaccine.org; Ärzteblatt, 22.09.21, www.aerzteblatt.de; NDR Coronavirus-Blog, 20.10.21, www.ndr.de) (ib)
Nebenwirkungen von mRNA-Impfstoffen
Sowohl das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), als auch Studien aus den USA und Israel berichten von einem erhöhten Risiko für Myokarditis und Perikarditis (Entzündungen des Herzmuskels/-beutels) für junge Männer nach der zweiten Impfdosis. Diese Nebenwirkung tritt sehr selten auf und ist in den allermeisten Fällen folgenlos behandelbar. Laut PEI wurden bis Ende August in Deutschland rund 86,4 Mio. Dosen mRNA-Impfstoff der Hersteller BioNtech/Pfizer und Moderna verimpft und 791 Verdachte auf Myokarditis oder Perikarditis gemeldet. Insgesamt neun Todesfälle könnten im Zusammenhang mit einer mRNA-Impfung stehen. Ein ursächlicher Zusammenhang ließ sich jedoch laut PEI in keinem der Fälle eindeutig feststellen. Im israelischen Gesundheitssystem traten unter 2,5 Millionen Personen über 16 Jahren, die mit dem Wirkstoff von BioNtech/Pfizer geimpften wurden, in 54 Fällen Myokarditis auf. Ein Fall hatte schwere Folgen für die betroffene Person. Berechnungen aus den Daten für erwachsene Krankenversicherte aus den USA ergeben ein Risiko von 0,8 Fällen Myokarditis pro 1 Mio. erste Dosen und 5,8 Fälle pro eine Mio. zweite Dosen (beide Herstellerfirmen). Todesfälle gab es hier keine. Wie das Ärzteblatt berichtet tritt diese seltene Nebenwirkung auch bei anderen Impfstoffen auf, die Ursache ist noch unbekannt. (PEI, 20.09.21, www.pei.de; JAMA Internal Medicine, 04.10.21, www.doi.org/10.1001/jamainternmed.2021.5511; NEJM, 06.10.21, www.doi.org/10.1056/NEJMoa2110737; Ärzteblatt, 06.10.21, www.aerzteblatt.de) (ib)
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