In Bewegung
Bluttest als Kassenleistung – Kritik lässt nicht nach
Ende September fand unter dem Titel „Der Bluttest auf Trisomien als Kassenleistung: Selbstbestimmte Entscheidung oder gesellschaftlich erwünschte Selektion?“ die Jahrestagung des Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik statt – erstmals in Kooperation mit dem #NoNIPT Bündnis gegen die Kassenfinanzierung des Bluttests auf Trisomien*. Nach einer längeren Corona-bedingten Tagungspause freuten sich die rund 60 Teilnehmenden ganz besonders über die dreitägige Präsenzveranstaltung in Berlin Wannsee. In vielen Vorträgen und Diskussionsrunden übten Fachexpert*innen, Vertreter*innen der Selbsthilfe sowie Aktivist*innen Kritik an dem Nicht-invasiven Pränataltest (NIPT) als Kassenleistung. Die Mitwirkenden und Teilnehmenden der Tagung waren sich einig, dass diese Kritik nicht nachlassen darf, solange die Angst davor, ein Kind mit Behinderung zu bekommen, als Indikation ausreicht und das Thema Behinderung mit Krankheit und Leid gleichgesetzt wird. Neben Teilnehmenden, die dem Netzwerk seit vielen Jahren verbunden sind, waren in diesem Jahr viele Angehörige von Menschen mit Behinderung vertreten und einige jüngere feministisch und inklusionspolitisch Interessierte erweiterten den Kreis und bereicherten die Diskussionen. Gerade in den Arbeitsgruppen zur Schwangerschaftsberatung, zu Ökonomisierungskritik, zur Peer-to-Peer-Beratung, zu Ableismus und zu feministischen Perspektiven auf den NIPT wurde intensiv diskutiert, Kontakte wurden geknüpft oder vertieft. Besonders bereichernd waren die Perspektiven von Arthur Hackenthal, Natalie Dedreux und Sebastian Urbanski, die mit dem Down-Syndrom leben und ihre Positionen zum NIPT und zur Kassenfinanzierung vorgestellt haben. Eindrücklich schilderte der Schauspieler Urbanski, was ein Screening auf Down-Syndrom als Kassenleistung – dem die „Angst-Indikation“ den Weg bereiten dürfte – für Betroffene bedeutet: „Heute fahndet man nach Menschen mit Trisomien. Wonach fahndet man morgen? Das macht mir Angst. Es ist ein Zeichen, dass in unserer Gesellschaft eben doch nicht alle einen Platz haben sollen.“ (ts)
➤ Die Tagungsdokumentation ist in Arbeit und wird Ende des Jahres zum Download zur Verfügung stehen.
Wie wir wollen
Unter dem Motto „Schwangerschaftsabbruch: Unser Recht, unsere Entscheidung! Hier und weltweit!“ fanden in über 50 Städten Deutschlands Aktionen, Proteste und Veranstaltungen anlässlich des diesjährigen Save Abortion Day statt. In Berlin organisierte das feministische Archiv FFBIZ im Kino Central Berlin eine Vorführung des Dokumentarfilms WIE WIR WOLLEN. In dem Film kommen 50 Personen zu Wort, die in Deutschland eine ungewollte Schwangerschaft abgebrochen haben. Die vielschichtige Kritik der Doku sowohl an der Anti-Choice-Bewegung als auch an rein rechtebasierten und individuell gedachten Pro-Choice-Forderungen wurde vom anschließenden Podium aufgegriffen. Geraldine Mormin befragte neben einer der Filmmacherinnen des KINOKAS Kollektivs auch eine Vertreterin von Ciocaia Basia und Taleo Stüwe vom Gen-ethischen Netzwerk dazu, was es überhaupt bedeutet, eine freie Entscheidung zu treffen – in einer kapitalistischen, ableistischen, cis-heteronormativen und rassistischen Gesellschaft. Die Veranstaltung war so gut besucht, dass die Vorführung spontan in den größeren Saal verlegt werden musste. Auch aus dem Publikum kamen viele interessierte Fragen und Anmerkungen. (ts)
➤ Weitere Termine: www.wiewirwollen.de
Die Welt vor Gene Drives schützen
Die Konsequenzen von gentechnisch veränderten Organismen innerhalb des Nahrungsnetzes sind weitgehend unerforscht und daher nicht absehbar. Dennoch sollen Gene Drive Organismen in die Natur freigesetzt werden, um dort gezielt Veränderungen des Genpools in der Natur zu bewirken. Dieser unumkehrbare Akt muss verhindert werden! Nachdem im Mai dieses Jahres 290.000 Unterschriften für ein Moratorium dieser Anwendung der neuen Gentechnik an Bundesumweltministerin Steffi Lemke überreicht wurden, sind jetzt die Organisationen dran. Wir wollen vor der Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen (COP 15 der CBD) im Dezember noch einmal den Drück erhöhen! Es braucht dringend internationale Regeln im Umgang mit Gene Drives und bis dahin dürfen keine Freisetzungen passieren. Deswegen unterschreibt das GeN zusammen mit vielen anderen internationalen Organisationen das „Stop Gene Drive Manifesto“. (jd)
➤ Stop Gene Drives Kampagne: www.stop-genedrives.eu
➤ taz Artikel zur Unterschriften-Übergabe: www.kurzelinks.de/gid263-jp
CETA stoppen
Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) droht, durch die Bundesregierung ratifiziert zu werden. Mit den bundesweiten dezentralen CETA-Aktionstagen machte das Netzwerk Gerechter Welthandel in der vorletzten Septemberwoche aktiv auf das Thema aufmerksam. Es forderte die Bundesregierung auf, die Ratifizierung zu stoppen. Vor allem Grüne und Sozialdemokraten sollten an ihr einstiges Engagement gegen das Handelsabkommen erinnert werden und verhindern, dass Umwelt- und Sozialschutz gegen Profite ausgespielt werden. Mit vor Ort- und Online-Mobilisierung, dem Verteilen von Infomaterialien, dem Hashtag #STOPCETA und Redebeiträgen auf Demos wurde kräftig Widerstand geleistet. (cg)
➤ Aufruf CETA-Aktionstage: www.kurzelinks.de/263-ca
Problemlöser oder Problemauslöser?
Eine Woche lang beschäftigten sich Nachwuchswissenschaftler*innen mit ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekten zukünftiger reproduktionsmedizinischer Verfahren. Der Fokus der Klausurwoche lag auf der In-vitro-Gametogenese (IVG) und der Ektogenese (EG). Die IVG eröffnet die Möglichkeit, aus pluripotenten Stammzellen Keimzellen zu produzieren, was theoretisch die Erschaffung von Embryonen aus Zellen einer einzigen bis hin zu einer Vielzahl von Personen – unabhängig von Geschlecht und Alter – ermöglicht. Die Ektogenese bezeichnet das Konzept einer Schwangerschaft außerhalb des Körpers in einem künstlichen Uterus. Die potenziellen Technologien der Zukunft wurden in Beiträgen der Teilnehmenden sowie in Expert*innenvorträgen aus verschiedenen fachlichen Perspektiven betrachtet und interdisziplinär diskutiert. Das Institut für Sozialforschung und Technikfolgenabschätzung der Technischen Hochschule Regensburg hatte zu dieser Klausurwoche eingeladen, mit dem Ziel mögliche Bewertungskriterien und gemeinsame Arbeitskontexte zu identifizieren, um perspektivisch einen Umgang mit den reproduktionsmedizinischen Herausforderungen der Zukunft finden zu können. Auch wenn experimentelle Verfahren im Zentrum der Veranstaltung standen, wurde ebenfalls viel über Technologien diskutiert, die bereits Anwendung finden. GeN-Beirätin Susanne Schultz und GeN-Mitarbeiter* Taleo Stüwe thematisierten in ihren Vorträgen kritische feministische und queere Perspektiven auf die gegenwärtigen Reproduktionstechnologien. Die Sinnhaftigkeit des immer stärker werdenden Trends, mit technischen ‚Innovationen‘ auf unerfüllte Kinderwünsche zu reagieren, wurde während dieser intensiven und interessanten Woche von (fast) allen Beteiligten immer wieder in Frage gestellt. (ts)
➤ Abstractband zur Klausurwoche: www.kurzelinks.de/gid263-ts
➤ Ein Sammelband mit Artikeln der Teilnehmer*innen wird voraussichtlich 2023 erscheinen.
GID-Redaktion
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