Rezension: Mutterschaft und Wissenschaft in der Pandemie
Karrierekiller Care-Arbeit
Im Mai 2021, als ich gerade frisch aus meiner Elternzeit zurück zum GeN und zu meiner Uni-Stelle kam, fiel mir das passende Buch in die Hände: „Mutterschaft und Wissenschaft. Die (Un-)Vereinbarkeit von Mutterbild und wissenschaftlicher Tätigkeit“ (2020).
Cover Mutterschaft und Wissenschaft in der Pandemie. (Un-)Vereinbarkeit zwischen Kindern, Care und Krise
Trotz aller guten Vorsätze schaffte ich es zeitlich leider nie, das Buch auch nur aufzuschlagen. Der Grund ist das Thema des Sammelbandes: Carearbeit und Lohnarbeit nebeneinander in zufriedenstellendem Maße hinzubekommen ist in dieser Gesellschaft kaum möglich. Ob der Wissenschaftsbetrieb mit seiner Familienfeindlichkeit so besonders ist, bezweifle ich. Auch andere Arbeitskontexte bestrafen Mutter*sein mit Karrieresackgassen und vermitteln das Gefühl zu wenig zu leisten, obwohl viele frische Eltern mehr leisten als jemals zuvor in ihrem Leben. Doch Wissenschaftlerin* sein ist für viele Frauen* mehr als ein Job, es ist eine Selbstidentifikation und verlangt in besonderem Maße Entgrenzung zwischen Freizeit und Arbeitszeit, einen hohen inneren Drive und viel Flexibilität. Spätestens mit dem Moment der Geburt folgt für viele Frauen* ein Schock darüber, wie ungleich verteilt und entwertet Care-Arbeit in unserer Gesellschaft immer noch ist, und wie wenig Platz die ideale wissenschaftliche Laufbahn dafür vorsieht – nämlich gar keinen.
Die Corona-Pandemie hat die Stellschrauben, die dafür sorgen, dass Männer immer noch vier von fünf der Professuren innehaben, noch einmal angezogen. Durch das Wegfallen von Kinderbetreuung, Homeschooling etc. waren die letzten zwei Jahre für viele Frauen* eine doppelte Krise. Sarah Czerney, Mitherausgeberin eines zweiten, 2022 erschienenen Sammelbandes des Netzwerkes „Mutterschaft und Wissenschaft“, schreibt: „Noch nie habe ich mich so weit entfernt gefühlt von mir als Wissenschaftlerin wie in den letzten zwei Jahren.“ Sie und andere Autor*innen geben persönliche Einblicke in die Situation von in der Wissenschaft tätigen Müttern* während der Corona-Pandemie. Das Buch vereint nachfühlbare Erfahrungsberichte u. a. über die Stolperfallen des Wissenschaftssystems, das Scheitern an den eigenen Ansprüchen, Trauer über verpasste Chancen, Erschöpfung und Überforderung. Aber die Autor*innen tragen auch inspirierende Erzählungen von Vernetzung und Solidarität bei und über das Lernen, Grenzen zu setzen. Ein abschließendes „mutterschaftsfeministisches Manifest“ enthält Forderungen, wie die Vereinbarkeit fürsorglicher Elternschaft und Wissenschaft Realität werden könnte.
- Czerney S./Eckert, L./Martin, S. (2022): Mutterschaft und Wissenschaft in der Pandemie. (Un-)Vereinbarkeit zwischen Kindern, Care und Krise. Verlag Barbara Budrich, 230 Seiten, 28,- Euro, ISBN: 978-3-84742-654-7.
Dr. Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin des GeN.
Nur durch Spenden ermöglicht!
Einige Artikel unserer Zeitschrift sowie unsere Online-Artikel sind sofort für alle kostenlos lesbar. Die intensive Recherche, das Schreiben eigener Artikel und das Redigieren der Artikel externer Autor*innen nehmen viel Zeit in Anspruch. Bitte tragen Sie durch Ihre Spende dazu bei, dass wir unsere vielen digitalen Leser*innen auch in Zukunft aktuell und kritisch über wichtige Entwicklungen im Bereich Biotechnologie informieren können.