Kurz notiert – Mensch und Medizin

Schwangerschaft

Bluttest auf Trisomie 21: Widerstand aus Bremen

Mit der Kassenzulassung des Nicht-invasiven Pränataltests auf Trisomie 21 ist die Debatte nicht beendet. Eine Bundesratsinitiative aus Bremen könnte das Thema zurück auf die bundespolitische Agenda bringen. Am 15. März stimmte die Bremische Bürgerschaft einstimmig für einen interfraktionellen Dringlichkeitsantrag und sprach sich somit für eine Bundesratsinitiative aus. Der Antrag enthält Forderungen nach einer umfassenden Evaluation der neuen Praxis beim NIPT und ihrer Auswirkungen sowie nach der Einsetzung eines Expert*innengremiums, das künftig rechtliche, ethische und gesundheitspolitische Grundlagen für die Zulassung nicht-invasiver Pränataltests prüfen soll. Ursprünglich eingebracht hatten das Anliegen die Landesfrauenbeauftragte und der Landesbehindertenbeauftragte. (Bremische Bürgerschaft, 13.03.23, Drucksache 20/1806, www.bremische-buergerschaft.de; buten un binnen, 19.03.23, www.ardmediathek.de) (jl)

 

Genomforschung

Gentherapie – Zusatznutzen unklar

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) meldet, dass nicht genug Daten vorliegen, um den Nutzen einer neuen Gentherapie für die angeborene Bluterkrankung Hämophilie A zu bewerten. Roctavian von BioMarin International Limited ist die erste in der EU zugelassene Gentherapie zur Behandlung von Erwachsenen, bei denen eine Genvariante zu einer verminderten Blutgerinnung führt. Für Arzneimittel zur Behandlung von seltenen Erkrankungen (Orphan Drugs) gilt ein Zusatznutzen (im Vergleich zur Standardtherapie) rechtlich allein durch die Zulassung als belegt. Das IQWiG konnte aufgrund methodischer Mängel in der klinischen Studie des Herstellers keine Nutzungsbewertung durchführen. Sie wurde u.a. ohne Kontrollgruppe durchgeführt. Gesetzliche Krankenkassen übernehmen jedoch auch ohne eine Nutzungsbewertung die Kosten, die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen, aber sie könnten bei rund 1,5 Mio. Euro pro Patient*in liegen. (Wissensschau, 04.01.23, www.wissensschau.de; G-BA, 16.03.23, www.g-ba.de) (ib)

 

UK: Vererbbares Genome Editing

Wollen Brit*innen dass vererbbares Genome Editing am Menschen legalisiert wird? So stellt zumindest die Stiftung Wellcome Trust das Ergebnis einer „Bürger*innenjury“ dar. Die Veranstaltung wurde im September letzten Jahres zusammen mit der Patient*innenvertretung Genetic Alliance UK durchgeführt. Die 21 Teilnehmer*innen waren selber von genetischen Erkrankungen betroffen und diskutierten vier Tage lang über das Thema. Wie das US-amerikanische Center für Genetics and Society (CGS) kritisiert, war die Frage nach der Legalisierung, die 17 von ihnen mit „Ja“ beantworteten, deutlich vorsichtiger formuliert als es die Pressemitteilung des Veranstalters vermuten lässt: „Gibt es Umstände, unter denen die britische Regierung eine Gesetzesänderung in Erwägung ziehen sollte, die gezielte Genom-Editierung menschlicher Embryonen zur Behandlung schwerer genetischer Erkrankungen zu erlauben?“. Zudem hätte die Bürger*innenjury auch auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Kriterien wie Gerechtigkeit und Vielfalt bei der Entscheidungsfindung hingewiesen. In Großbritannien wird aktuell darüber diskutiert, durch eine Änderung des Gesetzes zur Regulierung von Reproduktionstechnologien, auch vererbbares Genome Editing zu erlauben. (WCS, 23.02.23, www.wellcomeconnectingscience.org; CGS, 05.03.2023, www.geneticsandsociety.org) (ib)

 

Reproduktionsmedizin

Zwei-Väter-Mäuse

Bei dem dritten Gipfeltreffen von Wissenschaftler*innen zu Genome Editing am Menschen in London (siehe dieses Heft S. 30) berichtete der japanische Forscher Katsuhiko Hayashi von Experimenten, bei denen er und sein Team Mäuse mit zwei biologischen Vätern erschufen. Die Forscher*innen wandelten Hautzellen von männlichen Mäusen durch genetische Veränderungen in Eizellen um. Diese wiederum ließen sie von Mäuse-Spermien befruchten und von weiblichen Mäusen austragen. Besonders erfolgreich ist die Methode nicht – von 630 eingepflanzten Embryonen überlebten nur sieben. Laut Hayashi sei die Technologie noch weit entfernt von einem möglichen Einsatz beim Menschen. Das eigentliche Ziel war es, eine Lösung für die Unfruchtbarkeit von Frauen mit Turner-Syndrom zu finden, die oft wenig oder keine Eizellen haben. Einmal ausgereift könnten so aber auch männliche Paare mithilfe einer Leihmutter Kinder bekommen, so der japanische Bioethiker Tetsuya Ishii. Laut Hayashi müsse dem jedoch eine breite gesellschaftliche Diskussion vorangehen, er wisse nicht „ob sich diese Art von Technologie wirklich an die menschliche Gesellschaft anpassen kann“. (Nature, 09.03.23, www.nature.com) (ib)

 

3-Personen-Kinder

Laut einer Studie in der Fachzeitschrift Fertility and Sterility (FS) funktioniert der sog. Mitochondrientransfer, eine experimentelle Reproduktionstechnologie, unzuverlässig. Die Methode wurde ursprünglich entwickelt, um die Geburt von Kindern mit mitochondrialen Erkrankungen zu verhindern, aber wird inzwischen ohne wissenschaftliche Grundlage auch von einigen Kinderwunschkliniken bei bestimmten Formen der Unfruchtbarkeit eingesetzt. Mitochondrien sind Zellorgane mit eigenem Genom, sie können Genvarianten enthalten die Erkrankungen auslösen, sie werden ausschließlich über die Eizellen vererbt. Damit Betroffene genetisch eigene Kinder bekommen können, deren Zellen keine krankheitsauslösenden Mitochondrien haben, wird auf Eizellen von Dritten zugegriffen. Deren Zellkern wird mit dem der Eizelle der Person mit Kinderwunsch ersetzt. Bei einem von sechs so erzeugten Kindern konnte trotzdem ein hoher Anteil mütterlicher mitochondrialer DNA nachgewiesen werden. Wie der MIT Technologie Report berichtet, wurde dies auch bei zwei anderen so erzeugten Kindern beobachtet. Ob das gesundheitliche Konsequenzen für diese Kinder hat ist unklar. Wegen der Fehleranfälligkeit der Methode sei ihr Einsatz zu gefährlich, um ihn zur Verhinderung von mitochondrialen Erkrankungen, die im frühen Kindesalter zum Tod führen, anzubieten – so der ukrainische Embryologe Pavlo Mazur. (FS, 12.02.23, www.doi.org/10.1016/j.fertnstert.2023.02.008; MIT Technology Review, 02.03.23, www.technologyreview.com) (ib)

 

Kommission berufen

Eine von der Bundesregierung berufene Kommission zu Reproduktiver Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin hat vor Ostern nach langem Warten ihre Arbeit aufgenommen. Damit wird eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt. Die 18 Kommissionsmitglieder kommen aus Medizin, Ethik und Rechtswissenschaften. Vertreter*innen von Kirchen oder Interessenverbänden sind nicht beteiligt. Die Kommission prüft in zwei Arbeitsgruppen die Neuregelung des Abtreibungsparagrafen 218 außerhalb des Strafgesetzbuches, sowie Möglichkeiten zur Legalisierung von Eizellspenden und sogenannter altruistischer Leihmutterschaft. Die derzeitige Handhabung von Schwangerschaftsabbrüchen als Straftat widerspricht u.a. den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation. Die Kommission wird ein Jahr lang tagen und am Ende keinen konkreten Gesetzesvorschlag erarbeiten, sondern ein Eckpunktepapier vorlegen. (Ärzteblatt, 28.02.23, www.aerzteblatt.de) (jl)

 

Europäisches Elternzertifikat?

Die Europäische Kommission hat einen Vorschlag für eine Verordnung zur EU-weiten Anerkennung von Elternschaft unterbreitet, der neben der Regelung von gerichtlichen Zuständigkeiten die Einführung eines europäischen Elternschaftszertifikats erwägt. Der Vorschlag liegt derzeit beim Bundesrat. Begründet wird der Vorstoß mit der Wahrung der Kinderrechte. Die derzeitige gegenseitige rechtliche Anerkennung beschränkt sich auf EU-Rechte wie Freizügigkeit, lässt aber innerstaatliche Regelungen wie Sorgerecht oder Unterhaltspflichten unberührt. Verbände wie der LSVD begrüßen den Vorstoß, da er massive Verbesserungen für sogenannte Regenbogenfamilien mit sich bringen würde. Andere warnen davor, dass damit in Zukunft Verbote von Leihmutterschaft und Eizellspende einfacher umgangen werden könnten. (EU Kommission, Grunddrucksacke 670/22, www.bundesrat.de; Stellungnahme LSVD, 07.12.22, www.lsvd.de) (jl)

 

Studie: Spenderkinder

Eine qualitative Studie hat sich mit den Umständen befasst, unter denen in Deutschland durch Spermaspenden empfangene Kinder von ihrer Zeugung erfahren und wie sich dies auf ihre familiären Beziehungen auswirkt. Befragt wurden 59 Erwachsene, geboren zwischen 1974 und 1999 – vor der Einführung des Spenderregisters 2018. Die Befragten erfuhren neben der Aufklärung durch die Eltern auch durch zufälliges Auffinden medizinischer Unterlagen sowie kommerzielle DNA-Tests von ihrer Herkunft. Die Studie bestätigt bisherige Erkenntnisse, wonach die negativen Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis schwächer ausfallen, je jünger die Betroffenen zum Zeitpunkt der Aufklärung sind. Die Befragten wurden mehrheitlich über den Verein Spenderkinder rekrutiert, daher bilden sich hier vor allem die Erfahrungen von Personen ab, für die ihre Entstehungsgeschichte eine wichtige Rolle spielt. (Social Sciences, 06.03.23, www.doi.org/10.3390/socsci12030155) (jl)

 

Künstliche Befruchtung birgt Risiko

In einer groß angelegten Studie wurden die Gesundheitsdaten von 2,2 Millionen Schwangeren ausgewertet, darunter 5.874 Personen, die mit Hilfe Assistierter Reproduktionstechnologien (ART) schwanger wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass das Risiko für Präeklampsie bei durch ART entstandenen Schwangerschaften (z.B. künstliche Befruchtung) deutlich höher liegt, als bei herkömmlichen Schwangerschaften. Präeklampsie, alltagssprachlich auch als „Schwangerschaftsvergiftung“ bekannt, äußert sich u.a. durch Bluthochdruck, kann zu Komplikationen führen und in schweren Fällen lebensbedrohlich für schwangere Personen und Föten sein. (BioNews, 03.03.23, www.progress.org.uk) (jl)

 

Wissenschaftskritik

USA: Entschuldigung für Eugenik

Die American Society for Human Genetics (ASHG) hat sich in einem ausführlichen Statement für ihre Rolle in der Eugenik-Bewegung entschuldigt. Führende Mitglieder der Gesellschaft hatten sich u.a. an „Rasse“-Forschungen beteiligt und so eine pseudo-wissenschaftliche Legitimation für rassistische Diskriminierung geliefert. Dazu gehörte unter anderem die Befürwortung von Sterilisationsprogrammen an Schwarzen Frauen. Im Januar veröffentlichte die Gesellschaft einen 27-seitigen Report zur Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, der auch Empfehlungen für einen zukünftigen Umgang und Ansätze zur Wiedergutmachung enthält. (PM ASHG, 24.01.23, www.ashg.org; Washington Post, 24.01.23, www.washingtonpost.com) (jl)

 

Gesundheitssystem

Blutspende erleichtert

Der Bundestag hat die Diskriminierung von Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) bei der Blutspende beendet. Bereits 2021 war das vorherige Blutspendeverbot für schwule Männer abgeschwächt und Spenden von MSM wurden akzeptiert, wenn diese vier Monate lang enthaltsam waren oder nur in einer bestehenden Partnerschaft Sex hatten. „Das ist diskriminierend und medizinisch unnötig“, sagt der queerpolitische Sprecher der FDP, Jürgen Lenders. Nach der neuen Regelung soll nur noch das individuelle Verhalten von Spender*innen relevant sein, nicht deren Sexualität. Das Gesetz verpflichtet die Bundesärztekammer, eine neue sog. Hämotherapie-Richtlinie für die Blutspende zu erlassen. Ein pauschaler Ausschluss von der Blutspende ist dann auch für bisexuelle und trans Personen unzulässig. (siehe GID 259, Kurz Notiert: „Blutspende-Einschränkungen gelockert“, S.30; ZDF, 16.03.23, www.zdf.de) (ib)

 

Behinderung

Judith Heumann verstorben

Im März verstarb die US-amerikanische Behindertenrechtsaktivistin Judith Heumann im Alter von 75 Jahren. Heumann hatte sich jahrzehntelang für Gleichberechtigung und ein selbstbestimmtes Leben von behinderten Menschen eingesetzt – sowohl mit zivilem Ungehorsam, als auch auf institutioneller Ebene. Heumann war international vernetzt, hat viele Meilensteine erkämpft und gehörte zu den Wegbereiter*innen des Americans with Disabilities Act (ADA), der Unternehmen und öffentlichen Institutionen in den USA die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen vorschreibt. (kobinet Nachrichten, 05.03.23, www.kobinet-nachrichten.org) (jl)

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
265
vom Mai 2023
Seite 26 - 27

GID-Redaktion

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