Kurz notiert – Landwirtschaft und Lebensmittel
Politik & Handel
Gutachten: Entwurf zur Gentechnik-Deregulierung
Ein im September veröffentlichtes juristisches Gutachten gelangt zu dem Ergebnis, dass der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung der sogenannten neuen Gentechniken (NGT) gegen internationales und EU-Recht verstoße. Es wurde verfasst von der Rechtsanwaltskanzlei GGSC im Auftrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen im deutschen Bundestag. Mit einem im Juli vorgelegten Gesetzesentwurf möchte die EU-Kommission Pflanzen, die mit NGT hergestellt wurden, vom Anwendungsbereich des Gentechnikrechts ausnehmen, obwohl sowohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) als auch die EU-Kommission selbst festgestellt hatten, dass es sich bei ihnen um gentechnisch veränderte Organismen (GVO) mit GVO-typischem Risikopotenzial handelt. Diese Pläne seien sowohl mit dem in den EU-Rahmenverträgen verankerten Vorsorgeprinzip als auch mit der Verpflichtung zur Einzelfallprüfung gemäß dem Cartagena-Protokoll unvereinbar. Da das EU-Parlament mit einer Annahme des Vorschlages also seine rechtliche Regelungskompetenz überschreiten würde, hätte eine Nichtigkeitsklage vor dem EuGH „gute Erfolgsaussichten“ so die Autor*innen des Gutachtens. (Rechtsgutachten GGSC, 13.10.23, www.gruene-bundestag.de; VLOG, 13.10.2023, www.ohnegentechnik.org) (ps)
Grüne und FDP zu neuer Gentechnik uneinig
Am 05. Juli 2023 hat die EU-Kommission den Gesetzesentwurf zur Deregulierung von neuen Gentechniken veröffentlicht. Die aktuelle europäische Ratspräsidentschaft, die von Spanien angeführt wird, hat sich vorgenommen, den Gesetzestext vor den kommenden EU-Wahlen durchzubringen. Dafür müssen in den kommenden Monaten die Mitgliedstaaten Stellung zu dem Deregulierungsvorschlag beziehen. Deutschlands Landwirtschaftsminister Cem Özdemir äußert sich verhalten. Einerseits kritisiert er die fehlenden Maßnahmen für eine gelingende Koexistenz zwischen gentechnikfreiem und gentechnisch verändertem Anbau sowie die unzureichenden Regelungen, um eine Flut an Patenten zu verhindern. Andererseits zeigt Özdemir sich offen für neue Gentechnikmethoden und positioniert sich nicht eindeutig gegen den Gesetzesentwurf. In Anbetracht der Uneinigkeiten zwischen dem Bündnis90/Die Grünen und der Gentechnik-befürwortenden FDP in der aktuellen Koalition, ist es nicht auszuschließen, dass die deutsche Stimme sich enthält oder sogar für die Deregulierung der neuen Gentechniken stimmt. (taz, 10.09.23, www.taz.de) (psk)
Wissenschaft
Bald Papier aus CRISPR-Pappeln?
Bis zu 30 Prozent der Trockenmasse eines Baums besteht aus Lignin. Für die Papierindustrie ist das ärgerlich, da der Stoff für die Faserherstellung kostspielig mit Chemikalien aus dem Holz entfernt werden muss. Gentechniker*innen versuchen deshalb schon lange, ligninarme Bäume herzustellen. An der North Carolina State University haben Wissenschaftler*innen zur Herstellung einer solchen Pappel jetzt erstmals eine Kombo aus Künstlicher Intelligenz und Genome Editing verwendet: Als erstes haben sie am Computer für die 21 Gene, die an der Ligninsynthese beteiligt sind, mehr als 69.000 mögliche Editierungsstrategien simuliert. Die sieben vielversprechendsten Kombinationen von Genveränderungen haben sie dann mit CRISPR im Pappelerbgut erzeugt. Einige der editierten Pappelvarianten weisen im Gewächshaus bis zu 49 Prozent weniger Lignin auf. Das Spin-off TreeCo will die Bäume nun im Freiland testen. Ob die sich dort bewähren und von der Industrie die in Aussicht gestellten Milliardeneinsparungen bringen werden, ist alles andere als sicher. Denn Bäume brauchen Lignin, um Stürmen standzuhalten und sich vor Insektenfraß zu schützen. (Science, 13.07.23, www.doi.org/10.1126/science.add4514) (bv)
Kritik an irreführenden Angaben
Lassen sich Pflanzen ertragreicher machen, indem mit Gentechnik oder Genome Editing ein einzelnes oder einige wenige Gene verändert werden? Die Zahl der Studien, die dieser Frage nachgehen, ist in den letzten zehn Jahren stark angestiegen. Ertragreichere Sorten sind jedoch kaum entstanden. Jetzt haben 13 internationale Expert*innen aus der Pflanzenzucht in der Fachzeitschrift Nature die erfolgsarmen Bemühungen kommentiert. Zum einen kritisieren sie die Versuchsdesigns: Da die Studien meist auf Gewächshäuser oder kleine Feldparzellen beschränkt sind, liefern sie keine Daten über die Leistung der Pflanzen unter realen Anbaubedingungen. Zum anderen kritisieren sie die Kommunikation der Ergebnisse: Trotz der Mängel im Versuchsdesign werde immer wieder behauptet, dass die Genveränderungen die Erträge steigern. „Vor allem vor dem Hintergrund des Klimawandels und einer wachsenden Weltbevölkerung ist die Zunahme irreführender Angaben zu den Erträgen für uns ein Grund zur Sorge“, schreiben die Expert*innen. Sie weisen darauf hin, dass der Ertrag ein komplexes, durch Tausende von Genvarianten gesteuertes Merkmal ist. (Nature, 21.09.23, www.doi.org/10.1038/d41586-023-02895-w) (bv)
Zivilgesellschaft
Forderung nach Moratorium für Guided Biotics
Guided Biotics – gelenkte Biotika – nennt die britische Firma Folium Science ihre patentierte Technik, mit der sie eine neuartige Kategorie von antimikrobiellen Mitteln für die Tierhaltung und den Pflanzenschutz schaffen will. Ihr erstes Produkt ist BiomElix – ein Futterzusatz gegen Salmonellen für Hühner. 2024 soll BiomElix in Brasilien auf den Markt kommen. Jetzt hat die Umweltschutzorganisation Friends of the Earth (FOE) Alarm geschlagen. Sie bewertet die neue Technik als ähnlich besorgniserregend wie Gene Drives und fordert deshalb, ihre Anwendung unter ein Moratorium zu stellen. Guided Biotics beruhen auf der Freisetzung von gentechnisch veränderten Bakterien und Viren, die die Gene für die Bildung eines CRISPR-Schneideenzyms und mehrerer Boten-RNAs enthalten. Einmal freigesetzt, sollen die Bakterien oder Viren diese Gene auf die Ziel-Bakterien übertragen, wo das Schneideenzym dann deren Chromosom an den vorbestimmten Stellen durchtrennt, was zum Tod der Ziel-Bakterien führt. FOE befürchtet, dass nach einer Freisetzung wahllos Nicht-Ziel-Bakterien gentechnisch verändert werden könnten. (FOE, 29.08.23, www.foe.org) (bv)
Mehrheit für Risikoprüfung
Nach einer im September durchgeführten Forsa-Umfrage im Auftrag von foodwatch spricht sich eine deutliche Mehrheit der Deutschen für die Beibehaltung der Risikoprüfung (96 Prozent) und Kennzeichnung (92 Prozent) von gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen bzw. Lebensmitteln aus – auch wenn dabei neue Gentechniken (NGT) zum Einsatz kommen. Eindeutige Mehrheitsverhältnisse bestehen dabei sowohl in West- als auch in Ostdeutschland sowie über alle untersuchten Alterskohorten, Einkommensklassen, Geschlechter und Parteipräferenzen hinweg. So positionieren sich auch 94 Prozent der Anhänger*innen der FDP, die unter den Parteien als stärkste Verfechterin der Gentechnik-Deregulierung gilt, gegen eine Abschaffung der Sicherheitsprüfung für NGT-Pflanzen. Darüber hinaus verlangen 87 Prozent aller Befragten die Kennzeichnung von tierischen Lebensmitteln, bei deren Produktion gv-Tierfutter zum Einsatz gekommen ist und damit sogar eine Verschärfung der aktuellen EU-Gentechnik-Gesetzgebung. Im Juli hatte die EU-Kommission einen Gesetzesentwurf vorgelegt, nach dem NGT-Pflanzen von der Gentechnik-
Risikoprüfung und Kennzeichnungspflicht ausgenommen werden können. (foodwatch, 25.09.23, www.foodwatch.org) (ps)
Anbau & Pestizide
USA: Grünes Licht für Gentechnik-Pflanzen
Im August und September hat die US-Landwirtschaftsbehörde USDA gleich acht gentechnisch veränderte Pflanzen als unbedenklich für die Umwelt eingestuft. Vier dieser Pflanzen, die nun ohne weitere Auflagen auf die Felder dürfen, entstanden mittels Genomeditierung: Ein Mais der Firma Inari, der wegen seiner veränderten Pflanzenarchitektur mehr Ertrag liefern soll, eine Tomate mit erhöhter Fruchtfestigkeit von Lipman Family Farm und zwei Acker-Hellerkraut-Varianten von Covercress, die für die Verwendung als Ölfrucht modifiziert worden sind. Die anderen vier deregulierten Pflanzen stammen aus klassischer Gentechnik: Eine RedVin genannte Kartoffel der Firma Ohalo Genetics, die ohne Versüßung kalt lagerbar ist, ein Hanf mit wenig THC von Growing Together Research, ein Walnuss-Wurzelstock mit Resistenz gegen Kronengallenkrankheiten der University of California und eine leuchtende Petunie. Letztere entstand in den Laboren von Light Bio – einem Start-up, das Zimmerpflanzen schaffen will, „die ihre inneren Prozesse mit Licht offenbaren und den Menschen die Möglichkeit geben, eine neue Art von Beziehung zu Pflanzen aufzubauen.“ (USDA, 31.08./06.09./26.09.23, www.aphis.usda.gov; Light Bio, o.D., www.light.bio) (bv)
Rechtswidrige Patente auf „Superbrokkoli“
Am 13. September 2023 hat das Europäische Patentamt (EPA) ein Patent auf eine konventionell gezüchtete Brokkolisorte mit einem erhöhten Glucosinulat-Gehalt an die Firma Seminis erteilt (EP 2708115). Seminis, ein Tochterunternehmen der Bayer AG, hat für die Züchtung dieser Pflanze einen wilden Brokkoli aus Sizilien genutzt, der schon von sich aus höhere Werte des gesundheitsfördernden Bitterstoffs Glucosinulat aufweist. Demnach ist die neue Brokkolisorte weder neu noch erfinderisch – Grundvoraussetzungen um ein Patent zu erhalten. Abgesehen davon, sind entsprechend des Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen verboten. Immer wieder versucht die EPA diese Rechtsbrüche hinter komplizierten rechtlichen Begründungen zu verstecken. Schon 2002 gab es ein Patent (EP 1069819) auf einen konventionellen Brokkoli mit erhöhtem Bitterstoff-Gehalt, der sich nur geringfügig von dieser neuen Patentanmeldung unterscheidet. Dieser Präzedenzfall löste eine lang anhaltende Debatte über Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen aus – bis im Juni 2017 die Ausführungsordnung der EPA um diese Patentkategorie geändert wurde. Nichtregierungsorganisationen und Umweltverbände beklagen, dass sich die Geschichte um den vermeintlichen „Superbrokkoli“ wiederholt und fordern ein Ende der Patentierung von Zuchtpflanzen. (NPOS, 28.09.23, www.no-patents-on-seeds.org) (psk)
EU-Kommission für Glyphosatzulassung bis 2033
Mit einem im September veröffentlichten Genehmigungsentwurf schlägt die EU-Kommission vor, die Zulassung des umstrittenen Herbizides Glyphosat in der EU um zehn Jahre zu verlängern. Da sich bei einer Sitzung des verantwortlichen Ständigen Ausschusses der EU-Kommission am 13. Oktober keine Mehrheit für oder gegen den Kommissionsvorschlag gefunden hatte, soll im November nun ein Berufungsausschuss der Mitgliedstaaten über die Zulassungsverlängerung entscheiden. Die Genehmigung für Glyphosat läuft am 15. Dezember aus, nachdem die EU-Kommission die Zulassung des Totalherbizides 2022 selbstständig um ein Jahr verlängert hatte. Sollten die Mitgliedstaaten sich auch im November nicht über den Genehmigungsentwurf einigen, würde die Kommission eine eigene Entscheidung treffen. Glyphosat gilt als meist verwendeter Herbizid-Wirkstoff weltweit und steht seit Jahren wegen seiner Wirkung auf die menschliche Gesundheit und die Artenvielfalt in der Kritik. Eine Studie der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) stufte Glyphosat 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung hatten die Ampel-Parteien formuliert: „Wir nehmen Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt.“ Dennoch enthielt sich Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir bei der EU-Abstimmung am 13. Oktober. Am Rande eines Treffens des Rates der Europäischen Union im Juli hatte er bereits angedeutet, dass Glyphosat bei EU-weiter Zulassungsverlängerung auch in Deutschland erlaubt bleiben könnte. (Kommissionsentwurf, 16.10.23, www.food.ec.europa.eu; taz, 16.10.23, taz.de; IARC-Studie, 16.10.23, iarc.who.int; Koalitionsvertrag der Bundesregierung, 16.10.23, bundesregierung.de; Agrarheute, 16.10.23, agrarheute.com) (ps)
Nahrungsmittel
EFSA-Bericht zu genomeditierten Tieren
Noch sind auf dem Weltmarkt kaum Lebensmittel aus genomeditierten Tieren erhältlich. Nur in Japan sind zwei Speisefische der Firma Regional Fish kommerzialisiert: Ein Tigerkugelfisch, der sein Futter besser verwertet und eine Rote Meerbrasse, die mehr Fleisch bildet. Doch bald dürften weitere editierte Tiere auf den Markt kommen. Das zeigt ein Ende September erschienener Bericht, der im Auftrag der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) den Stand der Entwicklung schildert. Rund 25 Tiere stehen demnach vor der Markteinführung, 20 davon allein in China. Zu den Tieren, deren Fleisch bald in den Regalen landen könnte, gehören Tilapien mit mehr Muskelmasse der US-Firma Aquabounty, Virus-resistente Schweine des britischen Konzerns Genus sowie hornlose, hitzetolerante und mehr Fleisch produzierende Rinder des US-Unternehmens Acceligen. Etliche genomeditierte Tiere befinden sich zudem in der Forschungsphase – 195 Anwendungen listet der EFSA-Bericht hierzu auf. Anhand der Forschungs- und Entwicklungsübersicht will die EFSA nun die Risiken editierter Tiere sowie die Angemessenheit der derzeitigen Leitlinien zur Risikobewertung prüfen. (EFSA, 27.09.23, www.efsa.europa.eu) (bv)
GID-Redaktion