Kurz notiert – Mensch und Medizin

Reproduktionsmedizin

IVF: Risiken für Schwangere und Neugeborene

Mit verbesserter Forschungslage werden immer mehr Risiken von künstlicher Befruchtung bekannt. Forscher*innen in New Jersey haben in einer groß angelegten Studie die Daten von 31 Mio. Gebärenden analysiert, die innerhalb der ersten zwölf Monate nach der Entbindung im Krankenhaus behandelt wurden. Sie fanden heraus, dass das Risiko für Schlaganfälle nach einer IVF-Schwangerschaft (In-vitro-Fertilisation) deutlich erhöht ist – sowohl bei Hirnblutungen als auch bei der Unterbrechung der Blutzufuhr zum Gehirn. Ursachen können in mit IVF assoziierten Komplikationen, wie einer erhöhten Präeklampsierate (ugs. Schwangerschaftsvergiftung), liegen, aber auch bei direkten Nebenwirkungen der IVF-Behandlung, wie einem gesteigerten Östrogenspiegel. Für die Geburt scheint es eine Rolle zu spielen, ob es sich bei der IVF-Behandlung um einen frischen oder einen kryokonservierten Embryo handelt. Eine französische Beobachtungsstudie liefert Hinweise darauf, dass schwere Blutungen bei der Entbindung deutlich häufiger auftreten, wenn ein aufgetauter Embryo verwendet wurde. (Deutsches Ärzteblatt, 22.09.23, www.aerzteblatt.de; JAMA Netw Open, 30.08.23, www.doi.org/10.1001/jamanetworkopen.2023.31470) (jl)

Künstliche Gebärmutter

Forscher*innen arbeiten daran, eine künstliche Umgebung zu schaffen, die einem natürlichen Uterus ähnelt, um so die Lebenschancen von extrem Frühgeborenen zu verbessern. Die Entwicklung solcher Maschinen ist derzeit noch sehr experimentell. Am weitesten fortgeschritten sind die Modelle der USA-Firma Vitara Biomedical, deren Technologie, EXTrauterine Environment for Newborn Development (EXTEND), besteht aus einem Container mit im Labor hergestelltem Fruchtwasser und wurde bereits erfolgreich an Lämmern getestet. Die Firma wartet nun auf eine Ausnahmegenehmigung der Food and Drug Administration (FDA), um die Studie mit menschlichen Neugeborenen fortzusetzen. In Frage kommen Neugeborene in der 22. oder 23. Schwangerschaftswoche, die kaum anderweitige Überlebenschancen haben. (MIT Techonology Review, 29.09.23, www.technologyreview.com) (jl)

GR: Festnahmen wegen kommerziellen Leihgebärens

Mitarbeitende einer Fertilitätsklinik in Chania, Griechenland, sollen an der Vermittlung von Leihschwangerschaften beteiligt gewesen sein, bei denen intendierte Eltern zwischen 70.000 und 120.00 Euro zahlen sollten, die Schwangeren sollten 18.000 Euro erhalten. Leihgebären ist in Griechenland nur im Rahmen altruistischer Vereinbarungen erlaubt. Die Vorwürfe lauten auf Menschenhandel, Betrug, Verstoß gegen die Fortpflanzungsgesetze und Fälschung medizinischer Unterlagen. Die meisten Eizell„spender*innen“ und Schwangeren kamen aus osteuropäischen Ländern und waren in Unterkünften auf dem Klinikgelände untergebracht. Bei ihren Ermittlungen stießen die Behörden auf 400 IVF-Behandlungen. (BioNews, 29.08.23, www.progress.org.uk) (jl)

CH: Evaluation Fortpflanzungs­medizingesetz

Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat die Aufgabe, die Wirksamkeit des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG) zu evaluieren. Das FMedG trat 1998 in Kraft. Mit der letzten Revision im Jahr 2017 wurde das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik zugelassen. Bei der Prüfung wird untersucht, ob und wie die gesetzlichen Regulierungen umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang wird eine beratende Begleitgruppe installiert, in der auch biorespect Einsitz hat. Erste Ergebnisse liegen bereits vor und können auf den Seiten des BAG abgerufen werden. Zudem wird eine Evaluierung auch des Gesetzes über genetische Untersuchungen am Menschen (GUMG) durch das BAG stattfinden. Auch für dieses Vorhaben wurde die Expertise von biorespect angefragt. (BAG, o.D., www.kurzelinks.de/gid267-if; BAG, o.D., www.kurzelinks.de/gid267-ig) (gp/tp)

 

Schwangerschaft

Aus für NIPT-Anbieter

Bis vor kurzem vertrieb die deutsche Firma Eluthia mit dem Fokus auf Pränataldiagnostik den Nicht-invasiven Pränataltest (NIPT) „PreviaTest“, ein Test der chinesischen Firma BGI Group. Er untersuchte Föten auf Trisomien und wurde in einem Gutachten der Organisation Netzwerk Datenschutzexpertise als „illegal“ eingestuft. Eluthia hatte den Test mit der Sicherheit der Einhaltung europäischer Datenschutzstandards beworben. Es stellte sich jedoch heraus, dass die sensiblen Daten der Schwangeren nicht nur für pränataldiagnostische Zwecke verwendet wurden. Die Daten der Schwangeren und Föten, die in China ausgewertet wurden, wurden unter anderem für militärische Forschungszwecke genutzt. Nun gut zwei Jahre später scheint die Tätigkeit von Eluthia eingestellt zu sein – so verrät es zumindest die Webseite der Firma. Es ist unklar, ob dies eine direkte Konsequenz des Datenschutzskandals ist. Im Jahr 2019 hatte die Firma noch verkündet sie werde für ihren NIPT auf Mukoviszidose die Kassenfinanzierung beantragen. (Siehe „Datenschutzrisiko NIPT“, Kurz notiert, GID 254, S.28-29; Webseite Eluthia, 20.10.23, www.eluthia.com) (lp)

Test zum Nachweis medikamen­töser Schwangerschaftsabbrüche

Polnische Forscher*innen haben einen Test entwickelt, um Misoprostol und Mifepreston in Blutproben oder (fetalem) Gewebe nachzuweisen. Die beiden Medikamente werden in Kombination für einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch genutzt und in Ländern mit restriktiven Abtreibungsgesetzen häufig über das Internet bezogen, um Abbrüche Zuhause durchzuführen. Der Test hat keinen erkennbaren medizinischen Nutzen, Kritiker*innen befürchten, dass er zur Strafverfolgung angewendet wird. Zudem werden Befürchtungen laut, dass mit der Nachweisbarkeit dieser erprobten Medikamente mehr ungewollt Schwangere zu riskanteren Abbruchmethoden greifen könnten. (Nature, 11.10.23, www.nature.com, www.doi.org/10.1038/d41586-023-03129-9) (jl)

 

Genomforschung

Nobelpreis für mRNA-Forschung

Der Ungarin Katalin Karikó und dem US-Amerikaner Drew Weissman wurde Anfang Oktober der Nobelpreis für Medizin verliehen, um ihre Arbeit im Bereich der mRNA-Forschung zu würdigen. Weissman und Karikó fanden 2005 heraus, wie fremde mRNA in den Körper eingeführt werden kann, ohne dass sie vom Immunsystem bekämpft wird und legten damit den Grundstein für die COVID-19-Impfstoffe der Firmen Biontech/Pfizer und Moderna. Die Möglichkeit mRNA mittels Fetttröpfchen in Zellen zu schleusen, um bestimmte Proteine herzustellen, wurde bereits in den 1980er Jahren erfunden. Karikó forschte seitdem trotz Rückschlägen in Ungarn, den USA und ab 2013 bei dem deutschen Impfstoffhersteller Biontech daran weiter. Durch Priorisierung von klassischer Gentechnik in der Forschungsförderung wurde ihre Arbeit lange ignoriert. (ZDF, 02.10.23, www.zdf.de) (ib)

DNA-Schäden durch präziseres Genome Editing

Eine im September in der Zeitschrift Nature Biotechnology erschienene Studie untersucht zwei aktuelle Methoden des Genome Editings und deren Genotoxizität – also die mögliche Schädigung der DNA – im Vergleich zu Vorgängern. Basen und Prime Editoren verursachen im Gegensatz zu CRISPR-Cas9 keinen DNA-Doppelstrangbruch, sondern nur einen Einzelstrangbruch, was das Genome Editing noch sicherer und präziser machen soll. Wie sicher diese neuen Methoden wirklich sind, ist jedoch unbekannt, bisher wurden mögliche zelluläre Einflüsse oder die Genotoxizität kaum beachtet. Die neue Studie an blutbildenden Stammzellen (HSZs) und Vorläuferzellen zeigt, dass neben vielversprechenden Ergebnissen, wie einem verringerten Vorkommen von Translokationen und Deletionen, bei Basen Editoren eine deutlich veränderte Mutationslandschaft von HSZs vorliegt. Aufgrund der Ergebnisse raten die beteiligten Forschenden von zu vorläufigen klinischen Anwendungen von Basen und Prime Editoren ab, da sie die Werkzeuge aktuell als nicht genug erforscht und zu unsicher einstufen. (Nature Biotechnology, 07.09.23, www.doi.org/10.1038/s41587-023-01915-4) (lp)

 

Datenschutz

Kein „Opt-Out“ möglich

Die US-amerikanische Polizei nutzt einen Fehler in einer Online-DNA-Datenbank für Ahnenforschung, um gegen den Willen von Nutzer*innen auf deren Daten zuzugreifen. Die Datenbank GEDMatch wurde einst als Hobbyprojekt gegründet, um mittels Gendaten von kommerziellen Gentests biologische Verwandte suchen zu können. Inzwischen wurde sie jedoch an das Unternehmen Verogen verkauft, dass die Datenbank für Ermittlungsbehörden bereitstellt, um Verwandte von unbekannten Verdächtigen aufzuspüren. Nach Kritik aus der Ahnenforschungs-Community wurde eine „Opt-Out“-Funktion eingebaut, Nutzer*innen können also eigentlich wiedersprechen, dass ihre Daten für forensische Zwecke genutzt werden. Wie das Online-Magazin The Intercept recherchiert hat, ist es jedoch ein „offenes Geheimnis“ unter Ermittlungsbehörden und ihren Berater*innen, dass durch das Nutzen einer Fehlfunktion auf die Daten aller GEDMatch-Nutzer*innen zugegriffen werden kann. (The Intercept, 18.08.23, www.theintercept.com) (ib)

Datenhack zielt auf Jüd*innen

Die zweitgrößte Firma für kommerzielle Gentests 23andme bestätigte Anfang Oktober, dass die Datenbank des Unternehmens gehackt wurde und Nutzer*innendaten in Hackerforen verbreitet wurden. Vermutlich wurden Login und Passwortkombinationen von 23andme-Kund*innen aus einer anderen Quelle entwendet – die meisten Menschen nutzen die gleichen Passwörter für verschiedene Internetdienste. Durch die Funktion „DNA Relatives“ konnten die Verantwortlichen dann von den betroffenen Accounts auf die Daten aller Verwandten in der Datenbank zugreifen. Die Profile wurden zunächst zum Verkauf angeboten und damit beworben, dass Profile von „den Topmanagern der Weltwirtschaft bis hin zu Dynastien, über die oft in Verschwörungstheorien geflüstert wird“ enthalten seien. Dann tauchten die Daten im Darkweb unter dem Namen „ashkenazi DNA Data of Celebrities“ auf, sie soll also aschkenasische Jüd*innen enthalten. Laut dem Online-Magazin Wired sind keine genetischen Rohdaten enthalten, aber vollständige Namen, Benutzernamen, Profilfotos, Geschlecht, Geburtsdatum, genetische Abstammungsergebnisse und Wohnort. (Bleeping Computers, 06.10.23, www.bleepingcomputer.com; Wired, 06.10.23, www.wired.com) (ib)

 

Behinderung

Durchgefallen: Staatenprüfung zur Umsetzung der UN BRK

In der Staatenprüfung zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention (BRK) der Vereinten Nationen sind eklatante Defizite der deutschen Gesetzgebung im Hinblick auf die Gleichstellung und den Schutz behinderter Menschen vor Diskriminierung und Gewalt deutlich geworden. Darüber hinaus blamierte sich die deutsche Delegation durch einen Bericht, in dem deutlich wurde, dass es hierzulande ein unzureichendes Verständnis von Inklusion gibt: ein Vertreter der Kultusministerkonferenz hatte vor dem Ausschuss erklärt, die Sonderschulen wären Teil inklusiver Beschulung. Der Abschlussbericht stellt Mängel in vielen Feldern fest. Dazu gehören explizit auch sexuelle und reproduktive Rechte. Deutschland wurde in diesem Zuge aufgefordert, Sterilisationen und ebenso die Verabreichung von Mitteln zur Schwangerschaftsverhütung an behinderte Menschen ohne deren Einwilligung einzustellen. (Kobinet, 09.10.23, www.kobinet.de) (jl)

 

Sonstiges

Xenotransplantation

Mehrere Nachrichten über die Transplantation von tierischen Organen in Menschen demonstrieren einen erneuten Aufschwung des Forschungsfeldes. Im August gaben Mediziner*innen eines New Yorker Krankenhauses bekannt, dass eine transgene Schweineniere die Niere eines hirntoten Patienten 32 Tage ersetzen konnte – so lange wie noch nie. Das University of Maryland Medical Center (UMMS) gab im September bekannt, dass dem zweiten Patienten ein transgenes Schweineherz eingesetzt wurde. Der erste Proband war im März nach zwei Monaten gestorben. Die Firma eGenesis plant ebenfalls transgene Schweineherzen in Menschen einzusetzen. Schon im nächsten Jahr sollen Babys mit schweren Herzfehlern Schweineherzen transplantiert bekommen, um diese am Leben zu erhalten, bis ein menschliches Spenderorgan einsetzbar ist. Bisher scheinen die Erfolge aus Tierversuchen bescheiden zu sein, die ersten operierten Affenbabys lebten nur wenige Tage. Laut der Firma starben die Tiere durch operative Komplikationen und nicht wegen Abstoßungsreaktionen. In Deutschland forscht die Firma XTransplant in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-University München daran, „eine Welt zu schaffen, in der es keinen Mangel an Spenderherzen gibt“. (MIT Technology Review, 17.07.23, www.technologyreview.com; nvt, 16.08.23, www.n-tv.de; MIT, o.D., www.technologyreview.com; UMMS, 22.09.23, www.umms.org; www.xtransplant.com) (ib)

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
267
vom November 2023
Seite 26 - 27

GID-Redaktion

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