Im Interesse der Öffentlichkeit?
Einführung
Die wissenschaftliche Politikberatung befindet sich in einer massiven Glaubwürdigkeitskrise: Im Bereich der Agro-Gentechnik ist der Fall des ungarisch-britischen Wissenschaftlers Árpad Pusztai seit mehr als einem Jahrzehnt Zeichen dieses Missstandes. Der Film „Gekaufte Wahrheit - Gentechnik im Magnetfeld des Geldes“ von Bertram Verhaag nimmt diesen und einen weiteren Fall als Ausgangspunkte für einen Essay über die Rahmenbedingungen, unter denen Wissenschaft heute stattfindet. Der Film polarisiert, aber es besteht die Hoffnung, dass er damit auch Debatten anstößt, die aus der Wissenschaft heraus bisher nicht genügend eingefordert wurden. Wir werfen einen Blick auf und in den Film anlässlich seiner Premiere in Berlin. Wie geht eine Wissenschaftsorganisation wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft damit um, dass die Glaubwürdigkeit von großen Teilen der Wissenschaft fundamental angezweifelt wird? Die DFG hatte 2009 die Broschüre „Grüne Gentechnik“ herausgegeben, „mit dem Ziel, eine breite Öffentlichkeit kompetent, ausgewogen und verständlich über alle relevanten Aspekte des Themas GGT [Grüne Gentechnik - die Red.] zu informieren“. Unser Autor, Michael Krawinkel von der Uni Gießen, hat gemeinsam mit drei Kollegen die Broschüre einer systematischen Analyse unterzogen. Sie zeigen „an einer Vielzahl von Beispielen (...), dass die Broschüre nicht nur mehrere falsche Informationen enthält, sondern darüber hinaus (...) zu einem unangemessen positiven Urteil mehrere GGT-Konstrukte [Grüne Gentechnik-Konstrukte - die Red.] betreffend kommt“. Dies rekrutiere „aus einer selektiven Positivauswahl der verwendeten Literatur zugunsten der GGT“, wie sie weiter schreiben. Krawinkel kommt zu dem Schluss, dass „die Broschüre bezüglich des Ziels der Akzeptanzsteigerung der GGT gegenüber einer breiten informierten Öffentlichkeit eine kontraproduktive Wirkung entfaltet, denn die Einseitigkeit der DFG-Broschüre zugunsten der GGT dürfte die Skepsis gegenüber dieser Technologie eher noch verstärken“. Diese Skepsis zeigt sich auch gegenüber den Bewertungen gentechnisch veränderter Lebensmittel und Produkte durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA. Die EFSA deklariert GVO praktisch ausnahmslos als sicher. Stimmen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die zu anderen Bewertungen kommen, werden zwar entgegengenommen. Dass sie aber zum Beispiel zu einer ablehnenden Bewertung eines GVO in einem Zulassungsverfahren oder zur substantiellen methodischen Veränderung der Bewertungsmethoden und -kriterien geführt hätten, kann bisher nicht konstatiert werden. Zugleich kann eine Nähe der EFSA und ihrer ExpertInnen zur interessierten Industrie ausgemacht werden, die es Außenstehenden schwer macht, an EFSAs Unabhängigkeit zu glauben. Die Nichtregierungsorganisation Testbiotech hat diese Nähe erst vor Kurzem im Detail dargestellt - deren Geschäftsführer Christoph Then verdeutlicht die Zusammenhänge.
Krise der Glaubwürdigkeit
Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner war von der Krise der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft erfasst, als sie im Frühjahr 2009 den gentechnisch veränderten Mais MON810 verbot - gegen die ausdrückliche Empfehlung der WissenschaftlerInnen ihres eigenen Hauses (insbesondere des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) und einer Reihe von ForscherInnen aus dem deutschen (vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten) Biosicherheits-Programm. Diese waren sich mit ihrer Bewertung des gentechnisch veränderten MON810-Mais mit dem zuständigen Ausschuss der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA einig. Aigner setzte sich über deren Voten hinweg und verbot im April 2009 den Anbau des gv-Mais MON810 in Deutschland. Sie stand aber mit ihrer Einschätzung nicht alleine da, denn die WissenschaftlerInnen des Bundesamtes für Naturschutz waren ebenfalls für ein Verbot eingetreten. Auch andere Mitgliedsländer der EU gaben ihrem Misstrauen gegenüber der Bewertung der EFSA durch ein Verbot des Anbaus von MON810-Mais in ihren Territorien Ausdruck. Dies sind bis heute: Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Luxemburg, Österreich und Ungarn. Zuvor, im Dezember 2008 begrüßten die Umweltminister der Europäischen Union, „dass die Kommission der EFSA das Mandat erteilt hat, eine Überprüfung ihrer Leitlinien für die Bewertung der Umweltrisiken vorzunehmen“ - was ohne große Mühe als deutliche Kritik an der bisherigen Praxis der EFSA gelesen werden kann. Jüngst wurden Angelika Hilbeck von der ETH Zürich und Jörg Romeis vom Agrarforschungsinstitut in Reckenholz zu einem Fachgespräch in das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) nach Berlin eingeladen. Dies hat für eine gewisse Unruhe gesorgt, da zu vernehmen war, das Gespräch solle die Basis für die Aufhebung des Verbots des gentechnisch veränderten Mais MON810 in Deutschland legen. Hilbeck und Romeis haben beide über die Wirkung des Bt-Giftes im gentechnisch veränderten Mais MON810 auf Nicht-Zielorganismen geforscht. Die besondere Brisanz mit Blick auf das Verbot des gv-Mais MON810 entsteht, da die Arbeit von Schmidt (Hilbeck) und Kollegen im Jahre 2009 von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner als wissenschaftliche Basis für das Verbot hinzugezogen worden war. Die Gruppe um Jörg Romeis hatte im vergangenen Jahr ihrerseits die Ergebnisse einer Untersuchung vorgelegt, die das Internet-Portal biosicherheit.de wie folgt zusammenfasst: „Gentechnisch veränderter Mais hat keine schädlichen Auswirkungen auf den Zweipunkt-Marienkäfer. Das ist das Ergebnis einer im August 2010 veröffentlichten wissenschaftlichen Studie. Damit widerspricht sie einer ähnlichen, 2008 erschienenen Untersuchung.“1 In dem Fachgespräch im BVL sollten nun die Argumente ausgetauscht werden - im Prinzip also wissenschaftliches Alltagsgeschäft. Wir haben mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern gesprochen und versuchen uns an einer Zusammenfassung der Gemengelage. Gravierender ist es, wenn beklagenswerte Zustände gar nicht erst thematisiert werden. Whistleblower sind Menschen, die sich trotz möglicher - zum Teil auch erwartbarer - persönlicher negativer Konsequenzen über eine bestimmte Situation berichten, einen misslichen Zustand öffentlich machen. Allerdings ist oft nicht glasklar, ab wann ein Wissenschaftler, eine Wissenschaftlerin, nur der alltäglichen Arbeit nachgeht, und ab wann er/sie dies tut in der Erwartung persönlicher negativer Konsequenzen. Ob sich die Situation der Whistleblower im Vergleich zu früheren Zeiten eher verbessert oder verschlechtert hat, sei dahingestellt. In jedem Fall ist die Aufmerksamkeit für die früher schlicht als Informant beziehungsweise Informantin bezeichneten Menschen seit ein paar Jahren deutlich gestiegen. Der in Deutschland vermutlich bekannteste Name ist der der ehemaligen Altenpflegerin Brigitte Heinisch.2 Whistleblower sind insbesondere auch im Zusammenhang mit der Internet-Plattform Wikileaks weiter in den Fokus der Öffentlichkeit und der Medien gerückt. Nachdem es im Winter eine große Veröffentlichung von US-Geheimdokumenten durch Wikileaks und verschiedenen großen Medien (aus Deutschland war zum Beispiel das Wochenmagazin Der Spiegel beteiligt) gegeben hatte, wurde mit neuem Schwung über dieses Thema gestritten und diskutiert. Nicht zuletzt die Rolle derer, die den Geheimnisverrat begehen, ist umstritten: Zuschreibungen wie „Nestbeschmutzer“ gehören da oft genug noch zu den freundlicheren. Guido Strack vom Whistleblower-Netzwerk gibt einen Einblick in dieses Thema und erläutert im Interview zudem die Forderungen seines Vereins. Auch im Bundestag wird das Thema früher oder später ankommen. Nach Darstellung von Guido Strack wird die SPD in den nächsten Monaten einen Antrag in das Parlament einbringen.
Interessenskonflikte
Neben der Gesellschaft im Sinne der Öffentlichkeit wollen (und sollen?) auch andere von der Wissenschaft profitieren: Unternehmen, die Produkte der wissenschaftlichen Arbeit auf den Markt bringen. Das ist nicht immer ganz unproblematisch, wie die Bewertung der gentechnisch veränderten Organismen zeigt. Aber zum Beispiel auch schon einen Schritt früher, bei der Entwicklung von gentechnisch veränderten Pflanzen, kann es zu Interessenskonflikten kommen. Das verdeutlicht unser Redaktionsmitglied, die Techniksoziologin Birgit Peuker: Wenn sich privatwirtschaftliche Interessen und Interessen des Staates miteinander verquicken, dann stellt sich im Hinblick auf die Interessen der Bürger nicht die Frage nach Legalität, sondern nach Legitimität. Am Schluss werfen wir einen Blick auf die Rolle von Wissenschaftsorganisationen in der Politikberatung und insbesondere ihre Bereitschaft, die eigene Rolle zu reflektieren. Dabei versuchen wir einen Blick über den Tellerrand. Sozusagen von Risikotechnologie zu Risikotechnologie stellen wir Fragen an das Helmholtz Zentrum München, das über mehrere Jahrzehnte Betreiber der Asse - eines Endlagers für radioaktiv strahlenden Müll - war.
- 1„Neue Studie: Bt-Mais unschädlich für Marienkäfer“. Im Netz unter: www.biosicherheit.de/aktuell/1220.studie-mais-uns…. Zuletzt abgerufen am 28.03.11.
- 2Das Beispiel Brigitte Heinisch wird neben anderen auf den Internetseiten des Whistleblower-Netzwerks dargestellt. Im Netz unter: www.whistleblower-net.de.
Die GID-Redaktion