EuGH stärkt Vorsorge

CRISPR als Gentechnik reguliert

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich in seinem Urteil vom 25. Juli zu der Regulierung neuer Gentechnik-Verfahren geäußert. Die RichterInnen vertreten die Ansicht, dass das derzeit gültige EU-Recht auch auf neue Gentechnik-Verfahren anwendbar ist - eine gute Nachricht für die Gentechnik-kritische Bewegung.

EuGH

Foto: G.Fessy, CJUE

Im Rahmen eines sogenannten Vorlageverfahrens hatte das oberste französische Verwaltungsgericht dem EuGH vier Fragen zur Interpretation des europäischen Rechts in Bezug auf die Regulierung neuer Gentechnik-Verfahren gestellt. Diese haben die Luxemburger Rich­terInnen jetzt - nach eineinhalb-jähriger Prüfung - beantwortet. Aufgrund aktueller Debatten in Politik, Wirtschaft und den Umwelt- und Verbraucherverbänden wurden die Antworten mit großer Spannung erwartet.
Die zentrale Frage war, ob mit der Gentechnik-Regulierung der Europäischen Union verbundene Verpflichtungen auch auf neue molekularbiologische Varianten sogenannter Mutagenese-Techniken angewandt werden müssen.
Bisher ist es so, dass bestimmte Techniken, die zur Entwicklung neuer Pflanzensorten genutzt werden, die mit der Gentechnik-Regulierung der Europäischen Union verbundenen Verpflichtungen nicht erfüllen müssen: Techniken wie zum Beispiel die Zufalls-Mutagenese, bei der Samen oder ganze Pflanzen mit radioaktiver oder Röntgen-Strahlung, beziehungsweise mit Mutationen auslösenden Chemikalien behandelt werden, werden in der EU-Richtlinie aus dem Jahre 2001 explizit als Ausnahme erwähnt.1 Pflanzen, die unter Verwendung dieser Technik hergestellt wurden, müssen nicht das für gentechnisch veränderte Organismen typische Zulassungsverfahren durchlaufen, sie werden keiner Umwelt-Risikoprüfung unterzogen und die mit ihnen hergestellten Produkte müssen auch nicht als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden. Auch die Verpflichtung zur Beobachtung entfällt. Derzufolge müssen GVO und die Produkte, die aus ihnen hergestellt werden, zehn Jahre nachdem sie für die kommerzielle Vermarktung zugelassen worden sind, beobachtet und ihre Wirkung auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt dokumentiert werden.
Das Gericht bezieht sich in wesentlichen Punkten seiner Entscheidung auf den Erwägungsgrund 17 der EU-Freisetzungsrichtlinie (2001/18). Erwägungsgrund 17 klärt, warum bestimmte Techniken - und die mit ihnen hergestellten Pflanzen - aus der Regulierung ausgenommen werden können, nämlich, weil sie seit langer Zeit genutzt werden und als sicher gelten. Dazu zählt eben auch die Zufalls- oder klassische Mutagenese, die schon seit mehr als 50 Jahren im Verlauf der Entwicklung neuer Pflanzensorten zum Einsatz kommt.
In diesem Zusammenhang weist das Gericht auf seine aktuelle Rechtssprechung in einem anderen Fall (Rechtssache C-441/17) hin, derzufolge eine vom EU-Gesetzgeber eingeräumte Möglichkeit für eine Ausnahme von einem Erfordernis im Zweifel eng auszulegen ist. Im vorliegenden Verfahren kann die Ausnahme für seit langem als sicher geltende Mutagenese-Verfahren nicht einfach um neue - in bestimmten Aspekten diesen möglicherweise ähnlichen - Verfahren erweitert werden. Neue Gentechnik-Verfahren wie CRISPR-Cas verfügen nicht über eine langjährige sichere Nutzung - konsequenterweise kann für sie eine solche Ausnahme nicht gelten.
CRISPR-Cas, aber auch andere Genome Editing-Verfahren wie zum Beispiel die sogenannten Zinkfingernukleasen oder die Oligonukleotid-gerichtete Mutagenese sind jeweils sehr unterschiedlich einsetzbar. Gemeinsam ist ihnen eine Funktionsweise, bei der keine neuen Gene oder Genschnipsel in die DNA eines Organismus eingebaut, sondern nur kleine Veränderungen ausgelöst werden. Genau genommen fügen diese Techniken Bruchstellen in die DNA ein, die dann durch körpereigene Reparatur-Moleküle wieder ausgebessert werden sollen. Da diese Reparatur-Moleküle Fehler machen, kommt es in der Folge zu kleinen - aber gewünschten - Veränderungen. Denn durch diese Veränderungen kann sich die Funktion eines Gens beziehungsweise eines Genproduktes - zum Beispiel eines Enzyms - im beabsichtigten Sinne verändern. Die Werkzeuge verfügen jeweils über molekulare Mechanismen, mit denen sie zu bestimmten Stellen in der DNA des Organismus navigiert werden sollen. Neuere Forschungen deuten darauf hin, dass dies nicht immer funktioniert. Industrie und Teile der Wissenschaft hatten gehofft, dass Genome Editing-Verfahren auch von der Ausnahmeregelung der EU-Freisetzungsrichtlinie erfasst werden könnten. So wären ihnen die mit der Gentechnik-Regulierung verbundenen Maßnahmen erspart geblieben. Diese Hoffnung hat sich vorerst zerschlagen.

Vergleichbare Risiken

Aber auch in der Frage, inwieweit mit gentechnisch veränderten Organismen Risiken verbunden sein können, nehmen die RichterInnen des EuGH - insbesondere mit Verweis auf die Ausführungen des vorlegenden französische Gerichts - Stellung: Die RichterInnen sind der Meinung, dass sich die

„mit dem Einsatz dieser neuen Verfahren/Methoden der Mutagenese verbundenen Risiken aber als vergleichbar mit den bei der Erzeugung und Verbreitung von GVO durch Transgenese auftretenden Risiken erweisen [könnten]“.

Mit „neuen Verfahren/Methoden der Mutagenese“ sind alle die Verfahren/Methoden gemeint, die zum Zeitpunkt der Verabschiedung nicht schon „seit langem als sicher“ gelten. Grund dafür sei zum einen

„dass mit der unmittelbaren Veränderung des genetischen Materials eines Organismus durch Mutagenese die gleichen Wirkungen erzielt werden können wie mit der Einführung eines fremden Gens in diesen Organismus, und zum anderen, dass die Entwicklung dieser neuen Verfahren/Methoden die Erzeugung genetisch veränderter Sorten in einem ungleich größeren Tempo und Ausmaß als bei der Anwendung herkömmlicher Methoden der Zufallsmutagenese ermöglicht“.2

Mutagenese = Gentechnik

Grundsätzlich stellte der EuGH mit seinem Urteil auch fest, dass die sogenannten Mutagenese-Verfahren gentechnische Verfahren sind und also entsprechend des Gentechnikrechts der EU reguliert werden müssen.
Das Gericht hatte die Aufgabe, zu klären, was aus einer Ausnahmeregelung für bestimmte Mutagenese-Techniken überhaupt folgt. Wenn Gentechnik-Verfahren unter dem Dach des EU-Gentechnikrechts reguliert werden, könnte man aus einer solchen schließen, dass die (klassischen) Mutagenese-Verfahren auch unter diesem Dach reguliert werden, oder, dass sie - ganz im Gegenteil - außerhalb davon stehen. Auch wenn es banal klingen mag, dem französischen Gericht war dies offenbar nicht klar genug - andernfalls hätte es diese Frage nicht aufgeworfen.

Rechte der Mitgliedstaaten

Last but not least entschied der EuGH, dass diejenigen Mutagenese-Verfahren, die eine Ausnahmegenehmigung besitzen und damit von der Regulierung durch Zulassungsverfahren, Kennzeichnung und Beobachtung ausgenommen wurden, auf der Ebene der EU-Mitgliedstaaten wiederum reguliert werden können. Das war bisher nicht der Fall. Die Mitgliedstaaten müssen dabei die Regeln des freien Warenverkehrs in der EU beachten. Da der freie Warenverkehr innerhalb der Grenzen der EU einen hohen Stellenwert einnimmt, und die europaweit vereinheitlichte Regulierung der Agrar-Gentechnik Teil der Harmonisierung innerhalb der EU ist, ist davon auszugehen, dass den Mitgliedstaaten enge Grenzen gesetzt sein dürften.

EuGH und NGO auf einer Linie

Im Großen und Ganzen deckt sich die Interpretation des EU-Rechts, wie sie jetzt vom EuGH vorgelegt wurde, mit derjenigen vieler Nichtregierungsorganisation aus den Bereichen Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutz. Im Zentrum steht die Umsetzung des Vorsorgeprinzips durch die Gentechnik-Regulierung.

 

  • 1Eine weitere Technik, die in der Freisetzungsrichtlinie explizit erwähnt wird, ist die Zellfusion.
  • 2Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 25.07.18 in der Rechtssache C-528/16.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
246
vom August 2018
Seite 26 - 27

Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.

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