Gentechnik auch in Zukunft strikt regulieren!

Positionspapier anlässlich der EU-Kommissionsstudie zu neuen Gentechniken

Ende April wurde eine Studie der EU-Kommission zur Regulierung der neuen Gentechnikverfahren veröffentlicht. Insgesamt 94 Organisationen, darunter auch das Gen-ethische Netzwerk (GeN) haben zu diesem Anlass ein Positionspapier verfasst.

Pflanze auf dem Feld

Über 80 Prozent der Verbraucher*innen in Deutschland lehnen Gentechnik auf dem Acker ab. Foto: gemeinfrei auf pixabay.com

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2018 ist eindeutig: Neue Gentechniken wie CRISPR-Cas sind Gentechnik im Sinne des europäischen Gentechnikrechts und müssen in der Folge auch als solche reguliert werden.1 Deshalb müssen gemäß dem EU-rechtlich verankerten Vorsorgeprinzip Maßnahmen zum Schutz von Umwelt und menschlicher Gesundheit ergriffen werden. Industrie und gentechnikfreundliche Politiker*innen jedoch lobbyieren seit Jahren dafür, neue Gentechnikverfahren wie CRISPR-Cas von der Gentechnik-Gesetzgebung auszunehmen. Damit wollen sie die derzeitige Definition von Gentechnik aufweichen. Das gefährdet die Wahlfreiheit und die Sicherheit von Mensch und Umwelt. Wege hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft würden so langfristig behindert oder gar verbaut.

Regulierung und Kennzeichnung müssen beibehalten werden!

Im November 2019 beauftragte der Europäische Rat die EU-Kommission mit der Erstellung einer Studie zur Überprüfung des EuGH-Urteils.2 Das Urteil sollte bewertet und Wege zur Einhaltung sowie zukünftigen Sicherstellung der EU-Gentechnik-Gesetzgebung sollten dargelegt werden. Anlässlich der Veröffentlichung dieser Studie Ende April 2021 haben sich insgesamt 94 Organisationen, darunter auch das GeN, zusammengetan, um auf die Risiken einer Deregulierung hinzuweisen.3 Die Forderung: In Deutschland und auf europäischer Ebene sollen alle vorhandenen wie künftigen Gentechnikmethoden und die daraus entstehenden gentechnisch veränderten Organismen (GVO) weiterhin unter dem bestehenden EU- Gentechnikrecht reguliert und gekennzeichnet werden.

Auszug aus dem Positionspapier:

Die Gentechnikfreiheit Deutschlands und Europas ist bedroht! Wir Verbände, Organisationen, Institutionen und Stiftungen aus den Bereichen Umwelt-, Tier- und Naturschutz, Entwicklungspolitik, Kirchen, Verbraucherschutz, soziale Gerechtigkeit, Landwirtschaft, Züchtung, Saatguterzeugung, Erhaltung der Nutztier- und Kulturpflanzenvielfalt, Lebensmittelwirtschaft, Lebensmittelhandwerk und Imkerei sowie Jugendbewegungen, Initiativen aus der Klimaschutzbewegung und aus den Bewegungen für sozial und ökologisch verantwortungsvolle Ernährungssysteme stehen zusammen für Umwelt- und Verbraucherschutz. Unser Standpunkt ist klar: Gentechnik ist Gentechnik. Wir fordern die Bundesregierung auf, in Deutschland und auf europäischer Ebene alle vorhandenen wie künftigen Gentechnikmethoden und die daraus entstehenden gentechnisch veränderten Organismen (GVO) weiterhin unter dem bestehenden EU-Gentechnikrecht zu regulieren und zu kennzeichnen.

Denn:

  • Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Juli 2018 klargestellt, dass auch neue Gentechnikverfahren Gentechnik im Sinne des europäischen Gentechnikrechts sind. Deshalb müssen gemäß dem EU-rechtlich verankerten Vorsorgeprinzip Maßnahmen zum Schutz von Umwelt und menschlicher Gesundheit ergriffen werden.
  • Weiterhin lehnen über 80 Prozent der Verbraucher*innen in Deutschland Gentechnik auf ihrem Teller und auf dem Acker ab, wie auch die aktuelle BfN-Natur­bewusst­seins­studie bestätigt.4 Deshalb setzen sich Gentechnik-Befürworter*innen dafür ein, dass gentechnisch veränderte Produkte ohne Kennzeichnung auf unsere Teller kommen.
  • Neue Gentechniken, wie z.B. CRISPR-Cas, können tief in das Erbgut lebender Organismen eingreifen und dieses grundlegend verändern. So können mehrere Gene in demselben Organismus gleichzeitig oder nacheinander manipuliert werden. Mit dieser neuen Dimension der Eingriffstiefe ins Genom sind große Risiken für Mensch, Tier und Umwelt verbunden. Auch die Geschwindigkeit, mit der sich Mutationen erzeugen lassen, erhöht das Risikopotenzial von CRISPR-Cas und anderen neuen Verfahren. Die grundsätzlichen Probleme der Gentechnik, wie die Auskreuzung, Kontamination und Nicht-Rückholbarkeit, bestehen bei der neuen Gentechnik weiter.
  • Sogenannte Gene Drives sind ein Extrembeispiel für die zusätzlichen Risiken und das Missbrauchspotenzial neuer Gentechnik. Mit ihnen sollen erstmals auch wildlebende Arten jenseits der Landwirtschaft gentechnisch manipuliert werden. Eines der erklärten Ziele ist die Ausrottung unliebsamer Arten oder ganzer Populationen. Einmal freigesetzt, ist die gentechnische Kettenreaktion der Gene Drives nicht mehr rückholbar und zu kontrollieren. Im schlimmsten Fall führt dies zum Kollaps ganzer Ökosysteme.
  • Ökologische und konventionell wirtschaftende Betriebe haben ein Recht auf gentechnikfreie Erzeugung. Ökolandbau und die konventionelle Land- und Lebensmittelwirtschaft ohne Gentechnik sind weltweite Wachstums- und Hoffnungsbranchen. Sie bieten Bäuer*innen sichere Absatzmärkte und Perspektiven für ihre Betriebe. Die gentechnikfreie Züchtung, Saatguterzeugung, Land- und Lebensmittelwirtschaft und der Handel sind auf die Kennzeichnung von GVO, auf die Transparenz und Rückverfolgbarkeit sowie auf die Koexistenz- und Haftungsregelungen angewiesen, die das Gentechnikrecht vorschreibt.

Hinzu kommt, dass die Versprechungen der Gentechnik-Befürworter*innen falsch sind und in die Irre führen. Denn genmanipulierte Pflanzen tragen nicht zur Klimaanpassung der Landwirtschaft oder zur Pestizidreduktion bei. Stattdessen verbaut die Konzentration auf technische Lösungen den Weg zu einer dringend benötigten Ökologisierung der Landwirtschaft. Nicht die gentechnische Optimierung weniger anfälliger Hochleistungsexemplare, sondern eine möglichst große Vielfalt an Sorten und Rassen sowie vielfältige Anbausysteme sorgen für eine optimale lokale Anpassung und minimieren das Risiko von Missernten und Krankheiten. Vor dem aktuellen Hintergrund des größten Artensterbens seit dem Verschwinden der Dinosaurier müssen wir dringend die genetische Vielfalt, die Vielfalt an Rassen und Sorten sowie die der Lebensgemeinschaften fördern.

Gentechnik dient dagegen als Werkzeug der Aufrechterhaltung der exportorientierten, klima- und biodiversitätsschädigenden Ausrichtung auf industrielle Landwirtschaft und industrielle Tierhaltung.

Denn mit neuen gentechnischen Verfahren wie CRISPR-Cas soll ein Agrarsystem fortgeschrieben werden, das viele der Probleme geschaffen hat, mit denen die Landwirtschaft heute konfrontiert ist. So zählt die industrialisierte Landwirtschaft zu den großen Emittenten von Treibhausgasen und trägt zu Bodendegradation und weiteren Umweltbelastungen bei. Gerade in Kombination mit Gentechnik ist sie für den massiven Einsatz von Pestiziden und den Verlust der (Agro-)Biodiversität verantwortlich.

Solange sich Forschung und Politik einseitig auf Gentechnik ausrichten und Milliarden für die Entwicklung von GVO vergeben, werden andere Entwicklungspfade verbaut. Mit den neuen Gentechniken rollt eine weitere Welle der Patentierung von Lebewesen und deren Eigenschaften sowie der Methoden ihrer Manipulation an, die zu einer noch größeren Konzentration des Agrarmarktes in den Händen weniger Konzerne führt. Im globalen Süden erzeugen Bäuer*innen etwa 85 Prozent allen Saatgutes außerhalb des kommerziellen Marktes. Diese bäuerlichen Saatgutsysteme sind durch Anbau oder Importe von Gentech-Pflanzen, durch hohe Lizenzgebühren für Patente und das Verbot von Nachbau gefährdet.

Wir fordern deshalb:

  • Die weitere strikte Regulierung, auch der neuen Gentechniken, unter dem bestehenden EU-Gentechnikrecht.
  • Auch für mit neuen Gentechniken veränderte Organismen müssen weiterhin Zulassungsverfahren mit umfassender Risikoprüfung gelten. Gemäß dem Vorsorgeprinzip müssen dabei die technologiebedingten Risiken bewertet werden.
  • Die Sicherung von Wahlfreiheit und Transparenz für Verbraucher*innen, Bäuer*innen, Imker*innen, Züchter*innen, Saatguterzeugung, Lebensmittelunternehmen und Handel sowie die Aufrechterhaltung von Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit und Haftung für Gentechnik-Produkte.
  • Die schnelle Entwicklung von Nachweisverfahren auch für neue Gentechnik und die konsequente Kontrolle von Importen auf gentechnisch veränderte Pflanzen, Tiere und Produkte.
  • Ein globales, öffentlich zugängliches Register, das transparente Informationen über alle GVO enthält, die freigesetzt, angebaut oder vermarktet werden.
  • Die Ökologisierung der gesamten Landwirtschaft (und der vor- und nachgelagerten Bereiche) – dazu braucht es den Ausbau systemorientierter, lösungsbasierter Ansätze für ökologischere, nachhaltige, sozial gerechte und selbstbestimmte, klima- und biodiversitätsfreundliche Ernährungssysteme.
  • Das Ende von gentechnisch veränderten Herbizid-­toleranten und Insektizid-produzierenden Pflanzen.
  • Ein Verbot von Gentechnik für die Tierzucht. Wir brauchen eine tiergerechte Haltung und eine entsprechende Züchtung – statt massenhafter Tierversuche, die der Anpassung der Tiere an krankmachende Höchstleistungsziele mit Hilfe neuer Gentechnikmethoden dienen sollen.
  • Eine angemessene Förderung der Erforschung und Entwicklung agrarökologischer Systeme und Anbaumethoden und ihrer regionalen Anpassung und Umsetzung, sowie der ökologischen und herkömmlichen gentechnikfreien Züchtung.
  • Ein Verbot von Patenten auf Leben. Konzerne dürfen sich nicht die Jahrtausende andauernde züchterische Arbeit von Bäuer*innen und regionalen Züchter*innen aneignen.
  • Keine Freisetzung von Gene Drive Organismen in die Natur! Zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Biodiversität braucht es ein globales Moratorium auf die Anwendung der Technologie, mit der wild lebende Arten durch gentechnische Varianten ersetzt, dezimiert oder ganz ausgerottet werden sollen.
  • Biodiversitätsverlust stoppen und genetische Vielfalt, Artenvielfalt und Vielfalt an Lebensgemeinschaften erhalten und fördern.
  • 1Europäischer Gerichtshof (2018): Urteil in der Rechtssache C‑528/16. Online: www.kurzelinks.de/gid257-pn [letzter Zugriff am 19.04.21].
  • 2Europäischer Rat (2019): Beschluss 2019/1904. Online: www.kurzelinks.de/gid257-po [letzter Zugriff am 19.04.21].
  • 3Das vollständige Positionspapier sowie die Liste aller Unterzeichner*innen kann unter www.gen-ethisches-netzwerk.de eingesehen werden.
  • 4Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und Bundesamt für Naturschutz (2020): Naturbewusstsein 2019. Bevölkerungsumfrage zu Natur und biologischer Vielfalt. Online: www.kurzelinks.de/gid257-ps [letzter Zugriff am 21.04.21].
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
257
vom Mai 2021
Seite 23 - 25

Pia Voelker ist war bis August 2022 Redakteurin des GID und Mitarbeiterin im GeN.

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Cover Positionspapier 2021

Gemeinsames Positionspapier: Gentechnik strikt regulieren!

Das gesamte Positionspapier mit allen Unterzeichner*innen finden Sie hier.