Labor Globaler Süden

Biotechnologie in der Entwicklungszusammenarbeit

Es gibt einen historischen Zusammenhang zwischen Bio-, Gen- und Fortpflanzungstechnologien mit der sogenannten Entwicklungszusammenarbeit. Welche Kontinuitäten kolonialer Machtstrukturen und Interessenkonflikte finden sich in internationalen Kooperationen zwischen Forschung, Politik und Konzernen? Und warum und an welchen Stellen ist dies ausgesprochen problematisch?

Nahaufnahme eines Auges. In der Pupille wird die Weltkugel angedeutet.

Es wird dringend Zeit im GID MAGAZIN mal wieder einen kritischen Blick auf Entwicklungszusammenarbeit zu werfen. Foto: gemeinfrei auf pixabay.com (4089118)

Im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt 2024 wird von Rekordinvestitionen gesprochen – insgesamt 70,5 Milliarden Euro wurde veranschlagt – unter anderem 4,8 Mrd. Euro für Bildung und Forschung, 16,3 Mrd. Euro für die Schieneninfrastruktur, 15,6 Mrd. Euro für die Verteidigung, 1,4 Mrd. Euro für Umwelt und Naturschutz. Diese Rekordinvestitionen gelten aber nicht für alle Bereiche: In der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) und humanitären Hilfe wurde drastisch gekürzt. Der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) wird um fast zehn Prozent (minus 940 Millionen Euro) gegenüber 2023 beschnitten und der Etat für humanitäre Hilfe verringert sich um fast 20 Prozent (minus 500 Millionen Euro).1Die mittelfristige Finanzplanung sieht ab 2025 weitere Kürzungen in Milliardenhöhe vor. Dies ruft zum einen Besorgnis und harsche Kritik hervor, beschwört aber in der Debatte auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit internationaler EZ herauf. Um die Frage grundlegender Sinnhaftigkeit der EZ wird es in diesem Schwerpunkt nicht gehen. Es sollen aber einige der ambivalenten Zusammenhänge und problematischen Aspekte im Kontext von Biotechnologien aufgezeigt und erörtert werden.

Was ist der Motor für EZ?

Entwicklungszusammenarbeit (EZ) hat die Aufgabe, den Menschen die Freiheit zu geben, ohne materielle Not selbstbestimmt und eigenverantwortlich ihr Leben zu gestalten und ihren Kindern eine gute Zukunft zu ermöglichen. […] Sie fördert eine sozial gerechte, ökologisch tragfähige und damit nachhaltige Gestaltung der Globalisierung.“, so die Beschreibung auf der Webseite des BMZ.2 Das Ministerium ist vor allem zuständig für langfristige Strategien, aber auch für strukturbildende Übergangshilfen in der EZ. Bei akuten Krisen ist vorrangig das Auswärtige Amt (AA) für die humanitäre Hilfe zuständig. Die Arbeit der beiden Ministerien geht aber immer Hand in Hand. 
EZ in Deutschland ist maßgeblich auch Sicherheitspolitik. Zwar werden politische Konflikte oder gar Kriege durch EZ nicht unbedingt gelöst, und weder ziviles noch militärisches Engagement sind ein Garant für Sicherheit, aber Deutschland will mitgestalten, will Einfluss nehmen – auch und vielleicht gerade auf Länder im Globalen Süden. Grundlegendes Ziel der Entwicklungspolitik ist es, Lebensbedingungen zu verändern, zu verbessern. Dafür werden auch Dialoge mit Regierungen und Institutionen in Ländern mit internen kriegerischen Konflikten oder autokratischen Regierungen angestrebt. Dabei geht es aber auch um Ansehen und um einen bestimmten Status im internationalen Kontext. Mit Blick auf die langfristige EZ stellt sich daher immer wieder die Frage, welche Themen in den Fokus gerückt werden sollten oder müssten – beispielsweise weniger Armutsbekämpfung, dafür mehr Klimaschutz? Bisweilen bedient die EZ weltweit viele Themen gleichzeitig ohne einen bestimmten Fokus. Wenn aber, wie beispielsweise im Bundeshaushalt 2024, die Gelder für EZ gekürzt werden, wird es früher oder später zu Beschränkungen in bestimmten Arbeitsfeldern kommen müssen. Hier zeigt sich dann deutlich der Einfluss anderer, privater Geber, wie beispielsweise zivilgesellschaftliche Organisationen, große Stiftungen und Konzerne.
Verstrickungen zwischen Profitinteressen großer Konzerne und EZ hat das Gen-ethische Netzwerk (GeN) schon seit Jahren immer wieder angemahnt. Beispielhaft zum Thema Bevölkerungspolitik hier ein Auszug aus einer Pressemitteilung des GeN vom 26. Mai 2015: „Nichtregierungsorganisationen und ein Kasseler Hochschulfachgebiet protestieren dagegen, dass das Pharmaunternehmen Bayer HealthCare das Revival bevölkerungspolitischer Ziele in der Entwicklungspolitik dazu nutzt, um das Verhütungsimplantat Jadelle weltweit massiv zu verbreiten. Unter dem Namen Jadelle Access Program bietet der Konzern seit 2012 das fünf Jahre wirksame Hormonimplantat verbilligt an die Entwicklungsprogramme an, im Tausch für eine Abnahmegarantie von 27 Millionen Implantaten innerhalb von sechs Jahren. Zielgruppe sind insbesondere Frauen in denjenigen ländlichen Regionen Afrikas, in denen es keine oder kaum medizinische Infrastruktur gibt.“3

Im Schwerpunkt dieser Ausgabe

Der Schwerpunkt dieser Ausgabe ist insofern etwas Besonderes, als dass er die beiden großen Themenbereiche des GeN, Mensch und Medizin und Landwirtschaft und Lebensmittel, miteinander verbindet: Denn ein kritischer Blick auf EZ beschäftigt sich mit Reproduktionstechnologien und Konzernen ebenso wie mit Ernährungssouveränität und Eingriffen in Ökosysteme. Die Artikel bieten keinesfalls einen Rundumblick, sondern lediglich punktuelle Blitzlichter, die einen Anstoß zur Debatte und mehr Austausch zu dem Thema ermöglichen sollen. 
Jonte Lindemann gibt im ersten Artikel dieses Schwerpunkts einen einführenden Überblick, von historischen Kontinuitäten, Machtdynamiken und Interessenkonflikten. Das Feld der EZ ist groß und vielfältig, doch die Grundausrichtung entspringt einer kolonialen Logik und einem Dichotomiedenken, das zwischen fortschrittlich/rückständig bzw. entwickelt/unterentwickelt unterscheidet. Diese Bewertungen sind soziale Konstrukte des Westens, die bestimmten Mustern und Kontinuitäten folgen und diese fortsetzen. 
Im Interview mit Tim Schwab berichtet der US-amerikanische Journalist von den Zusammenhängen zwischen Regierungen, Entwicklungsprogrammen und großen privaten Geldgebern, allen voran die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung. Er erläutert wie die finanziellen Eigeninteressen von Bill Gates globale Programme beeinflussen und dadurch maßgeblichen Einfluss auf weltweite Machtdynamiken und konkrete Auswirkungen für die Empfänger*innen haben. Dieser Philanthrokapitalismus richtet seiner Meinung nach mehr Schaden an, als dass er Nutzen bringt.
Im dritten Artikel des Schwerpunkts konzentriert sich Jonte Lindemann auf Biopolitik und Bevölkerungspolitiken im Kontext der EZ. Was eine lange Tradition hat, wird heute eher unter dem Label „Familienplanung“ verkauft. Dahinter steckt aber weiterhin der Mythos der angeblichen Überbevölkerung und Strukturen zur Erhaltung von Macht und Kontrolle. Alternative Erfahrungen, traditionelles Wissen und regionale Besonderheiten werden abgewertet und negiert. Denn an einer globalen Kontrolle von Bevölkerungsentwicklung verdienen besonders Konzerne, die die (pharmazeutischen) Mittel zu eben dieser Kontrolle bereitstellen.
Im abschließenden Artikel von Sabrina Masinjila geht es um Gene Drives. Ein Beispiel, das konkret zeigt, wie Länder des Globalen Südens zum Experimentierfeld für neueste Technologien werden. Unter dem Vorwand der gesundheitlichen Vorsorge werden gentechnisch veränderte Mücken in einzelnen Ländern Afrikas ausgesetzt – ohne dass die Konsequenzen absehbar wären. Zur Eindämmung von Malaria gelten solche technischen Veränderungen und Eingriffe ins Ökosystem als innovative Lösung. Dabei gäbe es etliche andere Ansatzmöglichkeiten, wie eine allgemeine Verbesserung der gesundheitlichen Versorgungslage, besseren Zugang zu Frischwasser etc. Aber an diesen Maßnahmen würden die globalen Player eben nichts verdienen. 
Die Artikel zeigen deutlich, wie verwoben kapitalistische Interessen und technische Innovationen sind und wie der globale Süden als Labor für eben diese Entwicklungen benutzt wird. Diese Dynamiken stellen den Begriff der Entwicklungszusammenarbeit, der an Kooperation auf Augenhöhe denken lässt, deutlich in Frage.

  • 1Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. (23.01.2024): Analyse 2024. Haushalt 2024. Online: www.kurzelinks.de/gid269-jb [letzter Zugriff: 11.05.24].
  • 2BMZ: Lexikon der Entwicklungspolitik. Entwicklungszusammenarbeit. Online: www.kurzelinks.de/gid269-jc [letzter Zugriff: 11.05.24].
  • 3Gen-ethisches Netzwerk (26.05.2015): Pressemitteilung – Verhütungsimplantat Jadelle: Nein zu bevölkerungspolitischen Vermarktungsoffensiven! Online: www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/3046 [letzter Zugriff: 11.05.24].
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
269
vom Mai 2024
Seite 6 - 7

Janina Johannsen ist Mitarbeiterin des GeN und leitet die Redaktion des GID.

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Texte auch auf Englisch

Da die sogenannte Entwicklungszusammenarbeit eine internationale Debatte beinhaltet, werden wir alle Artikel in diesem Schwerpunkt zusätzlich zu dieser Printausgabe des GID MAGAZIN auch als digitales Dossier auf Deutsch und Englisch zur Verfügung stellen. Dies ist dank einer Förderung durch die Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit Berlin möglich. Auf unserer Webseite finden Sie die entsprechenden PDFs. Verbreiten Sie diese gern weiter an potenziell Interessierte.

www.gen-ethisches-netzwerk.de/EZ

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