Wie nachhaltig wird Europas Landwirtschaft?

Zukunftsperspektive für den ökologischen Landbau

Europa 2024: Zentrale Forderungen des Green Deals werden abgelehnt, das Gentechnikgesetz soll dereguliert werden und nach den Europawahlen steht ein politischer Rechtsruck an. Im Interview spricht Dr. Nicolas Lampkin über die Auswirkungen der aktuellen Trends auf die Nachhaltigkeitsziele der europäischen Landwirtschaft.

Portraitaufnahme von Nic Lampkin. Er hat eine Halbglatze und einen grau-braunen 3-Tage-Vollbart. Er trägt ein kariertes Hemd und ein blaues Sakko darüber.

Dr. Nicolas Lampkin. Foto: © privat

Guten Tag, Nic Lampkin. Schön, dass Sie hier bei uns sind. Wollen Sie sich vielleicht kurz vorstellen und uns davon berichten, in welchem Bereich Sie arbeiten?

Gerne. Ich bin über 40 Jahre als Forscher mit ökologischem Landbau beschäftigt. Ursprünglich komme ich aus Großbritannien, aber zurzeit arbeite ich am Thünen-Institut in Braunschweig mit einem Schwerpunkt zu Förderung und Politik im Ökolandbau.

Wenn Sie von Ökolandbau sprechen, was meinen Sie damit und warum stehen Sie für eine ökologische Landwirtschaft ein?

In Europa ist Ökolandbau nach der EU-Verordnung für Ökolandbau definiert. Ein wichtiger Aspekt der aktuellen Debatte ist, dass Ökolandbau oft nur mit einem Verzicht von zum Beispiel Pestiziden oder Stickstoff diskutiert wird, während viele ökologische Kontexte dabei vernachlässigt werden.

Ich sehe Agrarökologie und Agroforst in engem Zusammenhang mit einer ökologischen Landbewirtschaftung – es ist selbstverständlich, dass, wenn wir auf bestimmte Mittel verzichten, wir auch etwas ändern müssen, um die Funktionalität der Systeme weiterhin gewährleisten zu können. 

Landwirtschaftliche Betriebe sind ja bekanntlich sehr unterschiedlich aufgebaut, von großen industriellen Anlagen bis zu kleinen Familienbauernhöfen. Wer betreibt ökologische Landwirtschaft in Europa? 

Es gibt große Unterschiede zwischen den Ländern in der EU, in einigen Ländern gibt es zum Beispiel mehr Kleinbetriebe – wie in Polen. In anderen Ländern wie Großbritannien, und auch Teilen von Deutschland, kommen Großbetriebe eher vor. Ich glaube, es ist möglich, ökologischen Landbau auf Klein- und Großbetrieben zu bewirtschaften. Es kommt nur darauf an, wie man das Anbausystem konzipiert und wie man die ökologischen Aspekte integriert. Es gibt natürlich auch sehr kommerzielle Betriebe, die teilweise sehr spezialisiert sind. Für den ökologischen Anbau, ist das nicht so gut, weil Diversifizierung für die Bewirtschaftung sehr wichtig ist. Aber es ist davon auszugehen, dass große Betriebe potenziell in der Lage sind ökologische Landwirtschaft zu betreiben.

Die Statistik zeigt, dass Ökobetriebe durchschnittlich etwas größer sind als nicht-Ökobetriebe. Das hat damit zu tun, dass die extensiveren Betriebe mit mehr Grünlandfläche1 als Erstes auf Öko umgestellt haben. Sie verwenden üblicherweise weniger Betriebsmittel, haben aber auch mehr Fläche. 

Was sind die Anreize, die Bäuer*innen dazu bringen, Landwirtschaft ökologisch zu betreiben? 

Das ist eine komplizierte Frage. Erstens müssen Landwirt*innen ein Interesse daran haben, ökologisch zu wirtschaften. Normalerweise ist das der Fall, wenn etwas in der konventionellen Bewirtschaftung nicht ganz so richtig läuft. Das kann mit der Tiergesundheit zu tun haben oder im Zusammenhang mit Pestiziden und der eigenen Gesundheit stehen. Es kann auch sein, dass die finanzielle Situation nicht aussichtsreich ist und in der ökologischen Landwirtschaft eine neue Marktmöglichkeit gesehen wird.

Dann ist ein wichtiger Faktor die allgemeine wirtschaftliche Lage. Zum Beispiel waren die Marktaussichten vor zwei Jahren, mit Inflation und dem Start des Ukrainekriegs, eher unsicher. Zu der Zeit waren Betriebe weniger zuversichtlich, auf ökologische Landwirtschaft umzustellen. Dieses Jahr sind die Aussichten etwas besser, weil wir wieder einen Marktzuwachs für Öko-Produkte sehen.

Ein weiterer wichtiger Anreiz kommt durch die Förderungen aus der Politik. Diese müssen entsprechend hoch sein, um die Kosten der Umstellung und die der dauerhaften ökologischen Bewirtschaftung zu decken. Wenn die Förderungen zu niedrig sind, dann können die Betriebe nicht mehr bereit sein, ökologisch zu bleiben, was dazu führen würde, dass Betriebe wieder zurück auf konventionell umstellen. Dieses Problem haben wir aber in letzter Zeit in Deutschland nicht gehabt. 

Wie sehen die finanziellen Anreize in Deutschland und in anderen Europäischen Ländern aus?

Es gibt zwei wesentliche Förderungen. Einerseits die Beibehaltungsprämien, die als Anerkennung dienen, dass man durch die ökologische Bewirtschaftung Umweltvorteile liefert. Sie werden auf der Basis von reduzierten Erträgen und den zusätzlichen Kosten, die die ökologische Landwirtschaft im Vergleich zur konventionellen darstellen, berechnet. Zusätzlich gibt es die Umstellungsprämien, bei denen man davon ausgeht, dass in der Umstellungszeit zusätzliche Kosten entstehen und kein Mehrpreis für Ökoprodukte erzielt werden kann. Diese sind einmalig und normalerweise höher als die Beibehaltungsprämien.

Das Geld dafür kommt von der Europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), die es schon seit den 1990er Jahren als Instrument zur Förderung von Ökolandbau gibt. Aber jedes Land kann entscheiden, wie viel es für die ökologische Landwirtschaft zur Verfügung stellen will. Sie müssen das nur entsprechend rechtfertigen. Das heißt, dass wir große Unterschiede zum Beispiel in den Beibehaltungsprämien sehen, mit Werten von knapp über 100 Euro pro Hektar Ackerfläche in Frankreich und von 200 bis 300 Euro in Deutschland. Das ist nicht einheitlich von Land zu Land und auch innerhalb Deutschlands gibt es von Bundesland zu Bundesland Unterschiede. Wir können jedoch festhalten, dass in Deutschland die finanziellen Anreize grundsätzlich besser sind als in vielen anderen europäischen Ländern.

Letztes Jahr stand insgesamt eine Milliarde Euro für die sogenannten Öko-Regelungen zur Verfügung. 250 Millionen Euro davon wurden nicht wahrgenommen. Was sind Öko-Regelungen und warum wurde ein Viertel des Fördertopfes nicht von Landwirt*innen genutzt?

Öko-Regelungen sind ein neues Instrument der GAP, das 2023 eingeführt wurde. Wie immer, wenn wir neue Förderungsmechanismen haben, ist es notwendig, dass sich Landwirt*innen daran gewöhnen. Insoweit bin ich nicht erstaunt, dass nicht das gesamte Budget wahrgenommen worden ist. Einige der Regelungen sind sicher auch verbesserungsbedürftig. Dazu gibt es schon Überlegungen und die Situation in 2024 und 2025 wird bestimmt anders aussehen.

Hätten Sie konkrete Beispiele, welche Anreize angepasst werden könnten, um Landwirt*innen zur ökologischen Landwirtschaft zu bewegen? 

Einige Fördermaßnahmen werden schon stark von Ökobetrieben in Anspruch genommen, wie die zu Kulturartendiversität und Grünlandextensivierung. Für andere Öko-Regelungen, zum Beispiel die Beibehaltung von Agroforst, ist die Beteiligung eher niedrig gewesen. Das liegt daran, dass wir bisher nicht so viele Agroforstflächen haben. Die Einführung von Agroforst ist eher eine Ländersache, die über Agrarumweltmaßnahmen für jedes Bundesland unterschiedlich finanziert werden. Deswegen muss man darauf achten, dass die Angebote der Länder und die Ökoregelungen auch zueinander passen.

Ein weiteres Beispiel ist die Öko-Regelung zum Verzicht auf Pestizide. Das Problem dabei ist, dass die Betriebe, die Prämien für ökologischen Landbau bekommen, wegen Doppelförderung nichts zusätzlich für ihren Pestizidverzicht bekommen. Wenn die Prämien für Verzicht auf Pestizide zu hoch sind, dann gibt es eine gewisse Konkurrenz. Betriebe können versuchen möglichst viele Prämien, die Aspekte des Ökolandbaus abdecken, einzukassieren, ohne sich als ökologische Landwirt*innen zertifizieren zu lassen. 

Die Öko-Regelungen beziehen sich also nicht nur auf ökologische Landwirtschaft, sondern auch auf industrielle, konventionelle Landwirtschaft – und alle können dadurch Prämien „ergattern“, richtig?

Ja, das ist richtig. Das dient dazu, dass auch nicht-Ökolandwirt*innen mehr für die Umwelt machen können. Sie können ihre Produkte aber nicht als Öko-Produkte vermarkten. Es ist wichtig, dass alle Landwirt*innen die Möglichkeit dazu haben.

Wir brauchen Systeme, die die Umweltbeiträge der einzelnen Landwirt*innen messen und anerkennen. Das haben wir noch nicht. Derzeit sind die Flächen-Prämien für alle gleich, egal wie viel die einzelnen Betriebe tatsächlich für die Umwelt beitragen. Da braucht es noch Verbesserung. Wir haben uns der Aufgabe gewidmet, ein Indikator-System zu entwickeln, um die tatsächlichen Umweltleistungen der Betriebe zu messen, um somit die Förderungen daran anpassen zu können. 

Allerdings hat es sich als schwierig herausgestellt, ein ergebnisorientiertes Indikatorsystem zu entwickeln. Einerseits ist es nicht einfach, die Ergebnisse zu messen, bzw. sind die Kosten dafür oft zu hoch im Vergleich zu der entsprechenden Förderung. Eine Lösung könnte sein, Kompromisse zu schließen, die nicht zu aufwendig für Landwirt*innen und die Verwaltungsstellen sind. Zum Beispiel wenn man Kohlenstoffspeicherung fördern möchte, ist es nicht so einfach, die tatsächlich gespeicherte Kohlenstoffmenge zu messen. Ein Kompromiss könnte sein, dass die Betriebe, die mehr Kleegras in der Fruchtfolge anbauen, Förderungen bekommen, da wir wissen, dass diese Kulturen Kohlenstoff sehr gut speichern können. 

Wie, denken Sie, wird sich der Rechtsruck nach der Europawahl auf die ökologische Landwirtschaft auswirken? 

Ich möchte nicht zu pessimistisch sein, da sich die Situation im Europaparlament nicht so stark geändert hat. Zudem wissen wir, dass die meisten politischen Parteien bereit sind, Ökolandbau zu fördern. Es ist grundsätzlich schwer vorherzusagen, ob eine rechte oder linke Regierung für Ökolandbau gut oder schlecht sein wird. In den letzten Monaten hat die Agrarlobby es in verschiedenen Ländern geschafft, den Ökolandbau zurückzudrängen und es wird in Zukunft schwieriger sein, die Green Deals weiterhin zu verfolgen. Es ist leider in der Politik so, dass wir manchmal Fortschritte, manchmal Rückschritte machen. Ich denke, es könnte vielleicht fünf oder zehn Jahre dauern, bevor wir wirklich neue Initiativen sehen werden.

Allerdings gibt es über die letzten Jahrzehnte eine positive Entwicklung von ökologischem Landbau in Europa, die zu einem anhaltenden Wachstum führt. Wenn wir diese Rahmensituation beibehalten, dann werden wir, trotz Änderungen in einigen Ländern, weitere Fortschritte auf EU-Ebene sehen. Um einige Beispiele zu nennen: die Situation in Frankreich und Österreich ist etwas schwierig, aber wir sehen auch Länder wie Portugal und Irland, wo der Anstieg von Ökolandbau rasch wächst. 

Ökologische Landwirtschaft ist per Definition gentechnikfrei. Wie, denken Sie, wird die Deregulierung der neuen Gentechnik den Ökolandbau beeinflussen?

Um gentechnikfrei zu wirtschaften, können Betriebe durch eine Zertifizierung nachweisen, dass die Sorten, die genutzt werden, nicht gentechnisch verändert sind. Aber Kontaminationen können auch durch benachbarte Felder entstehen und demnach müssen wir anerkennen, dass es in Zukunft schwieriger sein wird, Ökolandwirtschaft zu betreiben. Ob Produkte dann wirklich gentechnikfrei sein werden, ist zweifelhaft – das kann nicht wirklich garantiert werden. 

Was halten Sie von der Aussage, dass molekulare Züchtungsmethoden, wie z. B. Gentechnik, notwendig sind, um die Landwirtschaft klimatauglicher zu gestalten? 

Ich bin nicht davon überzeugt. Das ist eine Art und Weise gentechnisch veränderte Produkte als zukunftsfreundlich zu bezeichnen und wir müssen uns fragen, was an diesem Versprechen wirklich stimmt. Es ist schon möglich, dass wir Vorteile durch diese Technologien erzielen, aber diese sind nicht mit den Auswirkungen von multifunktionalen Systemen zu vergleichen. Systemische Ansätze, wie zum Beispiel der ökologische Landbau, wirken in verschiedene Richtung, um Klimaänderungen zu vermindern. Insgesamt ist das viel mehr als das, was wir mit einzelnen Technologien erreichen werden.

Vielen Dank für dieses wunderbare Gespräch und weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.

Danke ebenfalls.

 

Das Interview führte Pascal Segura Kliesow.

  • 1Grünland: landwirtschaftliche Flächen, auf denen langfristig (>5 Jahre) Gras und ähnliche Futterpflanzen gehalten werden. Das dient dazu, den Boden zu schonen und sich regenerieren zu lassen.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
270
vom August 2024
Seite 30 - 32

Dr. Nicolas Lampkin hat vier Jahrzehnte Erfahrung in der Ökolandbauforschung aus einer umweltpolitischen und ökonomischen Perspektive. Derzeit arbeitet er am Johann Heinrich von Thünen-Institut für Betriebswirtschaft.

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Ökologische Landwirtschaft in der EU

In Europa hängt die Profitabilität im Landwirtschaftssektor stark von finanziellen Förderungen der EU ab. Wer wie viel und für was Geld bekommt, hängt von der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ab. Auf Basis der GAP erstellt jeder europäische Mitgliedstaat einen Strategieplan, der auf die Bedarfe des eigenen Landes eingeht und die Instrumente der EU-Agrarpolitik maßgeschneidert und regional angepasst zum Einsatz bringt. Einerseits sind die Förderungen der GAP dazu da, eine Einkommenssicherung im Landwirtschaftssektor zu gewährleisten und andererseits fördern sie Anbaupraktiken, die Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutzzielen der EU entsprechen.

Im Rahmen des europäische Green Deals hat sich die EU darauf festgelegt, dass der Anteil der ökologischen Landwirtschaft bis 2030 auf 25 Prozent steigen soll. In Deutschland haben sich die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag 30 Prozent Öko-Landbau bis zum Jahr 2030 zum Ziel gesetzt. Um diesen Zielen nachzukommen, vergibt die EU Prämien, die an bestimmte nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken gekoppelt sind. Diese können sowohl von konventionell als auch von ökologisch wirtschaftenden Bäuer*innen in Anspruch genommen werden. Ein Beispiel dafür ist die sog. Ökoregelung, die an sieben verschiedene landwirtschaftliche Praktiken gebunden ist. Zum Beispiel wird der Anbau verschiedener Kulturarten gefördert oder der Verzicht von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln. Ziel ist es, eine nachhaltige Landwirtschaft zu fördern und den Übergang zur ökologischen Landwirtschaft attraktiver zu machen.

In dem Interview wird die Bezeichnung „ökologische Landwirtschaft/Bewirtschaftung“ gleichbedeutend mit unterschiedlichen Formen der nachhaltigen Lebensmittelerzeugung genutzt. Bezeichnungen wie „Öko-Landbau“ oder „ökologische Landwirt*innen/Bäuer*innen“ bezeichnen ein umfassendes System der landwirtschaftlichen Betriebsführung und der Lebensmittelerzeugung, das ökologische Verfahren anwendet, die entsprechend der EU-Öko-Verordnung 2018/848 festgelegt sind. 

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