Ungehörte Stimmen

Frauen und gentechnisch veränderte Baumwolle in Indien

Soziale Folgen werden im Diskurs um Gentechnik in der Landwirtschaft meist ausgeklammert. Dieser Artikel beleuchtet die Rolle der Frauen beim Anbau von gentechnisch veränderter Baumwolle im ländlichen Indien und versucht ihre Stimmen hörbar zu machen.

Ernte der Baumwollfrüchte

Frauen übernehmen den Großteil der Feldarbeit, wie etwa die Aussaat, das Jäten und die Ernte der Baumwollfrüchte. Foto: © FiBL

Seit fast zwanzig Jahren lässt sich die immer bedeutender werdende Rolle von Frauen in der Landwirtschaft beobachten. Auf der UN-Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking hörte Dr. Govind Kelkar, eine der Autor*innen dieser Studie, das erste Mal von der „Feminisierung der Landwirtschaft in Asien“; ein paar Jahre später wurde über diese Entwicklung dann treffender als „die Feminisierung landwirtschaftlicher Arbeit“ geredet. Als unsere Arbeitsgruppe damit begann, zur Rolle und den Rechten der Frauen in der landwirtschaftlichen Produktion zu forschen, nahmen wir die marginalisierte Rolle der Frauen im Bereich der gentechnisch veränderten (gv) Nutzpflanzen, spezifisch in der Produktion von gv-Baumwolle, wahr. Wir beschlossen, in den indischen Bundesstaaten Maharashtra und Rajasthan eine Feldstudie aus gender-spezifischen Perspektive über den Anbau von gv-Baumwolle durchzuführen.1 Im Rahmen der Studie führten wir Interviews und Diskussionen mit Fokusgruppen in den Städten Yavatmal und Wardha, in deren ländlicher Umgebung vornehmlich gv- Baumwolle kultiviert wird. Unsere Ausgangsfrage war dabei, welche Rolle weiblichen Landwirt*innen im Bereich der Produktion von gv-Baumwolle in Indien einnehmen und welche Stimmen zu diesem Thema gehört werden sollten.

Unsere Ergebnisse

Während der Durchführung der Studie stellten wir in den von uns gewählten Gebieten eine gewisse Verunsicherung in Bezug auf gv-Baumwolle fest. In den Gesprächen erfuhren wir, dass Landwirt*innen gv-Baumwolle aufgrund ihrer höheren Produktionskapazitäten gegenüber konventioneller Baumwolle bevorzugten; viele waren jedoch unzufrieden mit dem anschließenden Rückgang des Ertrages. Die Zusammenhänge der gv-Hybriden mit den zu beobachtenden ökologischen Veränderungen, wie dem Auftreten von bestimmten Schadinsekten und Pflanzenkrankheiten, waren ihnen nicht bekannt.

Ein paar Männer berichteten von Fällen gesundheitlicher Probleme bei einigen Tieren, die mit gv-Baumwolle (Blätter oder Samen) gefüttert wurden. Insbesondere Frauen berichteten von negativen gesundheitlichen Auswirkungen durch die Arbeit auf gv-Baumwollfeldern: lang anhaltender Hautausschlag, schwarze Zehennägel, Irritationen der Augen und chronischer Husten waren die Hauptsymptome. Auch wenn diese gesundheitlichen Probleme vor allem von Frauen angesprochen wurden, teilten die Männer diese Erfahrungen und Einschätzungen.

Ein anderer Aspekte, der bezüglich des Anbaus von gv-Baumwolle in den Diskussionen genannt wurde, ist, dass gv-Baumwolle gegenüber den nicht gv-Sorten mehr Dünger aber weniger chemische Pestizide braucht (heute fünf bis sechs Anwendungen, früher bis zu zehn). Die Menge an ausgebrachten Düngern und Pestiziden hängt von den finanziellen Ressourcen der Landwirt*innen ab. Die gv-Baumwolle hat laut den Befragten eine – immer noch – 50-prozentig höhere Produktivität als gentechnikfreie Baumwolle. In den letzten Jahren ist jedoch der Rote Bollwurm zurückgekommen und andere Schadinsekten, Krankheiten und Pilze sind wieder häufiger in gv-Baumwollfeldern aufgetreten. Die unterschiedlichen Perspektiven von Frauen und Männern auf die gesundheitlichen Risiken von gv-Baumwolle war wegweisend für unsere weitere Forschung zu Genderrollen und -verhältnissen im Bereich der Kultivierung von gv-Baumwolle in Indien.

Genderanalyse

Sowohl Männer als auch Frauen arbeiten in den Regionen Maharashtra und Rajasthan auf den Baumwollfeldern, jedoch übernehmen die Frauen den Großteil der Feldarbeit, wie etwa die Aussaat, das Jäten und die Ernte der Baumwollfrüchte sowie zusätzlich alle Aufgaben im Haushalt. Die Männer kümmern sich dagegen hauptsächlich um die Vermarktung des Baumwollertrags. Während der Interviews bestätigten uns Frauen und Männer wiederholt, dass es die Männer sind, die die Entscheidungssouveränität darüber besitzen, welche Pflanzen angebaut und wie viel von der Ernte verkauft wird.
Trotz dieser disproportionalen Verteilung der landwirtschaftlichen Arbeit stellten wir fest, dass Frauen ihre Rechte auf Ressourcen und Wissen gesellschaftlich verwehrt und ihre Stimmen dazu unhörbar gemacht werden.

Tabelle zum Text im GID 259

Unterdrückte Stimmen

Wie die Theoretikerin Ester Boserup in ihrer Arbeit über die Rolle von Frauen in der ökonomischen Entwicklungsarbeit (1989) ausführt, hatten Frauen schon immer eine Schlüsselrolle in traditioneller, aber auch weiterentwickelter, landwirtschaftlicher Produktion inne. Ein Großteil der lokalen und indigenen Wissensbestände über traditionelle Biotechnologie, die zum Beispiel bei der Erhaltung von Saatgut oder der Verarbeitung von Lebensmitteln angewendet werden, ist von Frauen entwickelt. Dieses Wissen blieb jedoch, mit einigen Ausnahmen im Bereich der Medizin, im Kontext der westlichen Vorherrschaft und den damit einhergehenden unternehmerischen Projekten in der landwirtschaftlichen Produktion unbeachtet und ging verloren.2

Im Zuge der Modernisierung und neuen technologischen Entwicklungen wurde der Einsatz von indigenen Wissensbeständen im Bereich der Lebensmittelproduktion zum akademischen Forschungsgegenstand des Globalen Nordens. In den meisten Fällen gingen diese Forschungspraktiken von staatlichen Institutionen im Globalen Süden aus, wo Unternehmen und Firmen mit ihren Forschungsgruppen und Entwicklungsprogrammen zu Wissensproduzenten wurden und so Wahrheitshoheit generierten. Gleichzeitig klammerten die lokalen, profitorientierten ökonomischen Strukturen sowohl die Rolle der Frauen als auch deren indigenes Wissen im Prozess der Produktion neuer „wissenschaftlicher Erkenntnisse“ aus. Diese monopolistische Entwicklung wurde durch traditionelle und moderne Formen patriarchaler Machtstrukturen noch vielschichtiger und führte zu fehlender Anerkennung der Arbeit und des Wissens von Frauen in der landwirtschaftlichen Produktion, welche auch traditionellere Formen der Biotechnologie beinhalten.
Die Landwirt*innen müssen die Hybridsamen, die bei der Kultivierung von gv-Baumwolle verwendet werden, jedes Jahr neu kaufen; auch verbietet die Gesetzeslage das Aufheben von Saatgut für eine Wiederaussaat. In der Konsequenz wird den Landwirt*innen das Recht auf selbstbestimmtes Saatgut-Management verwehrt, dies wiederum beeinflusst ihr traditionelles Wissen über die Erhaltung und Reproduktion von Saatgut und die Entwicklung eigener Strategien des Ressourcenmanagements. Diese Bedingungen sichern dem unternehmerischen Sektor ansehnliche Profite, die durch die Produktion und den Vertrieb der Hybridsaat zu exorbitanten Preisen ermöglicht werden. Das macht es Frauen aus ressourcenarmen, finanziell nicht abgesicherten, landwirtschaftlichen Haushalten extrem schwer finanzielle Verluste zu verkraften, die mit einem potenziellen Ernteausfall einhergehen.

Eine in dieser Hinsicht wichtige Studie beschäftigt sich mit den „geschlechtsspezifischen Unterschieden in der allgemeinen Einstellung zu gentechnisch modifizierten Lebensmitteln“.3 Im Rahmen dieser Studie wurden Daten von über 1.500 Personen evaluiert; dabei wurde deutlich, wie unterschiedlich Männer und Frauen gv-Lebensmittel bewerten: Ungefähr 49 Prozent der Männer stimmten damit überein, gv-Lebensmittel seien „generell sicher“, während nur 30 Prozent der Frauen dieser Position zustimmten. Dieser geschlechtsspezifische Unterschied der Meinungen wurde von den Autor*innen der Studie mit den unterschiedlichen Erfahrungen von Frauen und Männern begründet. Steven Green, einer der Autor*innen, erklärte die verschiedene Wahrnehmung außerdem mit einem männlichen Vertrauen in die Wissenschaft: „Männer haben mehr Vertrauen in die Wissenschaft und Wissenschaftler*innen und sind viel weniger dazu verleitet, sich auf die Risiken in verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen zu fokussieren“.4 Somit sei es wenig überraschend, dass Frauen die Risiken von Umweltverschmutzung, Atomkraft oder der Produktion und des Konsums von gv-Produkten generell höher einschätzen.

Das männliche Wissens-Monopol

Es sind soziale Normen, die im ländlichen und indigenen Indien die Abhängigkeit der Frauen von den Männern und eine übermächtige patriarchale Ideologie aufrechterhalten. Sie lassen die Stimmen von Frauen in der Landwirtschaft, die viel über den Einsatz von gv-Nutzpflanzen zu erzählen hätten, verstummen. Männern hingegen wird „wissenschaftliches und technisches Wissen“ über gv-Baumwolle zugeschrieben, das durch Interaktion mit den Vertreibern von gv-Baumwolle, Landwirtschaftsbehörden und männlichen Bauern-Peergroups weitergegeben wird. Dieses Ungleichgewicht führt dazu, dass Frauen diese Ansichten scheinbar übernehmen. Die zahlreichen Bemühungen von Frauen, mit der sexistischen sozialen Normen zu brechen und die Barriere des Schweigens zu überwinden, endeten schließlich in einer Gesetzeslage, die ihnen Eigentumsrechte an Ländereien und anderen produktiven Ressourcen verwehrt. Diesbezüglich spielt es keine Rolle, ob Frauen auf Feldern mit gv- oder herkömmlichen Nutzpflanzen arbeiten; ihnen wird kein Recht auf Mitentscheidung über den Betrieb zugestanden. Die strukturellen Produktionsbedingungen von gv-Baumwolle bleiben vielmehr überwältigend männlich-hegemonial und „Monsantozentrisch“, dominiert von westlichen Saatgutproduzent*innen.

Das Monopol des Globalen Nordens auf die Produktion von Wissen ist als maßgeblicher Faktor bekannt, der zu globaler Ungleichheit und der Ungleichheit zwischen Einzelstaaten beiträgt. Was aber auch heute noch nicht komplett anerkannt wird, ist die Tatsache, dass das männliche Monopol auf Wissensproduktion ebenso eine Ursache für genderspezifische Ungleichheiten in Familien und größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen des Globalen Südens ist. Sich mit diesem Thema zu beschäftigen und die Fähigkeiten weiblicher Landwirt*innen, Forscher*innen und Techniker*innen sichtbar zu machen, ist daher ein wichtiger Aspekt von Entwicklungsarbeit. In diesem Kontext ist es elementar darüber nachzudenken, wie das traditionelle Wissen über landwirtschaftliche Produktionsprozesse, dass Frauen (und Männer) erworben, weitervermittelt und erhalten haben, auf gendersensible und nachhaltige Weise weiterentwickelt werden kann.
Auch ist definitiv ein tiefergehendes Verständnis dafür notwendig, auf welche Weise weibliches Wissen über landwirtschaftliche Produktion durch akademische und männlich dominierte Diskurse überlagert, deprivilegiert und delegitimiert wurde. Die Prozesse der Wissensproduktion sind denen der unternehmerischen Aneignung landwirtschaftlicher Arbeit sehr ähnlich und hängen eng mit ihnen zusammen. Die Abhängigkeit der Bäuer*innen von den Unternehmen und die mächtigen lokalen Vertriebsstrukturen für Saatgut, Düngemittel und Energie haben die ländlichen Communities in Indien damit angreifbar gemacht.

Dieser Artikel erschien im Englischen am 25.09.2019 auf der Seite der Heinrich-Böll-Stiftung Neu Delhi. Online: www.kurzelinks.de/gid259-dj. Übersetzung: Luise Meck.

  • 1Kelkar, G. et al. (2019): Women and genetically modified crops: Bt cotton in India. Online: www.kurzelinks.de/gid259-dj [letzter Zugriff: 20.10.21].
  • 2Boserup, E. (1989): Woman’s Role in Economic Development. Gower.
  • 3Elder, L./Green, S./Lizotte, M.K. (2018): The Gender Gap on Public Opinion towards Genetically Modified Foods. In: Social Science Journal, Vol. 55, S.500-509, www.doi.org/10.1016/j.soscij.2018.02.015.
  • 4Shipman, M. (2019): Maternal instincts don‘t explain the gender gap on GM foods. Online: www.kurzelinks.de/gid259-di [letzter Zugriff: 28.09.21].
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
259
vom November 2021
Seite 14 - 16

Dev Nathan ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler mit Schwerpunkt auf globale Wertschöpfungsketten, indigene Gruppen und Gender-Verhältnisse. Er ist Leiter der Forschungsabteilung des GenDev Centre for Research and Innovation in Indien. Außerdem ist er Gastprofessor am Institute for Human Development in Indien und Gastforscher am Duke University GVC Center in den USA.   

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Govind Kelkar hat in politischer Ökonomie promoviert, lehrt und forscht zum Thema Gender im asiatischen Raum sowie zu Technologie- und Landwirtschaftsthemen. Sie ist geschäftsführende Direktorin des GenDev-Zentrums für Forschung und Innovation in Indien sowie leitende Beraterin des Rural Development Institute, Seattle (USA); außerdem ist sie Gastprofessorin am Council for Social Development, Neu-Delhi und Beiratsmitglied des „Asia-Pacific Forum on Women, Law and Development“.

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Dr. Rengalakshmi, hat in Agrarwissenschaften promoviert und ist Direktorin für Ökotechnologie bei der M.S. Swaminathan Research Foundation, Chennai, Indien. Sie arbeitet im Bereich der interdisziplinären Forschung zu landwirtschaftlichen Produktionssystemen, Gender und Entwicklungsarbeit im ländlichen Raum.

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Varsha Joshi, hat an der School of Oriental and African Studies, London, promoviert. Sie lehrt als Professorin am Institut für Entwicklungsarbeit in Jaipur, Indien und hat ausführlich über verschiedene Aspekte des sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens in Rajasthan, Indien gearbeitet und veröffentlicht.

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