Iberischer Exzeptionalismus

Spaniens Haltung zu neuer Gentechnik

Im Mittelmeerraum sind die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft besonders stark. Dieser Artikel beleuchtet die Zusammenhänge zwischen den Problemen des spanischen Agrarsystems, den Gründen für Spaniens Pro-Gentechnik-Position und den Risiken, die der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission mit sich bringt.

Luftbild Almeria

In Almería wird Gemüse in Folientunneln angebaut, die jährlich rund 20.000 Tonnen Plastikmüll generieren. Foto: kallerna (CC BY-SA 4.0)

Nur mit der neuen Gentechnik kann die Ernährungssicherheit in Europa langfristig gewährleistet werden. So die Erzählung, die die Europäische Kommission im Rahmen der Verhandlungen über die neue europäische Verordnung zu gentechnisch veränderten Organismen (GVO) verbreitet. Insbesondere Spanien, das die Präsidentschaft der Europäischen Union innehat und traditionell den Einsatz von GVO verteidigt, fördert vehement die Verabschiedung des Gesetzesvorschlags. Was dabei verschleiert wird, sind die enormen wirtschaftlichen Interessen hinter dieser Gesetzgebung sowie die (un)vorhersehbaren Risiken, die mit der unkontrollierten Freisetzung von gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen verbunden sind. Ebenso verhindert ein unhinterfragtes Vertrauen in die Wissenschaft, dem Modell der Agroindustrie – das für viele, wenn nicht für alle Probleme in der Landwirtschaft verantwortlich ist – mit wirklich systemischen und nachhaltigen Lösungen zu begegnen. Die übermäßige Nutzung der Wasserressourcen, die Umweltverschmutzung, u.a. durch überschüssige Düngemittel, und die Abholzung von Wäldern sind nur einige der Folgen des agroindustriellen Ansatzes.

Das Industriemodell der Landwirtschaft in Spanien

Die Landwirtschaft in Spanien spiegelt die Trends des Welternährungssystems wider, das zunehmend auf eine Intensivierung der Lebensmittelproduktion bei gleichzeitiger Reduzierung der Sortenvielfalt setzt. Dieses Modell hat weitreichende Auswirkungen, darunter Umweltzerstörung, soziale Unruhen und die Priorisierung von Wirtschaftlichkeit gegenüber dem Nährstoffgehalt in Lebensmitteln. In Spanien wurde diese Krise in den letzten 60 Jahren durch einen steigenden Einsatz von Düngemitteln und Agrochemikalien sowie eine Mechanisierung der Landwirtschaft zugespitzt. Folgen davon sind versalzte Böden und ein Verlust der Bodenfruchtbarkeit. Der Klimawandel verschärft die prekäre Situation durch weniger Niederschläge und hohe Verdunstung im Zuge von Hitzewellen für einen Sektor, der stark von der Wasserverfügbarkeit abhängt.

Die Bewässerung in der Landwirtschaft macht 85 Prozent des Wasserverbrauchs in Spanien aus. So gibt es in Spanien mehr als vier Millionen Hektar bewässerte Fläche. Hinzu kommt noch die illegale Bewässerung, die auf bis zu 30 Prozent des gesamten Verbrauchs geschätzt wird. Eine kürzlich durchgeführte Studie über illegale Bewässerung in Huelva – einer Region in Andalusien – hat beispielsweise ergeben, dass in der Nähe des Nationalparks Doñana bis zu 1.800 Hektar, also fast 20 Prozent mehr als die genehmigte Fläche, widerrechtlich bewässert werden.1

Die Expansion Spaniens in globale Agrar- und Lebensmittelketten hat den ökonomischen Druck im Agrarsektor erhöht. Die Rentabilität kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe wird zunehmend in Frage gestellt. Es kommt zu einer Entvölkerung des ländlichen Spaniens, da Anreize fehlen, um den notwendigen Generationswechsel voranzutreiben. Seit dem Beitritt zur Europäischen Union ist Spanien zum Obstgarten Europas geworden. Dabei sind die Auswirkungen des spanischen Agrarexportmodells schon heute in den verschiedenen Anbauregionen unverkennbar: Beispielsweise im Plastikmeer von Almería. Dort wird Gemüse in Folientunneln angebaut, die jährlich rund 20.000 Tonnen Plastikmüll generieren, der auf illegalen Müllhalden abgelagert wird. Oder in Murcia, wo der extensive Gemüse- und Obstanbau zu massenhaften Nitratüberschüssen führt, die in die Salzwasserlagune Mar Menor geschwemmt werden und dort ein Ungleichgewicht im Nährstoffgehalt hervorrufen und in der Folge ein Massenfischsterben verursachen. Die Tatsache, dass 17,5 Prozent der gesamten Exporte Spaniens aus dem Agrar-, Ernährungs- und Fischereisektor stammen, verdeutlicht die Relevanz dieses Bereichs für die Gesamtwirtschaft – und die Abhängigkeit der spanischen Wirtschaft von diesem Sektor. Etwa zwei Drittel dieser Exporte waren im Jahr 2022 für die Europäische Union bestimmt. Nord- und Mitteleuropa profitiert also von billigen Lebensmitteln, während Spanien die sozialen und ökologischen Kosten trägt.

Auch im ökologischen Anbau hat sich Spanien, als Reaktion auf die Nachfrage aus dem Norden Europas, in den letzten Jahren zu einem der weltweit führenden Produktionsländer entwickelt. So stieg die Fläche, auf der ökologisch angebaut wird, in Spanien im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent auf über 2.6 Mio. Hektar, womit auf einem Zehntel der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche ökologisch angebaut wird. Rund 242.000 Hektar dieser Fläche wurde 2021 für die Getreideproduktion genutzt. An zweiter Stelle nach dem Olivenanbau, der mehr als 256.000 Hektar umfasste.2 Obwohl der ökologische Landbau keine synthetischen Düngemittel oder Pestizide verwendet, wird beim größten Teil der zertifizierten ökologischen Ackerflächen im Süden Spaniens lediglich auf nicht-synthetisch produzierte Alternativen zurückgegriffen. Die Produktion basiert weiterhin auf Monokulturen und intensivem Export. Dabei wird oft vergessen, dass ökologisch produzierte Produkte aus Spanien auch deswegen so billig sind, weil sich die Betriebe der günstigen Arbeitskraft von überwiegend eingewanderten Arbeiter*innen bedienen, deren Arbeits- und Menschenrechte an vielen Stellen mit Füßen getreten werden. Ein nachhaltiger Wandel hin zu einer auf Ernährungssouveränität basierenden Landwirtschaft ist demnach noch weit entfernt.

Hinter den industriellen landwirtschaftlichen Systemen steckt außerdem ein enormer Energieverbrauch, von der Stickstoffdüngung nach dem Haber-Bosch-Verfahren, über die Mechanisierung des gesamten Anbauprozesses, bis hin zur Verarbeitung und Lieferung an die Endverbraucher*innen. Beispielsweise macht die landwirtschaftliche Produktion rund 34 Prozent des gesamten Energieverbrauchs des Sektors aus, wovon 85 Prozent auf Kraftstoffe, Düngemittel und Futtermittel entfallen. Die restlichen zwei Drittel des Energieverbrauchs sind auf logistische Aktivitäten zurückzuführen.3 Angesichts des prognostizierten Rückgangs in der Energieversorgung für die kommenden Jahrzehnte, ist es wichtig, dass wir das bestehende Agrarmodell so bald wie möglich überdenken.

Die Rolle der alten und neuen Gentechnik in Spanien

In Europa befinden sich derzeit dutzende gentechnisch veränderte (gv) Pflanzen in der Entwicklungsphase. Die einzigen beiden Länder, die innerhalb der EU transgene Pflanzen kommerziell anbauen, sind Spanien und Portugal. Dabei handelt es sich ausschließlich um den MON810-Mais von Monsanto, der das Toxin-Gen des Bacillus Thuringensis enthält, das eine Resistenz gegenüber verschiedenen Larvenarten verleiht. Derzeit werden in 12 der 17 autonomen Gemeinschaften Spaniens rund 70.000 Hektar von MON810-Mais angebaut – jedoch ist der Anbau deutlich rückläufig. Wie sich aus Wikileaks-Berichten von 2010 ablesen lässt, ist ein entscheidender Grund, weshalb die spanische Regierung in der Vergangenheit dem Anbau von gv-Pflanzen zustimmte, dass die US-Regierung eine aktive Lobbykampagne für Gentechnik in Spanien führte.4 Diese von den Vereinigten Staaten verfolgte Strategie hat bis heute nachhaltige Auswirkungen auf nachfolgende spanische Landwirtschaftsministerien gehabt, unabhängig ihrer politischen Ausrichtung. Unter der amtierenden Präsidentschaft der sozialistischen Regierung von Pedro Sanchez hat es Spanien sich zur Priorität gemacht, den Vorschlag der EU-Kommission zur Aufweichung der bestehenden Gentechnikregulierung so schnell wie möglich zu verabschieden. Spanien hat einen engen Zeitplan voller Sitzungen zur Erörterung dieses Gesetzes in den relevanten EU-Gremien zusammengestellt. Ein erstes Ziel ist es, eine Einigung im EU-Agrarrat bis Endes des Jahres – bevor Belgien die kommende Ratspräsidentschaft übernimmt – vorliegen zu haben. Unwahrscheinlicher scheint es, dass es während des spanischen Turnus zu einer endgültigen Abstimmung im Plenum kommen wird. Die spanische Strategie besteht vielmehr darin, die Weichen so zu stellen, dass der Gesetzesentwurf vor den im kommenden Jahr anstehenden Europawahlen verabschiedet wird. Sind die strengen EU-Maßnahmen zum Anbau von gv-Pflanzen erst einmal gelockert worden, können EU-Gelder aus Mitteln der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und dem EU-Forschungsprogramm Horizon zum Anbau von und zur Forschung an gv-Pflanzen genutzt werden. So soll sich, nach Angaben der spanischen Ratspräsidentschaft, die Anzahl an „innovativen“ Projekten mit neuer Gentechnik (NGT) bis 2027 verdreifachen.5

Angesichts der Bedeutung, die die spanische Ratspräsidentschaft in der EU diesem Dossier beimisst, ist es überraschend, dass sich in den Wahlprogrammen der verschiedenen nationalen Parteien keine Erwähnungen dazu finden. Das könnte daran liegen, dass bei den vor Kurzem stattgefundenen spanischen Parlamentswahlen andere innenpolitische Aspekte eine größere Rolle spielten. Die Mehrheitsparteien, die den Einsatz von GVO befürworten, könnten aber ebenso befürchten, dass die überwiegende Mehrheit der spanischen Gesellschaft den Einsatz dieser Technologien ablehnt. Für den spanischen EU-Ratspräsidenten Luis Planas „sind die NGT wichtig, weil sie [...] zu effizienten Pflanzen führen, die an die bestehenden Klimaszenarien angepasst sind“.5 Dass dürre- oder hitzetolerante Pflanzen tatsächlich die Lösung für die Wasserknappheit sind, die in Spanien schon lange Realität ist, ist stark anzuzweifeln. Gv-Pflanzen gab es schon lange vor den neuen Gentechniken in Spanien und auch hier haben sie keinen Mehrwert für die bisherige Strategie zur Klimaanpassung geleistet. Die Versprechen einer schnellen Lösung, die spanische Politiker*innen mit dieser doch nicht so neuen Technologie verknüpfen, scheinen vor der prekären ökologischen Lage, in der sich das Land befindet, extrem unverantwortlich – der eigenen aber auch der europäischen Bevölkerung gegenüber. Vernachlässigt wird, dass die sozioökologische Krise der Landwirtschaft im ausbeuterischen Agrarkapitalismus wurzelt und eine Umstellung der Nahrungsproduktion auf nachhaltige landwirtschaftliche Systeme notwendig ist.

  • 1González R., L./Almazán, A. (2023): Decrecimiento: del qué al cómo. Propuestas para el Estado español. In: Icaria editorial. S.105.
  • 2MAPA (2021): La superficie agraria ecológica se incrementó un 8 % y superó los 2,6 millones de hectáreas en 2021. Online: www.kurzelinks.de/gid267-psku [letzter Zugriff: 05.10.23].
  • 3González R., L./Almazán, A. (2023): Decrecimiento: del qué al cómo. Propuestas para el Estado español. In: Icaria editorial. S.103.
  • 4Amigos de la tierra (20.12.2010): Revelaciones de Wikileaks sobre el Gobierno de España y los transgénicos. Online: www.kurzelinks.de/gid267-pskea [letzter Zugriff: 27.10.23].
  • 5a5bTable.media (07.09.2023): Grüne Gentechnik: Spanien zielt auf Einigung im EU-Rat bis Jahresende. Online: www.kurzelinks.de/gid267-pskeb [letzter Zugriff: 27.09.23].
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
267
vom November 2023
Seite 13 - 14

Diego Bárcena ist Molekularbiologe, Mitglied der spanischen Umweltorganisation Ecologistas en Acción und Besitzer eines ökologischen Bauernhofes in Spanien.

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Elena Alter ist Umwelt- und Politikwissenschaftlerin, koordiniert eine Kampagne von Ecologistas en Acción zu den Folgen der Agrarindustrie im Süden Spaniens und Mitglied eines Gartenkollektivs in Barcelona.

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