Auf der Suche nach dem Offensichtlichen

Zur Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland

Wie soll die Landwirtschaft in Deutschland in Zukunft aussehen? Das ist die zentrale Frage beim Grünbuch-Prozess, den Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) im vergangenen Jahr eingeleitet hat.

Im Rahmen von Diskussionsveranstaltungen, Dialogen und Gesprächen soll die künftige Landwirtschafts- und Ernährungspolitik entstehen. Alle Beteiligten - und das sind nach Auffassung des Ministers alle Bürger, gesellschaftlichen Gruppen, aber auch Verbände und die Kirchen - sind zu einem Dialog eingeladen.

Ob der Minister selbst eine Position oder gar eine Vision für die Zukunft der Landwirtschaft hat, bleibt bislang offen. In seiner kurzen Internetbotschaft formuliert Schmidt: Wir „müssen (...) uns gemeinsam klar werden, was wir von einer Land- und Ernährungswirtschaft erwarten.“ Der Minister konzentriert sich nicht auf einen Schwerpunkt, beispielsweise die Landwirtschaft, die mit ihren unterschiedlichen Anbauformen - konventionell, ökologisch, kleinräumig oder großflächig, bäuerlich oder industriell - und anderen Fragen schon alleine sehr viel Diskussionsstoff liefern würde. Er möchte gleich auch noch die Ernährungswirtschaft beteiligen. Schon hier scheint die Themenvielfalt den Rahmen von aktiver Bürgerbeteiligung zu sprengen. Dass Schmidt dennoch auch die Fragen nach dem Beitrag Deutschlands zur Ernährung der Welt in diesem Prozess bearbeitet sehen möchte, lässt vermuten, dass es gar nicht beabsichtigt ist, praktische Ziele zu erarbeiten. Dies jedenfalls äußern verschiedene TeilnehmerInnen nach den ersten gemeinsamen Sitzungen. Der Minister selbst ist bis auf ein kurzes Grußwort zu Beginn nicht anwesend. Es folgt ein Austausch unterschiedlichster Positionen: Milchpulver-Exporte zerstören die bäuerlichen Strukturen in Afrika - das berichten die vor Ort tätigen entwicklungspolitischen Organisationen. Stimmt gar nicht, kontert der Vertreter des Bauernverbandes. Seine afrikanische Kollegin habe ihm bestätigt, dass es eine enorme Nachfrage gebe.

Die Widersprüche bleiben stehen. Die von Bundesminister Schmidt angekündigte Absicht „Brücken zu bauen zwischen Landwirten und Verbrauchern - für ein besseres Verständnis, für eine größere Akzeptanz und für mehr Transparenz“ bleibt aus. Der Minister ist ja auch schon lange nicht mehr da ... Es stellt sich die Frage, ob der Landwirtschaftsminister die gesellschaftlichen Spannungen in Bezug auf die Ausrichtung der Landwirtschaft am Ende sogar wahrnimmt, selbst aber nicht öffentlich Position beziehen und lieber so dastehen möchte, als würde er die großen Runden moderieren und Leute zusammenbringen?

Glaubt man dem Eindruck von Teilnehmenden, scheint es vielmehr die Absicht des Ministeriums zu sein, die engagierten, zum Teil recht kritischen Organisationen an einen Tisch zu bringen und so über einen längeren Zeitraum zu beschäftigen. Schließlich stehen wir nicht mehr am Beginn der Amtszeit, wo die Ergebnisse eines Grünbuch-Prozesses zur Standortbestimmung und gegebenenfalls Neuausrichtung des Ministers und seines Hauses führen könnten. Schon jetzt kündigt sich die Bundestagswahl 2017 in den ersten Reden von Politikerinnen und Politikern an. Erfahrungsgemäß ist diese Phase einer Legislaturperiode kein Zeitpunkt für die Einführung großer Neuerungen.

Sowieso überflüssig

Natürlich leben wir in Zeiten, in denen weite Teile der Bevölkerung die Beteiligung an politischen Prozessen fordern. Gerade an der Landwirtschaft besteht aktuell ein sehr großes Interesse, auch zur aktiven Teilnahme. Das zeigen die vielfältigen Formen, in denen sich Bürgerinnen und Bürger schon heute einbringen, zum Beispiel auf Veranstaltungen und Demos oder in lokalen Initiativen gegen Massentierhaltung.

Immer wieder sind in den vergangenen Jahren weitreichende Lebensmittelskandale aufgedeckt worden. Hier war es Pferdefleisch in der Lasagne, dort Dioxin in Eiern - das waren Fälle, in denen die Verbraucher betroffen waren. Aber auch wenn ein Skandal sich nicht direkt bis auf den eigenen Teller auswirkt, wird dieser in vielfältigen Berichten in die Haushalte getragen. Da wird über das millionenfache Töten von männlichen Küken und das betäubungslose Kastrieren von Ferkeln berichtet. Es werden Bilder aus Hallen mit zehntausenden Masthähnchen gezeigt, die zum Teil unter ihrem eigenen Körpergewicht zusammenbrechen. Diese Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen. Über den Wahrheitsgehalt, aber vor allem die Übertragbarkeit derartiger Berichte auf die gesamte Landwirtschaft wird lebhaft gestritten. Dass ein Großteil der Bevölkerung solche Zustände sowie die dahinterstehenden Strukturen ablehnt, ist aber schon jetzt ganz ohne Grünbuch deutlich.

Auch im positiven Sinne wird auf mehr Beteiligung gesetzt, zum Beispiel in der Solidarischen Landwirtschaft und in Projekten des urbanen Gärtnerns.

Wir haben es satt!

Jedes Jahr im Januar treffen sich viele zehntausend Menschen in Berlin, um ihren Forderungen für eine zukunftsfähige, gesellschaftlich akzeptierte bäuerliche Landwirtschaft zu überbringen. Immer wieder zieht der Demonstrationszug, dem nicht selten bis zu hundert Bauern mit ihren Traktoren vorausfahren, direkt vor den Türen des Bundeslandwirtschaftsministeriums vorbei. Doch Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt hat nie das Gespräch gesucht. Die deutliche Kritik an der Politik des Ministeriums mussten sich Abteilungsleiter anhören. Sie gaben sich dabei betont freundlich. Für die Übergabe der Forderungen bedankten sie sich aber vor allem nichtssagend. Da hinter dieser jährlichen Demonstration ein breites gesellschaftliches Bündnis von über 100 Organisationen aus Landwirtschaft, Imkerei, Natur-, Tier- und Verbraucherschutz, Entwicklungsorganisationen und dem Lebensmittelhandwerk steht, ist dies eine verpasste Gelegenheit des Ministers, mit den KritikerInnen  ins Gespräch zu kommen.

Das Umweltministerium

Sicher, ein Minister muss Alleinstellungsmerkmale für sich schaffen. Da ist es nicht gut, Ergebnisse aus Studien anderer Ministerien zu übernehmen. Soweit der politisch öffentliche Teil. Als Bürger wünscht man sich dennoch, dass nicht alles von jedem neu erfunden werden muss. So liefert die für ganz Deutschland repräsentative Naturbewusstseinsstudie 2015 des Bundesumweltministeriums auf die Frage nach den Anforderungen an die Landwirtschaft eindeutige Antworten: „Die Bevölkerung steht der Agrarwirtschaft kritisch gegenüber und befürwortet Wandel“, so die zusammenfassende Überschrift. Besondere Bedeutung hat für fast alle Bürgerinnen und Bürger das Wohl der Tiere bei der Nutztierhaltung (93 Prozent, davon 65 Prozent „sehr wichtig“). „Fast genauso häufig wird der Forderung zugestimmt, dass die Landwirtschaft bei ihren Entscheidungen die Auswirkungen auf die Natur berücksichtigen soll (92 Prozent, davon 64 Prozent „sehr wichtig“). (…) Die große Mehrheit befürwortet sowohl strengere Regeln und Gesetze zum Schutz der Natur (83 Prozent, davon 45 Prozent „voll und ganz“) als auch die finanzielle Förderung einer naturverträglicheren Landwirtschaft durch den Staat (74 Prozent, davon 30 Prozent „voll und ganz“).“1

Gentechnik

Derzeit spielt Gentechnik auf deutschen und auch auf europäischen Äckern bis auf wenige Ausnahmen keine Rolle. Zu verdanken ist dies einer schon seit mehreren Jahrzehnten aktiven Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft, die sich klar und eindeutig gegen gentechnisch veränderte Pflanzen und gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel ausspricht. Umfragen zeigen immer wieder, dass über zwei Drittel der Bevölkerung die Grüne Gentechnik ablehnen, in ihr eine Bedrohung der gentechnikfreien Lebensmittelversorgung und die Gefahr von Abhängigkeiten durch Patente von Saatgutkonzernen sehen. Bisher war nicht zu erkennen, dass Schmidt diesen Willen der Bevölkerung nach Gentechnikfreiheit zu einer Grundlage seines Handelns gemacht hat. Im Rahmen der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP, bei denen die USA versuchen, den europäischen Markt für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel noch weiter zu öffnen, beteuert der Minister nur, dass keine Standards abgebaut würden. Konkret zu formulieren, dass es keine Öffnung des europäischen beziehungsweise deutschen Marktes für gentechnisch veränderte Produkte gibt, vermeidet Schmidt.

Vielfältige Initiativen

Es gibt viele weitere Themen in der Landwirtschaft, in denen von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen klare Forderungen formuliert wurden. Da ist der Schutz der Bienen, die auch vom Spritzmitteleinsatz in der Landwirtschaft bedroht sind. Da ist der Nachweis von Glyphosat in nahezu jedem Menschen, der eindeutig auf dessen Einsatz in der Landwirtschaft zurück geht. Die Forderungen nach einem Verbot jedoch verhallen. Spätestens seit der Veröffentlichung des Weltagrarberichtes im Jahre 2008 liegen - wissenschaftlich belegt - Wege zu einer nachhaltigen, weltweiten Landwirtschaft auf dem Tisch, mit denen es gelingen kann, den Welthunger und andere drängende Probleme trotz steigender Bevölkerungszahlen zu besiegen. Wie auch die Initiativen der ökologischen Anbauverbände hin zu einer Ressourcen schonenden, ökologischen Landwirtschaft finden sie wenig Berücksichtigung.

Trotzdem zeigen diese wie noch viele weitere Beispiele: Die aktive Teilnahme der Bevölkerung an der Zukunft der Landwirtschaft und der Herkunft ihrer Lebensmittel hat längst begonnen, ganz ohne den Minister. Das Engagement von Menschen aus der Landwirtschaft selbst und aus anderen Bereichen der Gesellschaft war da, bevor Schmidt kam, und es wird weitergehen, wenn er nicht mehr in Amt und Würden ist. Es ist eine gesellschaftliche Kraft, die sich politisch nicht instrumentalisieren lässt.

Diesem Engagement entgegen stehen die Interessen der Ernährungsindustrie und des Deutschen Bauernverbandes. Beide pflegen enge personelle Verflechtungen. Ihr Interesse an Profiten aus Exporten und immer größer werdenden Strukturen führt die Menschen immer weiter weg von der Herkunft ihrer Lebensmittel und einer direkt erlebbaren Beziehung zum Tier und zur Natur. Zwischen diesen beiden Wegen kann man keine Brücken bauen. Man muss sich entscheiden, auf wessen Seite man steht. Das gilt nicht zuletzt auch für Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt.

  • 1Pressemitteilung des Bundesumweltministeriums vom 27.04.16 aus Anlass der Veröffentlichung der Naturbewusstseinsstudie 2015, im Netz unter www.bmub.bund.de oder www.kurzlink.de/gid236_y. Dort auch weitere Links zur Studie selbst.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
236
vom Juni 2016
Seite 8 - 10

Marcus Nürnberger ist Redakteur der Unabhängigen Bauernstimme, im Netz unter www.bauernstimme.de.

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Grünbuch-Prozess

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt hat im Januar des vergangenen Jahres einen so genannten Grünbuch-Prozess gestartet. Dieser bekam aus Anlass der diesjährigen Internationalen Grünen Woche im Januar in Berlin eine größere Beachtung. Im Rahmen des Prozesses werden verschiedene Veranstaltungen durchgeführt. Dazu zählen zum Beispiel ein Dialog zwischen den VeranstalterInnen der Demonstrationen „Wir haben es satt“, mit der seit fünf Jahren insbesondere gegen Agrarindustrie, Massentierhaltung und Gentechnik protestiert wird, und „Wir machen euch satt“ - die dem Bauernverband nahesteht - oder mehrere Diskussionen mit VertreterInnen der Kirchen. Das Ministerium schreibt: „Im Grünbuch-Prozess werden die Leitlinien der künftigen Landwirtschafts- und Ernährungspolitik erarbeitet.“ Der Grünbuch-Prozess soll im Herbst dieses Jahres enden, seine Ergebnisse werden dann in dem namensgebenden Grünbuch zusammengefasst. Oft folgt auf ein Grünbuch ein Weißbuch, in dem konkrete politische Handlungsoptionen aufgezeigt werden.

(pau)

Weitere Informationen auf der Homepage des Bundeslandwirtschaftsministeriums unter www.bmel.de oder www.kurzlink.de/gid236_z.

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