Qualitätsmärkte erhalten

Deregulierung ginge auf Kosten der vielseitigen Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft

Die Wertschöpfungskette ist seit Jahren darauf eingestellt, Lebensmittel in gentechnikfreier Qualität zu liefern. Auf dem deutschen Markt sind praktisch alle Lebensmittel pflanzlicher Herkunft gentechnikfrei. Das ist vor allem dem EU-Gentechnik-Recht zu verdanken.

Eigentlich könnte es ganz einfach sein: Verbraucher*innen wollen gentechnikfreie Lebensmittel. Unternehmen der Lebensmittelherstellung sowie der Handel haben deshalb ein Qualitätsmanagement entwickelt, das gentechnikfreie Qualität gewährleistet. Eine wesentliche Säule für die Erhaltung dieser Qualitätsmärkte ist das EU-Gentechnik-Recht. Wer diesen rechtlichen Rahmen aufweichen will, würde damit Vorteile für wenige Saatgutunternehmen erkaufen – auf Kosten der Verbraucher*innen und der vielseitigen Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft.

Nachfrage bedienen

Lebensmittelherstellung und -handel sind dem Wunsch der Kund*innen nach gentechnikfreien Lebensmitteln verpflichtet. Die EU-Ökoverordnung 2018/848 verbietet für Lebensmittel aus biologischem Landbau die Verwendung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) und von aus oder durch GVO hergestellten Erzeugnissen in Biolebensmitteln.1 Meinungsumfragen, wie das Ökobarometer des Bundeslandwirtschaftsministeriums, bestätigen immer wieder: Die Gewissheit, dass bei Biolebensmitteln keine Gentechnik – auch nicht in den Futtermitteln – eingesetzt wird, ist ein wichtiger Grund für den Kauf von Bio-Produkten.2 Aber auch auf dem konventionellen Lebensmittelmarkt wird ganz selbstverständlich zu gentechnikfreien Lebensmitteln gegriffen.
Auf dem deutschen Markt sind praktisch alle Lebensmittel pflanzlicher Herkunft gentechnikfrei – denn solche, die Gentechnik enthalten, müssten laut EU-Kennzeichnungsverordnung entsprechend gekennzeichnet sein. Dass sich Lebensmittel mit GVO-Kennzeichnung nicht auf dem Markt durchsetzen konnten, zeigt die Präferenz der Verbraucher*innen sehr deutlich. Um das Angebot sicherzustellen, verlangen Handel und Hersteller*innen auch von den konventionell arbeitenden Bäuer*innen gentechnikfreie Ware. Kennzeichnungspflichtig sind neben Lebensmitteln auch Futtermittel aus Gentechnik. Eine gesetzliche Lücke besteht jedoch derzeit bei Lebensmitteln tierischer Herkunft, sofern die Tiere selbst zwar ohne Gentechnik gezüchtet, jedoch mit Futtermitteln, die Gentechnik-Komponenten enthalten, aufgezogen wurden. Maiskleber oder Sojaprodukte aus gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen sind auf dem weltweiten Futtermittelmarkt weit verbreitet.

Umso beeindruckender ist es, dass das Siegel „Ohne Gentechnik“, welches sicherstellt, dass gentechnikfreie Futtermittel verwendet werden, auf dem Markt ein solcher Erfolg ist.3 Auf dem deutschen Markt sind zurzeit 77 Prozent der Milch mit garantiert gentechnikfreiem Futter erzeugt – vier Prozent sind Bio-Milch und 73 Prozent sind nach den Vorgaben des Siegels „Ohne Gentechnik“ zertifiziert.4 Während „Bio“ ein durch das EU-Recht geregelter gesetzlicher Standard mit behördlich überwachtem Zertifizierungssystem ist, wird das „Ohne Gentechnik“-Siegel über ein professionelles privatwirtschaftliches System zertifiziert.

Angebot sichern

Land- und Lebensmittelwirtschaft sind seit Jahren darauf eingestellt, die nachgefragten gentechnikfreien Qualitäten zu liefern. Doch das ist gar nicht so einfach, denn auf dem Weltmarkt ist in einigen Kulturen (Soja, Mais, Baumwolle, Raps, Zuckerrüben) bereits Ware im Umlauf, die mit Gentechnik hergestellt ist oder die durch gv-Ware kontaminiert ist.

Beispiel: Kanadischer Honig

Der Anbau von gv-Raps ist in Kanada seit einigen Jahren weit verbreitet. Früher war der milde und cremige kanadische Rapshonig beliebt und stand in fast jedem Supermarktregal in Deutschland. Seit 2011 einige Kontaminationsfälle mit Pollen gentechnisch veränderter Rapspflanzen bekannt wurden, ist er so gut wie nicht mehr im deutschen Handel vertreten.5

Beispiel: Sojabohne XtendFlex

Erst im Herbst 2020 hat die EU-Kommission die gv-Sojapflanze „XtendFlex“ als Lebens- und Futtermittel in der EU zugelassen, den Anbau jedoch nicht erlaubt.6 Zu erwarten ist daher eine Ausdehnung des Anbaus dieser Sorte in den USA und Kanada. Die Sojabohne wurde von Bayer auf den Markt gebracht und ist tolerant gegenüber drei wichtigen Herbiziden: Dicamba, Glufosinat-Ammonium und Glyphosat.


Die Beispiele zeigen, dass der Bedarf für ein umfassendes Risikomanagement sowie ein abgesichertes System zur Trennung der gentechnikfreien Ware und Rückverfolgbarkeit durch die ganze Wertschöpfungskette aktueller denn je ist: von der Saatgutgewinnung, über den Saatguthandel, im Anbau, bei der Ernte, beim Transport, Lagerung, in der Verarbeitung, bis zur Abfüllung, und so weiter. Diese Trennung von Warenströmen ist zwar aus der Zertifizierung von Bio-Lebensmitteln bekannt. Sie betrifft aber hier auch konventionelle Lebens- und v.a. Futtermittel, so wie es z.B. in Brasilien bei nicht-gv-Soja aufgebaut wurde. Die Anwesenheit von Gentechnik im landwirtschaftlichen Umfeld oder in Transport- oder Verarbeitungsbetrieben bedeutet im konventionellen aber auch im Bio-Bereich zusätzliche Maßnahmen, da sich gentechnisch erzeugte Veränderungen im Genom einer Pflanze durch Auskreuzungen oder Vermischungen verbreiten können.

Über Kosten reden

In den 2000er Jahren gab es verschiedene Studien zu den Kosten, die eine Koexistenz von GVO- und gentechnikfreiem Anbau für Unternehmen verursachen würde. Das „Co-Extra Projekt“ im 6. EU-Forschungsrahmenprogramm hat verschiedene Szenarien der Koexistenz entwickelt und analysiert.7 Am Beispiel Rapsöl wurde errechnet, dass die Mehrkosten für die Trennung der Produktionswege und die Rückverfolgbarkeit bei 8,3 Prozent des Umsatzes lägen, sobald gv-Raps in der EU angebaut werden würde. Mögliche Verluste durch Rufschädigung im Falle einer Kontamination sind dort jedoch noch nicht eingerechnet – ein erheblicher Mehraufwand! Der Abschlussbericht aus dem Jahr 2009 definiert Zusatzkosten für folgende Maßnahmen in Verarbeitungsbetrieben: Fortbildung der Mitarbeiter*innen, mögliche Unterbrechungen der Produktion zur Risikominimierung, Reinigung der Anlagen, Wertminderung der Ware im Kontaminationsfall, Probenahme und Laboranalysen, Zertifizierung, Monitoring, Versicherungen, höhere Produktionskosten der Rohwaren. Ein Großteil dieses Aufwands in der Qualitätssicherung trifft bereits heute Unternehmen, die mit Importware arbeiten. Eine Studie von 2009 zu den Auswirkungen einer möglichen Aufweichung der Gentechnik-Regulierung beim Saatgut ergab, dass dadurch auf die gesamte Wertschöpfungskette noch einmal erhebliche Zusatzkosten zukämen.8 Diese Ergebnisse lassen sich nicht direkt auf die heute von der EU-Kommission diskutierte Aufweichung des Gentechnik-Rechts übertragen, denn dadurch wären deutlich höhere Kostensteigerungen zu erwarten, zumal sich die Probleme der Rückverfolgbarkeit verschärfen würden. Entsprechende Studien zu Qualitätssicherung, Risikomanagement und Rückverfolgbarkeit sind hier vonnöten.

EU-Gentechnik-Recht als wichtige Säule

Das Gentechnik-Recht mit der EU-Freisetzungsrichtlinie und den Zulassungs- und Kennzeichnungsverordnungen ist eine wichtige Säule dafür, dass Lebensmittelunternehmen überhaupt in der Lage sind, den Verbraucher*innen die nachgefragte Qualität zu vernünftigen Preisen anzubieten. Derzeit sichert die rechtliche Situation in der EU Transparenz und Rückverfolgbarkeit weitgehend ab. Sollten diese Regelungen für die neuen Gentechnik-Verfahren jedoch entfallen, dann fehlen den Verbraucher*innen und der Lebensmittelwirtschaft die rechtliche Rückendeckung und die praktischen Umsetzungsmöglichkeiten.

„Das bedeutet dann, der Gesetzgeber nimmt den Verbraucher*innen aktiv das Recht auf Information. In der Konsequenz werden Unternehmen wie die Terra Naturkost Handels KG Sorten mit unklarem Züchtungsverlauf ausschließen müssen, um ihr Versprechen gegenüber den Kund*innen zu halten. Es käme zu Einschränkungen des Sortiments von aktuell 15.000 Bio-Produkten, die wir nicht akzeptieren. Wir werden der Öffentlichkeit und unseren Kund*innen die Ursachen erklären und Transparenz einfordern”, so Elke Röder vom Bio-Großhändler Terra Naturkost.

Im Herbst 2021 haben daher zahlreiche Handelshäuser aus der konventionellen und aus der Bio-Branche darauf hingewiesen, dass sie die Beibehaltung der Gentechnik-Gesetzgebung fordern, um ihrer Verpflichtung gegenüber den Verbraucher*innen zu Transparenz und Sicherheit der Lebensmittel nachzukommen. Diese Europäische Erklärung des Lebensmittelhandels (9) macht deutlich: Wir brauchen weiterhin eine strikte Regulierung auch von neuen Gentechnik-Verfahren auf dem Markt – für Transparenz und Verbraucher*innenvertrauen!9

  • 1EU-Öko-Verordnung 2018/848, Art. 5f und Art. 11. Online: www.kurze links.de/gid261-pr.
  • 2Ökobarometer des BMEL (2021). Online: www.kurzelinks.de/gid261-ps.
  • 3„Keine Gentechnik“ Siegel: Informationen zu Standards und Zertifizierungssystem. Online: www.ohnegentechnik.org.
  • 4Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH (14.12.21): Milch mit Mehrwert. Online: www.kurzelinks.de/gid261-pt.
  • 5Stiftung Warentest (26.04.12): Gen-Raps Kana­discher Honig im Aus. Online: www.kurzelinks.de/gid261-pu.
  • 6Euractiv (01.10.20): Genetisch verändertes Soja von EU-Kommission zugelassen. Online: www.kurzelinks.de/gid261-pv.
  • 7Bertheau, Y. et.al. (2009): Final Report Summary - CO-EXTRA (GM and non-GM supply chains: their co-existence and traceability). Online: www.kurzelinks.de/gid261-px.
  • 8Stolze, M. / Then, C. (2009): Economic impacts of labelling thresholds for the adventitious presence of genetically engineered organisms in conventional and organic seed. Online: www.kurzelinks.de/gid261-py.
  • 9ENGA (11.10.21): Retailers’ Resolution: European Retailers Take a Strong Stand Against Deregulating New GMOs. Online: www.kurzelinks.de/gid261-pw. [Letzter Zugriff Onlinequellen: 20.04.22]
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
261
vom Mai 2022
Seite 15 - 16

Antje Kölling ist Dipl.Agr.Ing. und leitet die Abteilung Politik bei Demeter e.V.

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