Zwei Milliarden für den Protest

Forum Grüne Vernunft: Freunde, die man auch Gegnern nicht wünscht

Ende Mai fand in Berlin ein bemerkenswertes Pressegespräch statt. Sein Titel: „Nutzung der Grünen Gentechnik ist ethisch geboten!“ Warum sich aus diesem Anlass nicht einmal ganz unvoreingenommen folgende Frage stellen: Wenn die Gentechnik hilft, den Welthunger zu besiegen, dann sollte man sie doch auch anwenden, oder?

Im Mai des Jahres 2009 einigten sich auf einer Studienwoche an der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften in Vatikanstadt 40 Wissenschaftler auf eine politische Stellungnahme zur Grünen Gentechnik. Die 40 Wissenschaftler kamen aus unterschiedlichen Ländern, zum größten Teil aber aus den USA, Großbritannien und Deutschland. Nach der Diskussion wissenschaftlicher Beiträge aus unterschiedlichen Disziplinen zu Gentechnik und Ernährungssicherung waren sie zu der Erkenntnis gelangt, dass die Anwendung der Gentechnik ethisch geboten sei. Die Mehrzahl von ihnen waren Naturwissenschaftler aus dem Bereich der Pflanzenbiotechnologie. Wer hätte gedacht, dass so viele Naturwissenschaftler sich in der philosophischen Disziplin der Ethik auskennen? Die 40 Wissenschaftler hatte der Vater des Goldenen Reis 1 , Ingo Potrykus, ausgewählt. Nun aber, zwei Jahre nach dieser Tagung, war im Mai 2011 in der Landesvertretung Sachsen-Anhalt in Berlin zu einem Pressegespräch eingeladen worden, um die erstmalige Veröffentlichung der Zusammenfassung und die Stellungnahme der 40 ausgewählten Wissenschaftler in deutscher Sprache vorzustellen.2 Potrykus, emeritierter Professor der Pflanzenbiotechnologie, war gemeinsam mit seinem ebenfalls mittlerweile emeritierten Kollegen Klaus Ammann anwesend. In Anbetracht so viel wissenschaftlicher Kompetenz konnte man gespannt sein, welche neuen und originellen Argumente hervorgebracht werden würden. Doch wer gedacht hatte, dass nun nüchterne und sachliche wissenschaftliche Argumente vorgetragen würden, wurde in ein - nun, wie soll man es ausdrücken? - gewisses Erstaunen versetzt. Denn das geheime Ziel der Veranstaltung schien eher gewesen zu sein, so viele Leute wie möglich zu beleidigen. Gleich zu Beginn seines Vortrages beklagte sich Potrykus über die Ignoranz, welche Politiker und Medien den Ergebnissen der Tagung in Rom entgegengebracht hatten. Dabei habe man doch ein überraschendes Resultat erzielt: Die Anwendung der Gentechnik ist ethisch geboten. Dies hätte doch - so die Meinung der engagierten Professoren - zu einem Aufschrei in der Öffentlichkeit führen müssen! Oje, hat Potrykus sich etwa vorgestellt, dass eine einzige wissenschaftliche Konferenz, welche diese nicht besonders neue Behauptung unterstützt, sofort dazu führt, dass alle Leute aufschauen, sich verwundert ansehen und sagen: „Ach was, Gentechnik ist ethisch geboten? Das haben wir nicht gewusst, lasst uns gleich gentechnisch veränderte Samen in den Garten werfen.“ Welche anderen Wissenschaftler erwarten eine vergleichbare Wirkung von ihren Konferenzen? Der Unmut von Potrykus richtete sich sodann gegen eine ganze Reihe von Gruppen: neben den Politikern auch die Medien und die großen Konzerne. Aber zuerst waren natürlich die GentechnikkritikerInnen dran: Diese würden falsche Argumente in der armen unwissenden Bevölkerung verbreiten, beispielsweise über sogenannte „Risiken“ gentechnisch veränderter Pflanzen. Argumente, die schon längst wissenschaftlich widerlegt worden seien und zwar peer-review't!3 Eine ganze „Protestindustrie“ habe sich gebildet. Ein riesiges Budget stehe den gentechnikkritischen Gruppen zur Verfügung, ungefähr zwei Milliarden Euro. Dagegen seien die Budgets der großen Konzerne, die mit der Gentechnik ihre Geschäfte machen, „Peanuts“. Und apropos große Konzerne: Die hätten den Markt monopolisiert und ließen kleinere mittelständische Unternehmen, die ihrerseits ihre Geschäfte mit der Gentechnik machen wollen, nicht hochkommen. Das Geld für die Gentechnikkritiker stamme hauptsächlich von der Regierung und die Medien würden - unwissend wie sie seien - die Argumente der Kritiker unhinterfragt aufnehmen und verbreiten. Ausserdem, so Potrykus weiter, drücke sich die öffentliche Hand vor der Verantwortung gegenüber Landwirten, die verbessertes Saatgut bräuchten. Die Regierung stecke ihr ganzes Forschungsbudget nur in die Sicherheitsforschung, obwohl schon seit Jahren bewiesen sei, dass es keine Risiken gebe. Damit sei es verlorenes und unnütz ausgegebenes Geld.

„Ökofaschisten” und „Genjuden”

Ammann hieb in seiner Rede in die gleiche Kerbe. Die Studien, welche die Kritiker zur Untermauerung ihrer Argumente anführten - zum Beispiel, dass Glyphosat giftig sei 4 - seien äußerst schludrig. Überhaupt hätten Gentechnikkritiker generell kein Fachwissen - wie übrigens die Medienleute und die Leute von der Regierung auch nicht. Die Debatte werde viel zu emotional geführt. Gentechnikkritiker hätten ideologische Positionen. Mit Gentechnikkritikern könne man nicht sprechen. Gentechnikkritiker behaupteten, dass man mit ihm, Ammann, nicht sprechen könne. Ammann könne das nur eine „ökofaschistische Grundhaltung“ nennen und er fühle sich, da häufig attackiert und denunziert, als „Genjude“. Ups, das hat er gesagt. Wenn das nicht emotional war, was war es dann? Waren das gerade sachliche Argumente gewesen für eine Überwindung des Welthungers mittels der Gentechnik? Kann es sein, dass Herr Ammann unter „emotional“ und „sachlich“ etwas ganz anderes versteht als allgemein üblich? Die eingeladenen Medien- und Regierungsvertreter waren kräftig vor den Kopf gestoßen, waren sie doch alle quasi als Dummköpfe und Handlanger der „Protestindustrie“ bezeichnet worden. Ihren Ärger darüber brachten sie deutlich zum Ausdruck. Im letzten Teil der Veranstaltung wurde versucht, das zerschlagene Porzellan wieder zu kitten: Beleidigen habe man niemanden wollen, allerdings müsse man doch mal deutliche Worte gebrauchen dürfen; sogar sie selbst wüssten nicht immer alles - auch wenn sie Professoren gewesen seien und in vielen Bereichen gearbeitet haben; man könne sich doch nur in einem kleinen spezialisierten Bereich seines Forschungsgebietes ein fundiertes Urteil erlauben; das, was gesagt worden sei, sei nur die Sichtweise, die sich ihnen auf Grund ihrer Lebenserfahrung darstelle ... Ammann und Potrykus versuchten, die Leute von den Ministerien mit Lobeshymnen auf die Ministerien und die Medienmenschen mit Lobeshymnen auf ihre Artikel zu besänftigen und fühlten sich - wie sollte es auch anders sein - vor allem unverstanden.

Nicht grün - ohne Vernunft

Eingeladen zu der Veranstaltung hatte das „Forum Grüne Vernunft“. Das „grün“ im Namen ist - man ahnt es schon - dabei weder mit der Partei Bündnis 90/Die Grünen noch mit dem „Grünen Punkt“ zu verwechseln. „Grün“ spielt eher auf das Grün der Pflanzen an, die durch den Einsatz der Gentechnik „verbessert“ werden sollen. Nach der Veranstaltung hatte man den Eindruck, dass auch der Begriff „Vernunft“ im Namen dieses Forums nicht unbedingt das bedeuten muss, was üblicherweise damit gemeint ist: nämlich sich seiner Geisteskräfte zu bedienen, um Beschränkungen der eigenen Sichtweise erkennen zu können. Man konnte die Veranstaltung nur mit einem mitleidigen Herzen für alle anderen Gentechnikbefürworter verlassen. Solche Mitstreiter haben selbst sie nicht verdient.

  • 1Als Goldener Reis wird eine gentechnisch veränderte Reis-Varietät bezeichnet, der ein Gen für die Produktion des Provitamin A (ein Vorläufer-Molekül des Vitamin A) eingesetzt wurde. Mit diesem Reis sollen die Folgen der Vitamin A-Mangelernährung bekämpft werden. Ingo Potrykus hat ihn gemeinsam mit Peter Beyer von der Universität Freiburg entwickelt. Siehe dazu auch den Beitrag „Goldenen Reis überprüfen“ von Christoph Then im GID 192, Februar 2009 (www.gen-ethisches-netzwerk.de).
  • 2Die Zusammenfassung ist nur wenige Seiten lang. Vollständig können die Beiträge zu der Tagung unter folgendem Link eingesehen werden: www.sciencedirect.com/science/issue/43660-2010-999729994-2699796.
  • 3Im Peer-Review-Verfahren werden zum Beispiel Artikel der Fachzeitschriften von KollegInnen der AutorInnen auf Richtigkeit, Plausibilität und wissenschaftliche Methodik geprüft.
  • 4Gerade in den letzten Jahren mehren sich die Hinweise, dass der Herbizidwirkstoff Glyphosat beziehungsweise die Unkrautvernichtungsmittel, in denen es zum Einsatz gebracht wird, sehr viel giftiger - und damit schädlicher für die Umwelt - sind, als bisher angenommen. Zuletzt erschienen Berichte von den Nichtregierungsorganisationen NABU und Testbiotech. Siehe dazu im Magazin dieser Ausgabe unter Materialien und unter „Landwirtschaft und Lebensmittel - Kurz notiert”.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
206
vom Juli 2011
Seite 40 - 41

Birgit Peuker ist Soziologin und lebt in Berlin.

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