Gentechnik durch die Hintertür

RNAi-Pestizide und Deregulierung für die industrielle Landwirtschaft?

Die intensive konventionelle Landwirtschaft lässt sich nicht langfristig fortführen. Nun soll die klima- und biodiversitätsschädigende Intensivlandwirtschaft durch RNAi-Pestizide und die Deregulierung der neuen Gentechnik gerettet werden. Das aber könnte das Ende für Transparenz und Wahlfreiheit sein.

Giftsprüher

Die möglichen Umweltfolgen durch die Anwendung von RNAi-Techniken sind kaum untersucht. Foto: gemeinfrei auf pixabay.com

Wer in den letzten Monaten die Meldungen zur sog. neuen Gentechnik verfolgt hat, konnte eine seltsam schizophren geführte Debatte beobachten. Überschriften wie „Gentechnik: Grüne fordern Umdenken“, oder „Die Gentechnikdebatte ist mit Vehemenz zurück“ vermittelten den Eindruck, die Haltung der Bürger*innen zur Gentechnik habe sich geändert. Das ist jedoch nicht der Fall. Die überwältigende Mehrheit lehnt gentechnisch veränderte Organismen (GVO) in der Landwirtschaft unverändert ab. Laut der repräsentativen Umfrage Naturbewusstsein 2019 des Bundesumweltministeriums sprechen sich 81 Prozent der Bürger*innen für ein GVO-Verbot in der Landwirtschaft aus.1

Politiker*innen aus Union und FDP legen sich für neue Gentechnik ins Zeug: FDP-Chef Lindner fordert ein „Gentechnik-Aktionsprogramm“ und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner wirbt mit „Mehr Gentechnik wagen!“ für CRISPR-Cas-Technologie auf dem Acker. Ein Slogan, der klingt, als sollten die Risiken der Technologie wagemutig ignoriert werden. Neue Studien zeigen hingegen, dass beim Einsatz der Genschere CRISPR-Cas mehr unbeabsichtigte Änderungen vorkommen als bisher angenommen2 und die negativen Auswirkungen genomeditierter Pflanzen auf das Ökosystem größer sind als gedacht.3 Auch die europäische Lebensmittelbehörde EFSA warnt, dass eine Risikobewertung von sog. Genome Editing-Pflanzen notwendig ist, selbst wenn keine neuen Gene eingefügt werden.4

Gentechnik als Pestizidersatz für ein gescheitertes Geschäftsmodell

Warum also versuchen Politik und Lobbygruppen gerade jetzt, Gentechnik im Agrarbereich zu pushen? Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit haben die EU-Staaten die europäische Kommission mit einer Untersuchung zum Rechtsstatus „neuartiger genomischer Verfahren“ beauftragt. Das Ergebnis wurde Ende April von der EU-Kommission vorgestellt. Es könnte eine Deregulierung des Gentechnikrechts einleiten. Am Ende dieses Prozesses könnten gentechnisch veränderte Produkte ohne Kennzeichnungspflicht und ohne Wissen der Verbraucher*innen auf deren Tellern landen.
Wie geschickt die Industrie EU-Institutionen beeinflusst, belegt die Recherche der Nichtregierungsorganisation CEO. In den Gremien hinter PR-Plattformen wie EU-Sage – die wissenschaftlich daherkommen, aber Industriebotschaften verbreiten – finden sich Vertreter*innen von BASF und Bayer.5 Es geht um einen milliardenschweren Markt: die industrielle Intensivlandwirtschaft. Schädlingsanfällige Monokulturen in großflächig ausgeräumten, artenschädigenden Agrarlandschaften und klimaschädliche Massentierhaltung waren ohne chemisch-synthetische Pestizide bisher nicht möglich. Deren Einsatz will die EU-Kommission jedoch bis 2030 um die Hälfte reduzieren. Passiert das, hat die Agro-Industrie ein Problem. 50 Prozent weniger Pestizide würden herbe Verluste für das Geschäftsmodell industrielle Intensivlandwirtschaft bedeuten. Profitieren würde der Ökolandbau, der ohne chemisch-synthetische Pestizide arbeitet. Die Lösung: Gentechnik als Pestizidnachfolger soll dabei helfen, die industrielle Intensivlandwirtschaft weiterhin aufrechtzuerhalten und Gewinne zu sichern.

Ein Modell, das auch für die Politik attraktiv ist. Pestizid­reduktionsvorgaben ließen sich erfüllen, ohne dass man sich mit der Agro-Industrie anlegen müsste. Die Produktion von Ackergiften würde von der Fabrik auf den Acker verlagert, wo Pestizide von gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen hergestellt würden. Riskant daran: weder deren Ausbreitung lässt sich kontrollieren, noch die Giftigkeit der in den gv-Pflanzen produzierten Toxine. Diese kann bis zu 20-mal höher liegen, als jahrelang angenommen wurde.6 Für die Politik sind solche gentechnischen Pestizide jedoch ein Erfolg, da sie helfen, herkömmliche Pestizide zu reduzieren. Ein fragwürdiger Erfolg.

Ein weiterer Grund für das Gentechnik-Lobbying der Industrie sind zunehmende Resistenzen gegen chemisch-synthetische Pestizide. Wie das agrarindustriefreundliche Portal Transgen schreibt, haben die Unternehmen kaum noch neue chemisch-synthetische Pestizidwirkstoffe in der Pipeline. „Die Anzahl neu entdeckter Wirkstoffe tendiert gegen Null“, so Forschungsanalystin Sara Olson. Nach einem Bericht in Nature sind mittlerweile 586 Insektenarten, 252 Beikräuter und 235 pathogene Pilze gegen mindestens einen Pestizidwirkstoff resistent.

RNAi-Gentechnik zum Aufsprühen

Die Agro-Industrie setzt daher auf ein Gentechnik-Produkt, das sich wie ein herkömmliches Pestizid einsetzen, zugleich aber als vermeintlich unschädlich, natürlich und zielgenau verkaufen lässt: RNAi-Sprays könnten der Türöffner zur Erhöhung der Agro-Gentechnik-Akzeptanz in Europa sein. Das größte Problem für die Markteinführung von RNAi-Sprays waren bisher die hohen Kosten. Noch vor vier Jahren kostete ein Gramm RNA bis zu 1.000 US-Dollar. Inzwischen sank der Preis auf unter einen Dollar pro Gramm. Damit ist der Einsatz von RNAi-Sprays in greifbare Nähe gerückt.

RNAi-Sprays basieren auf dem Prozess der RNA-Interferenz (RNAi). Diese tritt bei fast allen Lebewesen mit Zellkern auf und dient der Virenabwehr. RNAi ist in der Lage, Gene abzuschalten. Mit Hilfe doppelsträngiger RNA (dsRNA) imitieren RNAi-Sprays das natürliche Stilllegen von Genen (sog. Gene-Silencing). Dazu wird die dsRNA im RNAi-Spray so konstruiert, dass sie wie der Schlüssel zum Schloss einer bestimmten Boten-RNA (mRNA) im Zielorganismus passt. Dort wird die passende mRNA blockiert, sodass lebenswichtige Proteine nicht mehr produziert werden: Das Schadinsekt stirbt.

Für die Industrie ist die RNAi-Technik auch deshalb interessant, weil sie Gene ausschaltet, das Genom selbst aber nicht verändert. Sie fällt daher nicht unter die EU-­Risikobewertung für GVO. Allerdings gibt es auch noch keine rechtlichen Rahmenbedingungen für dsRNA als Pflanzenschutzmittel. Auch in gv-Pflanzen lässt sich dsRNA herstellen. Doch dafür müssen sie als GVO zugelassen werden. In den USA ist das bereits passiert. 2017 wurde der Gentec-Mais Smart Stax Pro von Bayer als weltweit erste gv-Pflanze, die ein RNAi-Pestizid produziert, zugelassen. Zusätzlich zum RNAi-Mechanismus enthält SmartStax-Pro Fremdgene für Bt-Insektengifte und Herbizidresistenzen. Eine Importzulassung hat Brüssel dennoch erteilt. Und das ist erst der Anfang: Ein US-Zulassungsantrag für ein RNAi-Spray gegen den Kartoffelkäfer ist auf dem Weg. Markteinführung soll 2022 sein. Viele weitere RNAi-Produkte werden in den kommenden Jahren marktreif sein.

RNAi-Gentechnik für die Biene

Eine umfangreiche RNAi-Produktlinie baut Bayer mit dem Spraysystem BioDirect™ auf. Ein RNAi-Spray soll Glyphosatresistenzen in Beikräutern rückgängig machen: Gentechnik-Probleme sollen durch Gentechnik gelöst werden. Eine andere RNAi-Anwendung, die Bienen in einer Zuckerlösung verabreicht werden soll, richtet sich gegen den Bienenschädling Varroa. Das Mittel von Bayer wurde 2019 als erster exogener dsRNA-Wirkstoff bei der US-Umweltschutzbehörde EPA zur Registrierung eingereicht. Unabhängige Studien über die Verträglichkeit bei Bienen, über mögliche Off-Target-Effekte bei Nicht-Zielarten oder über Nebenwirkungen beim Menschen durch dsRNA-Rückstände im Honig gibt es bisher nicht. Das Fehlen von Daten und unabhängigen Studien ist symptomatisch für das unbekümmerte RNA-Risikomanagement der Industrie.

Doch nicht nur als Spray oder integriert in gv-Pflanzen soll RNAi-Gentechnik zum Einsatz kommen. Ein Forscherteam der Universität in Austin, Texas hat das Bienen-Darmbakterium Snodgrasella alvi gentechnisch so verändert, dass es RNAi-Moleküle abgibt, die für zwei Bienenschädlinge, das Krüppelflügelvirus und die Varroa-Milbe, tödlich sind. Paratransgenese nennt sich diese Technik, bei der Mikroorganismen, die symbiotisch mit einem Wirt leben, Zielorganismen genetisch verändern oder sogar töten. Weitere Anwendungen des patentierten Verfahrens sollen Bienen „pestizidresistenter“ oder „effizienter“ machen.7

Eine neue Dimension von Umweltrisiken

Die Freisetzung gentechnisch veränderter RNAi-Bakterien wäre ein unkalkulierbares Risiko für das Ökosystem. Die gv-Bakterien könnten auf andere Bienenvölker, Wildbienen und andere Insekten übertragen werden. Und da „Bakterien außerordentlich schnell mutieren, lässt sich auch nicht ausschließen, dass [sie] die Wirkungen auf den Menschen übertragen, wenn diese die Bakterien aufnehmen“, so der Bienenkundler und Neurobiologe Prof. Randolf Menzel.8 Die Gefahr, dass Gene der gv-Bakterien durch horizontalen Gentransfer auf andere Bakterienstämme übertragen werden, ist wesentlich größer als bisher gedacht. Dies zeigt eine neue Studie der Universität Köln. „Gen-Austausch über Stammesgrenzen hinweg treibt die bakterielle Evolution [sogar] besonders effektiv voran“, so Studienautorin Dr. Fernanda Pinheiro.9 Es sind diese komplexen, unkalkulierbaren Wechselwirkungen des Ökosystems, aufgrund derer Wissenschaftler*innen indirekte RNAi-Gentechnik als „neue Dimension von Umweltrisiken“ bezeichnen.

Rüstungsspirale Resistenzbildung

Die Wirksamkeit des RNAi-Sprays von Bayer gegen Varroa ist begrenzt und es wird nur ergänzend zur herkömmlichen Behandlung empfohlen. Bei Behandlung mit BioDirect™ und einem herkömmlichen Anti-Varroa-Mittel (Apivar) überleben laut Bayer etwa 73 Prozent der durch Varroa infizierten Bienenstöcke.10 Zum Vergleich: Mit Ameisensäure überleben deutlich über 80 Prozent, so Dr. Stefan Berg vom Fachzentrum Bienen. Die RNAi-Behandlung überlebt ein nicht unerheblicher Teil der Milben. Sie trägt so zur Resistenzbildung bei. Das bestätigt auch der Zoologe Robert Paxton: „Am Ende würden wohl auch in diesem Fall einige Milbenpopulationen resistent werden und überleben. Dann müssten wir auch die Bakterien wieder entsprechend gentechnisch umbauen. Es bliebe wohl ein Wettrüsten.“11 Ein Wettrüsten, bei dem die RNAi-Produkte der Industrie unverzichtbar würden. Im äußersten Fall könnten Insekten sogar eine generelle Resistenz gegen synthetische dsRNA entwickeln. Ein mögliches, durch Laborexperimente bestätigtes Szenario: Eine Monsanto-Studie von 2018 beschreibt eine dsRNA-Resistenz, bei der die Darmwände des Maiswurzelbohrers die dsRNA nicht mehr absorbierten.12

Viele Risiken, zu wenige Studien

Zur Herstellung der dsRNA werden gv-Bakterien verwendet. Die dsRNA wird zwar aufgereinigt, doch menschliches Versagen lässt sich nie ganz ausschließen. Die Gefahr besteht, dass mit RNAi-Sprays unbeabsichtigt gv-Bakterien auf Feldern versprüht werden. Unabhängige Studien zum Umweltverhalten der dsRNA in den Sprays gibt es bisher kaum. RNA wird in der Umwelt zwar sehr schnell abgebaut – jedoch zu schnell für die Agrarindustrie. Damit die RNA-Moleküle bevor sie zerfallen von Zielorganismen aufgenommen werden, an Pflanzen haften oder in diese eindringen können, müssen sie zusammen mit Hilfsstoffen und Nanopartikeln versprüht werden. Von Pestizidwirkstoffen wie Glyphosat ist jedoch bekannt, dass die Toxizität solcher Mischungen höher sein kann als die des reinen Wirkstoffes. Diese Gefahr besteht bei RNAi-Sprays, ebenso wie die Möglichkeit der Anreicherung dieser Hilfsstoffe und Nanopartikel in der Umwelt.

Mit Vorsicht zu genießen ist auch die Behauptung der Industrie, dsRNA würde nur auf die Expression der Gene wirken, ohne die Erbsubstanz zu verändern. Die Auswirkungen von RNA-Interferenz sind oftmals nicht vorübergehend. Es wurden bereits epigenetische Veränderungen durch dsRNA beobachtet, die über 80 Generationen weitergegeben wurden.13

Ein weiteres zentrales Versprechen der Industrie ist die selektive Tötung von Schädlingen. RNAi-Sprays seien artspezifisch, da die dsRNA nur auf die passende mRNA des Zielorganismus einwirke. Die ungewollte Stilllegung von Genen bei Nicht-Zielorganismen sei unmöglich. Es stimmt zwar, dass Gene-Silencing nur dann eintritt, wenn eine zur dsRNA passende mRNA-Sequenz vorhanden ist. Allerdings werden Gensequenzen in der Evolution nicht zufällig zusammengewürfelt. Ihre Abfolge ist funktional. Innerhalb der Genfamilien verschiedener Arten finden sich deshalb oft hoch konservierte Sequenz-Übereinstimmungen. Daher ist nicht auszuschließen, dass beim großflächigen Einsatz von RNAi-Sprays auch Nützlinge Schaden nehmen könnten.

Selbst wenn RNAi-Sprays völlig unbedenklich wären, ihr Einsatz als Werkzeug zur Aufrechterhaltung der klima- und biodiversitätsschädigenden, industriellen Intensivlandwirtschaft und Massentierhaltung wäre trotzdem hochproblematisch. Techno-Fixes wie RNAi-Sprays führen die strukturellen Probleme der Agrarindustrie fort und verstellen den Blick auf systemische Lösungen für nachhaltige, sozial gerechte, klima- und biodiversitätsfreundliche Ernährungssysteme.

Gegen „Gentechnik durch die Hintertür“ setzt sich die aktuelle Petition www.biene-gentechnik.de der Aurelia Stiftung ein.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
257
vom Mai 2021
Seite 10 - 12

Bernd Rodekohr betreut den Bereich Gentechnik bei der Aurelia Stiftung, hat visuelle Kommunikation studiert und über drei Jahrzehnte als Konzepter, Texter und Grafik-Designer gearbeitet.

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