Existenzielle Bedrohung für gentechnikfreie Saatgutarbeit
Warum ein Wegfall des aktuellen Gesetzesrahmens fatal wäre
Schon heute ist das Risiko der Verunreinigung durch gentechnisch veränderte Organismen (GVO) ein Problem für die gentechnikfreie Saatgutarbeit. Ein Wegfall des aktuellen Gesetzesrahmens hätte fatale Folgen für die Branche.
Eine Koexistenz von Gentechnik-Anbau und gentechnikfreier Saatgutarbeit bzw. Landwirtschaft ist nicht möglich. Foto: gemeinfrei auf pixabay.com (3717095)
Die Natur ist ein offenes, dynamisches und vielschichtig miteinander verbundenes System. Dadurch kann Saat- und Pflanzgut je nach Art und Eigenschaften der Kultur an vielen Stellen des Produktionsprozesses und trotz strenger Schutzmaßnahmen mit GVO kontaminiert werden. In der Praxis passiert das etwa bei Pollentransfer durch Wind oder Insektenflug, bei Falschetikettierung, bei mangelhafter Warenflusstrennung, durch Zukauf von Dünger, Erden und Substraten, durch Verunreinigungen während des Säens oder bei der Ernte aufgrund verunreinigter Maschinen sowie durch Verunreinigungen bei Lagerung und Verpackung des Saatgutes. Verunreinigungsfälle können potenziell alle treffen, natürlich auch jene Unternehmen, die Gentechnik anwenden.
Gentechnikfreie Saatgutarbeit, die Erhaltung, Vermehrung und Züchtung umfasst, ist bereits heute einem erheblichen Verunreinigungsrisiko, etwa durch Freisetzungsversuche, den globalen Anbau von gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen sowie durch den internationalen Handel mit Saatgut und den daraus hergestellten Lebens- und Futtermitteln, ausgesetzt.
Problematischer Status quo
Im Jahr 2017 wurden weltweit auf rund 190 Millionen Hektar vor allem gv-Soja, gv-Baumwolle, gv-Mais und gv-Raps angebaut. In der EU gibt es wenig GVO-Anbau, 2017 stand gentechnisch veränderter Mais mit 124.000 Hektar auf gerade Mal 0,13 Prozent der EU-Ackerfläche. Über 90 Prozent davon in Spanien, der Rest in Portugal. Freisetzungsversuche sind etwas weiter verbreitet, gerade laufen Anträge für Versuche mit Mais, Kartoffeln, Brokkoli und Weizen in Spanien, Schweden und Belgien.1
In der EU ist derzeit ein relativ striktes Gentechnik-Recht in Kraft, welches keinerlei Schwellenwerte für gv-Verunreinigungen im Saatgut erlaubt. Das bedeutet, dass auch kleinste Verunreinigungen zugelassener Konstrukte bei Saatgut gekennzeichnet werden müssten und keinerlei „low level presence“ – also eine Verunreinigung bis 0,1 Prozent nicht zugelassener Konstrukte – erlaubt ist. Leider wird dies in einzelnen EU-Staaten nur mangelhaft umgesetzt: Staatliches Monitoring ist entweder relativ selten (z.B. in Deutschland) oder erlaubt eine 0,1-prozentige Verunreinigung (z.B. in Österreich). In manchen anderen EU-Staaten wird sich gar nicht an diese Nulltoleranz bei Saatgut gehalten.2
Je mehr Gentechnik – egal ob alte oder neue – im Umlauf ist, desto häufiger kommt es zu Pannen, welche teils weitreichende Verunreinigungen nach sich ziehen. Vor allem, wenn sie erst nach der Aussaat auffallen. Die Liste an Beispielen ist bereits lang. So wurde etwa gv-Raps an Wegesrändern entlang von Transportrouten in der Schweiz festgestellt3 oder gv-Zucchini wurden in Hausgärten in Deutschland gepflanzt.4
Gute fachliche Praxis und gentechnikfreie Saatgutarbeit
In Erhaltung, Züchtung und Vermehrung treffen wir Vorsorgemaßnahmen, um ungewollte Einkreuzungen und Verunreinigungen weitestgehend auszuschließen. Damit wird Sortenreinheit gewährleistet. Allerdings ist – auch im Saatgutrecht – anerkannt, dass eine hundertprozentige Sortenreinheit nicht möglich ist. Gentechnikfreie Saatgutarbeit braucht aber genau diese hundertprozentige Freiheit von GVO. Um damit umzugehen, könnten Methoden, die im Bedarfsfall im Samenbau eingesetzt werden, immer mehr zum Muss werden. So z.B. die Isolierung der Blüte mit Kulturschutznetzen (z.B. bei Kreuzblütlern) oder die Handbestäubung bei Mais. Beides ist zwar für kleine Bestände möglich, für größere aber kostspielig oder gar unmöglich. Windbestäuber wie Mangold, Bete, Zucker- und Futterrübe können vor Einkreuzungen durch Schosser5 in gv-Zuckerrübenbeständen gar nicht geschützt werden. Derzeit werden, um die eigene Arbeit zu schützen, z.B. Ausgangssorten für Züchtungsprojekte oder Verkaufschargen von Risikokulturen mittels PCR-Analyse auf gv-Verunreinigungen untersucht. Die Kosten, die dadurch entstehen, werden von denjenigen getragen, die gentechnikfrei arbeiten wollen. Manche Betriebe zahlen bereits heute bis zu sechsstellige Summen für Vorsorgemaßnahmen gegen gv-Verunreinigungen.2
Wer haftet bei Schäden?
In der EU haften bei nachgewiesener Verunreinigung durch Einkreuzung die Nachbar*innen, die Gentechnik-Sorten anbauen.6 Die IG Saatgut fordert seit langem die Umsetzung eines umfassenden Verursacherprinzips7, nach dem die Patentinhaber*innen, welche die Gentechnik-Konstrukte in die Welt setzen, nicht nur für Verunreinigungen haften, sondern darüber hinaus auch den Vorsorgeaufwand finanzieren. Ein Fond, in den die Patentinhaber*innen einzahlen müssten, würde sämtliche Vorsorge- und Analysekosten der Landwirtschaft sowie der Lebens- und Futtermittelbranche zahlen.
Konsequenzen einer Deregulierung
Nach dem derzeitigen EU-Gentechnik-Recht müssen diejenigen, die eine Zulassung für eine gv-Pflanze beantragen, auch die nötigen Informationen zur Entwicklung eines Nachweisverfahrens bereitstellen.8 Bei einer vollständigen Deregulierung der neuen Gentechnik-Verfahren wäre die Entwicklung von Nachweisverfahren politisch nicht mehr gewollt. Wenn Unternehmen nicht mehr gezwungen wären, Informationen über die vorgenommenen Änderungen vorzulegen, wäre eine Nachverfolgbarkeit äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich.
Dadurch wäre weder transparent, in welche Sorten die neuen Gentechnik-Verfahren eingeflossen sind, noch wäre es möglich, Verunreinigungen in gentechnikfreien Sorten ausfindig zu machen. So wäre für niemanden mehr eine Wahlfreiheit gegeben.9 Das heißt, dass sowohl über ungekennzeichnete neue Gentechnik-Sorten als auch über andere Sorten mit entsprechenden Verunreinigungen die neue Gentechnik Eingang in Saatgutarbeit, die gentechnikfrei sein will, finden könnte. Was bei der Neuverhandlung der Freisetzungsrichtlinie noch droht, kann aus dem derzeitigen Diskurs abgeleitet werden: nämlich auch die alte Gentechnik – zumindest teilweise – zu deregulieren.
Weil das alles droht, bleibt es wichtig, Gentechnik – alte und neue – weiterhin aus so vielen Weltregionen wie möglich fernzuhalten. Je mehr Gentechnik-Anbau es global gibt, desto schwieriger werden gentechnikfreie Saatgutarbeit und gentechnikfreie Landwirtschaft, denn Koexistenz ist nicht möglich.
Die neuen Gentechniken werden bereits in industriellen, technikbasierten Agrarsystemen eingesetzt. Stattdessen ist es aber dringend nötig, alternative und wirklich fortschrittliche agrarökologische, subsistente und kleinbäuerliche Ansätze zu fördern und zu schützen, die diesen sogenannten Fortschritt weder wollen noch brauchen. Durch eine völlige Deregulierung der neuen Gentechnik würde es den Ökolandbau sowie die gentechnikfreie Saatgutarbeit und Landwirtschaft, so wie wir sie kennen, irgendwann schlichtweg nicht mehr geben.
- 1Gentechnik (o.D.): Gentechnik Statistiken – Was wächst wo? Online: www.kurzelinks.de/gid261-pc.
- 2a2bIG Saatgut (2017): Gentechnikfreies Saatgut in der EU sichern. Online: www.kurzelinks.de/gid261-pd.
- 3Testbiotech (2013): Transgene escape. Online: www.kurzelinks.de/gid261-pe.
- 4Telepolis (2005): Gen-Zucchini im Schrebergarten. Online: www.kurzelinks.de/gid261-pf.
- 5Ausnahmsweise schon im ersten Anbaujahr blühende Pflanzen zweijähriger Arten.
- 6BUND (o.D.): Beim kommerziellen Gentech-Anbau sind Verunreinigungen vorprogrammiert. Online: www.kurzelinks.de/gid261-pg.
- 7In den 27 Prinzipien der Rio-Deklaration über Umwelt und Entwicklung 1992 wurde erstmals das Verursacherprinzip als Leitprinzip des Rahmens für nachhaltige Entwicklung anerkannt. Online: www.kurzelinks.de/gid261-ph.
- 8Richtlinie 2001/18/EG (Freisetzungsrichtlinie, Anhang III B). Online: www.kurzelinks.de/gid261-pj.
- 9Spektrum (2020): Diese Branche lebt davon, viel Schaum zu schlagen. Online: www.kurzelinks.de/gid261-pi.
Isabella Lang ist Mitarbeiterin der IG Saatgut.
Stefi Clar ist seit über 20 Jahren im Gemüsesamenbau tätig.
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