Aufgedeckt: Monsantos versteckte Finanzierung
Wissenschaftslobbyismus im Fall Glyphosat
Lobbycontrol deckte die finanzielle Beteiligung von Monsanto an Studien zu Glyphosat auf. Christina Deckwirth berichtet und zeigt wie verstrickt Wissenschaft und Wirtschaft mitunter sind und wie wichtig ein transparenter Umgang mit Interessenkonflikten ist.
LobbyControl haben im Dezember 2019 den ersten Fall von verdeckt finanzierten Studien von Monsanto in Deutschland aufgedeckt. Wie sind Sie auf die Idee gekommen bei den Studien von Professor Michael Schmitz näher nachzuforschen?
Professor Schmitz ist uns schon in einem anderen Zusammenhang begegnet. Er hatte im Frühjahr 2019 eine Studie zum Thema vegane Ernährung im Bundestag vorgestellt1 – und zwar auf Einladung des deutschen Geflügellobbyverbands. Seine These: Fleischverzicht sei schlecht für die Volkswirtschaft und trage zudem nicht zum Klimaschutz bei. Da wollten wir genauer hinschauen. Zum einen fanden wir heraus, dass die Studie von einer Stiftung beauftragt und finanziert worden war, die direkt mit dem Geflügellobbyverband verbunden ist – ohne, dass dies in der Einladung an die Bundestagsabgeordneten benannt wurde. Zum anderen stießen wir durch diese Recherche auf das Institut für Agribusiness, dem privaten Forschungsinstitut von Professor Schmitz. Denn aus diesem Institut stammte auch die Studie zu veganer Ernährung.
Schon damals fiel uns auf, dass das Institut mit vielen Unternehmen aus dem Bereich Agrochemie zusammenarbeitet und Auftragsstudien für diese verfasst. Da das Institut auch Studien zu Glyphosat veröffentlicht hat, lag die Vermutung nahe, dass diese – wie viele andere Studien des Instituts auch – aus der Industrie finanziert waren. Anders als bei einigen anderen Studien des Instituts fiel uns auf, dass bei den Glyphosat-Studien keine Finanziers genannt waren. Deswegen fragten wir nach. Professor Schmidt stritt uns gegenüber aber eine externe Finanzierung ganz klar ab. Das stimmte nicht, wie sich nun gezeigt hat.
Können Sie kurz zusammenfassen was Ihre Recherchen ergeben haben?
Im Nachgang zu unserer ersten Recherche zum Institut für Agribusiness sind wir auf Dokumente gestoßen, die belegen, dass Monsanto zwei Studien des Instituts für Agribusiness unter der Leitung von Professor Schmitz zum Thema Glyphosat finanziert hat. Bei beiden Studien wurde dies nicht entsprechend gekennzeichnet und blieb damit für die Öffentlichkeit unsichtbar. Nachdem wir unsere Recherchen veröffentlicht haben, hat der heutige Monsanto-Eigentümer Bayer mittlerweile selbst eingeräumt, dass die Studien von Monsanto beauftragt und finanziert wurden.
Wir konnten außerdem zeigen, dass die Studien in der politischen und gesellschaftlichen Debatte über ein mögliches Glyphosat-Verbot eine Rolle gespielt haben. In verschiedenen Kontexten wurden sie immer wieder als Beleg für den Nutzen von Glyphosat aufgeführt – sei es in Fachaufsätzen, im Bundestag, in Lobbydokumenten oder auf Wikipedia. Und das natürlich jeweils ohne die Monsanto-Finanzierung zu benennen.
Die zwei Studien von Professor Schmitz aus den Jahren 2011 und 2015 haben sich mit unterschiedlichen Aspekten von Glyphosat befasst. Welche Fragestellung haben die Studien behandelt und zu welchen Schlussfolgerungen sind sie gekommen?
Die erste der beiden Studien warnt vor hohen Wohlfahrtsverlusten, wenn es zu einem Glyphosat-Verbot käme – und argumentiert dabei mit Extremszenarien, die ohne inhaltliche Begründung eingeführt werden.2 Das Szenario, das gar keine Ertragsrückgänge durch ein Glyphosat-Verbot sieht, wird in der Schlussfolgerung gar nicht mehr erwähnt. Das wirft zumindest Fragen auf.
Die zweite Studie hebt den vermeintlichen ökologischen Nutzen von Glyphosat hervor.3
Die Autoren argumentieren, dass der Einsatz von Glyphosat die Böden schone, da weniger gepflügt werden müsse. Umweltverbände kritisieren vor allem, dass der Einsatz von Glyphosat das Artensterben befördere. Dieses Thema diskutieren Schmitz und seine Mitarbeiter nicht.
Beide Studien stellen also deutlich den Nutzen von Glyphosat hervor und entsprechen so den wirtschaftlichen Interessen von Monsanto. So konnte Monsanto die Studien als Belege für den Nutzen von Glyphosat in ihrer Lobbyarbeit einsetzen.
Die Zulassung von Glyphosat in der Europäischen Union wurde 2017 um fünf Jahre verlängert. Der ehemalige Agrarminister Christian Schmidt (CSU) stimmte damals für eine Verlängerung. In wieweit haben die Studien von Professor Schmitz Einfluss auf Positionen in der deutschen Politik gehabt?
Das lässt sich nicht genau nachweisen. Aber wie bereits erwähnt spielten die Studien in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion durchaus eine Rolle. Wenn ein Wissenschaftler die gravierenden Auswirkungen eines Glyphosat-Verbots beschreibt – und dies dann noch mit dem Renommee universitärer Forschung versieht, hat das sicherlich Auswirkungen auf die Debatte. Dabei ging es in den Studien nicht um die breit diskutierte Frage, ob Glyphosat krebserregend sei oder nicht. Doch für die politische Entscheidung spielten die Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Umwelt ebenfalls eine zentrale Rolle. Und genau dafür lieferten die Studien den Politiker*innen die notwendigen Argumente für eine Verlängerung der Zulassung.
Professor Schmitz ist als Autor der besagten Studien hauptverantwortlich dafür, was in den Studien steht und was nicht. Wie genau ist Professor Schmitz mit dem Agribusiness verbandelt und in welchem Verhältnis steht er zur Uni Gießen?
Das ist eine wichtige Frage, weil die Studien immer wieder im Zusammenhang mit der Universität Gießen genannt oder sie gleich als Studien der Universität Gießen bezeichnet wurden. Tatsächlich stammen die Studien aber von dem privaten Institut für Agribusiness, das Professor Schmitz gegründet hat. Das Institut hat zwar Räume der Universität Gießen gemietet und Schmitz setzte seine Doktorand*innen auch für Arbeiten des Instituts ein. Ansonsten besteht aber keine formale Verbindung zwischen der Universität und dem Institut.
Die Universität hat unsere Recherchen zum Anlass genommen, Professor Schmitz darauf hinzuweisen, klar zwischen dem Institut und der Universität zu trennen, was er in der Vergangenheit nicht immer getan hat. Er trat häufig in einer Doppelrolle als Universitätsprofessor und als Institutsleiter auf. Der Name einer Universität verleiht Studien natürlich mehr Glaubwürdigkeit als der Name eines unbekannten privaten Instituts, das eng mit der Agrarindustrie verflochten ist.
Welche Handlungen beziehungsweise unterlassenen Handlungen kritisieren Sie in diesem Fall?
Wir kritisieren vor allem die fragwürdigen Lobbymethoden von Monsanto. Die Finanzierung der Glyphosat-Studien in Deutschland war Teil von Monsantos Lobbyarbeit rund um die Wiederzulassung von Glyphosat in der EU. Das Unternehmen hat dabei offenbar gezielt Wissenschaftler*innen finanziert, um den eigenen wirtschaftlichen Interessen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die eigene Rolle bei der Erstellung der Studien nicht zu benennen, widerspricht ganz klar gängigen Wissenschaftsstandards. Das hat selbst der jetzige Monsanto-Eigentümer Bayer inzwischen eingeräumt. Wir fordern Bayer nun auf, für umfassende Aufklärung zu sorgen und mögliche weitere Fälle so schnell wie möglich zu benennen. Bayer war ja auch schon vor der Monsanto-Übernahme in die Strukturen eingebunden, über die die Studien entstanden sind und kann sich nicht damit herausreden, nichts gewusst zu haben.
Erst im Dezember haben die Glyphosat-Hersteller*innen die erneute Zulassung von Glyphosat beantragt. Wir brauchen eine offene gesellschaftliche Debatte über Glyphosat, die nicht von unethischen Lobbypraktiken verzerrt wird.
Unsere Kritik richtet sich aber auch an Professor Schmitz. Auch er war daran beteiligt, dass die Finanzierung von Monsanto verdeckt blieb. Auch er hat damit gegen gängige wissenschaftliche Ethikstandards verstoßen, die allerdings leider nicht immer und nicht überall anerkannt sind. Die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft ist ein hohes Gut, das nicht durch intransparente Auftragsarbeiten mit Lobbyzwecken beschädigt werden sollte.
Ich nehme an, dies ist nicht der erste Fall von verdeckter Finanzierung und somit Einflussnahme von Agrarkonzernen auf wissenschaftliche und politische Prozesse. Wie ordnen Sie diesen Fall ein und warum ist die Wissenschaft ein beliebtes Feld für Lobbyprozesse?
Ja, die Finanzierung von Wissenschaftler*innen ist eine beliebte Lobbymethode, die wir auch in anderen Bereichen beobachten. Vor allem für die Tabakbranche ist gut erforscht, wie Tabakkonzerne über Jahre Kronzeugen aus der Wissenschaft finanziert haben, um die Gesundheitsschäden durch Rauchen herunterzuspielen. Ähnliches kennen wir z. B. auch aus den Bereichen Zuckerkonsum oder Dieselabgase.
Das Prinzip Wissenschaftslobbyismus funktioniert so: Unternehmen finanzieren und umgarnen gezielt Wissenschaftler*innen, die ihnen genehm sind. Sie verpacken damit ihre wirtschaftlichen Interessen als wissenschaftliche Erkenntnisse und verleihen ihnen damit Glaubwürdigkeit. Diese bringen sie dann in die politische Debatte ein und erleichtern damit Politiker*innen eine Entscheidung im Sinne des Unternehmens beziehungsweise der Branche: Denn auch Politiker*innen müssen ihre Entscheidungen sich selbst und der Öffentlichkeit gegenüber rechtfertigen. Wenn sie davon ausgehen, dass sie im Sinne der Wissenschaft handeln und nicht einfach nur die Interessen eines Unternehmens befördern, fällt ihnen das natürlich leichter.
Dabei ist es wichtig zu wissen, dass Studien, die von Unternehmen finanziert wurden, mit höherer Wahrscheinlichkeit den Interessen des Auftraggebers entsprechen als Studien, die ohne Drittmittel aus der Industrie durchgeführt werden. Das belegen verschiedene Meta-Studien.4 ,5 In der Kognitionspsychologie gibt es für dieses Phänomen den Begriff des „confirmation bias“. Dieses entsteht durch die Neigung, Informationen so auswählen und zu interpretieren, dass die eigene Erwartung – beziehungsweise die der Geldgeber*innen – erfüllt und bestätigt wird. Deshalb ist es so wichtig, dass die jeweiligen Auftraggeber*innen immer genannt werden. Gleichzeitig zeigt das aber auch, wie wichtig eine ausreichende öffentliche Grundfinanzierung von Forschungseinrichtungen ist.
Ihre Recherchen haben einige Missstände aufgedeckt. Haben Sie darauf Feedback erhalten oder wissen Sie bereits von Auswirkungen auf die wissenschaftlichen Artikel von Professor Schmitz und den Umgang damit?
Ja, unsere Recherchen haben durchaus einiges ins Rollen gebracht. Bayer hat Fehler eingeräumt und ein Transparenzregister angekündigt, in dem auch wissenschaftliche Aufsätze verzeichnet werden sollen, die von Monsanto beziehungsweise Bayer finanziert wurden. Die Universität Gießen hat sich von Professor Schmitz und dem Institut für Agribusiness distanziert. Das Journal für Kulturpflanzen, in dem Schmitz und seine Mitarbeiter*innen ihre Ergebnisse veröffentlicht haben, hat die Aufsätze inzwischen formal zurückgenommen – mit Verweis auf mögliche Interessenkonflikte. Auch auf Wikipedia wird die Finanzierung der Aufsätze nun benannt.
Wir hoffen außerdem, dass der Fall auch präventiv wirkt – gerade auch in der nun anstehenden Debatte über das nächste Zulassungsverfahren. Der Fall hat für einigen Wirbel gesorgt und wird die Glyphosat-Hersteller*innen hoffentlich davon abhalten, weiterhin mit solch unethischen Methoden zu arbeiten. Außerdem hoffen wir, dass auch Wissenschaftler*innen genauer darauf achten, wie sie mit Auftragsforschung umgehen. Wir hoffen, dass wir hier nachhaltig etwas angestoßen haben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Judith Düesberg, Mitarbeiterin des GeN und Redakteurin des GID.
- 1Schmitz, P. M. (2019): Globale Auswirkungen einer rein pflanzlichen Ernährung – Konsequenzen für Wirtschaft, Umwelt und Welternährung. Institut für Agribusiness: Gießen.
- 2Schmitz, P. M. et al. (2011): Agro-Economic Analysis of the use of Glyphosate in Germany. In: Agribusiness-Forschung Nr. 28. Institut für Agribusiness: Gießen.
- 3Schmitz, P. M./Puran, M./Hesse, J. W. (2015): The Importance of Conservation Till-age as a Contribution to Sustainable Agriculture: A special Case of Soil Erosion. In: Agri-business-Forschung Nr. 33. Institut für Agribusiness: Gießen.
- 4Bes-Rastrollo, M. et al. (2013): Financial Conflicts of Interest and Reporting Bias Regarding the Association between Sugar-Sweetened Beverages and Weight Gain: A Systematic Review of Systematic Reviews. In: PloS Med, 10, 2, S.1-9, doi: 10.1371/journal.pmed.1001578.
- 5Lesser, L. et al. (2007): Relationship between funding source and conclusion among nutrition-related scientific articles. In: PloS Med, 4e5, S.41-46, doi: 10.1371/journal.pmed.0040005.
Christina Deckwirth ist promovierte Politikwissenschaftlerin und arbeitet als Campaignerin im Berliner Büro der Transparenzinitiative Lobbycontrol. Sie recherchiert und berichtet zu Themen wie Autolobby, Lobbyismus und Klima sowie Wissenschaftslobbyismus.
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