Zwischenbilanz

Kommentar

Seit der Veröffentlichung des Artikels „Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize“ von Gilles-Eric Séralini et al. (2012) ist nun ein halbes Jahr vergangen. Die wohl wichtigste Erkenntnis aus den zurückliegenden Monaten ist, dass wir bis heute nicht wissen, wie wir die Wirkung von gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen auf die menschliche Gesundheit untersuchen und bewerten sollen. Es gibt verschiedene Modelle und Verfahren, aber einen Standard, der weitgehend akzeptiert ist, gibt es bislang nicht. Das an sich ist keine neue Erkenntnis. Jedoch ist diese Erkenntnis nun nicht mehr reines Spezialisten-Wissen.

Wir dürfen uns nichts vormachen: Wenn wir noch in der Phase der Entwicklung von Testverfahren für die Prüfung der Sicherheit von gv-Pflanzen und den jeweiligen Herbiziden sind, stehen die Ergebnisse bereits durchgeführter Testverfahren unter einem Vorbehalt. Das heißt nicht, dass alle bisherigen Forschungsergebnisse von Forschungsarbeiten zur Sicherheit beziehungsweise zum Risiko gentechnisch veränderter Pflanzen auf den Müll geworfen werden müssen. Doch kritisch überprüft werden müssen sie in jedem Fall. Es wird auch deutlich, wie sehr die Wissenschaft von den Entscheidungen der beteiligten Akteure abhängig ist. Das sind in erster Linie natürlich die Forscherinnen und Forscher. Aber auch die MitarbeiterInnen der Regulierungsbehörden spielen eine wesentliche Rolle. Insofern ist die Wissenschaft hinter den gv-Pflanzen keine objektive Sache: Menschen fällen Entscheidungen. Das Problem ist, dass sie dabei oft ihre gewohnte Perspektive beibehalten. Davon abgesehen gehört zu einer Bewertung auch der Blick in die landwirtschaftliche Praxis. Wenn nur ein Bruchteil dessen wahr ist, was in den vergangenen Jahren über die Vergiftung des südamerikanischen Kontinents und der - insbesondere auf dem Land lebenden - Bevölkerung berichtet worden ist, kann das nicht länger ignoriert werden. Ansprechpartner wäre in diesem Zusammenhang in erster Linie die Europäische Union, speziell die Kommission. Sie ist ohnehin aufgefordert, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem die sozio-ökonomischen Effekte des Einsatzes von gentechnisch veränderten Pflanzen und der daraus entwickelten Produkte sichtbar und bewertbar gemacht werden können. Eine weitere wichtige Erkenntnis aus der Studie von Séralini et al. ist die Notwendigkeit von Transparenz. Durch die Séralini-Gruppe ist die Veröffentlichung von Roh-Daten zu einem zentralen Thema auf der Agenda geworden. Auch wenn Transparenz in diesem Fall noch nicht zufriedenstellend gelöst ist (es fehlen offenbar weiterhin Datensätze aus der EU-Zulassung von Glyphosat und Roundup), so wird es schwer, dieses Thema einfach wieder unter den Tisch fallen zu lassen. Von besonderer Wichtigkeit ist auch, im Falle gentechnisch veränderter, Herbizid-toleranter Pflanzen auf keinen Fall die Wirkung der Herbizide außer Acht zu lassen. Das Konzept, nur den vermeintlich alleinigen Wirkstoff eines Herbizides zu überprüfen, wird zunehmend infrage gestellt. Es ist unklar, inwieweit die verschiedenen Bestandteile miteinander und mit anderen in der Umwelt und in Lebensmitteln regelmäßig präsenten Chemikalien im Sinne so genannter Cocktail-Effekte zusammenwirken. Die Beharrlichkeit, mit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Aufsichtsbehörden und andere WissenschaftlerInnen immer wieder betonen, „Glyphosat“ (der Wirkstoff der Roundup-Mittel) sei sicher, ist erschreckend. Demgegenüber versuchen KritikerInnen und WissenschaftlerInnen deutlich zu machen, dass es möglicherweise die Cocktail-Effekte sind, die eine Substanz zum Risiko werden lassen - und dass eben diese Cocktail- Effekte stärker in die Untersuchungen der Zulassungsverfahren integriert werden müssen. Die Diskussionen um den Artikel von Séralini und seinen KollegInnen ist ein Musterbeispiel für das Zusammenspiel von Wissenschaft, Verwaltung und Politik. Ohne ihre Bedeutung in diesem Spiel unterschätzen zu wollen, lasse ich die Industrie (als Platzhalter für den am Verkauf von gv-Saaten interessierten privatwirtschaftlichen Sektor) außen vor. Die richtige Balance zwischen den drei genannten Bereichen einzupendeln ist eine nicht ganz einfach zu lösende Aufgabe - nicht nur im technisch-wissenschaftlichen Sinne, sondern auch politisch-demokratisch.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
216
vom Februar 2013
Seite 25

Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.

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