Nationale Anbauverbote: ein Grund zur Freude?

EU-Parlament muss sich in Gentechnik-Verbotsdebatte einbringen

Die Bundesregierung hat einer Neuregelung von Gentechnik-Anbauverboten in der EU zugestimmt. Nichtregierungsorganisationen sind skeptisch - und hoffen auf das Europäische Parlament.

Sich entscheiden, an etwas nicht teilzunehmen - so lautet die Erklärung für das Verb „to opt out“ im Englisch-Wörterbuch der Universität Oxford. Ein „Opt out“, das wird es wohl bald auch im Gentechnik-Recht der Europäischen Union geben. Am 12. Juni haben die Umweltminister aller Mitgliedstaaten dafür gestimmt - nur Belgien und Luxemburg enthielten sich. Die ParlamentarierInnen in Straßburg müssen ebenfalls ihr Einverständnis geben. Der scheidende EU-Verbraucherschutzkommissar, Tonio Borg aus Malta, äußerte die Hoffnung, dass die Neuregelung bis Weihnachten unter Dach und Fach gebracht werden kann. Doch bringt das Opt out wirklich, was der Name verspricht? Wird es den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, den Anbau bestimmter gentechnisch veränderter (gv) Pflanzen leichter zu untersagen? Ja, glaubt die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Beispielsweise müssten dadurch transgene Maislinien, die in der EU angebaut werden dürfen, in Deutschland nicht zugelassen werden. Da sei Opt out „eine sichere Bank“, sagte die Ministerin dem Westdeutschen Rundfunk.1 Ja, meint auch ihr Kabinettskollege Christian Schmidt (CSU). „Das ist eine wichtige Entscheidung für das Selbstbestimmungsrecht und die Wahlfreiheit bei der grünen Gentechnik!“, so der Landwirtschaftsminister.2 Momentan ist nur MON810, der gv-Mais des US-Konzerns Monsanto, für den Anbau in der EU zugelassen; schon bald soll der „1507“ genannte Mais von Dupont-Pioneer hinzukommen.

Nutzen des Opt out ist fraglich

Die beiden Regierungsmitglieder freuten sich vielleicht schon deshalb so über den Beschluss, weil sie sich damit endlich einmal gegen ihre sonst beim Thema Gentechnik bestimmende Chefin, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), durchsetzen konnten. So schien es zumindest, als deutlich wurde, dass Deutschland sich nach jahrelanger Blockade nun für die nationalen Anbauverbote aussprechen würde. Zuvor waren der Binnenmarkt oder die Welthandelsorganisation im Weg gestanden. Allerdings hatte die Kanzlerin noch im Februar dafür gesorgt, dass Deutschland sich bei der Abstimmung über die Anbaugenehmigung des Gentech-Mais 1507 enthielt - durchaus gegen CSU und SPD. Damit war klar: Der Pioneer-Mais bekommt seitens der EU-Kommission grünes Licht. Nächstes Jahr schon könnte er beispielsweise in Spanien und Portugal angebaut werden. Ob Deutschland dann schon das Opt out nutzen kann, um den Anbau hierzulande zu verhindern, ist fraglich. Denn der transgene Mais wird vermutlich vor dem Inkrafttreten der Neuregelung zugelassen - damit wäre er außen vor, wenn es der Regierung nicht gelingt, die Vorgaben der EU in nationales Recht umzusetzen, bevor der Mais auf dem Feld wächst. Denn bereits ausgesäte Gentechnik-Pflanzen genießen Bestandsschutz. In Deutschland säen die Landwirte Mais üblicherweise ab Mitte April. Die EU peilt an, das Opt out bis Dezember dieses Jahres unter Dach und Fach zu bringen, im Januar könnte es also in Kraft treten. Für die Umsetzung in deutsches Recht bliebe kaum Zeit.3

Konzern-Klagen gegen nationale Anbauverbote?

Doch auch wenn die Regierung aufs Gaspedal drückt: Es ist gar nicht klar, ob die neuen nationalen Anbauverbote überhaupt rechtssicher wären. Das ist auch einer der Hauptkritikpunkte von Umwelt- und Verbraucherschützern. Hendricks' Ministerium schreibt dazu: „Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass es Konzern-Klagen gegen nationale Anbauverbote geben könnte. Dieses Risiko besteht ja bei jedem Gesetzgebungsprozess.“4 Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kam im Mai hingegen zu einer anderen Einschätzung. Aus dieser zitiert der Grünen-Abgeordnete Harald Ebner: „Im Hinblick auf die Rechtssicherheit verbleiben jedoch auch im Fall konkreter Verbotsgründe Schwierigkeiten der Beweispflichtigkeit und der Beweisbarkeit des Vorliegens von Gründen für ein Opt out.“ Zudem wird befürchtet, dass das Opt out am Ende nicht zu weniger, sondern zu mehr Gentechnik-Pflanzen auf EU-Äckern und in den Futtertrögen der Massentierhaltung führt. Warum? Laut Beschluss der Umweltminister müssen die Mitgliedstaaten zuerst beim Antragsteller, beispielsweise Monsanto oder Bayer, nachfragen, ob dieser zu einer geografischen Einschränkung des Anbauantrags bereit wäre. Nur wenn das Unternehmen ablehnt, kann ein Verbot erlassen werden. Auch wenn dabei die EU-Kommission als Mittlerin zwischengeschaltet ist, könnte dieses Prozedere einen Kuhhandel ermöglichen: freiwilliger Zulassungsverzicht in Land A, Unterstützung bei Zulassung anderer Gentech-Pflanzen durch Land A. Diese Sorge teilt die Bundesregierung nicht. „Das ist hoheitliches Handeln und kein Geschacher mit Konzernen“, betont das Umweltministerium. Belgien und Luxemburg stimmten dem Opt out aber genau deswegen als einzige EU-Staaten nicht zu. Insbesondere die Souveränität kleinerer Länder sei gefährdet, so die luxemburgische Umweltministerin Carole Dieschbourg bei der Ratssitzung im Juni.5 Es kommt nun auf das EU-Parlament in Straßburg an, ob das Opt out doch noch das bringen kann, was sich die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger wünscht - gentechnikfreie Felder.6 Dafür müssten sich die Abgeordneten im neu zusammengesetzten EU-Parlament darauf besinnen, was sie selbst beziehungsweise ihre Vorgängerinnen und Vorgänger im Sommer 2011 bekräftigt haben: nationale Anbauverbote ja, aber auf einer wesentlich solideren Basis. Das Parlament stimmte damals dafür, die Gentechnik-Regulierung der EU an den selbstgesteckten Umweltzielen zu orientieren - und nicht, wie bisher, am Ziel eines „harmonisierten“ Binnenmarkts. Die Umweltpolitik der EU beruht „auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung“ 7 , während die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen unvorhersehbare Langzeitfolgen haben kann. Der Beschluss des Parlamentes wurde von der Gentechnik-kritischen Bewegung gefeiert. Die neugewählten EU-Parlamentarier könnten auf ihm aufbauen, um in den Verhandlungen mit Rat und Kommission am Opt out nachzujustieren. Besser, sie schauen vorher nicht in das Wörterbuch der Universität Princeton. Dort heißt es bei „opt out“: sich entscheiden, etwas nicht zu tun, zum Beispiel aus Angst zu Versagen.

  • 1www.wdr5.de oder www.kurzlink.de/gid225_y.
  • 2www.bmel.de oder www.kurzlink.de/gid225_x.
  • 3Die schon bisher in der EU-Freisetzungsrichtlinie verankerte „Schutzklausel“ kann auch nicht genutzt werden, weil die notwendigen Studien zu Umwelt- oder Gesundheitsrisiken nicht vorliegen. Damit der Mais angebaut werden kann, braucht er allerdings auch noch eine Sortenzulassung. Als erstes wird er sie wohl in Spanien bekommen, ob auch in Deutschland 2015 eine Sorte zur Verfügung steht, ist noch nicht klar.
  • 4www.bmub.bund.de oder www.kurzlink.de/gid225_w.
  • 5www.keine-gentechnik.de oder www.kurzlink.de/gid225_v.
  • 6EU-Barometer 2010: Biotechnology Report, www.europa.eu; für aktuelle Umfragen aus Deutschland: www.keine-gentechnik.de > Bibliothek > Meinungsumfragen.
  • 7Zum Tragen kommt Artikel 191 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der die Ziele der Umweltpolitik festlegt; das EU-Parlament berief sich konkret auf Artikel 192, der Details zur Umsetzung der Ziele enthält. Zudem sprachen sich die ParlamentarierInnen des EP 2011 dafür aus, die Risikobewertung von gentechnisch veränderten Organismen durch die Lebensmittelbehörde EFSA unabhängiger und besser zu machen. Erst im Juni dieses Jahres hat auch der Petitionsausschuss des Bundestages anerkannt, ein „funktionierendes ausgeglichenes Zulassungsverfahren“ sei bei der Gentechnik derzeit nicht gewährleistet. Siehe www.bundestag.de (Petition Pet 3-17-10-21280-019933) oder www.kurzlink.de/gid225_u.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
225
vom August 2014
Seite 39 - 40

Daniel Hertwig ist Mitarbeiter des Informationsdienst Gentechnik, zu finden im Netz unter www.keine-gentechnik.de.

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Was beinhaltet das „Opt out“?

Das Verfahren zur Einschränkung des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen soll zwei Phasen umfassen:
1) Nachdem ein Antrag auf Anbaugenehmigung einer gv-Pflanze gestellt wurde, kann ein Mitgliedstaat via EU-Kommission den Antragsteller fragen, ob dieser bereit ist, den Antrag geografisch einzuschränken.
a) Antragsteller stimmt Einschränkungen zu → Anbaugenehmigung gilt EU-weit exklusive der jeweils ausgenommenen Gebiete (ganzes Land, Bundesland oder Region) b) Antragsteller lehnt Einschränkungen ab → Phase 2
2) Erst wenn der Antragsteller die geografische Einschränkung abgelehnt hat, darf ein Mitgliedstaat den Anbau der jeweiligen Pflanze untersagen. Dafür gelten aber Bedingungen:
• die Maßnahmen müssen „begründet, verhältnismäßig und nicht-diskriminierend“ sein • auf „überzeugenden Gründen“ beruhen, zum Beispiel: a) Ziele der Umweltpolitik, wobei diese nichts mit dem Schutz vor Umwelt- oder Gesundheitsrisiken zu tun haben dürfen. Da die Lebensmittelbehörde EFSA diese zuvor geprüft hat (wobei Zweifel an ihrer Unabhängigkeit bestehen), sollen sie hier nicht herangezogen werden dürfen; b) Stadt- und Landplanung; c) Landnutzung; d) Sozioökonomische Auswirkungen; e) Vermeidung von GVO-Spuren in anderen Produkten; f) Ziele der Landwirtschaftspolitik; g) Öffentliche Ordnung („public policy“), wobei dieser Grund nicht alleine, sondern nur in Kombination mit anderen Gründen herangezogen werden darf.
Kritiker sehen die Gefahr der Einflussnahme der Gentech-Konzerne in Phase 1 beziehungsweise der mangelnden Rechtssicherheit der Verbote aus Phase 2 (siehe auch Artikel). Auch frühere Positionen des EU-Parlaments wurden nicht berücksichtigt, beispielsweise die Notwendigkeit einer generellen Verbesserung der Risikobewertung.

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