Vertane Chance
Die US-Wissenschaftsakademien promoten Gentech-Nutzpflanzen
Einen Blick zurückzuwerfen empfiehlt sich von Zeit zu Zeit und eröffnet zudem die Möglichkeit, die gemachten Erfahrungen nutzbar zu machen. Die Wissenschaftsakademien in den USA haben die Gelegenheit bei einem aktuellen Bericht über gentechnisch veränderte Pflanzen verpasst.
Die US-amerikanischen Nationalen Akademien der Wissenschaft, des Ingenieurwesens und der Medizin - „The National Academies“ (NAS) - haben im Mai einen neuen Bericht vorgelegt, der die bisher gemachten Erfahrungen bei der Anwendung von gentechnisch veränderten (gv) Nutzpflanzen und die erwartbaren Aussichten darstellen soll.1 Alleine der gedruckte Bericht umfasst nahezu 400 Seiten, weiteres umfangreiches Material steht online zur Verfügung. Um es vorweg zu sagen: Es ist nicht ganz leicht, klare oder allgemein gültige Aussagen aus dem Bericht zu destillieren. Der Teufel steckt, wie so oft, im Detail.
Eine weitere Vorbemerkung soll die Autorinnen und Autoren des Berichtes betreffen: Mehr als die Hälfte davon haben oder hatten Beziehungen zur Biotech-Industrie beziehungsweise zu von der Industrie gesponserten oder geförderten Gruppen.2
Anbau und Umweltwirkungen von gv-Pflanzen
Die AutorInnen der US-Wissenschaftsakademien nehmen mit Blick auf die Datenlage zum Anbau von gv-Pflanzen explizit Bezug auf zwei Berichte, die der Nationale Forschungsrat (NRC) der USA in den Jahren 2000 und 2002 veröffentlicht hatte(3): Darin hatte der NRC dazu aufgerufen, dass für die gesamten USA Datensammlungen erstellt werden sollten mit Informationen über gv-Pflanzen, die damit verbundenen Anbausysteme und die Umwelt. Ziel einer solchen Sammlung war, viele der Fragen zur Nachhaltigkeit der Agro-Gentechnik beantworten zu können. Die NAS-AutorInnen haben diese Datensammlungen 2015 begutachtet und als „inadäquat“ bewertet. Nichtsdestotrotz schreiben sie Sätze wie: „Zusammengefasst fand die AutorInnen-Kommission keine Beweise für eine Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen gv-Pflanzen und Problemen bezüglich der Umwelt“.3An diesem Beispiel zeigt sich einer der wesentlichen Mängel des NAS-Berichtes: Immer wieder passen verschiedene Erkenntnisse nicht zusammen und den AutorInnen gelingt es nicht, das zu kommunizieren.
Andere Erkenntnisse fehlen ganz: Zum Beispiel gab es in den Jahren 2009 und 2010 - zum Teil bis heute andauernd - eine breitere Diskussion über die Beschränkung des Zugangs zu Untersuchungsmaterial. Die US-Umweltbehörde hatte InsektenforscherInnen damals aufgefordert, Kommentare zu einer Anhörung zu gv-Pflanzen einzureichen. Daraufhin hatten diese beklagt, dass die Gentech-Konzerne wiederholt ForscherInnen kein Material (zum Beispiel gv-Nutzpflanzen und ihre nicht veränderten Schwesterlinien) zur Verfügung gestellt hätten. Der NAS-Bericht wäre eine ausgezeichnete Gelegenheit gewesen, den aktuellen Stand dieser Diskussionen wiederzugeben und glasklar Stellung zu beziehen. Die InsektenforscherInnen hatten seinerzeit festgestellt, dass „wirklich unabhängige Forschung zu vielen kritischen Fragen [bezüglich der Nutzung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen] (...) nicht möglich“ sei.4
Um einen Blick auf die Erfahrungen mit dem tatsächlichen Anbau von gv-Nutzpflanzen zu werfen: Die weltweit am häufigsten eingesetzte gv-Nutzpflanze ist Glyphosat-tolerante Soja. Der Anbau findet vor allem in drei Ländern statt: den USA, Brasilien und Argentinien. Wie ist die Bewertung der Erfahrungen mit diesem Anbau ausgefallen? Vorweg: Der Anbau der gv-Soja läuft nicht ohne Probleme ab, es wurde in den vergangenen Jahren eine Menge Kritik formuliert. Im vergangenen Jahr bewertete die Kommission für die Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation den Wirkstoff Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“. Die Zulassung dieses Wirkstoffs ist in der Europäischen Union kürzlich nur mit Ach und Krach und nur für einen sehr verkürzten Zeitraum über die Bühne gegangen.5 Zudem gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Problemen mit wild wachsenden Pflanzen, die ihrerseits eine Resistenz gegen Glyphosat ausgebildet haben. Last but not least werden Berichte aus verschiedenen Ländern immer lauter, dass der Anbau von gv-Soja begleitet wird von einer massiven Vergiftung der Umwelt sowie von Menschen, die in der Nähe der Anbauflächen leben.
Nichtsdestotrotz entsteht beim Lesen des NAS-Berichtes der Eindruck, im Grunde sei alles gut und wir müssten nur ein bisschen an den Anbausystemen basteln, um die Entwicklung von Resistenzen aufzuhalten. Ergänzend bemühen die NAS-AutorInnen allgemeine Krebsstatistiken, die ganz generell versuchen, Krebserkrankungen verschiedener Art mit der Einführung gentechnisch veränderter Pflanzen in den USA in Verbindung zu bringen. Diesen Statistiken zufolge lässt sich eine Veränderung der Krebsraten allerdings nicht als Folge der Einführung beziehungsweise der Nutzung von gv-Pflanzen darstellen.
Ein anderes Beispiel betrifft den Anbau von gentechnisch veränderter Baumwolle in Burkina Faso. Zu deren Darstellung werden relativ allgemeine, oberflächliche Quellen, zum Beispiel der als ISAAA-Bericht bekannte, alljährlich veröffentlichte Überblick über den Status des weltweiten Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen zitiert.6 Demzufolge ist ein hoher Anteil der Baumwolle in dem Land gentechnisch verändert. Bei genauerem Blick auf die Geschichte der gv-Baumwoll-Nutzung in Burkina Faso hätten die NAS-AutorInnen auf die massive Kritik stoßen müssen, die schon kurz nach der Einführung der gv-Baumwolle 2008 in dem westafrikanischen Land an der Qualität der Baumwolle geäußert wurde und auch heute noch wird. Mittlerweile haben die entsprechenden Baumwoll-Unternehmen angekündigt, die Nutzung der gentechnisch veränderten Sorten einzustellen und wieder zu den konventionellen zurückzukehren. Zudem ist eine Klage auf Schadensersatz auf dem Weg.7
Ein Wort zum Einfluss gentechnischer Veränderungen auf den Ertrag: Die AutorInnen des NAS-Berichtes konnten keine wissenschaftlichen Belege dafür finden, dass die gv-Sorten dazu beigetragen haben, den Ertrag von Baumwolle, Mais oder Soja zu verbessern. Zwar sind durchaus Ertragssteigerungen zu verzeichnen, seit gv-Sorten Einzug auf den Feldern gehalten haben. KritikerInnen weisen jedoch seit Längerem darauf hin, dass diese Ertragssteigerungen keineswegs auf die gentechnische Veränderung zurückgehen, sondern auf Fortschritte in der konventionellen Züchtungsarbeit. In konventionell gezüchtete Sorten, die für einen höheren Ertrag sorgen, werden also nachträglich gentechnische Veränderungen eingebaut.
Nahrungsmittelsicherheit
Ihre Sicht auf die Frage der Nahrungsmittelsicherheit gentechnisch veränderter Pflanzen fassen die NAS-AutorInnen wie folgt zusammen: Es gebe keine Hinweise darauf, dass mit dem Verzehr der Lebensmittel aus gv-Pflanzen ein höheres Risiko für die menschliche Gesundheit einhergehe als mit dem Verzehr der nicht gentechnisch veränderten. Dies sei das Ergebnis von Tierversuchen sowie von Versuchen zur chemischen Zusammensetzung der gv-Pflanzen. Allgemeine epidemiologische Daten zur Häufigkeit von verschiedenen Krebsarten in den USA und in Großbritannien deuten den NAS-AutorInnen zufolge zudem nicht darauf hin, dass diese mit dem Beginn des Verzehr von gv-Nahrungsmitteln häufiger geworden seien.
Die britische Nichtregierungsorganisation GMWatch verweist in diesem Zusammenhang - nicht zum ersten Mal - auf eine lange Liste von Fütterungsstudien mit gv-Pflanzen, in deren Verlauf sich gesundheitliche Probleme bei den Versuchstieren gezeigt hatten.8 Diese seien von den AutorInnen der Wissenschaftsakademien mit zweifelhaften Methoden beiseite gewischt worden, zum Beispiel indem sie nicht die Originalpublikationen mit den kritischen Ergebnissen zurate gezogen hätten. Vielmehr hätten sie zum Beispiel in die Irre führende Reviews - Überblicksartikel - zitiert, in denen die Gesundheitsprobleme „unsichtbar“ geworden seien.
Auch zu einer - zu gewisser Berühmtheit gelangten - Publikation von Gilles-Eric Séralini und KollegInnen äußern sich die AutorInnen der US-Wissenschaftsakademien - und zwar relativ prominent in einem drei Seiten langen Kasten. Das Team um den französischen Molekularbiologen hatte darin von schweren gesundheitlichen Effekten des Verzehrs von gentechnisch verändertem Mais der Linie NK603 bei Ratten berichtet.9
Die NAS-AutorInnen fokussieren bei ihren Ausführungen - wie sie selbst schreiben - auf den Aspekt der Kanzerogenität, das heißt auf den von Séralini beobachteten Effekt, dass der Verzehr von gentechnisch verändertem Mais zu einer erhöhten Tumorhäufigkeit und damit möglicherweise zu Krebs führen kann. Als Begründung führen sie an, dass die diesbezüglichen Ergebnisse die meiste Aufmerksamkeit durch die Öffentlichkeit und die Medien erfahren habe. Um es mit den Worten eines - nicht mit einem Namen versehenen - Kommentars auf gmwatch.org zu schreiben: „Als ich das las, musste ich ein zweites Mal hinschauen um sicher zu gehen, dass ich nicht für einen Moment in ein Paralleluniversum verfrachtet worden war. Die NAS muss sich von wissenschaftlichen Argumenten leiten lassen und nicht vom aktuellen Medienrummel“ („prevailing media buzz“).10 Denn: Im Vorwort der Publikation hatten Séralini und KollegInnen betont, dass sie ihren Versuch nicht auf die Suche nach Krebs, sondern als Test auf chronische Toxizität angelegt hätten. Um wirklich belastbare Aussagen zur Krebsentstehung machen zu können, wären zum Beispiel mehr Versuchstiere nötig gewesen.
Ausblick
In dem Bericht der US-Wissenschaftsakademien gehen die AutorInnen auch auf den so genannten Goldenen Reis ein, eine gentechnisch veränderte Reissorte, die in der Art verändert werden soll, dass sie das Provitamin A produziert. Damit soll das Problem des Mangels an Vitamin A in der Ernährung der Menschen in verschiedenen Ländern des Südens bekämpft werden. Der Stand der Entwicklung wird im Bericht unter positive Gesundheitseffekte dargestellt. Es heißt dort, dass seit etwa einem Jahrzehnt davon die Rede ist, dass der Reis fertig für den Anbau sei - was aber bis heute nicht der Fall sei.11
Die lange Reihe bisher nicht erfüllter Versprechen über die Verfügbarkeit des Reis ist in gewisser Weise symptomatisch für den Ausblick der NAS-AutorInnen: Sie wiederholen zu häufig die Versprechen, die seit zwanzig oder mehr Jahren nicht erfüllt wurden - und vertun damit auch die Chance, die Kommunikation in der Debatte hin zu mehr Realitäten zu verändern.
- 1Die Nationalen Akademien sind die National Academy of Sciences (NAS; mit „Sciences“ werden im englischsprachigen Gebrauch die Naturwissenschaften gemeint), die National Academy of Engineering und die National Academy of Medicine gemeint. An der Erstellung dieses Berichtes waren verschiedene Komitees und Räte beteiligt, die mit Mitgliedern der Akademien und Nicht-Mitgliedern besetzt waren. Federführend war die „Kommission für gentechnisch veränderte Nutzpflanzen: Bisherige Erfahrungen und zukünftige Aussichten“ (hier im Folgenden in der Regel als die AutorInnen-Kommission, die AutorInnen der US-Wissenschaftsakademien oder die NAS-AutorInnen bezeichnet). Der Bericht „Genetically Engineered Crops: Experiences and Prospects“ (im Folgenden NAS 2016) findet sich im Netz unter www.nas-sites.org/ge-crops und kann dort kostenfrei heruntergeladen werden. Dort wird auch umfangreiches weiteres Material zum Bericht bereitgestellt, zum Beispiel von den Anhörungen von ExpertInnen beziehungsweise die Kommentare der Öffentlichkeit.
- 2Siehe zum Beispiel PAN (2014): „Scientists challenge makeup of panel meant to evaluate GMO risks“. Im Netz unter www.panna.org oder www.kurzlink.de/gid237_tt. „[H]as or had ties to the biotech industry - or to industry-sponsored or funded groups“. Siehe PAN: „New GE report misses its own point“ 26.05.16; Bericht von Food and Water Watch im Netz unter www.foodandwaterwatch.org oder www. kurzlink.de/gid237_pp.
- 3NAS 2016, Seiten 96f. und 100, siehe Fußnote 1. The National Research Council (NRC): „Genetically Modified Pest-Protected Plants: Science and Regulation“ (2000; online: www.nap.edu/catalog/9795. html) und „Environmental Effects of Transgenic Plants“ (2002; online: www.nap.edu/read/10258/chapter/1). Der Rat ist laut Wikipedia (07.08.16) eine Institution, die neben den drei in Fußnote 1 genannten Organisationen unter dem Dach der NAS agiert. Aufgaben sind die Beratung der Politik, die Förderung der Wissenschaft in eher technisch, naturwissenschaftlichen und medizinischen Fächern und die Verbreitung von deren Wissen.
- 4New York Times: „Crop Scientists Say Biotechnology Seed Companies Are Thwarting Research“, 20.02.09. Das Zitat im Original: „No truly independent research can be legally conducted on many critical questions“.
- 5Siehe dazu unter Kurz Notiert - Landwirtschaft und Lebensmittel „Glyphosat erlaubt - unter Einschränkungen“, Seite 22 in diesem Heft.
- 6ISAAA „Global Status of Commercialized Biotech/GM Crops“. Im Netz unter www.isaaa.com.
- 7Siehe dazu zum Beispiel im GID 236 den Beitrag „Burkina Faso: Klage gegen Monsanto“ von Peter Dörrie. Im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/3315.
- 8„How the National Academy of Sciences misled the public over GMO food safety“, www.gmwatch.org, 26.05.16. Dort speziell der Verweis auf www.earthopensource.org oder www.kurzlink.de/gid237_vv.
- 9Der Aufsatz von Séralini und KollegInnen war zunächst (2012) in der Zeitschrift Food and Chemical Toxicology (Band 52, Seiten 4221-4231) veröffentlicht, später (2014) jedoch von der Redaktion der Zeitschrift wieder zurückgezogen worden. Die Redaktion von Environmental Sciences Europe (Band 26, 14) hat den Beitrag im Jahre 2014 mit Änderungen wieder veröffentlicht. Im Netz unter www.enveurope.com/content/26/1/14. Siehe dazu auch den Schwerpunk von GID 216 (Februar 2013). Im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/216.
- 10Siehe Fußnote 8.
- 11Siehe dazu auch: Stone, Glenn D./Glover, Dominic (2016): »Disembedding grain. Golden Rice, the Green Revolution, and heirloom seeds in the Philippines«, in: Agriculture and Human Values.
Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.
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