Normierungsinstrument Sicherheit

Die Botschaft des PraenaTest

Die Kritik am PraenaTest darf sich nicht darauf beschränken, dass mit ihm die Selektion von Föten mit chromosomalen Schädigungen vereinfacht wird. Im Fokus stehen muss die ableistische Perspektive der Pränataldiagnostik, die im Sicherheitsversprechen der Bluttests besonders deutlich zutage tritt.

Die Befürchtungen, die sich am PraenaTest und seinen US-amerikanischen Verwandten Harmony und Panorama entzünden, betreffen die immer einfacher werdende Selektion von Föten mit chromosomalen Schädigungen. Allerdings ist es nicht ganz nachvollziehbar, wenn gegen die Einführung des PraenaTests argumentiert wird, ohne zugleich andere selektive pränatale Diagnosemethoden auch zu kritisieren und abzulehnen. Schließlich ist es absurd zu argumentieren, Schwangere sollten lieber die Schmerzen des Nadeleinstichs, das Risiko eines Spontanaborts und die damit verbundene Sorge um ‚ihr Kind‘ in Kauf nehmen, wie sie mit invasiven Diagnoseverfahren wie der Chorionzottenbiopsie oder der Fruchtwasseruntersuchung verbunden sind. Die Einführung und Normalisierung von nicht-invasiven pränatalen Diagnoseverfahren (NIPD) beinhaltet allerdings eine besondere Dynamik, der es nachzuspüren gilt.

Diffuses Kontrollversprechen

13 Prozent der Kundinnen von Lifecodexx, dem Unternehmen, das den PraenaTest an den eingeschickten Blutproben durchführt, geben laut Firmendarstellung als Grund für den Test ein „psychologisches Sicherheitsbedürfnis“ an.1 Diese Frauen haben also keine so genannte Altersindikation, und bei einem vorherigen Erst-Trimester-Screening (ETS) gab es keinen auffälligen Befund. Nichtsdestoweniger waren sie beunruhigt und gaben rund 800 Euro aus, um dieses „Bedürfnis“ zu befriedigen.2 Ein Grund dafür ist sicherlich, dass die Einfachheit des Testverfahrens die Hemmschwelle gegenüber der Diagnostik senkt. Aber das allein kann wohl kaum eine Ausgabe in dieser Höhe erklären. Es ist eher die Art der Beunruhigung, die in den Blick genommen werden muss. Zunächst ist da der Prozess der Schwangerschaft selbst, der mehr als andere Lebensphasen von Vorgängen gekennzeichnet ist, über die die Schwangere keine Kontrolle hat. Und auch über die sich anschließende Lebensphase, das Leben mit Kind, ist im Vorhinein nicht viel mehr bekannt, als dass sich mit der Versorgung eines neuen Menschen ziemlich viel ändern und der Nachtschlaf voraussichtlich eingeschränkt sein wird. In unseren individualisierten Kontrollgesellschaften ist es durchaus verständlich, wenn Schwangere solche Unwägbarkeiten als bedrohlich wahrnehmen. Gefragt, warum sie zu pränataler Diagnostik greifen, ist von Schwangeren denn auch am häufigsten die Formulierung zu hören, sie wollten sich vergewissern, „dass alles in Ordnung ist“. Genau das ist auch das Versprechen der pränatalen Diagnosemethoden: Unsicherheit soweit wie möglich zu reduzieren und Schwangeren größtmögliche Kontrolle zu verschaffen. Die besondere Attraktivität der nicht-invasiven Verfahren nun stellt sich vor allem darüber her, dass sie eine nahezu hundertprozentige Sicherheit anbieten für null Risiko.3 Was genau das diagnostische Paket enthält - etwa dass seit Anfang vergangenen Jahres nicht nur nach Trisomie 21, sondern auch nach den Trisomien 13 und 18 und mittlerweile auch nach Monosomie X gefahndet wird - steht vermutlich für die wenigsten der Beunruhigten und Verunsicherten im Vordergrund.4 Ihnen geht es um größtmögliche Absicherung, und so wird in der Regel nicht groß gefragt, was sich hinter den Bezeichnungen verbirgt. Diese einfache Verfügbarkeit der Bluttests aber resultiert aus einem in der Gesellschaft weit verbreiteten Ableism. Zugleich fördert sie diese Einstellung und das damit verbundene Wertesystem, sowohl individuell als auch gesellschaftlich. Für das Verständnis der Dynamik, die hier am Werk ist, lohnt sich ein Blick auf diesen Begriff und die Haltung, die er bezeichnet.

Leistungsterror als System?

Abgeleitet von dem englischen Ausdruck „to be able“ (= in der Lage/fähig sein), bedeutet Ableism zum einen, dass Menschen völlig selbstverständlich auf ihre körperlichen und geistigen Eigenschaften reduziert werden, und zum anderen, dass diese entlang einer gesellschaftlichen (medizinischen, psychischen oder intellektuellen) Norm als behindert und damit schlecht oder als nichtbehindert und damit gut definiert werden.5 Die Analysekategorie Ableism legt das Augenmerk darauf, dass diese Eigenschaften allein an der Norm des Fähig-Seins gemessen werden. Nicht nur Behindertenfeindlichkeit, auch Behindertenfreundlichkeit ist ableistisch, etwa wenn lobend davon gesprochen wird, dass jemand „trotz Downsyndrom“ ein Studium absolviert, denn Kern dieser Aussage ist, dass Personen mit Trisomie 21 als zum Denken und Lernen unfähig eingestuft werden.6 Die Analysekategorie Ableism kritisiert also nicht nur eine negative Einstellung Behinderten gegenüber, sondern nimmt schon die Einteilung in Behinderte und Nichtbehinderte zum Anlass für Analyse und Kritik, also die selbstverständliche und einseitige Reduktion von Menschen auf zuvor bewertete geistige und körperliche Eigenschaften. Behinderung ist nach dieser Analyse kein biologischer Fakt, sondern sie wird im Zusammenwirken von gesellschaftlichen Annahmen, sozialen Normen und körperlichen Eigenschaften erst hergestellt.7 VertreterInnen der Disability Studies sprechen daher auch von Beeinträchtigungen, die ein Mensch hat und die erst in Kombination mit Barrieren aller Art zu Behinderungen werden. Insofern ist der Begriff Ableism sehr viel präziser als die alte Analysekategorie ‚Behindertenfeindlichkeit‘, weil letztere Behinderung als biologisches, gesellschaftlicher Konstruktion vorgängiges Faktum fasst. Die ableistische Denkart geht nicht nur davon aus, dass Behinderung eine biologische Eigenschaft ist, die den Menschen einschränkt, sondern auch, dass diese Beeinträchtigung untrennbar verbunden ist mit Leid und Schmerz. Behinderung kann danach nur gedacht werden als Auslöser für einen ständigen Phantomschmerz wegen fehlender oder eingeschränkter Fähigkeiten. Projektionen dieser Art kennzeichnen das ableistische Wertesystem, das mithin per se eine Haltung der Mehrheit der ‚Normalen‘ gegenüber der Minderheit der ‚Abweichenden’ ist, ein Denken also, das ausschließlich - und ausschließend - von sich selbst ausgeht und dem Behinderten allenfalls mit Mitleid zu begegnen in der Lage ist.8 Diese Haltung führt zum Beispiel dazu, dass Leuten im Rolli von Wildfremden auf der Straße gratuliert wird, weil sie ja so tapfer seien und es ja so schwer hätten.

Schwächen des Widerstands

Die Unterschiede zwischen den Analysekategorien Behindertenfeindlichkeit und Ableism bieten einen Ansatzpunkt, um das qualitativ Neue der nicht-invasiven Verfahren in der Pränataldiagnostik einzufangen. Die herkömmliche pränatale Diagnostik (PND) und andere selektive Verfahren wie die Präimplantationsdiagnostik (PID) sind an sich schon äußerst wirkmächtige Herstellungstechniken eines negativen Bildes von Behinderung. PND und PID zeichnet ein vollkommen am Defizit orientierter Blick aus, der bei jeder Beeinträchtigung eine ganze Liste von Fähigkeiten sieht, die eine Person mit dieser Behinderung nicht haben wird oder eben umgekehrt, eine Liste von Mängeln, die das zukünftige Kind auf jeden Fall haben wird, sollte es zur Welt kommen. Dieses ableistische Denken von HumangenetikerInnen, das in der ärztlichen Schwangerenberatung in Prognosen wie „Rollstuhlpflicht mit 12” seinen Niederschlag findet, wird mit PND und PID in die Alltagswahrnehmung der Gesellschaft eingeschrieben und setzt über die Individuen und ihre ‚Selbstbestimmung‘ Selektion entlang biologischer Eigenschaften durch. Dem begegnen BehindertenaktivistInnen und andere KritikerInnen pränataler Selektion seit Jahren unter anderem mit Versuchen, „positive“ Bilder vom Leben mit Beeinträchtigung und von Menschen, die nicht der Norm entsprechen, zu vermitteln. Diese Darstellungen sind wichtig, laufen in der Informationsgesellschaft mit ihrem Hunger nach leicht erzählbaren Storys aber Gefahr, in den ableistischen Grundkonsens der Gesellschaft integriert zu werden. Denn weder die Forderung nach radikaler gesellschaftlicher Akzeptanz der menschlichen Vielfalt noch die Schaffung der dafür notwendigen Strukturen sind consumable und fallen in Medien und Berichterstattung daher oft unter den Tisch. In Medienberichten geht es in der Regel darum, das Schicksal einer behinderten Person in Szene zu setzen. Die unbedingte Ablehnung des medizinischen Modells von Behinderung, also des Verständnisses von Behinderung als biologischem Fakt, hat in solchen Formaten nur sehr selten Platz.9 Im Ergebnis steht daher oft die erwähnte spezielle Spielart des Ableism, die Behindertenfreundlichkeit.

Unbeschwerte Selektion

Das ist besonders beim Down-Syndrom der Fall. Es ist mittlerweile nicht nur die wohl bekannteste ‚geistige Behinderung‘, Kinder mit Trisomie 21 gelten heute auch als besonders niedlich, als kuschelig, fröhlich, als „Sonnenscheinchen“. Elterngruppen und Betroffene sind in der Öffentlichkeit relativ präsent, und das Wissen darum, dass Menschen mit Trisomie 21 keineswegs besonders leiden müssen, ist durchaus verbreitet. Gleichzeitig wird auf das Down-Syndrom pränatal regelrecht Jagd gemacht. Darin zeigt sich anschaulich, wie einfach Behindertenfreundlichkeit in das ableistische Wertesystem integriert werden kann. Und hier sind die neuen Bluttests - über den Fakt hinaus, dass die Methode risikoarm und leicht zugänglich ist - relevant: Im Werbematerial von Lifecodexx werden die Begriffe Behinderung oder Schädigung nicht verwendet. Es ist konsequent und ausschließlich von Trisomie die Rede, ohne den geringsten Hinweis auf mögliche Folgen für das spätere Kind. Denn die unterschwellige Message ist nicht mehr die gleiche wie bei herkömmlichen pränatalen Untersuchungsmethoden: Eine schlimme Erkrankung, die niemandem zugemutet werden kann, wird verhindert. Die frohe Botschaft ist vielmehr: Die Methode ist einfach und risikolos. Sie verhindert Aborte. Sie schafft Sicherheit. Es sind die Leerstellen der Darstellung des Verfahrens, die eine neue Stufe der Selektion via Schwangerenversorgung markieren. So findet keinerlei Erwähnung, welche Sicherheit gemeint ist. Unkompliziert und nichtinvasiv angeboten, lässt der Test Schwangeren gar nicht erst Zeit, über ihr Sicherheitsbedürfnis nachzudenken und darüber, ob hier nicht ganz andere Ängste - vor Überforderung, finanzieller Belastung oder der drohenden Aufgabe des eigenen Lebensentwurfs - virulent sind. Auch von den nach positivem Testergebnis ungewollten Föten ist in der Darstellung von Bluttests keine Rede, die Botschaft der verhinderten Aborte bezieht sich allein auf die - ungewollten - Spontanaborte. Bei Life Codexx beispielsweise wird unter der Frage: „Wie geht es im Falle eines positiven Testergebnisses weiter?“ lediglich die Fruchtwasseruntersuchung „zur weiteren Abklärung“ genannt, und zwar so, als sei das ein quasi naturwüchsiger Bestandteil der Schwangerschaftsversorgung.1 Die gesamte Darstellung des Testverfahrens erweckt den Eindruck, der Prozess sei abgeschlossen, wenn die Schwangere weiß, dass der Fötus eine Trisomie hat.10 Dass der Test ausschließlich als Mittel erscheint, mit dem ein namenloses, diffuses, auf jeden Fall ganz normales „psychologisches Sicherheitsbedürfnis“ gestillt wird, ist Ableism in hoch entwickelter Form: Normen werden konstruiert, ohne sie selbst oder auch die Ausschlüsse klar zu benennen, auf denen sie beruhen. So konsolidiert die nicht-invasive Diagnostik den ableistischen Grundkonsens und schreibt ihn fort - indem sie transportiert, dass Behindertenfreundlichkeit mit Selektion vereinbar ist.

  • 1 a b Vgl. http://lifecodexx.com oder www.kurzlink.de/gid224_g.
  • 2Das Unternehmen lässt bei seinen Angaben offen, ob der Test ihnen die Sicherheit verschafft hat, die sie suchten und ob sie ihr „Bedürfnis“ auch mittel einer invasiven Maßnahme befriedigt hätten.
  • 3Der PraenaTest bietet nach Aussagen von Lifecodexx eine Sicherheit von 99,8 Prozent - für so genannte Risikoschwangerschaften. Die Methode ist an Schwangeren unter 35 noch nicht ausreichend getestet worden.
  • 4Auf das Turner-Syndrom testen der Harmony- und der PanoramaTest, der PraenaTest beschränkt sich bisher auf die genannten Trisomien.
  • 5Zu den Bezeichnungen und ihren Konnotationen vgl. Carola Pohlen (2010): Kategorien, die fiesen Biester. Identitäten, Bedeutungsproduktionen und politische Praxis, in: Jutta Jacob, Swantje Köbsell und Eske Wollrad (Hg.): Gendering disability. Intersektionale Aspekte von Behinderung und Geschlecht, Studien interdisziplinäre Geschlechterforschung 7, Bielefeld: Transkript, S. 95-113.
  • 6Vgl. dazu Rebecca Maskos: Ableism, in: Lexikon der Amadeu Antonio Stiftung, im Netz unter www.kurzlink.de/gid224_b.
  • 7Rebecca Maskos: Was heißt Abelism?, in: Arranca, Dezember 2010, im Netz unter www.kurzlink.de/gid224_a.
  • 8Dass Mitleid keinesfalls besser ist als offene Feindschaft, hat nicht zuletzt die Krüpppelbewegung immer wieder betont.
  • 9Vgl. zur Darstellung von Behinderung in der Medienberichterstattung über die Einführung des PraenaTest den Text von Eva Sänger auf S. 15 ff. in diesem Heft.
  • 10Zudem verschleiert der unspektakuläre Akt der Blutentnahme, dass es nicht um die Gesundheit der Mutter geht.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
224
vom Juli 2014
Seite 10 - 12

Kirsten Achtelik arbeitet als freie Autorin und Journalistin zu behinderten- und geschlechterpolitischen Themen.

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Uta Wagenmann war Mitarbeiterin des GeN und GeN-Vorstandsmitglied.

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