Rezension: Genome als ökonomische Ressource
Genome Finland von Ilpo Helén et al.
© Helsinky University Press
Die Kombination aus dem Hype um Finnland als Hightech-Nation, der mit dem Erfolg von Nokia und dem internationalen Biotechnologie-Boom einherging, bildete ab den 1990er Jahren den Nährboden für die Vision eines enormen kommerziellen Potenzials der finnischen Humangenetik. Die vier Autor*innen des Buches „Genome Finland“ haben ihre sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse aus zwei Jahrzehnten Beforschung der Selbstdarstellung Finnlands als Land der genetischen Expertise und des Datenreichtums zusammengetragen. Island hatte es 1996 vorgemacht: die Firma deCODE Genetics war mit dem Ziel gegründet worden, die Genetik der gesamten isländischen Bevölkerung zu erfassen, mit Gesundheitsdaten zu verknüpfen und für die Pharmaforschung auf dem Gebiet der „Präzisionsmedizin“ nutzbar zu machen. Die als „besonders“ präsentierte Genetik der Bevölkerung sollte als ökonomische Ressource dienen und das Interesse der internationalen Forschungscommunity wecken. Obwohl die Firma 2009 in Konkurs ging, war sie um die Jahrhundertwende ein Leuchtturm für innovationspolitische Bestrebungen, Kapital aus Gen-und Gesundheitsdaten der eigenen Bevölkerung zu ziehen. Die Autor*innen zeigen, wie auch in Finnland die Konstruktion der eigenen „genetischen Einzigartigkeit“ als besonders homogen und genetisch isoliert zentral ist. Ob der Plan des ökonomischen Erfolgs aufgeht, bleibt offen – bisher profitieren anscheinend vor allem ausländische Pharmaunternehmen von dem Datenreichtum, der durch enorme öffentliche Investitionen und zweifelhafte Einwilligungspraxen der Proband*innen erstellt wurde und wird. Eine spannende Analyse, die Fragen nach dem Wert und der Bedeutung von Genetik in der postgenomischen Ära aufwirft.
Helén, I./Snell, K./Tarkkala, H./Tupasela, A. (2024): Genome Finland. From rare diseases to data economy. Helsinky University Press, 310 Seiten, kostenlos, Englisch, ISBN (Print): 978-9-52369-106-3, www.doi.org/10.33134/HUP-24
Dr. Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin des GeN.
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