Der Primat im Supermarkt

Status kaufen? Evolutionäre Psychologie und Marketing

Dass Marketing und Evolutionäre Psychologie (EP) irgendwann eine enge Verbindung eingehen würden, lag nahe. Denn Popularisierung und Selbstvermarktung waren von Beginn an starke Seiten der EP, was schon in ihrem dominanten Forschungsparadigma begründet liegt.

Eine vorherrschende Annahme in der EP ist die vage Vorstellung von der sogenannten Umwelt der evolutionären Anpassung (beispielsweise: kleine Menschengruppen in der Savanne, die Aufteilung in männliche Jäger und weibliche Sammlerinnen), welche über hunderttausende von Jahren den Menschen evolutionär geformt haben soll. Diese nur schwer beweis- oder widerlegbare Annahme öffnet viel Raum für Spekulationen. Ein solcher Denkraum füllt sich dann leicht mit Stereotypen, die heutige Denkmuster reproduzieren - wie etwa starre und sehr ausdifferenzierte Geschlechterrollen, eine starke Betonung des Individuums oder materieller Werte. Solche Angebote aus der Forschung werden dankbar von JournalistInnen aufgegriffen und popularisiert. Gleichzeitig bietet der sogenannte „evolutionäre Blick auf den Menschen“ eine komplette Weltsicht an, die anscheinend missionarischen Eifer und offensive Zuspitzung fördert.1

Eine profitable Verbindung

Die EP verspricht also, ein Gesamt-Bild vom Menschen zu liefern. Und Marketing braucht ein möglichst genaues Bild von den Menschen, den Wünschen und Entscheidungsfindungen der Kunden, die angesprochen werden sollen. Denn, so die Logik, ob der Mensch ein rationaler Käufer oder ein genetisch determinierter Käufer ist, könnte den Erfolg von Marketing entscheidend beeinflussen. Dabei spielt eine weitere zentrale Annahme der EP eine Rolle: nämlich die Vorstellung, dass der menschliche Geist modular aufgebaut ist und diese Module spezifische „Antworten” auf Probleme der Umweltanpassung darstellen. Wenn diese Module die Wahrnehmung prägen könnten sie nützliche Hinweise auf Verkaufsstrategien liefern. In der stark kompetitiven Welt des Marketing stellt das Versprechen der Wissenschaftlichkeit einen Wettbewerbsvorteil in Aussicht.

Sad Gaad: Evolutionspsychologe mit dem Instinkt fürs Marketing

Die Beziehung könnte also harmonisch und wechselseitig sein. Aber die EP musste einiges tun, um wahrgenommen zu werden, schließlich geht es um viel Geld. In seinem ausführlichen „Werbe“-Artikel von 2000 in der Zeitschrift „Psychology and Marketing“ will der kanadische EP-Professor Gad Saad (seine Universitäts-Webseite, wie auch sein Blog bei „Psychology Today“ nennen sich ganz bescheiden „Homo consumericus“) einen bunten Strauss von Forschungsansätzen aus dem Fundus der „adaptiven Mechanismen“ anbieten, den die EP der Welt des Marketing zu bieten hat. Die EP wird von ihm als ein Forschungsfeld porträtiert, das, „wirklich” weiß, was der Kunde will - oder es zumindest herausfinden kann. Allerdings sind die meisten Beispiele die Variation eines Themas: Geschlechterunterschiede im Konsumverhalten. In seinen neueren Publikationen bleibt er oft auf dieser Metaebene der Anpreisung der EP als theoretische Grundlage für die Marketingforschung. Die Themen seiner Forschungsartikel wirken allerdings so, als sei die Schlagzeile schon vorprogrammiert - wenn er etwa männliche Testosteron-Level beim Sportwagen-Fahren (Porsche, na klar) untersucht.2 Seine Anstrengungen gipfeln nun in dem Buch „The Consuming Instinct“, das dieser Tage auf dem populärwissenschaftlichen Buchmarkt erscheint. Wie Saads Blog erwarten lässt, wird es wohl kaum Konsumkritik vermitteln.

Geoffrey Miller: Konsumkritik und Intelligenzkult

Saads amerikanischer Kollege Geoffrey Miller hat mit der Popularisierung des Feldes EP und Marketing schon mehr Erfahrung - komischerweise heißt (Parallele zu Saad!) sein für dieses Jahr angekündigtes Buch „All-Consuming Instincts: Why we buy fake cues of evolutionary success“, worin sich seine durchaus konsumkritische Haltung andeutet. In seinem 2009 erschienenen Buch mit dem flotten Titel „Spent: Sex, Evolution and Consumer Behaviour“ erklärt er auf 380 Seiten, welche Bedürfnisse durch unseren Konsum „wirklich” erfüllt werden sollen. Konsumartikel dienen (neben der Befriedigung körperlicher und geistiger Grundbedürfnisse) seiner Ansicht nach vor allem als Signale, mit denen wir Mitmenschen unsere Vermehrungsqualitäten zeigen oder auch vorspiegeln. Und Millers Begriff von Konsumartikeln ist sehr weit gefasst: Von Schmuck über Autos bis hin zu Universitätsabschlüssen und weiblichen Eizellen reicht das Spektrum. Interessant ist seine Analyse von der herausragenden und machtvollen Rolle, die Marketing seit dem 20. Jahrhundert im Kapitalismus spielt. Millers sarkastischer Humor und seine ausufernden Gedankenspiele machen das Buch durchaus unterhaltsam: Wenn er den Wert aller möglichen (legalen und illegalen) Waren als Kaufpreis pro Pfund Gewicht analysiert, wenn er darüber spekuliert, welche Signale das Fahren einer bestimmten Automarke senden soll, oder wenn er die Symptome narzisstischer Persönlichkeitsstörungen mit extremer Konsumhaltung vergleicht. Interessant sind auch die Kapitel, in denen er Tipps für einen post-konsumistischen Lebensstil gibt (nach dem Motto: mit wenig Konsum Status symbolisieren) oder den Lesern Gedankenexperimente vorschlägt, um ihnen die eigene Lebensqualität wahrnehmbar zu machen. Gruselig wird es jedoch, wenn Miller seine sozialen Utopien ausbreitet. Er glaubt wirklich daran, dass sich menschliche Eigenschaften, allen voran Intelligenz (aber auch Neugier, Gewissenhaftigkeit, Freundlichkeit, emotionale Stabilität und Extraversion), wertfrei messen lassen und genetisch mehr oder weniger festgeschrieben sind. Da ist es nur konsequent, wenn er vollkommen unironisch vorschlägt, sich die entsprechenden Punktzahlen mit Erreichen des 20. Lebensjahres tätowieren zu lassen. Oder ist diese Fantasie nur eine Falle, die er für seine Kritiker aufstellt - „War doch nur Spaß“? Millers Vorschlag für höhere urbane Lebensqualität spiegelt schlicht und ergreifend die ethnische und soziale Segmentierung der Gesellschaft, neu ist nur, dass er noch mehr Segmente zur Verfügung stellen will. Sein Ton wird immer dann hart und dogmatisch, wenn es um die spekulativen Grundannahmen der EP geht, mit Seitenhieben auf die Kritiker dieser Forschungsrichtung, wie es in der EP-Literatur weit verbreitet ist.

Die Katze beißt sich in den Schwanz

An einem Beispiel sollen hier problematische Aspekte der EP-Forschung beleuchtet werden: In einer Studie 3 , die auch in dem Buch „Spent“ beschrieben wird, versucht Miller Korrelationen zwischen Intelligenz, Anfälligkeit für schizoide Persönlichkeitsstörungen und Kreativität zu messen. Mit anderen Worten: Er stellt die Genie-oder-Wahnsinn-Frage. Problematisch ist dabei Folgendes: 1) Die Probanden sind ausschließlich Studierende. Eine Tatsache, die für eine Vielzahl von EP-Studien gilt. Diese stellen einen sozial und altersmäßig relativ engen Ausschnitt der Menschheit dar, sind aber einfach zu rekrutieren und Tests mit ihnen sind preiswert zu organisieren. Kultur- und Ethnien-übergreifende Studien dagegen werden oft nur dann ins Feld geführt, wenn es um die Verteidigung von bestimmten Aspekten des EP-Ansatzes geht. 2) Es ist generell umstritten, was genau Intelligenztests denn eigentlich messen. Außerdem ist noch zu erwähnen, dass in diesem Experiment die „Kreativität“ komplett subjektiv bewertet wurde. 3) Nach Abschluss der Studie wird, wie bei vielen EP-Studien, ohne Notwendigkeit der Schluss gezogen, dass die gefundenen Eigenschaften, Differenzen, Assoziationen genetisch bedingt und evolutionär sinnhaft, also adaptiv, geformt sind. 4) Auf die vorgenommenen Spekulationen wird dann noch spekulativ aufgesattelt mit der Frage, ob sich vielleicht junge Leute deshalb so extrem stressreichen kulturellen Praktiken (Punkmusik, Alkohol- und Drogenexzesse, Ego-Shooter-Spiele und so weiter) aussetzen, um ihre reproduktive Fitness zu demonstrieren. Die Katze beißt sich hier so oft in den Schwanz, dass von ihm kaum noch etwas übrig sein dürfte. Kulturelle Prägungen werden hier schnell zu Wesensmerkmalen, Intelligenz wird zur wichtigsten persönlichen Eigenschaft und der freie Wille existiert nur noch als Illusion.

Und was kostet uns das?

Soweit also zwei exponierte Vertreter der EP-und-Marketing-Marktlücke - wie wird EP denn nun von der Welt des Marketing aufgenommen? Millers Klage, die er in dem Buch von 2009 artikuliert hatte, dass an den großen „business schools“ der Welt keine evolutionären Konzepte gelehrt werden, wurde inzwischen teilweise erhört. Zumindest an einigen der großen Business-Akademien gibt es nun jeweils einen Professor, der evolutionäre Perspektiven mit einbezieht.4 „Evolution“ und „evolutionär“ sind Begriffe, die im Bereich des Marketing momentan „in“ sind - meist aber als Label und Worthülse. Dabei ist es durchaus vorstellbar, dass die Studien, die im Rahmen der EP und Marketing-Forschung durchgeführt werden, verwendbare (und vor allem: verwertbare!) Ergebnisse liefern. Nicht über genetisch eingeschriebenes Konsumverhalten, sondern über bestehende reale Vorlieben und Abneigungen der untersuchten Populationen: (studentische) Mittelschicht-Konsumenten in den industrialisierten Ländern. Es wäre einfach eine Form von Marketing-Forschung, die sich letztlich an ihrem Erfolg bei der Umsetzung in Marketing-Strategien messen lassen müsste. Problematisch ist jedoch das Menschenbild, das dabei transportiert und implementiert wird.

  • 1Siehe den Artikel von Simon Roos in dieser Ausgabe.
  • 2G. Saad et al.: The effect of conspicuous consumption on men’s testosterone levels, in: Organizational Behavior and Human Decision Processes, Vol. 110, 2009, S. 80-92.
  • 3G. F. Miller, I. R. Tal: Schizotypy versus openness and intelligence as predictors of creativity, Schizophrenia Research 93 (2007), S. 317-324.
  • 4INSEAD (Paris): Prof. Christoph Loch; Queens School of Business (Toronto): Prof. Laurence Ashworth; Durham Business School (Schottland): Dr. Mike Nicholson.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
206
vom Juli 2011
Seite 18 - 19

Uwe Wendling ist Mitarbeiter des Gen-ethischen Netzwerk.

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