Dynamischer Markt - ratlose Politik
Einführung
Pränataldiagnostik ist das Feld der Humangenetik, das sich am meisten im Alltag etabliert hat. Die Politik dazu stagniert oder beschränkt sich auf den Aktionsradius Schwangerenberatung. Als Marktgeschehen ist Pränataldiagnostik umso dynamischer.
Der vorgeburtliche Check von Embryonen und Föten ist Routine geworden. Ein Unbehagen aber bleibt bei denen, deren professioneller Alltag damit verwoben ist: Behindertenorganisationen, Beratungsstellen, Hebammen und FrauenärztInnen. Der enorme Zulauf, den ein kritischer Kongress zu Pränataldiagnostik im Frühjahr dieses Jahres in Dresden erfuhr, zeugt davon. Stetig expandiert der Markt der Tests, die möglichst früh - insbesondere über Ultraschall und Blut-untersuchungen - mehr oder weniger ungenaue Risikokalküle ermöglichen (siehe Kasten S. 10). Er macht gynäkologische Praxen zum Vorreiter im Geschäft mit den Tests, die meist privat als individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) bezahlt werden müssen. Erika Feyerabend beschäftigt sich mit den Interessenskoalitionen im Geschäft mit Pränataldiagnostik und stellt zur Debatte, ob diese ökonomische Eigendynamik nicht stärker von der Kritik aufgegriffen werden müsste. Unter Pränataldiagnostik verstehen wir in diesem GID im engeren Sinne die vorgeburtliche Feststellung genetisch bedingter und mitbedingter Dispositionen. Dass fast immer die einzige Option, die sich daraus ergibt, die Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung bleibt, dass also der selektive Zweck absolut dominiert, ist allgemein unumstritten. Zwar gibt es etwa beim Ultraschall sehr selten auch Diagnosen, die therapeutische Maßnahmen folgen lassen können (wie eine Begleitung durch Neugeborenen-MedizinerInnen bei der Geburt oder noch seltener medikamentöse Behandlungen in der Schwangerschaft). Diese Fälle sind aber so rar, dass - so die Ethnologin Susan L. Erikson - es sich nicht epidemiologisch begründen lässt, warum in Deutschland im internationalen Vergleich extrem oft Ultraschall eingesetzt wird. Sie erklärt dieses Phänomen mit einer spezifischen Kultur des Risikos einerseits - und einer Kultur der visuellen Kontaktaufnahme mit dem Kind auf dem Bildschirm andererseits. Eine bessere Beratung der schwangeren Frauen scheint derzeit das einzige Einfallstor, auf das sich viele noch politisch einigen können, um die Dynamik der Pränataldiagnostik einzuhegen – allerdings unter unterschiedlichen Vorzeichen: Die Bundesärztekammer, die CDU/CSU und auch die katholische Beratungsorganisation donum vitae rufen regelmäßig nach Pflichtberatung, um das spektakuläre Thema der Spätabbrüche anzugehen. Engagierte Frauen in den Wohlfahrtsverbänden setzen sich demgegenüber für einen anderen Blick auf Schwangerschaft und andere - freiwillig zu nutzende – Räume ein, um über das eigene Verhältnis zu Behinderung nachdenken zu können (siehe Interview mit Hanna Geier). Auch Hebammen wollen dem Geschehen nicht nur ausgeliefert sein, sondern haben Forderungen für eine andere Schwangerschaftsbegleitung entwickelt (siehe Pia Oleimeulen). Die Politik der Beratung hat allerdings ihre Grenzen. Sie scheut sich oft, klare Positionen zu vertreten und verschiebt die Verantwortung auf die individuellen Klientinnen. Eine kritische Politik zu Pränataldiagnostik muss über diese Perspektive hinaus, so Margaretha Kurmann im Interview. Die Beratungssituation stand in den letzten Jahren auch im Fokus vieler sozialwissenschaftlicher Arbeiten. Sie untersuchten, wie die Expansion dieser Technologien „subjekttheoretisch“ zu erklären sei. Damit verschoben sie die Fragestellung von: „Wie sollten sich Individuen entscheiden“ zu „Welche Handlungsoptionen und -zwänge entstehen überhaupt erst mit diesen neuen Möglichkeiten?“ Es wurde klar, dass das Setting der Pränataldiagnostik gewissermaßen kein Entrinnen zulässt. Denn auch eine Entscheidung gegen einen vorgeburtlichen Test und für das Recht auf Unwissen muss heute ein durchdachter Schritt im Management des eigenen Lebens sein. Angemerkt sei dazu auch: Kulturell ist eine solche Entscheidung heute - mit einer zunehmenden Schwäche anti-eugenisch/feministischer Positionen - oftmals eher von konservativen Bildern gerahmt: von dem einer zukünftigen Mutter, die im Rahmen ihrer Familie offen ist für die Hingabe an ihr (eben möglicherweise auch behindertes) Kind. Da scheint oft nur noch wenig Attraktives für einen emanzipatorischen Lebensentwurf auf. Dem „subjekttheoretischen“ Fokus mangelte es daran, dass viele Arbeiten sich damit zufrieden gaben, sich - wenn auch kritisch gewendet - ebenfalls nur auf das Individuum zu kaprizieren. Gesellschaftskritische Positionen gerieten da eher ins Hintertreffen. Susanne Schultz zeigt im letzten Beitrag dieses Schwerpunktes, welchen Angriffen etwa die These, bei Pränataldiagnostik scheint Eugenik auf, oder die These, Pränataldiagnostik diskriminiert Behinderte, derzeit ausgesetzt sind.
GID-Redaktion