EU: Verordnung zu “neuartigen Therapien”

Ein neues Regelwerk setzt einen konsequent nicht-ethischen Kurs

Nach zwei Jahren Diskussion und einem halben Jahr abgestimmter Übersetzungsarbeit wird die EU-Verordnung über „Medizinische Produkte für neuartige Therapien“ voraussichtlich im Januar 2008 in Kraft treten und ab Ende 2008 Anwendung finden. Ethische Fragen werden in dem Regelwerk, dass dann die Zulassung von Arzneimitteln auf der Basis von Gewebezüchtungen, Gen- oder Zelltherapie regelt, konsequent außen vor gelassen.

EU: Verordnung zu “neuartigen Therapien” Wer ohne nennenswerte Detailkenntnisse die Entwurfsvorlage liest, die dem Rat der Europäischen Union im Mai 2007 vorgelegt wurde, kann die Heftigkeit der Kontroverse, die in den letzten Jahren ausgetragen wurde kaum nachvollziehen: Bemerkenswert an der Verordnung über „Medizinische Produkte für neuartige Therapien“, die von der Kommission, dem Europaparlament und dem Ministerrat abgesegnet wurde, ist weniger ihr Wortlaut, als das, was sie nicht regelt. Während im Detail vorgeschrieben wird, wie die Beipackzettel bei Produkten auszusehen haben, die als Arzneimittel auf der Grundlage von Genen (Gentherapie), Zellen (Zelltherapie) und Gewebe (Gewebezüchtung) künftig von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMEA) zentral zugelassen werden, verliert das immer noch nicht in der endgültigen mehrsprachigen Fassung vorliegende Regelwerk kein Wort über ethische Grenzen in diesem sensiblen und kontrovers diskutierten Bereich. Dabei hatte letztes Jahr der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments noch die sogenannten drei europäischen Verbote beschlossen, die Bestandteil der Verordnung werden sollten: 1. ein Verbot der Eingriffe in die menschliche Keimbahn, 2. ein Verbot der Kommerzialisierung des menschlichen Körpers und seiner Teile als solcher analog zur Biopatentrichtlinie und 3. ein Verbot der Herstellung von Mensch-Tier-Mischlebewesen. Hier war bewusst eine enge Definition gewählt worden, die klarstellt, dass nicht die Transplantation von tierischen Zellen auf den menschlichen Körper zu therapeutischen Zwecken verboten werden sollte, sondern die Herstellung von Lebewesen, bei denen man nicht mehr erkennen kann, ob es sich um Mensch oder Tier handelt. Diese ethischen Beschränkungen, die der medizinischen Forschung auch eine Richtung vorgegeben hätten, wurden aber insbesondere von den liberalen und linken Abgeordneten strikt abgelehnt – auch mit Hinweis darauf, dass sich weder Kommission noch Ministerrat darauf einlassen würden. Der konsequente „nicht-ethische“ Kurs war dabei bemerkenswertweise von der deutschen Gesundheitsministerin Schmidt, die aufgrund der damaligen deutschen Ratspräsidentschaft eine besondere Rolle spielte, nachdrücklich unterstützt worden.

Bewusst vage formuliert

In einer weiteren auf europäischer Ebene kontrovers diskutierten Frage, der Nutzung von menschlichen embryonalen Stammzellen für medizinische Anwendungen, hat die neue Verordnung zwar den Nationalstaaten immerhin Möglichkeiten eröffnet Grenzen zu ziehen. Klare Worte wollten die EU-Politikerinnen und –Politiker aber nicht finden. Im einschlägigen Artikel 28 wird nicht, wie von Europaparlamentariern aus dem grünen und dem konservativen Spektrum vorgeschlagen, deutlich gesagt, dass kein Staat durch eine Zulassungsentscheidung der europäischen Arzneimittelbehörde gezwungen werden kann, Produkte zu importieren, die auf der der Nutzung menschlicher embryonaler Stammzellen basieren. Stattdessen wird vage bestimmt, dass die neue Regelung nicht die Anwendung einzelstaatlicher Rechtsvorschriften berührt, die die Verwendung spezifischer Arten menschlicher oder tierischer Zellen oder den Verkauf, die Lieferung und die Verwendung von Arzneimitteln, die diese Zellen enthalten oder aus ihnen gewonnen werden, untersagen oder beschränken. Bemerkenswert ist der hohe Druck unter den die Abgeordneten sich selbst bei der Verabschiedung dieses Regelwerks gesetzt haben: Obwohl die Brisanz der Fragen offensichtlich war, stand im Vordergrund der Debatte, dass auf jeden Fall und schnell eine kompromissfähige Fassung gefunden werden müsste, da , wie die SPD-Abgeordnete Dagmar Roth-Behrendt betonte, "Tausende von Patienten in der gesamten Europäischen Union händeringend auf neuartige Therapien warten". Tatsächlich sind anwendbare „neuartige Therapien“, die unter diese Verordnung fallen werden, gegenwärtig kaum in Sicht – insbesondere der Verweis auf Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson suggeriert unzutreffenderweise, dass hier aufgrund bürokratischer Hemmnisse aussichtsreiche Behandlungsmethoden nicht angewandt werden können. Mit Blick auf die Verhältnisse im deutschen Gesundheitswesen erscheint diese Politik, auf europäischer Ebene eine Regelung für „neuartige Therapien“ ohne Berücksichtigung ethischer Standards durchzusetzen, um die Situation kranker Menschen zu verbessern, besonders fragwürdig: Auf der Basis von Nicht-Empfehlungen und Nicht-Zulassungen werden hier bereits existierende, aussichtsreiche und wirkungsvolle Behandlungen mit „traditionellen Behandlungsmethoden“ insbesondere für Schmerzpatienten und Menschen mit schwersten Erkrankungen wie Multipler Sklerose nicht von den Gesetzlichen Krankenkassen finanziert, weil es keine Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses dafür gibt. Hier könnte sich ein zusätzliches Spannungsfeld auftun, weil auch die eventuelle Zulassung „neuartiger Therapien“ durch die EMEA ja noch keinesfalls bedeutet, dass diese Möglichkeiten dann den Kranken in den Ländern auch tatsächlich zur Verfügung gestellt werden. Immerhin ist in diesem Zusammenhang erfreulich, dass das EU-Regelwerk angesichts der zum Teil erheblichen Zulassungskosten vorsieht, dass kleine und mittlere Unternehmen hier Abschläge bis zu 90 Prozent bei der Anmeldung neuartiger Therapien geltend machen können.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
184
vom Oktober 2007
Seite 50 - 51

Oliver Tolmein hat über ein strafrechtliches bioethisches Thema promoviert und ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in Hamburg. Er vertritt überwiegend Menschen mit Behinderungen. Einer seiner Schwerpunkte in der „Kanzlei Menschen und Rechte“ ist Anti-Diskriminierungsrecht.

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