Das ewige Leben als Geschäftsmodell
Ungeprüfte Gentherapien versprechen Unsterblichkeit
In Próspera, einer Privatstadt auf der honduranischen Insel Roatán, scheint sich eine Brutstätte für kontroverse medizinische Eingriffe und Medizintourismus zu entwickeln.
Unendlich viel Zeit? Foto: Gerd Altmann/geralt via Pixabay
Gentherapien, also die genetische Veränderung von Patient*innen, zur Behandlung von Erkrankungen oder der vermeintlichen Optimierung von Eigenschaften, sind Teil der Innovationen, welche in der regulierungsarmen Umgebung gedeihen sollen. Der Begriff „Therapien“ ist bei genauer Betrachtung der von Biotech-Firmen und Biohacker*innen vorgestellten Ziele und der vorgelegten Belege für die vermeintliche Wirksamkeit jedoch fragwürdig.
Denn nicht Krankheiten, sondern das Altern selbst steht an vorderster Front der zu beseitigenden Fesseln der Menschheit, mit dem ultimativen Ziel das ewige Leben zu erreichen. Vom sechsten Januar bis ersten März soll in „Vitalia“, einer „Pop-up City“ in der Nähe von Próspera, an dem gemeinsamen Ziel gearbeitet werden, „den Tod optional zu machen“. „Die Bekämpfung des Alterns selbst, der Hauptursache der meisten Krankheiten, wird eine medizinische Revolution darstellen“ schreiben die Macher*innen der „Vitalia“-Konferenz auf ihrer Webseite und versprechen Erkenntnisse auf einem Level mit Louis Pasteurs „Keimtheorie“ zur Entstehung von Krankheiten und der Erfindung von Antibiotika. Die menschliche Lebenserwartung solle „innerhalb weniger Jahrzehnte verdoppelt“ werden. Das Programm der in verschiedene Phasen aufgeteilten Konferenz, formuliert in Buzzwords der Crypto- und Startup-Szene, verspricht eine Verwebung von kapitalistischen Interessen und Medizin von Anfang an: Im Januar sollte unter anderem der Stand der Forschung zu Langlebigkeit, Ökonomie und Anreizen von Gesundheitssystemen sowie „Philosophische Ansichten und Ethik der Lebensverlängerung“ thematisiert werden. Die zweite Woche widmete sich ganz dem Thema Cryptotechnologie und -Ökonomien. Ab dem 19. Februar sollen Biotechfirmen Medikamente in ihrer Pipeline vorstellen sowie Ansätze zum „Biohacking and Selbstoptimierung“ zur Lebensverlängerung thematisiert werden.
Die unglaubwürdigen Versprechen über Heilung und menschliche Optimierung erinnern an den Stammzellhype der Jahrtausendwende und den resultierenden Markt für wissenschaftlich unbelegte und zum Teil schädliche Stammzellbehandlungen. Stammzellen können sich, anders als ausgereifte Körperzellen, teilen und dazu gebracht werden, alle möglichen Arten von Gewebe zu bilden – theoretisch könnten sie in Patient*innen geschädigte Organe ersetzen, in der medizinischen Praxis gestaltet sich dies jedoch schwierig. Im Jahr 1997 wurde das Klonschaf Dolly hergestellt, 1998 die ersten embryonalen menschlichen Stammzellen isoliert und 2006 gelang es Forscher*innen, sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (IPSC) herzustellen. Damit sind ausgereifte Gewebezellen gemeint, die durch gentechnische Veränderungen in einen Stammzellstatus (zurück)versetzt wurden. So wie die Transplantation von Blutstammzellen aus dem Knochenmark von gesunden Spender*innen seit den 70er-Jahren die Behandlungen von Leukämien revolutionierte, versprach die Stammzellforschung, eine große Palette von Erkrankungen heilbar zu machen. Allerdings haben auch nach fast 30 Jahren Forschung nur wenige Therapieansätze die Kliniken erreicht. Noch weniger konnten klinische Studien eine Wirksamkeit bei Patient*innen zeigen. Doch im Fahrwasser der von Wissenschaftler*innen beschworenen Vision der medizinischen Revolution bildete sich ein unregulierter globaler Markt für Stammzellkliniken. Verzweifelten Patient*innen weltweit werden für viel Geld eigene und fremde Stammzellen in den Körper gespritzt, Behandlungen, bei denen es immer wieder zu gefährlichen Immunreaktionen oder Tumorwachstum kommt, während der Nutzen höchst fragwürdig ist.
Nicht überraschend also, dass unter den angekündigten Vitalia-Referent*innen auch Mitarbeiter*innen von Stammzellunternehmen sind, wie eine Mitbegründerin der US-amerikanischen Firma Aspen Neuroscience, die laut Webseite an der Therapie von Parkinson mit induzierten pluripotenten Stammzellen forscht. Auch ein Mitarbeiter von StemMedical, einer dänischen Stammzellklinik die neben Schönheitschirurgie auch die Teilnahme an klinischen Studien mit patient*inneneigenen Stammzellen anbietet, ist dabei. Die Bezeichnung von kostenpflichtigen Behandlungen als klinische Studie ist eine verbreitete Strategie von Stammzellkliniken, die ihre „Studien“ für einen seriösen Anstrich auch gern auf der US-amerikanischen Studienregister clinicaltrials.gov bewerben. Die Suche nach Roatán in der Datenbank spuckt mehrere Studien der Global Alliance for Regenerative Medicine aus (GARM) aus, ein Unternehmen, das laut dem Bioethiker Leih Turner „ziemlich typisch“ sei für Firmen, „die nicht zugelassene, unbewiesene Stammzelltherapien anbieten“. Die Studien sollen Behandlungen für chronische Schmerzerkrankungen, Multiple Sklerose und andere Autoimmunerkrankungen testen. Der Internetauftritt der Klinik verspricht weitere Stammzelltherapien für Erkrankungen von Diabetes bis Post-Covid und wirbt mit einer risikolosen Behandlung, während der Rest der Familie das „Resort-Paradis“ genießen könne.
Neben den bekannten Umtrieben von Stammzellkliniken scheint sich jedoch ein neues Geschäftsmodell in Roatán zu entwickeln. Im Februar letzten Jahren berichtete das MIT Technology Review von dem Biotech-Startup Minicircle, dass Proband*innen für eine klinische Studie für eine „reversible Gentherapie“ suchte. Durchgeführt wurde die Behandlung in der GARM-Klinik, deren Gründer Glenn Terry als Referent auf der Vitalia-Konferenz angekündigt wird. Minicircle sitzt zwar in Austin, aber für seine Behandlungen ist das libertäre Próspera aufgrund der laxen Regulierung interessant. Klinische Studien, um die Wirksamkeit von Therapien zu belegen, sind normalerweise aufgrund der vielen Vorschriften und hohen Anforderungen in der EU und USA sehr teuer. Im libertären Paradies muss das Unternehmen nur eine Versicherung abschließen und sich von den Proband*innen bestätigen lassen, dass sie sich über die Risiken bewusst sind. Man wolle auch in den USA Studien durchführen, aber laut Mitbegründer Walter Patterson sei das Unternehmen „in Honduras, weil wir die Dinge hier wesentlich schneller erledigen können.“
Die Praxis des „Ethics dumping“ ist nicht neu und auch von konventionellen Pharmafirmen bekannt: klinische Studien werden im Globalen Süden durchgeführt, wo es leichter ist, Proband*innen zu finden und Bewilligungen von Behörden zu bekommen. Doch bei Minicircle sind die Teilnehmer*innen des Menschenexperiments keine armutsbetroffene lokale Bevölkerung, sondern unter den Testpersonen sind vor allem Reiche wie der Biohacker und Milliardär Byran Johnson, der von der Unsterblichkeit träumt. Dazu passend sind die Investor*innen in die Idee der Lebensverlängerung Tech-Milliardäre wie Peter Thiel. Wie der MIT Technology Report schreibt, scheint Minicircle 2021 mindestens 150.000 Dollar von Thiel und Naval Ravikant, einem Mitbegründer von AngelList und einem prominenten Tech- und Krypto-Investor, erhalten zu haben. Auch der CEO von OpenAI, Sam Altman, steckte 250.000 Dollar in das Startup.
Minicircle positioniert sich treu dem „Disruptions“-Narrativ des Startup-Milleus als Gegenpol zur Pharmaindustrie: „Das gesamte Big-Pharma-System ist derzeit darauf ausgerichtet, extrem teure Medikamente für extrem seltene Krankheiten herzustellen, an denen nur sehr wenige Menschen leiden“, so Mitgründer und CEO, Machiavelli Davis. Auch am zeitgemäßen Weltverbesserungs-Ethos bedient sich das Unternehmen: die Firma wolle bezahlbare Medikamente für Krankheiten, die jede*r hat, entwickeln. Die Studie scheint inzwischen beendet zu sein. Auf der Webseite erfährt man, dass die „weltweit erste reversible Follistatin-Gentherapie […] jetzt verfügbar“ sei. Aus philanthropischen Gründen scheint Minicircle nicht zu agieren. Für 250 US-Dollar können Interessierte sich telefonisch zu dem Angebot beraten lassen, die Behandlung selber kostet dann 25.000 US-Dollar pro Behandlung. Billiger als Gentherapien von konventionellen Pharmafirmen, die rund zwei Millionen US-Dollar kosten können, jedoch müssen diese für die Zulassung Wirksamkeitsbelege vorlegen. Diese findet man bei Minicircle nicht.
„In unserer jüngsten klinischen Studie am Menschen erhöhte Follistatin die Magermasse, verringerte die Fettmasse, verringerte den Blutdruck und verlängerte die Telomere, und kehrte die epigenetische Altersbeschleunigung drastisch um“ behauptet die Firma in einem Informationsblatt. Follistatin ist ein Glykoprotein, das durch das FST-Gen kodiert wird. Für Minicircle ist es interessant, weil es Myostatin unterdrückt, ein Protein, das das Muskelwachstum hemmt. Fehlt Myostatin, können sich die Muskelzellen ohne die üblichen biologischen Kontrollen vermehren und ausdehnen. Infolgedessen besitzen Tiere mit Mutationen in diesem Gen eine extreme Muskelmasse. Wissenschaftler*innen haben bereits versucht, durch die Manipulation des Gens Erkrankungen wie Muskeldystrophie und ALS zu behandelt – bisher ohne Erfolg. Die Behauptung des Startups, ihre Gentherapie könnte „Gebrechlichkeit, Fettleibigkeit und übermäßige Entzündung“ als „Kennzeichen der Alterung“ behandeln und somit als eine Art Jungbrunnen wirken, ist wissenschaftlich ebenfalls sehr fragwürdig. Reversibel sei die Therapie, weil das Plasmid, ein kreisförmiges DNA-Stück, das das FST-Gen in die Zellen der Kund*innen schmuggeln soll, sich nicht in deren DNA integrieren soll. Zudem enthalte es einen „Killswitch“, mit dem das Plasmid bei Gabe bestimmter Antibiotika neutralisiert werden könne.
Die von Minicircle vorgelegten Ergebnisse sind verglichen mit den großspurigen Behauptungen mager: Die Patient*innenzufriedenheit hätte zwar bei 100% gelegen, im Durchschnitt nahm die fettfreie Masse jedoch nur um rund ein Kilogramm zu, und der Fettanteil reduzierte sich um 0,8%. Ein Diagramm mit großer Datenstreuung illustriert das beeindruckendste Ergebnis: 12 Jahre hätte die Gentherapie die „epigenetische Uhr“ im Durchschnitt bei den behandelten Personen zurückgedreht. Wie dies gemessen wurde und wie nachhaltig der Effekt war, bleibt unklar, die Ergebnisse wurden nicht in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht. Ob die Gentherapie mit der von Minicircle verwendeten Plasmid-Technologie überhaupt theoretisch irgendetwas bewirken könnte, ist unklar. Laut einem der Erfinder der Minicircle-Technologie, Mark Kay, Professor für Genetik an der Stanford University, sei es mit der Technologie bisher nicht gelungen, DNA auf eine Weise in den Zellkern einzubringen, die klinisch relevant, sicher und therapeutisch sei. Nach Betrachtung der Webseite der Firma verstehe er nicht, warum das Startup Erfolg haben sollte, wo andere gescheitert seien. Die Ärztin Christin Glorioso warnt sogar vor Krebs und Leberschäden durch die Behandlung, die „wahrscheinlich jemanden töten wird“. Regulationen und Hürden für die Zulassung von Medikamenten und klinische Studien haben daher ihren Grund. Sie sollen Proband*innen und Patient*innen vor Schäden schützen und wissenschaftlich unbelegte Abzocke verhindern.
Dr. Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin des GeN.
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