Einfach mal machen?

Aktueller Stand der internationalen Debatte über Genome Editing am Menschen

Die Erfindung von CRISPR-Cas hat eine Debatte losgetreten, deren grundsätzliche Fragen eigentlich von der Effizienz der Technologie unabhängig sein sollten. Während Befürworter*innen von der Verbesserung unserer Spezies träumen, fordern andere ein Verbot jeglicher Forschung.

Labor mit Regalen voller Gläser

Führende Wissenschaftler*innen schlugen 2018 im Rahmen eines Gipfeltreffens vor, einen „translatorischer Weg“ für Keimbahnveränderungen von der Forschung bis zur Klinik zu entwickeln. Foto: generiert mittels K.I. (runwayml.com)

Humangenetische Manipulation (HGM) bezeichnet die absichtliche Veränderung der DNA menschlicher Embryonen mit dem Ziel, eine Schwangerschaft herbeizuführen.1 Da alle Zellen des Körpers des zukünftigen Kindes betroffen sind, einschließlich seiner Eizellen und Spermien, sind die genetischen Veränderungen vererbbar, das heißt, sie werden an die nächsten Generationen weitergegeben. Es besteht ein starker internationaler Konsens gegen HGM, der insbesondere durch internationale Verträge wie das Europäische Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin sowie die Allgemeine Erklärung über das menschliche Genom und der Menschenrechte, aber auch durch nationale Gesetzgebungen gestützt wird. Von 96 Ländern, die über entsprechende Gesetze verfügen, verbieten 70 die Verwendung genetisch veränderter In-vitro-Embryonen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Noch bemerkenswerter ist, dass kein Land HGM ausdrücklich erlaubt. Trotz dieses überwältigenden gesellschaftlichen Konsenses sind zivilgesellschaftliche und Menschenrechtsorganisationen sowie viele Wissenschaftler*innen besorgt über eine mögliche künftige Anwendung. Seit dem Aufkommen von CRISPR, einer Gentechnologie, die als leistungsfähiger, sicherer und präziser als frühere Techniken gilt, drängt die Biotechnologie- und Fertilitätsindus­trie in Verbindung mit bestimmten Teilen der wissenschaftlichen Community auf die Legalisierung von Keimbahneingriffen.

Von der theoretischen Diskussion zur Praxis

Das Auftauchen von CRISPR als Genome Editing-Werkzeug im Jahr 2012 löste eine internationale Debatte aus: Plötzlich schien die genetische Veränderung von Embryonen für die assistierte Reproduktion keine Science-Fiction mehr, sondern eine reale Möglichkeit. Einige Organisationen, Ethikgesellschaften und kritische Wissenschaftler*innen bekräftigten, dass HGM nicht weiterverfolgt werden sollte oder dass zumindest ein Moratorium verhängt werden sollte. Im Jahr 2015 organisierten die nationalen Wissenschaftsakademien der USA, Großbritanniens und Chinas den ersten internationalen Gipfel zum Human Genome Editing (ISHGE). Hunderte Forschende aus der ganzen Welt kamen zusammen, um wissenschaftliche, ethische, rechtliche, soziale und regulatorische Fragen rund um das Genome Editing am Menschen zu diskutieren. Der Abschlussbericht des Gipfels räumte ein, dass es aus Sicherheitsgründen unverantwortlich wäre, sofort mit der klinischen Anwendung von HGM zu beginnen, und sprach von einem „breiten gesellschaftlichen Konsens“, der nötig wäre, um HGM voranzutreiben. Der von einigen Teilnehmenden unterbreitete Vorschlag eines Forschungsmoratoriums mit der Möglichkeit eines Verbots wurde ignoriert. Im Jahr 2017 kam ein Bericht der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA zu dem Schluss, dass es zwar derzeit unsicher sei, mittels CRISPR einen Menschen mit verändertem Genom zu erzeugen, dass dies aber eines Tages bei Vorliegen von schwerwiegenden Gründen gerechtfertigt sein könnte. Dieser Bericht wurde vom European Academies Science Advisory Council unterstützt.

Im Jahr 2018 fand in Hongkong ein zweiter ISHGE statt. Während des Gipfels enthüllte ein teilnehmender Wissenschaftler, He Jiankui, dass er CRISPR verwendet hatte, um das Genom von mindestens drei Embryonen zu verändern, die zu Schwangerschaften führten – aus medizinischen Gründen, wie er behauptete. Laut Medienberichten hatten ihm die schwachen und zweideutigen Empfehlungen des ersten ISHGE-Berichts als Rechtfertigung für seine Menschenexperimente gedient. Nach einigen Jahren der Debatte über die umstrittene Möglichkeit von Keimbahnveränderungen mittels CRISPR hatte He das Thema mit der ersten Anwendung auf die Spitze getrieben. Die Wissenschafts-Community reagiert zunächst mit einem Aufschrei, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gipfels. Später stellte sich jedoch heraus, dass er kein „Einzeltäter“ war, sondern mit vielen der führenden CRISPR-Wissenschaftler*innen in den USA und China in Kontakt gestanden hatte, von denen keine*r Alarm geschlagen hatte, als er ihnen von seinen Plänen erzählte.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Organisationskomitee dieses zweiten ISHGE in ihrem Abschlussbericht noch laxer war als im vorherigen: Keimbahnveränderungen würden sich durchsetzen, sie würden in der Zukunft akzeptiert werden, daher sollte ein „translatorischer Weg zu Keimbahnveränderungen“ von der Forschung bis zur tatsächlichen klinischen Anwendung entwickelt werden. Die Erklärung erwähnte lediglich am Rande eine „Beachtung der gesellschaftlichen Auswirkungen“ und unterstrich damit die Verschiebung von der früheren Forderung nach einem „breiten gesellschaftlichen Konsens“ zu der viel engeren Voraussetzung eines „breiten wissenschaftlichen Konsens“. Der Bericht verdeutlichte, dass die gesellschaftliche und die wissenschaftliche Diskussion über HGM getrennt geführt werden soll: Die Wissenschaftler*innen forschen weiter, während die Gesellschaft hinterherläuft. Natürlich waren sich nicht alle an der Debatte Beteiligten einig – im Folgenden möchte ich die Hauptpositionen rund um HGM beschreiben, die sich in den Jahren nach diesen ersten Gipfeltreffen entwickelt haben.

Position 1: Lasst es uns einfach machen

Die Position befürwortet Keimbahneingriffe eindeutig. Die Befürworter*innen dieser Position, wie z.B. der Nuffield Council On Bioethics im Vereinigten Königreich, argumentieren nicht nur, dass es keine ethischen oder politischen Argumente dagegen gibt, sondern auch, dass es „moralische Gründe gibt, die gegenwärtigen Forschungsbemühungen fortzusetzen und die Bedingungen herzustellen, unter denen vererbbares Genom Editing zulässig wäre“. Dies wurde von einem weiteren Bericht der US-amerikanischen nationalen Wissenschaftsakademien aufgegriffen, in dem der „translationale Weg“ für die Anwendung von HGM im klinischen Kontext ausformuliert wurde. Beide Berichte gingen über die Verwendung für therapeutische Zwecke hinaus und zogen genetisches Enhancement in Betracht, also auch Veränderungen, die über die menschliche Norm hinausgehen.2

Der wissenschaftliche Enthusiasmus für Enhancement sollte nicht überraschen. Seit den Anfängen der modernen Biologie träumen Forschende von einer Wissenschaft, die endlich über die Unordnung und Unberechenbarkeit der Natur herrscht. Francis Galton, der britische Universalgelehrte des 19. Jahrhunderts und Erfinder der Eugenik, formulierte diese Idee so: „Was die Natur blind, langsam und unbarmherzig tut, kann der Mensch vorsorglich, schnell und gütig erreichen. Da es in seiner Macht liegt, ist es seine Pflicht, in dieser Richtung zu arbeiten.“ Diese Haltung wurde in jüngerer Zeit auch von Jennifer Doudna formuliert, der Wissenschaftlerin, die für ihren Beitrag zur Entwicklung von CRISPR mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde: „Tatsächlich sind wir bereits dabei, das taube, stumme und blinde System, das das genetische Material auf unserem Planeten seit Äonen geformt hat, zu verdrängen und durch ein bewusstes, zielgerichtetes System der vom Menschen gesteuerten Evolution zu ersetzen.“. 

Die Befürworter*innen finden moralische Unterstützung in den Arbeiten von Philosoph*innen wie Savulescu und Singer, für die eine ethisch vertretbare Entwicklung von Keimbahneingriffen wie folgt aussehen sollte: „katastrophale monogenetische Erkrankungen (wie Tay-Sachs), danach monogenetische Erkrankungen (wie Huntington), dann eine Verringerung der genetischen Veranlagung für Volkskrankheiten (wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen), dann eine verbesserte Immunität und vielleicht sogar eine Verzögerung des Alterns […]. In ferner Zukunft könnte das Genome Editing zu Enhancement des genetischen Beitrags zur allgemeinen Intelligenz eingesetzt werden.“

Position 2: Lasst es uns machen – aber sicher

Eine Zwischenposition vertritt beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die eine zweideutige Haltung einnimmt, indem sie anerkennt, dass es zum jetzigen Zeitpunkt noch „unverantwortlich ist, mit HGM fortzufahren“, und rät, von der Bewilligung klinischer Studien abzusehen. Sie fordert jedoch kein Moratorium. Eine ähnliche Zweideutigkeit ergab sich bei dem dritten ISHGE. In der Planung des Gipfeltreffens im März 2023 wurde zwar vordergründig das Ziel verfolgt, inklusiver zu sein und einige Kritiker*innen bekamen die Gelegenheit, Argumente gegen HGM vorzubringen. Aber andere Stimmen, z.B. aus der Behindertenrechtsbewegung, fehlten noch immer. Trotz dieser Ausschlüsse spiegelte sich die Kritik seitens zivilgesellschaftlicher Organisationen und einiger Wissenschaftler*innen in der Abschlusserklärung wider: „Vererbbares Genome Editing am Menschen bleibt zum jetzigen Zeitpunkt inakzeptabel. Öffentliche Diskussionen und politische Debatten werden fortgesetzt und sind wichtig, um zu klären, ob diese Technologie eingesetzt werden sollte“ [Hervorhebung durch den Autor]. Diese Position war das Ergebnis intensiver Bemühungen, die Debatte von der Frage, wie Keimbahnveränderungen durchgeführt werden sollten, zu der Frage verschob, ob die Technologie überhaupt eingesetzt werden sollte. 

Der enge Fokus auf die Sicherheit reduziert die Zulässigkeit von HGM auf technische und wissenschaftliche Kriterien. Ausgehend von dieser verkürzten Perspektive müssen die Technologien einfach nur weiterentwickelt werden. In der Annahme, dass dadurch ein sicherer Einsatz von Keimbahneingriffen erreicht werden kann, werden in diesem Framing ethische und politische Aspekte vernachlässigbar. Die Antworten auf grundlegende Fragen sollten jedoch nicht von der Effizienz einer Technologie beeinflusst werden: Stellt HGM eine ethische und moralische „rote Linie“ für den Menschen dar? Wollen wir sie überschreiten? Wie wird sich die Umsetzung von HGM in unseren ungerechten, von Rassismus, Sexismus und Behindertenfeindlichkeit geprägten Gesellschaften ausgestalten?

Position 3: Wir sollten es nicht machen

Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der dritten Position zu HGM. Sie manifestieren sich in einem 2019 von einigen kritischen Wissenschaftler*innen in der Fachzeitschrift Nature verfassten Aufruf zu einem Moratorium für HGM, der von zahlreichen Organisationen unterstützt wurde. Darüber hinaus gaben Interessenvertreter*innen und Expert*innen aus Politik, Bioethik und Wissenschaft die Genfer Erklärung ab, um eine „Kurskorrektur“ in Bezug auf HGM zu fordern. Mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen unterstützten ebenfalls die Idee eines Moratoriums oder sogar eines Verbots von HGM, ebenso wie einige Wissenschaftler*innen. Im Jahr 2023 bildeten verschiedene nationale zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen die Internationale Koalition gegen die Erschaffung von Designer-Babys. Gleich zu Beginn des dritten ISHGE veröffentlichte das Bündnis aus 44 Organisationen und über 1.600 Unterzeichner*innen aus der ganzen Welt die Internationale Erklärung gegen die Legalisierung von vererbbaren gentechnischen Veränderungen von Menschen, in der ein internationales Verbot von HGM gefordert wird. Die Missing Voices Initiative der US-amerikanischen Organisation Center for Genetics and Society vertritt eine ähnliche Position. Ihr Ziel ist es, „Stimmen und Perspektiven der sozialen Gerechtigkeit und der Menschenrechte in den Debatten über vererbbares Genome Editing zu stärken“.

Daneben haben sich auch einige eher akademische Initiativen gebildet, die nicht unbedingt eine klare Position vertreten, wie das Global Observatory for Genome Editing, welches „das Spektrum der Fragen, die sich an den Grenzen der neu entstehenden Biotechnologien stellen, erweitern und Alternativen erforschen und fördern“ will – ein etwas mysteriöses Unterfangen. Andere Projekte wie die Global Citizens‘ Assembly on Genome Editing, geleitet von Wissenschaftler*innen der australischen Universität Canberra, versuchen, Methoden zu entwickeln, um den „breiten gesellschaftlichen Konsens“ zu erreichen, den der erste Gipfel als notwendig für HGM vorschlug. Ähnliche Initiativen organisierten Bürger*innenforen und -jurys in Australien, Frankreich, den USA und Großbritannien, um Fragen im Zusammenhang mit HGM zu erörtern. Da die Ergebnisse dieser Formate sehr stark davon abhängen, welche Argumente vorgebracht werden und wessen Stimmen gehört werden, bleibt das Ergebnis dieses Prozesses abzuwarten. Die Ergebnisse der britischen Version wurden von den Medien genutzt, um Keimbahneingriffe zu unterstützen.

Fazit

Die Argumente gegen HGM werden in anderen Artikeln dieser GID-Ausgabe ausformuliert. Aber aus meinem sehr knappen Überblick des ISHGE-Prozesses und der verschiedenen Positionen zu vererbbarem Genome Editing in der Wissenschafts-Community und der Zivilgesellschaft lässt sich bereits ableiten, dass trotz der Darstellung der Technologie als reine Frage der technischen Sicherheit im Mainstream der Debatte vieles unterbeleuchtet bleibt. Während die existente globale Gesetzgebung, die Keimbahnveränderungen weitestgehend verbietet, oft missachtet wird, erhalten die entscheidenden Fragen der Gerechtigkeit und der Menschenrechte nicht die Bedeutung, die sie verdienen.

Übersetzung des Artikels ins Deutsche von Dr. Isabelle Bartram. Die englische Originalversion mit allen Referenzen ist online unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/januar-2024/just-do… verfügbar. 

  • 1Dies betrifft auch die gentechnische Veränderung menschlicher Gameten – der Eizellen (Ovula) und Spermien (Spermatozoen) – sowie die Entwicklung der „In-vitro-Gametogenese“, der künstlichen Herstellung menschlicher Gameten aus somatischen (d.h. Körper-)Zellen. HGM könnte auch direkt in diesem Gametenstadium, vor der Befruchtung, eingesetzt werden. Der Autor bevorzugt den Begriff „Manipulation“ statt „Genome Editing/Editieren“, da letzteres in Anlehnung an die „Copy and Paste“-Funktion von Textbearbeitungsprogrammen verwendet wurde, um eine gefährliche und falsche Vorstellung von perfekter Genauigkeit und Sicherheit zu vermitteln.
  • 2Die Dichotomie zwischen medizinischer Notwendigkeit und Enhancement ist umstritten. In den letzten Jahren wurde sie verwendet, um den Einsatz von Bio- und Reproduktionstechnologien aus medizinischen Gründen zu legitimieren (mit dem Argument, solange es sich nicht um Enhancement handele, sei es ethisch in Ordnung), ohne dass diese beiden Kategorien jemals klar definiert wurden und ohne zu hinterfragen, wer die Legitimität hatte, diese Definitionen zu formulieren.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
268
vom Februar 2024
Seite 8 - 10

Dr. Daniel Papillon ist Biologe und Sprecher der Internationalen Koalition gegen die Erschaffung von Designer-Babys. www.coalitionstopdesignerbabies.net

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Texte Auch auf Englisch

Da es sich bei dem Thema Human Genome Editing um eine internationale Angelegenheit handelt, haben wir ausnahmsweise alle Artikel dieses Schwerpunktes auf unserer Webseite als englischsprachiges Dossier zusammengestellt. Verbreiten Sie es gern weiter an potenziell Interessierte.

www.gen-ethisches-netzwerk.de/HHGE

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