Human Genome Editing
Internationale Abwägungen zu Keimbahnveränderungen
Die „Genschere“ CRISPR-Cas ermöglicht genetische Veränderungen schneller als jemals zuvor. Während die ersten Patient*innen mit CRISPR-Therapien behandelt werden, wird über Keimbahneingriffe international noch diskutiert. Ihre Anwendung birgt ein hohes technologisches und gesellschaftliches Risiko.
Bild: © JUN CEN (www.instagram.com/juncenart)
Genome Editing beschreibt neue molekularbiologische Verfahren, mit denen gezielt die DNA verändert werden kann. Besonders mit der Entdeckung der sogenannten Genschere CRISPR-Cas9, ist das Thema medial bekannt geworden. Dieser Beitrag bietet eine Übersicht über den aktuellen Entwicklungsstand, als Grundlage für den Schwerpunkt dieses Heftes, der speziell die Debatte zu Keimbahnveränderungen durch Genome Editing thematisiert.
CRISPR erzeugt durch seine, im Vergleich zu vorherigen gentechnologischen Methoden, präzisere und effizientere Anwendung Hoffnungen für die Entwicklung von neuen Therapien. In der biomedizinischen Grundlagenforschung konnte z.B. die Entwicklung von Modellorganismen wie Knock-out-Mäusen, bei denen bestimmte Gene inaktiviert sind, deutlich beschleunigt werden. Die Genome Editing-Methode erlangte jedoch nicht nur durch ihre einfachere Anwendung Berühmtheit. Im Jahr 2018 verkündete der chinesische Wissenschaftler He Jiankui durch die CRISPR-Technologie die ersten genetisch veränderten Babys erschaffen zu haben – ein Skandal, der der internationalen Debatte um genetische Veränderungen am Menschen Druck verlieh.
Wissenschaftler*innen versprechen gezielt und präzise das menschliche Genome verändern zu können und so Krankheiten zu therapieren und zu heilen. Solche Eingriffe können somatisch oder auf Keimbahnebene stattfinden. Bei der somatischen Gentherapie können existierende Menschen mit Erkrankungen, die durch kleine Genvarianten verursacht werden, behandelt werden. Es werden entweder Zellen entnommen, im Labor verändert und wieder in die Patient*innen eingeführt (ex vivo), oder der Genome Editing-Komplex wird direkt in Patient*innen eingebracht (in vivo) und verändert dort das Genom von Zellen. Eine weitere Option sind Keimbahneingriffe – wie von He Jiankui in die Praxis umgesetzt – bei denen Keimzellen oder Embryonen genetisch verändert werden. Anders als bei somatischen Ansätzen, werden diese Veränderungen an die nächsten Generationen weitergegeben, sie sind vererbbar. Während Keimbahneingriffe in den meisten Ländern mit entsprechender Gesetzgebung illegal sind 1, erreichen derzeit die ersten CRISPR-basierten Gentherapien die Kliniken.
Die erste CRISPR-Therapie
Zwei angeborene Bluterkrankungen – Sichelzellanämie und beta-Thalassämie – sollen nun erstmals mit einer Gentherapie durch CRISPR-Cas therapiert werden. Bei diesen beiden Krankheiten liegt eine abweichende Variante im Gen des Blutfarbstoffes Hämoglobin vor. Im Falle der Sichelzellanämie führt das dazu, dass die roten Blutkörperchen nicht ihre typische konkave Form erhalten, sondern teilweise sichelförmig oder gekrümmt sind, dadurch kommt es zu Verklumpungen der Blutkörperchen. Der Sauerstofftransport im Blut wird beeinträchtigt, was bei Betroffenen zu starken körperlichen Schmerzen, Organschäden und einer stark verringerten Lebenserwartung – durchschnittlich 40 Jahre – führen kann. Die erste CRISPR-Therapie wurde im November 2023 in Großbritannien zugelassen, im Dezember folgte die Zulassung in den USA. Sie trägt den Namen exa-cel (exagamglogene autotemcel oder Casgevy) und wurde von Vertex Pharmaceuticals und der Firma der CRISPR-Entwicklerin Jennifer Doudna, CRISPR Therapeutics, entwickelt. Auch die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) empfiehlt die Zulassung für exa-cel. Bei der Therapie werden Erkrankten blutbildende Stammzellen entnommen und mit CRISPR-Cas verändert, dabei wird nicht das defekte Hämoglobin-Gen selbst behandelt, sondern sogenanntes fetales Hämoglobin reaktiviert. Diese Form von Hämoglobin ist in einem bestimmten embryonalen Abschnitt aktiv und wird nach der Geburt stumm geschaltet. Mit CRISPR-Cas wird es im Labor in Blutstammzellen von Patient*innen reaktiviert und diese werden zurück in deren Körper transplantiert. Dort sollen die Zellen rote Blutkörperchen produzieren und so die Symptomatik ausgleichen.
So klein der gewollte genetische Eingriff durch exa-cel auch sein mag, die Behandlung stellt einen massiven Eingriff in den Körper der Patient*innen dar. Die Therapie funktioniert nur, wenn vorher die körpereigenen Blutstammzellen zerstört wurden. Die dafür nötige Chemotherapie stellt eine starke körperliche Belastung dar. Das Risiko, dass die eigenen Immunzellen die veränderten Stammzellen abstoßen, ist dabei deutlich geringer als bei gespendeten Zellen. Das ist ein Vorteil der Gentherapie mit CRISPR-Cas zu einer herkömmlichen Stammzelltransplantation. Die Ergebnisse aus klinischen Studien mit insgesamt rund 100 Patient*innen sind vielversprechend, fast hundert Prozent der Therapierten berichteten vom Verschwinden der Schmerz-Symptome. Die Dauer der Wirkung und potenzielle langfristige Nebenwirkungen sind jedoch noch nicht bekannt. Einige Wissenschaftler*innen, auch innerhalb der FDA – der US-Behörde für Lebens- und Arzneimittelüberwachung – befürchten mögliche ungewollte genetische Veränderungen durch ein weiterhin aktives Cas-Enzym.2Außerdem stellt sich die Frage, wer sich solch eine Therapie leisten kann, denn sie kostet pro Person rund zwei Mio. Euro.
Probleme und Hoffnungen
Auch wenn CRISPR-Cas effizienter und präziser als vorherige gentechnische Methoden ist, zeigen neue Studien immer wieder, dass die Technologie weit davon entfernt ist, so fehlerfrei zu sein, wie einige Medienberichte es vermitteln. Ein Beispiel für ungewollte Effekte ist He Jiankuis Versuch, die „CRISPR-Zwillinge“ mittels einer genetischen Veränderung im Embryonalstadium resistent gegen das HI-Virus zu machen. Das Gen CCR5 enthält die Bauanleitung für ein Protein, dass auf der Oberfläche von Immunzellen eine Angriffsstelle für das HI-Virus darstellt. He versuchte eine natürlich vorkommende Veränderung des Gens zu bewirken von der bekannt ist, dass sie eine Resistenz gegen HIV bewirkt. Betroffenen fehlen in beiden Kopien des Gens 32 Basenpaare, die Variante wird daher CCR5-Δ32 genannt. Selbst wenn der Keimbahneingriff so funktioniert haben sollte wie von He geplant, eine Voraussage, wie sich eine Veränderung des Proteins äußern wird, ist schwer zu treffen. Gene wirken oft pleiotrop, d.h. sie sind nicht nur für eine Funktion, sondern für mehrere verantwortlich. CCR5 spielt zum Beispiel auch eine Rolle bei der Gehirnfunktion.3 Es stehen also enorme gesundheitliche Folgen auf dem Spiel.
Neben dem Problem, dass Folgen für die Protein-Kaskade nicht direkt ersichtlich sind, wird auch die Präzision der Genschere in Frage gestellt.4Denn eigentlich ist der Begriff der „Schere“ sehr irreführend. Die Nuklease, die einen Doppelstrangbruch in der DNA verursacht, ist nicht ansatzweise so genau wie eine Schere. Es handelt sich nicht um einen einfachen ‚Schnitt‘, sondern um chemische Bindungen, die aufgebrochen werden. Ein Doppelstrangbruch kann also zum Beispiel auch ungenau erfolgen und ungewollte Mutationen hervorrufen. Ebenso kann es bei der Anwendung von CRISPR-Cas zu Off-Target-Effekten kommen, also Veränderungen von Genen, die außerhalb der Zielsequenz liegen. Abhängig davon, wo sie in der DNA stattfinden, können sie unbemerkt bleiben oder schwere Folgen haben – im schlimmsten Fall können sie zu Krebs führen. Ein weiteres Risiko sind genetische Mosaike. Dabei liegen die gewünschten Veränderungen nicht in allen Zellen im Embryo vor, sondern nur in einigen, wie in einem Mosaik. Auch dies kann zu gesundheitlichen Problemen führen.
Streit um Anerkennung und Geld
In der Abwägung von technischen Chancen und Risiken von Genome Editing, werden die ökonomischen Kontexte oft ausgeblendet. Wie der Preis von exa-cel zeigt, geht es um viel Geld. Im Jahr 2020 erhielten Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier den Nobelpreis für Chemie für die Entdeckung und Entwicklung von CRISPR-Cas im Jahr 2012. Doch auch ein zweites Forschungsteam um Feng Zhang arbeitete zur selben Zeit mit der Technologie. Seit 2016 herrscht zwischen den Teams ein Patentstreit, es geht um Millionen an Lizenzgebühren und Anerkennung in der wissenschaftlichen Community für die Technologie als Ganzes. Im Februar 2022 entschied das US-Patentamt, dass Zhang das Patent für die Anwendung von CRISPR-Cas bei höheren Lebewesen erhält, da er die Technik als erster in Mäusen und menschlichen Zellen anwendete. Mittlerweile haben auch andere Forschungsteams weltweit Patentanträge für unterschiedliche Anwendungen der Technik eingereicht.
Eine globale Debatte ist notwendig
Es besteht also von vielen Seiten aus ein großes finanzielles Interesse daran, CRSIPR-Cas als präzise und ungefährlich darzustellen und für vielfältige, profitable Anwendungen zu entwickeln – eine davon ist der Kinderwunschsektor. Wie die Datenlage zu Eizelltransfer und Leihgebären im Ausland zeigt, können nationale Gesetzgebungen viele Wunscheltern nicht davon abhalten, ethisch kontroverse Reproduktionstechnologien in Anspruch zu nehmen. Die Regulierung der Erforschung und Anwendung von vererbbarem Genome Editing muss also eine internationale Angelegenheit sein. Dieses Heft thematisiert daher die internationale Debatte um Keimbahneingriffe aus einer kritischen feministischen und anti-eugenischen Perspektive.
Daniel Papillon, Sprecher der Internationalen Koalition gegen die Erschaffung von Designer-Babys gibt die Entwicklung der globalen Abwägungen seit der Entwicklung von CRISPR-Cas wieder. Ein Interview mit Gregor Wolbring, Professor für Disability und Ability Studies, unterstreicht die Wichtigkeit der behindertenrechtlichen Perspektive: Er kritisiert den Fokus der Debatte auf die Sicherheit der Technologie. Um von diesem limitierten Blickwinkel wegzukommen, hat ein internationales Bündnis Grundsätze der Menschenrechte und sozialen Gerechtigkeit in Bezug auf vererbbares Genome Editing entwickelt. Katie Hasson vom US-amerikanischen Center for Genetics and Society stellt diese Leitlinien vor. Im letzten Beitrag spannt Isabelle Bartram den Bogen zurück zur deutschen Debatte, bei der momentan lebhaft am gesetzlichen Verbot der Embryonenforschung gerüttelt wird. Die auf höchster Ebene ausgetragenen Debatten zeigen die eklatante Leerstelle bezüglich feministischer und ökonomiekritischer Argumente.
- 1Baylis, F. et al. (2020): Human Germline and Heritable Genome Editing: The Global Policy Landscape. In: The CRISPR Journal, 3 (5), S.365-377, www.doi.org/10.1089/crispr.2020.0082.
- 2Reardon , S. (08.12.23): FDA approves first CRISPR Gene Treatment for Sickle Cell Disease. In: Scientific American, online: www.kurzelinks.de/gid268-bf [letzter Zugriff: 01.02.24].
- 3Regalado, A. (21.02.19): China’s CRISPR twins might had their brains inadvertently enhanced. In: MIT Technology Review, online: www.kurzelinks.de/gid268-bg [letzter Zugriff: 01.02.24].
- 4GeneWatch UK (2023): On-target effects of genome editing techniques: (Un)repaired DNA damage, a hinderance to safety and development. Online: www.kurzelinks.de/gid268-bh [letzter Zugriff: 01.02.24].
Dr. Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin des GeN.
Lilly Presser ist Biologiestudentin, sie absolvierte von 2021 bis 2022 ein FÖJ und arbeitete anschließend von 2022 bis 2024 im Rahmen eines Minijobs beim GeN.
Texte auch auf Englisch
Da es sich bei dem Thema Human Genome Editing um eine internationale Angelegenheit handelt, haben wir ausnahmsweise alle Artikel dieses Schwerpunktes auf unserer Webseite als englischsprachiges Dossier zusammengestellt. Verbreiten Sie es gern weiter an potenziell Interessierte.
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