Keimbahneingriffe made in Germany?

Forderung nach Forschung an menschlichen Embryonen in Deutschland

Der Druck auf das Embryonenschutzgesetz wächst. Die Wissenschafts-Community wagt einen erneuten Angriff auf das umstrittene Gesetz und fordert den Zugriff auf Embryonen für sogenannte hochrangige Forschungsziele. „Keimbahntherapien“ gehören zu den vollmundigen Versprechen der Befürworter*innen.

Ein mittels K.I. generiertes Labor in rosanem Licht, Regale und Tische voller Behälter

Embryonenforschung soll dazu dienen können, die Chancen und Risiken von Keimbahneingriffen zu bewerten – gesellschaftliche Risiken sind damit nicht gemeint. Foto: generiert mittels K.I. (runwayml.com)

Das deutsche Embryonenschutzgesetz (ESchG) verbietet nicht nur kontroverse Reproduktionstechnologien wie Eizelltransfer und Leihgebären, sondern auch die Forschung an menschlichen Embryonen. Es trat 1991 als Strafgesetz in Kraft und wurde mit Argumenten des „Lebensschutzes“ beschlossen. Der Gesetzgeber bezog sich dabei auf Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“. Menschliches Leben dürfe „grundsätzlich nicht zum Objekt fremdnütziger Zwecke gemacht werden“ und dies müsse „auch für menschliches Leben im Stadium seiner frühesten embryonalen Entwicklung gelten“.1 

Seit seinem Beschluss zieht das ESchG den Unmut einiger deutscher Wissenschaftler*innen auf sich, die dessen moral-theologischer Begründung und scheinbar irrationaler Ungleichbehandlung von Embryonen vor dem Gesetz nicht zustimmen. Schließlich ist der Schwangerschaftsabbruch zwar verboten, kann aber – anders als Embryonenforschung – durch die Beteiligten unter gewissen Umständen straflos durchgeführt werden. Und wie Forschende seit über drei Jahrzehnten nicht müde sind zu betonen, werden bei der mittlerweile jährlich zehntausendfach durchgeführten künstlichen Befruchtung (In Vitro Fertilisation = IVF) Embryonen hergestellt und regelmäßig bei Nicht-Verwendung verworfen, quasi straffrei „getötet“. 

Um die Jahrtausendwende wuchs der Druck auf den Gesetzgeber durch den internationalen Stammzellhype: Im Jahr 1997 wurde das Klonschaf Dolly hergestellt und die Forschung versprach die Entwicklung von Therapien für alle möglichen Erkrankungen aus embryonalen Stammzellen. Wissenschaftler*innen entwarfen ein düsteres Szenario, in dem Deutschland im internationalen Forschungswettbewerb nicht mithalten könne, und deutsche Patient*innen leer ausgingen, wenn sie keinen Zugriff auf Embryonen bekämen. Als Kompromiss wurde daher 2002 das Stammzellgesetz beschlossen, nachdem embryonale Stammzellen die vor einem bestimmten, in der Vergangenheit liegenden Stichtag im Ausland hergestellt wurden, eingeführt werden dürfen (mittlerweile der 1. Mai 2007). Dies darf nur passieren, wenn eine Forschungsfrage sich ausschließlich mit embryonalen Zellen klären lässt und „hochrangigen Forschungszielen“ dient – die zuständigen Behörden entscheiden anhand einer individuellen Begutachtung durch die dafür eingerichtete Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellforschung. 

Erneuter Vorstoß

In Anbetracht der aktuellen Legalisierungsdebatte um Reproduktionstechnologien scheint für einige der richtige Zeitpunkt gekommen, erneut einen Vorstoß für Embryonenforschung in Deutschland zu wagen. Im Oktober letzten Jahres organisierte das FDP-geführte Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eine ELSA (Ethical, Legal, Social Aspects)-Fachkonferenz mit dem Titel „Humane Embryonen in der medizinischen Forschung: Tabu? – Vertretbar? – Chance?“.2 Schon der Einführungsvortrag durch die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger, legte den Fokus vor allem auf letzteres: „Chancen, die wir ergreifen können, sollten wir ergreifen“, so Stark-Watzinger. Stammzellforschung, so versprach sie, mache es möglich, Krankheiten zu verstehen und zu heilen. Die Stellungnahmen aus der Wissenschaft seien eindeutig, es gehe um Forschungsfreiheit. Wenn wir sie begrenzen, müssten wir das gut begründen. Ihre Ankündigung, „Wir kehren Risiken nicht unter den Tisch, kein Argument soll ungehört bleiben“, wurde hingegen kaum eingelöst. Zu Wort kamen bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich die Befürworter*innen der Embryonenforschung. Darunter Mitglieder der Wissenschafts-­Lobby­organisation Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die sich schon lange für die Legalisierung von Embryonenforschung einsetzt, denn diese könne „dazu beitragen, Unfruchtbarkeit besser zu erkennen und zu behandeln, die Überlebensfähigkeit und gesunde Entwicklung von Embryonen beziehungsweise Föten in der Schwangerschaft zu verbessern und Fehl- sowie Frühgeburten zu verhindern“.3Auf der BMBF-Konferenz erwähnten die Vortragenden immer wieder die rund 30 Prozent Frühaborte bei natürlichen Schwangerschaften und das ungeklärte Absterben vieler Embryonen bei IVF, und suggerierten, dass diese durch mehr Forschung verhindert werden könnten. Dass bei vielen frühen Fehlgeburten letale Chromosomenabweichungen der Embryos ursächlich sind, wurde nicht erwähnt, macht die Einlösbarkeit dieses Versprechens jedoch fraglich. 

Überzählige Embryonen und alte Versprechen

Als Beispiel für die erfolgreiche Verbesserung der Fortpflanzungsmedizin durch Embryonenforschung nannte die Ärztin und Leopoldina-Mitglied Claudia Wiesemann die Entwicklung des elective Single-Embryo-Transfers (eSET).4 Bei dieser Methode wird eine größere Zahl von Eizellen befruchtet und der Embryo mit der höchsten Entwicklungschance übertragen. Auswahlkriterium sind morphologische Charakteristika. In Deutschland ist diese Methode verboten, das ESchG macht es illegal, mehr Eizellen einer Person innerhalb eines Zyklus zu befruchten, als Embryonentransfers geplant sind. Der medizinische Vorteil: Die Rate an für die Schwangere und werdende Kinder gefährliche Mehrlingsschwangerschaften kann mit eSET gesenkt werden. Die Methode birgt zudem einen günstigen Nebeneffekt für die Forschung, denn es werden viele überzählige Embryonen hergestellt, die dann für Experimente zur Verfügung stünden. Wie Leopoldina-Präsident Gerald H. Haug auf der BMBF-Konferenz berichtete, hätte sich die Regierung vorgenommen, eSET zu legalisieren, es würden also bald gewollt mehr Embryonen hergestellt als für IVF benötigt, die für die Forschung verwendet werden könnten. Der Jurist und Leopoldina-Mitglied Jochen Taupitz verwies ebenfalls auf die Ressource der momentan rund 50.000 überzähligen eingefrorenen Embryonen, deren Zahl eSET weiter steigen lasse werde. 

Befürworter*innen halten zudem das mittlerweile mehrere Jahrzehnte alte Versprechen der therapeutischen Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen (hES) aufrecht. Aufgrund ihrer Fähigkeit, in alle möglichen Gewebetypen auszureifen, würden hES „ein großes Potenzial für die regenerative und personalisierte Medizin“ bergen, schreibt die Leopoldina auf ihrer Webseite. Unerwähnt bleibt dabei, dass dieses Potenzial bisher nicht realisiert werden konnte, obwohl in anderen Länden wie den USA in den letzten Jahrzehnten sehr viel Geld in diesen Forschungszweig investiert wurde. Zwar wurden viele klinische Studien durchgeführt, bisher war jedoch keine Behandlung erfolgreich genug, um als Routinetherapie etabliert zu werden. Auch auf der BMBF-Tagung stellte der Stammzellforscher Fredrik Lanner vom schwedischen Karolinska Institut lediglich Pläne seiner Forschungsgruppe für klinische Studien für hES-basierte Therapien bei altersbedingter Makuladegeneration vor.

Genome Editing als neue Chance

Verhältnismäßig neu in der Argumentation der Befürworter*innen von Embryonenforschung ist jedoch die Behauptung einer Notwenigkeit für die Weiterentwicklung neuer Genome Editing-Technologien wie CRISPR-Cas bzgl. einer reproduktiven Anwendung. Im Jahr 2017 veröffentlichten Mitglieder der Leopoldina ein Diskussionspapier in dem sie sich für eine generelle Akzeptanz der „Keimbahntherapie“ aussprachen.5 Der Inhalt des Papiers soll zwar lediglich die Meinung der Autor*innen und nicht der Leopoldina wiedergeben, Herausgeber ist jedoch der damalige Leopoldina-Präsident Jörg Hacker. Erstmals, so die Autor*innen, erlaube die neue Technologie „Eingriffe mit so hoher Präzision und Effizienz, dass derartige Fortschritte eine Neubewertung der Situation erforderlich machen“. Warum Keimbahneingriffe „ethisch vertretbar“ seien, wurde hier gar nicht erst diskutiert. Wie Mitautor Jochen Taupitz in einem Vortrag bei einer Veranstaltung des Deutschen Ethikrates 2016 erklärt hatte, müsse man ethisch-moralisch – zur Verhinderung schwerer Krankheiten und Behinderungen – sogar von einem Zulassungsgebot ausgehen.6 Laut Diskussionspapier ist allein die technische Sicherheit entscheidend: Es müsse „ein vertretbar niedriges Risiko“ des Keimbahneingriffs „im Vergleich zur Erbkrankheit, die es zu vermeiden gilt“ erreicht werden. Und um die „empirischen Grundlagen für diese Abschätzung und die anschließende normative Beurteilung der Risiken und Chancen“ zu legen, sei es wiederum notwendig auch in Deutschland mit menschlichen Embryonen forschen zu dürfen. 

In ihrer Stellungnahme von 2021 plädierte die Leopoldina dann für die Legalisierung von Embryonenforschung für „hochrangige Forschungsziele“.7 Das bedeutet für die Autor*innen u.a. die „Chancen und Risiken dieser Form der Gentherapie kritisch überprüfen und bewerten zu können“. Sie verweisen zwar auf die unzureichend begründete Notwendigkeit von Keimbahneingriffen und nennen die Gefahr der „Verbesserung biologischer Eigenschaften (Enhancement)“ – geforscht werden soll trotzdem.

Die Bezeichnung von Keimbahneingriffen als „Genomchirurgie“, „Keimbahntherapie“ und „Gentherapie“ in den Publikationen der Leopoldina ist für Wissenschaftler*innen erstaunlich unpräzise, denn es werden keine Menschen behandelt, sondern eigens dafür im Labor hergestellte Embryonen verwendet. Auch auf der BMBF-Konferenz kam dieser rhetorische Trick zum Einsatz, als der Mitautor der Stellungnahme Jan Ellenberg in die Diskussion um Keimbahneingriffe auf eine Patientin mit Sichelzellanämie verwies, deren Leben so hätte gerettet werden können. Wie Ellenberg als Biologe wahrscheinlich bewusst ist, hatte ihre CRISPR-basierte somatische Gentherapie nichts mit Keimbahneingriffen zu tun, da sie im Erwachsenenalter angewendet wurde.

Die Leopoldina-Autor*innen beziehen sich auf eine Stellungnahme des Deutschen Ethikrates, bei der eine Mehrheit der Mitglieder die grundsätzliche ethische Zulässigkeit einer solchen Forschung an frühen menschlichen Embryonen in vitro bejaht hätte. Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Alena Buyx verwies bei der BMBF-Konferenz ebenfalls darauf, dass sich das Gremium erstmalig für Embryonenforschung ausgesprochen habe, da es diese für die Weiterentwicklung von Keimbahneingriffen für die Verhinderung monogenetischer Erkrankungen brauche. Dies sei nicht nur zulässig, sondern auch geboten, so Buyx.

Ausblendung der Konsequenzen

Allein die technologischen Möglichkeiten sollen also leitend sein für die Gesetzgebung für Forschung an menschlichen Embryonen. Doch an die Stelle der Reduzierung der Debatte – wie bei der BMBF-Konferenz geschehen – rein auf zwei entgegengesetzte Pole – Würde des Embryos vs. vermeintliche wissenschaftliche Rationalität – könnte auch eine nuancierte Betrachtung möglicher Konsequenzen treten, die seit Jahrzehnten aus feministischer Perspektive hervorgebracht wird. Eine Analyse der Einbettung der Forschung in ein ökonomisiertes Wissenschafts- und Gesundheitssystem und gesellschaftliche Ungleichheiten, in der Keimzellen und Embryos zum Rohstoff werden, könnte ebenfalls die Notwenigkeit des Erhalts des ESchG unterstreichen, ganz ohne dabei auf moraltheologische „Lebensschutz“-Argumente zurück zu greifen. Denn mal ganz praktisch betrachtet: Wie würden die überzähligen Embryonen aus der medizinischen Praxis in die Forschung wandern? Würden Kinderwunschkliniken „Aufwandsentschädigungen“ für die „Herstellung“ der gelieferten Forschungsressource erhalten? Würden Anreize entstehen, Patient*innen eine möglichst große Menge an Eizellen zu entnehmen, damit einige für die Forschung „überzählig“ bleiben? Eizellentnahmen bergen immer ein medizinisches Risiko, je mehr hormonell stimuliert wird, desto größer das Risiko. Selbst wenn es keine direkten finanziellen Interessenkonflikte gibt – auch eigene Forschungsinteressen, und der damit verbundene Zwang zur Einwerbung von Forschungsförderungsgeldern, könnten für forschende Fortpflanzungsmediziner*innen Interessenkonflikte zwischen Patient*innenwohl und wissenschaftlichen Zielen erschaffen. Und was passiert, wenn die „überzähligen“ Embryos nicht reichen? Werden Befürworter*innen dann die weiteren Änderungen der Fortpflanzungsmedizingesetzgebung fordern, um Eizell„spenden“ rein zu Forschungszwecken zu erlauben? Würde ein Markt entstehen, sodass ökonomisch schlechter gestellte Menschen Eizellen „spenden“, z.B. um sich die eigene fortpflanzungsmedizinische Behandlung leisten zu können?

Hinzu kommt eine kritische Analyse der oben beschriebenen unrealistischen Versprechen, was die Forschungsergebnisse für therapeutische Zwecke angeht. Ganz zu schweigen von den vielfältigen Argumenten gegen eine weitere Erforschung von Keimbahneingriffen, die sich ergeben, wenn gesellschaftliche Konsequenzen in die Abwägungen miteinbezogen werden. All diese Aspekte stellen leider bisher eine klaffende Lücke in der öffentlichen Debatte dar.
 

  • 1Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz – ESchG) (25.10.89): Drucksache 11/5460.
  • 2Interdisziplinäre Konferenz (9.-10.10.23): Humane Embryonen in der medizinischen Forschung: Tabu? – Vertretbar? – Chance?, ausgerichtet vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), online: www.kurzelinks.de/gid268-bd [letzter Zugriff: 08.01.23].
  • 3Leopoldina (2021): Erkenntnisse und Nutzen der Embryonenforschung. Online: www.kurzelinks.de/gid268-be [letzter Zugriff: 08.01.23].
  • 4Schultz, S. (2008): Eins statt Drei: Vorstoß gegen das Embryonenschutzgesetz? In: GID 190, S.33-45, online: www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/1291 [letzter Zugriff: 08.01.23].
  • 5Hacker, J. (Hg.) (2021): Ethische und rechtliche Beurteilung des genome editing in der Forschung an humanen Zellen. In: Leopoldina Diskussion Nr. 10, online: www.kurzelinks.de/gid268-bb [letzter Zugriff: 08.01.23].
  • 6Achtelik, K. (2016): Ethische Gespensterdebatte. In: GID 237, S.33, online: www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/3367 [letzter Zugriff: 08.01.23].
  • 7Leopoldina (Hg.) (2021): Neubewertung des Schutzes von In-vitro-Embryonen in Deutschland. Online: www.kurzelinks.de/gid268-bc [letzter Zugriff: 08.01.23].
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
268
vom Februar 2024
Seite 17 - 19

Dr. Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin des GeN.

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