Entwurf für Gentechnikgesetz

Bundeskabinett einigt sich - und bleibt weiter uneins

Über den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen nicht in Brüssel, sondern in den EU-Mitgliedstaaten zu entscheiden, ist eine langjährige Forderung der gentechnikkritischen Bewegung. Die Bundesregierung gefährdet mit ihrem Entwurf das Erreichen diese Ziels.

Der wesentliche Teil der aktuellen Novellierung des Gentechnikgesetzes betrifft die Option für EU-Staaten, europaweite Zulassungen des Anbaus  gentechnisch veränderter Pflanzen 1 auf ihrem „Hoheitsgebiet“ auszusetzen - das „Opt out“-Verfahren.

Die Regulierung sieht ein Zwei-Phasen-Verfahren vor. Phase eins startet praktisch mit der Anmeldung eines neuen gentechnisch veränderten Organismus (GVO) durch einen Gentech-Anbieter. Mitgliedstaaten können fordern, dass ihr Hoheitsgebiet ganz oder teilweise aus dem geografischen Geltungsbereich einer Anbauzulassung ausgenommen wird - de facto ein Anbauverbot. Phase zwei wird nötig, wenn ein Anmelder eines GVO dem nicht zustimmt oder wenn ein Verbot nachträglich - also nach bereits erteilter europaweiter Anbauzulassung - durchgesetzt werden soll.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht jetzt zum Beispiel vor, dass die Aktivierung der Phase eins dann zustande kommt, wenn sich eine Mehrheit der Bundesländer findet. Diese müsste zudem Einvernehmen mit sechs Bundesministerien - Landwirtschaft, Umwelt, Forschung, Wirtschaft, Gesundheit und Soziales - herstellen. Darin sehen KritikerInnen eine Hürde, die nicht in der Sache begründet ist. Offenbahr sollen möglichst viele Akteure an den Tisch, um ein Einvernehmen eben nicht zu erreichen beziehungsweise unwahrscheinlich zu machen.

In Phase zwei können entweder die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates oder die einzelnen Landesregierungen aktiv werden.2 Hier befürchten KritikerInnen einen Flickenteppich, der durch eine hervorgehobene oder alleinige Kompetenz des Bundeslandwirtschaftsministeriums verhindert werden sollte.3

Unmittelbar bevor der Entwurf für das Gesetz am Vormittag des 2. November im Bundeskabinett zur Abstimmung kam - nach Anhörung der Verbände -, hat das Bundesforschungsministerium noch einen Absatz in die Begründung geschleust, der bis heute für einige Aufregung sorgt:

Die Bundesregierung geht davon aus, dass auch bei der Freisetzung und dem Inverkehrbringen von Organismen, die mittels neuer Züchtungstechniken wie CRISPR/Cas9 erzeugt worden sind, unter Zugrundelegung des Vorsorgeprinzips und des Innovationsprinzips ein hohes Maß an Sicherheit gewährleistet wird. Vorbehaltlich einer anderweitig bindenden Entscheidung auf EU-Ebene wird zu diesem Zweck  im Rahmen von Einzelfallprüfungen im Gentechnikrecht eine prozess- und produktbezogene Betrachtung und Bewertung zu Grunde gelegt.“4

Besonders kritisiert wurde die Aufnahme des „Innovationsprinzips“. Mag es mangels verbindlicher juristischer Definition rechtlich auch Schaumschlägerei sein - der Begriff ist Ausdruck einer Auseinandersetzung um das Vorsorgeprinzip. Eingeführt wurde er von der chemischen Industrie, die sich damit gegen eine vermeintliche Überregulierung durch Vorsorge zur Wehr setzen will.

Aus dem Bundesumweltministerium wird demgegenüber betont, dass damit festgeschrieben wird, dass bei neuen Gentechnik-Verfahren bis zu der „anderweitig bindenden Entscheidung auf EU-Ebene“ eine Einzelfallentscheidung nach Gentechnikrecht erfolgen muss - eine Position, die von Seiten des Landwirtschafts- und des Forschungsministeriums bisher nicht nur nicht geteilt, sondern sogar torpediert worden ist.

Bundestag und Bundesrat müssen noch über das Gesetz beraten. Nach der ersten Lesung hat die SPD-Bundestagsfraktion Änderungen verlangt.

 

  • 1Das Gesetz nimmt Bezug auf gentechnisch veränderte Organismen. In den im Moment diskutierten Neuerungen im Gesetzestext geht es um Pflanzen. Inwieweit die Änderungen auch auf Mikroorganismen und/oder Tiere angewandt werden (können), wird sich erst in konkreten Fällen erweisen.
  • 2Siehe dazu zum Beispiel das Interview mit Corinne Lepage im GID 223 (April 2014), im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/2794, oder den Beitrag „Anbauverbot rückt näher“ von Annemarie Volling im GID 231 (August 2015), im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/3103.
  • 3Die Begründungen, die mit einem Anbauverbot der Phase zwei geliefert werden müssen, werden im Zweifel gerichtlich geprüft.
  • 4Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes, Stand 28.10.16, mit Änderungen vom 02.11.16, 09:45 Uhr.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
239
vom Dezember 2016
Seite 27

Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.

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