Nutrigenomisches Marketing

Diäten für Gengläubige

Immer wieder gibt es Start-up-Gründungen aus der universitären Genomforschung, die versuchen, ein Marktsegment zu erobern. Der Markt von Diäten und Schlankmachern scheint sich hier besonders anzubieten, weil er an sich erschlossen ist, die Kundinnen und Kunden aber gerne auf Neuerungen setzen. Ein aktuelles Beispiel aus Köln.
Das ist, wie wenn ich von einem zwei Stunden langen Kinofilm zwei Sekunden gesehen habe und behaupte, ich weiß alles über den Plot, den Regisseur und die Schauspieler“, so Andreas Fritsche, Ernährungsmediziner an der Universität Tübingen, als er jüngst zu genetischer Ernährungsberatung gefragt wurde.1 Besser kann der aktuelle Stand der Nutrigenomik heute kaum zusammengefasst werden: Das von der Genomforschung erhoffte individualisierte Stoffwechsel- und Ernährungsprofil als Ansatzpunkt für neue Marketingideen in Medizin-, Fitness- und Nahrungsmittelindustrie bleibt Zukunftsmusik - da hat sich in den letzten Jahren nichts Neues getan.2 Dennoch gibt es immer wieder neue Geschäftsideen, mit denen diese Niederlage kaschiert wird. Schließlich wollen Start-ups aus der Humangenetik an dem riesigen Markt der Diäten und Ernährungsberatung partizipieren.

Ein Fallbeispiel

Im Internet gibt es eine Reihe von Firmen aus den USA, Kanada oder Osteuropa, die - (auch) in deutscher Sprache - die Analyse eines individuellen „Stoffwechselprofils“ via eingeschickter Speichelprobe und Gentest anbieten - als Grundlage für angeblich erfolgversprechendere, weil „personalisierte“ Diäten. In Deutschland ansässige Firmen lassen sich weiterhin an einer Hand abzählen. Ein neuer Stern am Himmel der Schlankmacher ist derzeit der Gentest einer Firma namens CoGAP aus Köln. Sie schmückt sich mit ihrer Nähe zur dortigen universitären Genforschung und zur Sporthochschule.3 CoGAP hat im letzten Jahr medial ordentlich Wind gemacht, um den Test bekannt zu machen. Ein Blick auf die Marketingstrategie der Firma lohnt sich, um einen Eindruck von diesem Business zu bekommen. Schließlich geht es nicht nur um die Kundschaft, die möglicherweise bundesweit nur einige hundert oder auch einige tausend KäuferInnen umfasst (das Unternehmen gibt diese Zahlen nicht preis). Vielmehr ist davon auszugehen, dass die oftmals journalistisch verkleideten Werbe-Nachrichten von CoGAP auch jenseits der potenziellen Kundschaft Ausstrahlungskraft haben und zur schleichenden Genetisierung von Alltagswissen beitragen. Inszeniert wird hier einmal mehr die angebliche biologische Unterschiedlichkeit der Menschen, die als zentral für Körperwissen und alltägliche Selbstoptimierungspraktiken dargestellt wird.

Datenschutz oder Entlarvungsschutz?

MetaCheck - so heißt der seit 2010 von CoGAP vermarktete Gentest. Auf ihrer Homepage erklärt die Firma anschaulich und übersichtlich, was getan werden muss, um via Speichelprobe an Informationen über den angeblichen individuellen Ernährungs- und Sporttyp zu kommen. Mit dem Test ließen sich vier verschiedene Stoffwechseltypen, sogenannte „Meta-Typen“ unterscheiden: Man könne herausfinden, ob eine Testperson zum Alpha-, Beta-, Gamma- oder Delta-Typ gehöre. Als Handlungsanleitung folgen dann Diäten, die je nachdem mal mehr auf das Weglassen von Fetten, mal mehr auf das Weglassen von Kohlehydraten oder Proteinen setzen. Zudem, so kann auf der Website gelesen werden, könnten zwei Sporttypen unterschieden werden. Bei den einen gelinge Abnehmen eher durch Ausdauersport, bei den anderen durch Schnelligkeitssport. Gerade diese klaren Handlungsanleitungen sind nach Aussagen des CoGAP-Geschäftsführers Hossein Askari ein Alleinstellungsmerkmal seines Angebots. Schließlich wollten die Leute nicht mit einem Testergebnis alleingelassen, sondern von Fitness-, Ernährungs- oder GesundheitsberaterInnen an die Hand genommen werden.4 Welche genetischen Besonderheiten werden denn da nun getestet? Eine Recherche auf der CoGAP Homepage zur „wissenschaftlichen Grundlage“ des Tests führt ins Nichts. Unter dieser Rubrik werden einmal mehr die behaupteten vier Ernährungs- und zwei Sporttypen aufgeführt - nur ein kleines bisschen ausführlicher. Nach einer noch längeren Suche ist auch eine beeindruckend lange, wahllos erscheinende Referenzliste mit alten und etwas neueren Artikeln aus medizinischen und humangenetischen Fachjournalen zu finden. Bei genauem Hinsehen finden sich hier auch solche Texte, die selbst die Erfolglosigkeit der nutrigenomischen Forschung der letzten Jahrzehnte konstatieren. So erklärt ein in der Liste aufgeführter Artikel mit dem Titel „Individuell zugeschnittene Ernährung. Noch nicht“, es sei „schnell klargeworden, dass ein prädiktiver personalisierter Diätpass auch in vielen Jahren nicht zu erwarten sein wird“.5 In einem Telefoninterview legt der CoGAP-Geschäftsführer nicht offen, welche Genvarianten in dem Test seines Unternehmens untersucht werden. Dabei zieht er sich nicht etwa auf ein etwaiges Geschäftsgeheimnis zurück. Er argumentiert vielmehr - ganz paternalistisch - mit dem Schutz seiner KundInnen vor sich selbst: Sie könnten durch eigenes Nachforschen im Internet irritiert werden und die Ergebnisse falsch interpretieren. Deshalb würden auch in dem persönlichen, ausführlichen Gutachten diese harten Fakten nicht genannt. Und auch den Datenschutz bringt er gegen die Nennung der einzelnen Genvarianten vor: Es sei möglich, dass die untersuchten Stellen im Genom Rückschlüsse auf Verwandtschaftsverhältnisse erlaubten. Merkwürdig nur, dass CoGAP in den FAQs, einer Liste häufig gestellter und hier beantworteter Fragen auf der Website, genau dies kategorisch ausschließt.6

Meta-wissenschaftlich

Inkonsistent präsentierte „wissenschaftliche Grundlagen“ werden bald noch über einen weiteren Weg werbewirksam einsetzbar sein, nämlich als Ergebnis einer Studie, die in Kooperation mit der Sporthochschule Köln durchgeführt wurde. Hier wurden diätwillige CoGAP-Kunden und eine Vergleichsgruppe, die Ernährungs- und Sportberatung ohne Gentest bekommen hatte, nach sechs Monaten befragt und untersucht. Der CoGAP-Geschäftsführer spricht bereits begeistert von sehr „positiven Vorergebnissen“ und klaren Unterschieden zwischen beiden Gruppen. Die Studie allerdings, so stellt Sportwissenschaftler Lukas Loewe, der die Studie betreute, klar, erlaube erstens keine gute Vergleichbarkeit zwischen den beiden Gruppen: Diese hätten unterschiedliche Profile aufgewiesen; die Gentestkunden seien zum Beispiel meistens stärker übergewichtig gewesen als die VergleichsprobandInnen.7 Erst recht sage die Studie nichts darüber aus, warum die mit MetaCheck Getesteten denn ganz gut an Gewicht verloren hätten. Grund könne „der Wille und der Entschluss, ein bisschen Geld in die Hand zu nehmen“ sein - schließlich kostet der Test allein 200 Euro; dazu kommen noch Zusatzkosten wie etwa Beratungshonorare. Oder der Erfolg beim Abnehmen sei auf die umfangreiche, fast 30-seitige Ergebnismappe zurückzuführen, die die Kunden erhalten hätten und die sie möglicherweise besonders motiviere. Inwiefern die genetisch begründete Individualisierung von Diät und Sport ausschlaggebend sei, dazu werde auch nach Abschluss der Studie keine Aussage möglich sein. Dass die Studie dem Start-up hilft, daran zweifelt der Sportwissenschaftler jedoch nicht. Er stellt sich in einer eMail als „externer Dienstleister“ dar, der „die nachhaltige Wirkung der MetaCheck-Analyse festhält“. Dies entspricht dem Selbstverständnis des Zentrums für Gesundheit der Sporthochschule, das diese Forschung durchführt, nämlich „Schnittstelle zwischen der wissenschaftlichen Kompetenz der Sporthochschule in gesundheitsorientierten Fragestellungen und der Wirtschaft“ zu sein.8 Und ganz nebenbei fällt für die Sporthochschule ab, dass sie im Zentrum für Gesundheit ihren eigenen KundInnen MetaCheck verbilligt anbieten kann. Aber nicht nur die Sportwissenschaft, auch der CoGAP-Geschäftsführer Askari schließt einen möglichen Placeboeffekt nicht aus. Schließlich gebe es nun einmal Leute, die sich bisher mit einem genetischen Schicksal in einer Familie mit übergewichtigen Eltern und Großeltern eingerichtet hätten. Sie bekämen mit der Bestätigung, einem spezifischen Gentyp anzugehören, wieder neuen Antrieb zum Abnehmen. Wissenschaft oder Glaube - Askari gibt sich metawissenschaftlich und steht über diesem Streit. Die Wahrheit liege zwischen genetischem Einfluss und persönlicher Motivation. Gerade mit dieser Message sei den Leuten am besten geholfen.

Medizinisch seriös fürs Marketing

Und geholfen ist damit auch der Vermarktung des Tests. Der CoGAP-Geschäftsführer ist mit den Verkaufszahlen auf jeden Fall äußerst zufrieden. Die Medien - sei es ein Brigitte-Diäten-Vergleich, sei es ein Karriere-Bericht in der Welt, sei es das WDR-Lokalfernsehen oder die Kölner Presse - übernehmen die Behauptungen über die angeblichen genetischen „Metatypen“ unhinterfragt.9 Wichtig für die CoGAP-Marktstrategie ist zudem ein auf der Homepage präsentiertes, bundesweites dichtes Netzwerk von ErnährungsberaterInnen, NaturheilkundlerInnen, Apotheken, Fitnesscentern und Personal Trainern sowie auch von ÄrztInnen, die MetaCheck anbieten und die - je nachdem - das Testergebnis zur Beratungsgrundlage in Sachen Ernährung, Gesundheit oder Fitness machen. Insgesamt habe CoGAP inzwischen, so Askari, über 700 dieser ZwischenhändlerInnen angeworben. Trotz dieser gewissen Beliebigkeit in der Auswahl des Marktsegmentes, in dem der Test angeboten wird, gibt sich CoGAP im Gesamtauftreten vor allem medizinisch. ÄrztInnen spielen in der Werbung für MetaCheck eine zentrale Rolle. Ein Gründungsmitglied des Start-ups tritt als „medizinischer Leiter“ mit Doktortitel und weißem Mantel auf. In Lokalfernsehen und Presse erscheint immer wieder der charismatische Arzt Thomas Kurscheid als Experte, der den Test selbst als eines der Topangebote auf der Homepage seiner Praxis vermarktet. Er ist es auch, der beide ProbandInnengruppen für das Forschungsprojekt mit der Sporthochschule beraten hat - eine fragwürdige Voraussetzung für ein unabhängiges Forschungsdesign. An ärztlichen Weihen für den Gentest fehlt es also nicht. Seriös sind die Behauptungen über dessen Nutzen deshalb allerdings keinesfalls. Kurscheid geht so weit, auf seiner Homepage zu erklären: „Wer seinen genetischen Typ kennt, hat mehr als doppelt so viel Erfolg bei einer Gewichtsreduktion als jemand, der ihn nicht kennt und einfach ‚irgendeine‘ Diät macht.“10 Wie er zu dieser Aussage kommt, bleibt sein Geheimnis. Auch die Gynäkologie soll als Markt für MetaCheck erobert werden. Wie so oft steht sie an vorderster Front, wenn es um IGeL-Leistungen, also privat im Gesundheitssystem angebotene „Individuelle Gesundheitsleistungen“, geht. Schon auf der Startpage von CoGAP wirbt die Firma mit ihrer Kooperation mit Genogyn, eine Agentur für IGeL-Leistungen für GynäkologInnen. Hier wird es nun endgültig medizinisch. Genygyn erklärt in einer Zeitschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie, Diabetes, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs seien als Folgen von Übergewicht mit dem Einsatz von MetaCheck zu verhindern.11

Life-Style vor dem Gesetz

In einem seltsamen Widerspruch zu dieser medizinischen Inszenierung findet sich auf der Homepage von CoGAP - eher im Kleingedruckten - die Angabe, dass MetaCheck keine Krankheitsrisiken oder Krankheiten teste. Im Interview sagt Askari, bei MetaCheck handele sich um einen Lifestyle-Test und deswegen falle der Test auch nicht unter das Gendiagnostikgesetz. Denn nur so kann CoGAP legitimieren, dass MetaCheck über Fitness-Center, Naturheilkundepraxen, Apotheken und ErnährungsberaterInnen vermarktet wird. Nach dem seit 2010 gültigen Gesetz dürfen eigentlich nur ÄrztInnen mit einer humangenetischen Fachausbildung über medizinische Gentests beraten und sie anwenden. Andere AnbieterInnen von Gentests zur Diätenplanung sehen das anders. Nach wie vor bewegen sie sich mit diesen Tests in einer rechtlichen Grauzone.12 So erklärt die Firma FormMed Healthcare aus Frankfurt am Main, sie würde ihren Stoffwechsel-Gentest als Grundlage zur Ernährungsberatung weder online bewerben noch anbieten, da er nur von ÄrztInnen angewandt werden dürfe. Geschickt hat die Firma eine andere Marktnische entdeckt. Sie bietet an, den „Stoffwechseltypus ganz ohne Laboranalysen und Gen-Tests“ zu bestimmen - nämlich via Fragebogen über „Essgewohnheiten, Vorlieben und Verhaltensweisen“ et cetera.13 Ganz unbeleckt von der Frage der rechtlichen Absicherung agiert das Berliner „Institut einfach und genial“. Hier geht es ganz anonym zu: Per Post kann die Kundin oder der Kunde die Speichelprobe einschicken und erhält - nach einer Überweisung von 492 Euro - ihr beziehungsweise sein „Gutachten“ nach fünf bis sechs Wochen per Post zurück. Am Telefon gibt sich die Firmenvertreterin bei Nachfragen extrem unwirsch - und auch schriftlich wurden bis Redaktionsschluss keine Fragen beantwortet. Letztlich ist wohl nicht nur der Umgang mit dem Gendiagnostikgesetz, sondern auch der mit der Presse eine Frage der Marktstrategie. Den CoGAP-Geschäftsführer jedenfalls juckt es derzeit wenig, was seine Konkurrenz so tut: Der Diätenmarkt in Deutschland sei so enorm groß, da sei für jeden Ansatz eine Nische zu finden.
  • 1Zitiert nach Reutlinger General-Anzeiger, 08.09.12.
  • 2Vgl. zu Nutrigenomik GID Spezial Nr. 11, 2011: Nutrigenomik + funktionelle Lebensmittel = My Food? Teilweise online im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/spezial/11.
  • 3Siehe www.cogap.de. Im Management der Firma sitzt der technische Leiter und im Beirat ein Professor des Genomforschungszentrums der Uni Köln; auch der Geschäftsführer von CoGAP hat hier studiert und gearbeitet.
  • 4Telefoninterview der Autorin mit Hossein Askari, 23.01.13.
  • 5Vrieze de, J. u.a. 2009: Nutrition Tailored to the Individual? Not Just Yet - Realigning Nutrigenomic Science with Contemporary Society. In: Journal for Nutrigenetics and Nutrigenomics, 2, S. 184-188. Zitat auf englisch: „It became clear rather quickly that the predictive personalized diet passport would not emerge for many years to come.” S. 185.
  • 6www.cogap.de oder www.kurzlink.de/gid216_p, Zugriff 30.01.13.
  • 7Telefoninterview der Autorin mit Lukas Loewe, 24.01.13.
  • 8www.dshs-koeln.de oder www.kurzlink.de/gid216_q, Zugriff 29.01.13.
  • 9Siehe zum Beispiel Brigitte, 02.07.12; Die Welt, 22.12.12; WDR Lokalzeit 19.01.12; Kölnische Rundschau 26.07.12; Kölner Stadt-Anzeiger, 05.06.12.
  • 10www.dr-kurscheid.de/40-0-CoGAP-Meta-Check-Gen-Che…, Zugriff 29.01.13.
  • 11Ernährungsberatung per DNA-Analyse, in: Gynäkologie und Geburtshilfe, 2011; 16 (7-8), S. 40-41.
  • 12Vgl. GID Nr. 194, 2009, S. 54.
  • 13 www.formmed.de/index.php?id=105, Zugriff 17.01.13.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
216
vom Februar 2013
Seite 35 - 37

Susanne Schultz lehrt Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt a. M., forscht zu Demografiepolitik, ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Rosa Luxemburg Stiftung und promovierte zum Thema Frauengesundheitsbewegungen.

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