Rezensionen

Eugenik in Österreich? - Biopiraterie

Eugenik in Österreich?

Aus der deutschen Fernsicht mag man die Frage „Wie hielt es Österreich mit der Eugenik?“ flugs damit beantworten wollen, dass sich in Österreich wahrscheinlich in ganz ähnlicher Weise wie in Deutschland seit Anfang des 20. Jahrhunderts ein schwer durchdringbares Gemisch aus Eugenik und Rassenhygiene ausgebildet hat. Unterschiedlichste gesellschaftliche Gruppierungen einigten sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte auf eine erbbiologische und mehr oder weniger evolutionsbiologisch und rassenanthropologisch aufgeladene Deutung gesellschaftlicher Entwicklung. Trotz interner Spannungen in der Bewegung waren Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland tendenziell ein Einheit stiftendes politisches Projekt, das über einzelne weltanschauliche Kreise, Parteien und Lager hinausgriff. Die derart salonfähig gemachte Biologisierung sozialer Zusammenhänge bereitete schließlich den Boden für die Erbgesundheitspolitik unter nationalsozialistischen Vorzeichen. „Der Kontrast der österreichischen Verhältnisse hierzu könnte größer nicht sein.“ So lautet das einleitende Fazit zu dem Band Eugenik in Österreich. Biopolitische Strukturen von 1900 bis 1945. Dass es eine Eugenik in Österreich gab, steht dabei außer Frage. Doch anders als in Deutschland hat sich die österreichische Eugenik klar entlang politischer Lagergrenzen formiert – unterschieden vor allem in Christlichsoziale, Sozialdemokraten und Deutschnationale. Und im Vergleich nicht nur mit Deutschland, sondern auch mit den USA, England oder aber auch den nach dem Ersten Weltkrieg aus der KuK-Erbmasse hervorgegangenen Staaten formierte sich in Österreich der biopolitisch-eugenische Diskurs auffällig spät. Auch dann dominierten anders als in Deutschland körperliche Disziplinierung und Zwang (Sterilisation, Asylierung) nicht die eugenischen Programme. Generell fehlte der Eugenik bis zum „Anschluss“ Österreichs im Jahr 1938 an das Deutsche Reich die gesellschaftliche Durchschlagskraft. Diese überraschenden Ergebnisse lassen sich aus den zumeist gut lesbaren Beiträgen zusammentragen, die dreizehn HistorikerInnen und MedizingeschichtlerInnen zu diesem Band beigesteuert haben. Der Band liefert zugleich die erste kompakte Geschichte der eugenischen Bewegung und Politik in Österreich. Hilfreich ist die konzise Einleitung, in der die HerausgeberInnen die Entwicklung in Österreich im Vergleich mit Deutschland zusammenfassend darstellen und reflektieren. Die einzelnen Beiträge sind dann nach drei gut gewählten Hauptfragestellungen gegliedert: 1. Wie sahen die Programme und die diskursive Struktur der „Sorge um den gesunden Volkskörper“ aus, wer waren die wichtigen Protagonisten? Dargestellt werden die Positionen der sozialistischen Parteien, der Deutschnationalen und – bislang nur wenig beachtet – katholischer Organisationen; zudem die Rolle der Konstitutionsmediziner Julius Tandler und Julius Bauer. 2. Welche Praxis, welche Erfassungsmethoden haben der eugenischen Programmatik zugearbeitet? Dargestellt werden die Irren- und Strafrechtsreform, die Entwicklung der Biometrie und die der Bevölkerungsstatistik. 3. Wie und ab wann nahm die eugenische Politik Gestalt an, wie sah die eugenische Praxis in Österreich aus? Gestützt auf Fallbeispiele werden die Praxis von Beratung und Zwang sowie der Übergang in Ausmerze vor allem für die Zeit ab 1938 dargestellt.Die spannende Frage ist natürlich, welche Einfluss-faktoren für den österreichischen Weg maßgeblich waren. Abschließend lässt sich das zwar nicht beantworten, die AutorInnen geben aber einige wichtige Hinweise. Der Darwinismus war in Österreich nie so vorherrschend wie in Deutschland, im Gegenteil. Lamarckistische Vorstellungen behielten auch in der Wissenschaft ihre Anziehungskraft und wurden nie ganz verdrängt. Von der – ebenfalls umweltorientierten – Sozialhygiene in Deutschland wissen wir allerdings, dass sich gerade aus ihren Reihen wichtige Unterstützer der Eugenik rekrutierten. Wie widersprüchlich die Wege der Eugenik manchmal waren, bevor sie Regierungsprogramm wurde, das zeigen die Beiträge in diesem Band. Hier liegen die besondere Anregung und der Denkstoff für die LeserInnen heute.
Alexander v. Schwerin
Baader, Gerhard, Veronika Hofer, Thomas Mayer (Hg.): Eugenik in Österreich. Biopolitische Strukturen von 1900 bis 1945. Wien, Czernin Verlag, 2007, ISBN: 978-3-7076-0215-X, Paperback, 464 Seiten, 26 Euro.

Biopiraterie

Mit ihrem Buch „Die Biopiraten” geben die Autoren Michael Frein und Hartmut Meyer einen umfassenden Überblick über ein Thema, das sich nicht erst seit den Verhandlungen der Konvention über biologische Vielfalt in Bonn wachsender Beliebtheit erfreut. Genetische Information, kodiert in DNA-Sequenzen, erfreut sich ihrerseits einer Beliebtheit, die ihren Zenit noch längst nicht erreicht haben dürfte. Doch diese Ressource, die wegen der immensen Artenvielfalt in den tropischen Regionen, besonders in den Ländern des globalen Südens konzentriert ist, kann effektiver genutzt werden, wenn man das Wissen der lokalen und indigenen Gemeinschaften und Völker kennt, das mit den Trägern der genetischen Informationen, den Pflanzen und Tieren, den Pilzen und anderen Lebewesen zusammenhängt. Wer sind die Rechtehalter an dem Wissen und wer kann über die genetischen Ressourcen verfügen? Warum ist das ein Thema für die Weltgemeinschaft und welche alten und traditionellen Umgehensweisen mit Besitz- und Eigentumsrechten wurden aufgegeben? Die Autoren kennen sich hervorragend in diesem Fragendickicht aus und nehmen den Leser, die Leserin, an die Hand, mal in eher abstrakte Gefilde des internationalen Rechts und dann wieder auf eine bunte Reise in die Kalahari oder den südamerikanischen Dschungel. Ein schönes Buch, das sicher Fragen offen lässt. Aber man muss schon ziemlich tief in die Materie eingedrungen sein, um diejenigen zu finden, die wirklich nicht in diesem Buch beantwortet werden.
Christof Potthof
Michael Frein und Hartmut Meyer: Die Biopiraten - Milliardengeschäfte der Pharmaindustrie mit dem Bauplan der Natur. Econ-Verlag 2008. Ca. 260 Seiten, kartoniert. 16,90 Euro, in Österreich 17,40 Euro. ISBN 978-3-430-30022-3

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
188
vom Juni 2008
Seite 63