Gene Drives in der Gesundheitspolitik

Technizistische Konzepte statt Gerechtigkeitsperspektiven

Bei diesem Artikel handelt es sich um eine überarbeitete Version des Vortrags von Andreas Wulf bei der Veranstaltung des Gen-ethischen Netzwerks e.V. „Labor Globaler Süden – Ein kritischer Blick auf Entwicklungszusammenarbeit“. 

Gene Drives Mosquito

Mosquito

Der Wunsch nach einer „Silberkugel“ im Kampf gegen gefährliche Krankheiten ist wahrscheinlich so alt wie die Medizin selbst und ein wirkmächtiges Narrativ, das besonders seit der Entwicklung von Impfstoffen seine konkrete Form gefunden hat. Zuerst gegen die Pocken im 18. Jahrhundert, dann mit den wichtigen Impfstoffen gegen Diphterie, Keuchhusten, Tetanus und Tollwut um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Weiter ging es mit Polio, Masern, Virushepatitis und anderen Krankheiten nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Idee eines endgültigen Siegs über einzelne Krankheiten erhielt mit der erfolgreichen Ausrottung der Pocken Ende der 1970er Jahre eine bis heute nachwirkende und ihrerseits schwer auszurottende Symbolik. Aktuell werden enorme Ressourcen in das Polio-Bekämpfungsprogramm der WHO eingebracht – ihr größtes Einzelprogramm, mit wesentlichen Mitteln aus der Gates-Stiftung und Rotary International.

Eng verbunden sind diese Erfolge der modernen, oft als „westlich“ betitelten Medizin, mit einer militärischen und ökonomischen Einflussnahme im Globalen Süden. Das Gelbfieber dezimierte die Arbeiter*innen des Panamakanals in einem ungeahnten Ausmaß und auch die Reduzierung der Leistungsfähigkeit und Lebenszeit von Plantagenarbeiter*innen und kolonialen Verwalter*innen durch die Malaria in den Ländern des Südens waren Gesundheitsgefahren, die unmittelbare Auswirkungen auf die koloniale Herrschaft hatten.

Im Kampf gegen Malaria  

Dabei entzieht sich die Malaria bis heute hartnäckig einer solchen vermeintlich einfachen Strategie der Immunisierung mittels Impfung – auch wenn es aktuell neue Erfolge einer zumindest teilweise wirksamen Impfung gibt, sodass der Blick frühzeitig auf die übertragenden Anopheles Mücken fiel. Die Versuche einer endgültigen Lösung des Problems durch ökologische Interventionen wie dem massiven Einsatz von DDT oder modernere Insektizide gegen die übertragenden Mücken haben ernüchternde Ergebnisse erzielt. Denn sowohl die Malaria Parasiten als auch die übertragenden Insekten zeigen sich erstaunlich anpassungsfähig gegenüber diesen Interventionen, sodass eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der nächsten „Wunderwaffe“ im Kampf gegen die Malaria angebracht ist, wie sie die Gene Drive-Technologie zu versprechen scheint und gerade von der finanzstarken Gates-Stiftung gepusht wird. Deren Einsatz kann ungeklärte und möglicherweise schwere ungewollte ökologische Nebeneffekte haben, etwa durch den Übergang dieser genetischen Veränderungen auf andere Insekten, was uns in der Medizin von jeder neuen Therapie und jedem neuen Medikament nur allzu bekannt ist.

Auf einer anderen Ebene erscheint gerade das zugrundeliegende Konzept einer Ausrottung der Malaria das besonders problematische an diesen neuen Debatten um Gene Drives zu sein. Diese Versuche einer endgültigen Beseitigung immenser Gesundheitsprobleme sind eng mit einer Vorstellung vom „Krieg gegen einen Feind“ verbunden, die sich häufig in der Medizin findet, aber in ihrer Praxis oft in die Irre führt. Denn es sind nur Ausnahmesituationen, wie es die Ausrottung der Pocken war, und keine tatsächlich realistischen Konzepte.

Diese Hoffnung, ein für alle Mal mit etwas Schluss zu machen, unterschätzt die Komplexität lebender Systeme in ihrem gesellschaftlich entstandenen Zusammenhang. Zum Beispiel schien eine Krankheit wie die Tuberkulose mit den erfolgreichen medikamentösen Therapien, die bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden, besiegbar. Faktisch ist die zugrundeliegende Armutsproblematik in vielen Ländern der Welt die treibende Ursache, warum sich Menschen weiterhin infizieren und an Tuberkulose erkranken. Die HIV/AIDS Pandemie wird wesentlich von Geschlechterdynamiken, Armutsprostitution und Kriminalisierung von Drogengebrauch und sexuellen Minderheiten bestimmt. Auch noch so gute, neue Medikamente und Diagnostika werden an diesen zugrundeliegenden Ursachen nichts ändern.

Gesundheitsinitiativen anstelle von Krankheitseradikation

Interessanter Weise sind erfolgreiche Interventionen gegen Malaria historisch schon entstanden, bevor die genaue Ursache der Malaria überhaupt bekannt war. Die Mala Aria (ital. schlechte Luft), die in den italienischen Sümpfen für die Fiebererkrankung verantwortlich gemacht wurde, wurde erfolgreich mit der Trockenlegung der Sumpfgebiete bekämpft, bevor die Mücken und die Plasmodien als Malariaerreger identifiziert waren. Daran wird deutlich, dass es komplexe ökologisch-gesellschaftliche Zusammenhänge sind, die Krankheiten fördern oder der Gesundheit schaden, die in der Regel nicht mit rein medizinisch-technischen Interventionen zu bewältigen sind. Das heißt selbstverständlich nicht, dass die aktuell verfügbaren Maßnahmen zur Eindämmung von Malaria in Gebieten, in denen sie nach wie vor eine ernstzunehmende Gesundheitsgefahr ist, nicht wichtig sind.

Durch die weite, häufig auch kostenlose Verfügbarkeit von gut wirksamen Tests und  Kombinationspräparaten auf Artesemin-Basis, Insektizid-imprägnierte Bettnetze und auch gezielte ökologische Interventionen wie die Reduzierung von offenen Wasserflächen sind die Erkrankungs- und Sterblichkeitsraten vor allem bei kleinen Kindern seit dem Beginn des neuen Jahrtausends massiv zurückgegangen. Dies gilt es weiter zu verstetigen, wofür die Mittel des Global Fund to Fight AIDS, Tuberkulose and Malaria und die damit geförderten Länderprogramme von wesentlicher Bedeutung sind. Durch eine möglichst umfangreiche und rasche Behandlung von infizierten Menschen reduziert sich auch der Kreislauf der Übertragung der Erreger zwischen Mücken und Menschen, sodass hierdurch weitere Reduktionen der Erkrankungsraten wahrscheinlich sind.

Die Wichtigkeit einer wirklich umfassenden, alle Menschen auch erreichende Gesundheitsversorgung kann hier gar nicht unterschätzt werden. Dies schließt vor allem eine aktive Beteiligung der Menschen mit ein, die nicht nur passive Objekte eines Gesundheitssystems sein dürfen, sondern als kompetente Akteur*innen ihrer eigenen Lebenswelten ernstgenommen und unterstützt werden müssen. So reicht zum Beispiel die einfache Verteilung von Bettnetzen nicht aus, die besonders für Kleinkinder nützlich ist, sondern muss durch eine strukturelle Verbesserung von Häusern und Hütten mit besseren Fenstern und Türen und entsprechendem Mückenschutz ergänzt werden. Ebenso sind die Beseitigung von offenen Wasserflächen in der Nähe von Siedlungen eine wirksame Maßnahme, nicht nur zur Malariareduktion, sondern auch anderer Erkrankungen, die von Mücken übertragen werden – wie etwa das Denguefieber – und die eine massive Ausweitung gerade in urbanen Regionen der tropischen Länder erfahren haben.

Hier wird deutlich, dass eine zu enge Fokussierung auf eine spezifische Krankheit den Bedürfnissen der Bevölkerung nur begrenzt oder gar nicht dient. Eine erfolgreiche Mobilisierung der Menschen, um selbst zur Verbesserung ihrer eigenen Lebens- und Gesundheitslage beizutragen, ist als wesentliche, unverzichtbare Essenz erfolgreicher Gesundheitskampagnen schon lange bekannt – wie beispielsweise die zentralen Erfolge der sandinistischen nicaraguanischen Gesundheits- und Bildungsinitiativen nach 1979. Das Änderungen in der primären Gesundheitspflege (Primary Health Care) wurden, nachdem erstaunliche Erfolge auch bei der Zurückdrängung der Malaria in diesem Land zu erkennen waren, von der Weltgesundheitsorganisation als exemplarisch gepriesen.
 

25. Juli 2024

Andreas Wulf ist Arzt und Referent für Globale Gesundheit bei Medico International

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