Männer, Körper, Manipulationen

Nicht nur Frauen verändern ihren Körper mit allen Mitteln

Männlichkeit muss körperlich repräsentiert werden, um Erfolg zu haben. Körperarbeit ist auch Männer-Sache. Bodybuilding, Medikamente und Gentechnik sollen helfen.

Zum Alltagswissen und zu den Alltagspraxen gehört eine binäre Zuordnung von Menschen zu einem Geschlecht und - automatisch damit verknüpft - von personalen und sozialen Eigenschaften. Männer unterscheiden sich demnach von Frauen sowohl biologisch als auch sozial. Je nach historischer Konstellation werden sie als Gegensätze konstruiert wie Mars und Venus oder als (notwendige) Ergänzungen wie Sonne und Mond. Conell verweist darauf, dass Männer für sich in Anspruch nehmen, dominant zu sein, Macht zu haben und ihre Wünsche durchzusetzen. Er spricht daher von „hegemonialer Männlichkeit“.1 Männlichkeit muss körperlich repräsentiert werden, und zwar nicht nur in Abhebung von Weiblichkeit, sondern auch und insbesondere gegenüber anderen Männern. Das ist für viele (junge) Männer Anlass und Anreiz für sportliche Betätigung und Fitnesstraining. Mit dem sportlichen Training soll ein idealer Körper erzeugt werden mit breiten Schultern, kräftigen Armen und durchtrainierten Schenkeln und Waden. Männer trainieren oft verbissen daran, das Ideal zu erreichen. Auch Männer, die sich zur herrschenden Elite zählen wie Top-Manager und Medienmänner orientieren sich an diesem Ideal. Vom angehenden Manager erwartet man, dass er seinen Körper regelmäßig trainiert und in Form hält. Männer, die Bäuche ansetzen und sich auch sonst wenig um ihr Aussehen kümmern, dafür auf ihre Intelligenz und ihre Leistung pochen, sind von vornherein im Nachteil gegenüber ihren Konkurrenten mit den durchtrainierten Körpern und dem gestylten Äußeren. Sie müssen sich nicht wundern, wenn sie im Konkurrenzkampf verlieren. Den erfolgreichen Mann erkennt man nicht allein am Körpertraining, sondern auch am Rundum-Styling. Dazu gehört selbstverständlich die Pflege von Gesicht, Haaren, Händen und des gesamten Körpers. Dazu gehört aber auch die zu jeder Gelegenheit passende Kleidung. Schließlich bezieht sich Styling auch auf die Menschen, mit denen man sich umgibt und mit denen man gesehen wird. In diesem Sinne ist der moderne Mann, der sich gegen andere Männer im Konkurrenzkampf durchsetzt, „metrosexuell“. Modisch orientiert er sich an allem, was gerade „in“ ist, auch an Attributen, die eher mit Homosexualität assoziiert oder - traditionell - den Frauen vorbehalten sind, wie Parfums, Schminke, Puder, Cremes aller Art und der Haar­entfernung auf Brust, Beinen und in der Nase. Wenn alle anderen Mittel versagen, hilft die Schönheitschirurgie diesen Männern zum gewünschten Aussehen. Das Spiel mit der Inszenierung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei alledem um Variationen hegemonialer Männlichkeit geht. Metrosexualität geht sehr gut zusammen mit Top-Jobs in der Medienwelt, die sich wiederum nicht sinnvoll von der Modewelt trennen lässt. Hier begegnen dann die heterosexuellen metrosexuellen Männer den homosexuellen, denn die Modebranche wird seit langem von letzteren beherrscht. Diese haben den Slogan ausgegeben: „Model mit, Mann“! Die modische Bilderwelt zeigt auch gleich, was damit gemeint ist.2 Dort findet man gerade nicht verweichlichte und „verweiblichte“ Typen, sondern Männer mit durchtrainierten Körpern mit breiten Schultern, wohlgeformten Muskeln an Brust, Armen und Bauch, starken Schenkeln und kräftigen Waden. Die Differenz zum metrosexuellen Prototyp ist minimal - aber eben doch gerade noch wahrnehmbar. Gegen diese Konkurrenz gilt es sich durchzusetzen und den Kampf um die hegemoniale Männlichkeit zugunsten des metrosexuellen und heterosexuellen Prototyps zu entscheiden. Es geht dabei um viel: Es geht um Macht und Herrschaft nicht nur über Frauen, sondern auch über Männer. Körpertraining und Körperstyling gehören daher zum Programm auch von Männern, die zur Elite gehören wollen. Es geht um Körpertraining, Disziplin und Unterordnung unter das Kommando des Trainers. Im Sport sind schon immer Substanzen und Stoffe zur Leistungssteigerung, zur Schmerzbekämpfung und zur Feier von Siegen eingesetzt worden. Alkoholkonsum vor und vor allem nach dem Spiel gehört ganz selbstverständlich zum Sport. Der Sport nutzt alte und neue Medikamente wie Opiate zur Schmerzbekämpfung und Amphetamine zur Leis­tungssteigerung.

Körper-Manipulationen

Den muskulösen Körper müssen sich (junge) Männer meistens selbst erarbeiten. Verschiedene Wege führen zum Ziel. Man kann tatsächlich Sport betreiben und Hanteln wuchten, bis die Muskeln wachsen. Sie tun das aber nur langsam. Wer keine Zeit hat, setzt auf eine Kombination von Sport und Medikamenten oder auch auf Medikamente allein und - in jüngster Zeit - auch auf Gen-Manipulationen. Wenn die Eingriffe in die genetischen Prozesse in den Muskeln Erfolg haben, werden sie sich gegenüber der Konkurrenz der pharmazeutischen Mittel, die aktuell auf dem Markt sind, durchsetzen, da diese Eingriffe sowohl dauerhafte Veränderungen versprechen als auch minimalen eigenen Einsatz - sieht man vom maximalen gesundheitlichen Risiko ab, das damit verbunden ist. Bleiben wir zunächst bei den Medikamenten. Der Einstieg in den Konsum von Medikamenten zur Leistungssteigerung beginnt in der Jugendzeit; er steigert sich systematisch mit dem Alter. Für den Muskelaufbau ist eine Reihe von Mitteln interessant, zum Beispiel die anabol-adrogenen Steroide (AAS, also exogenes und endogenes Testosteron) oder verschiedene Typen von Wachstumshormonen. Im Alltagssprachgebrauch fasst man diese Stoffe - AAS, die Wachstumshormone, die Aufputschmittel (vom Typ Amphetamin) sowie eine Reihe anderer Stoffe - gerne zusammen und spricht dann einfach von Dopingmitteln. Es handelt sich um sehr unterschiedliche Stoffgruppen mit ganz unterschiedlichen Wirkungen und Nebenwirkungen. Auch hier belegen Studien, dass Jugendliche entsprechende Mittel mit und ohne Sport einsetzen, um ihr Muskelwachstum gezielt zu stimulieren und um ihr Aussehen zu verbessern. Zu den pharmazeutischen Mitteln und Medikamenten kommen manipulative Methoden zur Erhöhung der Leis­tungsfähigkeit im Sport wie Blutdoping, andere Formen der künstlichen Erhöhung von Sauerstoff im Blut, chemische und physikalische Manipulation der Leistungsfähigkeit sowie Gendoping. Fachleute gehen davon aus, dass man in Zukunft mit immer mehr Fällen von Gendoping rechnen muss. Es handelt sich dabei um raffinierte und subtile Eingriffe in den Stoffwechsel der Muskeln oder anderer Systeme. An diesen Eingriffen wird zurzeit noch gearbeitet. Bislang experimentiert man mit Gendoping unter anderem an Windhunden. Bewähren sich die Eingriffe dort, ist davon auszugehen, dass die Verfahren alsbald auf Menschen übertragen werden. Für Männer, die Erfolg haben wollen und Spitzenpositionen nicht nur im Sport, sondern auch im Business oder in der Modewelt erreichen wollen, wird es schwer werden, sich entsprechenden Manipulationen zu entziehen und sich mit einem Körper zu identifizieren, der den Ansprüchen an die Bilder von metrosexueller Männlichkeit nicht genügt. Zwei Dopingmittel erfreuen sich besonderer Beliebtheit: die anabol-adrogenen Steroide (AAS) und Anregungsmittel vom Typ Amphetamin und verwandte Stoffe. Die AAS sind Stoffe, die dem männlichen Sexualhormon Testosteron ähneln beziehungsweise diesem entsprechen. Sie fördern den Eiweißaufbau in der Skelettmuskulatur und vermindern den Fettanteil im Körper. Alle AAS haben sowohl erwünschte anabole wie oft weniger erwünschte androgene Wirkungen. Zu den erwünschten anabolen Wirkungen gehören der Abbau von Körperfett und das Wachstum der Muskeln unabhängig davon, ob der Konsument Sport betreibt oder nicht. Verbindet man die Einnahme von AAS mit (hartem) sportlichem Training, wachsen die Muskeln besonders schnell. Männer schätzen auch die androgenen Wirkungen der AAS mit Peniswachstum, Vertiefung der Stimmlage, Entwicklung der Körperbehaarung usw. Frauen schätzen diese Wirkungen nicht, bei ihnen gehören sie zu den unerwünschten Nebenwirkungen. Weitere unerwünschte Nebenwirkungen bei Männern und Frauen sind Akne, die Gefahr der Schädigungen des Herz-Kreislaufsystems, der Leberfunktionen, der Störungen des endokrinen Systems (mit erheblichen negativen Auswirkungen auf das männliche Reproduktionssystem). Dazu können Veränderungen der Stimmung kommen mit starker Euphorie einerseits und starken Aggressionen andererseits. Männer, die AAS nehmen, können leicht ausrasten und andere Personen bedrohen. Sind diese Stimmungsschwankungen mit einer Zunahme der männlichen Libido und des sexuellen Appetits mit dem Wunsch nach unmittelbarer Befriedigung verbunden, kann es auch zu sexuellen Übergriffen kommen.3 Neben den AAS haben im Freizeit- und Breitensport die Stimulanzien einen festen Platz. Es handelt sich um Stoffgruppen mit folgenden Wirkungen: Kurzfristige Steigerung des Antriebs und der körperlichen Leistungen sowie Anhebung der Stimmung. Sie sind strukturell den körpereigenen Stoffen Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin verwandt. Im Sport (vor allem Radsport und Fußball) sind Amphetamin und Methamphetamin nach ihrer Erfindung in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts bis etwa zur Jahrhundertwende häufig eingesetzt worden. Nach spektakulären Todesfällen im Radsport wurden diese Mittel im Spitzensport bereits um 1970 verboten. Neben den erwünschten Wirkungen der Stimulanzien gibt es auch unerwünschte Wirkungen wie Blutdruckanstieg mit der Gefahr des Herz- und Kreislaufkollaps, Hyperthermie, Erregung mit Ängsten und Verkennungen und so weiter. Bei allen Stimulanzien gehört die Ausbildung von Abhängigkeit zu den bekannten und nachgewiesenen unerwünschten Nebenwirkungen. Im Freizeit- und Breitensport werden die Amphetamine sehr häufig eingesetzt, erlauben sie doch die Fortsetzung des Trainings auch dann noch, wenn Zeichen der Ermüdung unübersehbar sind und wenn der Körper deutlich signalisiert, dass eine Ruhephase angesagt ist. (Gestresste) Spitzenmanager, Banker, Piloten oder Spitzenmediziner verlassen sich ebenfalls auf Amphetamine oder auch Kokain zur Steigerung ihrer Leistung. Unter diesen Drogen können sie länger mithalten, länger Entscheidungen treffen - die sie vielleicht im nüchternen Zustand nicht getroffen hätten. Mit diesen Körpermanipulationen erreicht man Unterschiedliches durchaus erfolgreich. Zum einen kann man mit den AAS ohne allzu großen körperlichen Einsatz sein Aussehen in gewünschter Weise verändern und verbessern. Man kommt dem Idealbild des starken harten Mannes näher. Zum andern ist man länger fit, länger dabei, länger aktiv. Man vergrößert also den eigenen Einflussbereich, letztlich den eigenen Machtbereich. Ohne diese Mittel geht das alles auch, es dauert nur sehr viel länger und erfordert einen sehr viel höheren eigenen Einsatz.

Mannsbilder

Wie man es auch dreht und wendet, die Männerwelt und mit ihr die Männerbilderwelt ist in Bewegung. Das liegt wohl auch daran, dass sich hegemoniale Männlichkeit in der Gegenwart nicht mehr so leicht um- und durchsetzen lässt wie in der Vergangenheit. Je selbstverständlicher Frauen in die Erwerbs- und Arbeitswelt einbezogen sind, je höher ihr selbständig erarbeitetes Einkommen ist und je weniger sie auf Männer als Ernährer angewiesen sind, um so mehr kommt das traditionelle Geschlechterverhältnis ins Wanken. Frauen haben auf diese Veränderungen reagiert und sich daran angepasst; sie haben in der Auseinandersetzung mit Männern Eigensinn und Eigenständigkeit entwickelt. Die Medien haben sich dieser Entwicklung bereits angenommen. Seit Mitte der 1990 Jahre geben die aufkommenden Männerzeitschriften wie Men’s Health, FHM oder Maxim den Männern Orientierungen. Die Medien, schreibt Michael Meuser, „produzieren vermehrt Sinnangebote, die sich gezielt an Männer richten“. Das ist Ausdruck davon, dass die traditionellen Männlichkeitskonstruktionen prekär geworden sind: „Männlickeit wird befragt und gleichsam vermessen“.4 Allerdings vermitteln die Medien nicht nur einen Typus oder ein Bild von Männlichkeit, sondern eher eine Bilderwelt. Männer können und müssen sich ihren Typus auswählen und aktiv umsetzen. Das ist für eine recht große Gruppe von Männern das Einfallstor für Körperstyling mit Bodybuilding und dem Konsum von Dopingmitteln. Dahinter steht die Sehnsucht nach einem einfachen Männlichkeitsbild mit klaren Konturen und klarem Anspruch auf Dominanz und Macht. Aber diese Lösung ist alles andere als ideal. Insbesondere die Männergesundheitsforschung macht auf ihre Weise Druck auf die Männer. Sie bescheinigt den Männern einen „schonungslosen“ Umgang mit dem Körper, der zu Gesundheitsgefährdungen und vorzeitigem Tod führt. Sie appelliert nachdrücklich an die Männer, sich eine neue Körperkompetenz zuzulegen, damit sie gesundheitlich mit den Frauen wenigstens mithalten können. Nur wenn es zu einer Renaissance des männlichen Körpers und des männlichen Körperkults kommt, sagen die Männergesundheitsforscher, steigen auch die Gesundheits- und Lebenserwartungen der Männer. Sollte sich dieser Trend durchsetzen, wird sich das auf das Konstrukt von Männlichkeit und den männlichen Habitus nachhaltig auswirken.

  • 1Connell, R.W. (1999): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Opladen: Leske & Budrich.
  • 2Vgl. z. B. die Anzeigen und Bilder in www.eqmag.com.(online korrigiert - die Red., Jan. 2011)
  • 3Fainaru-Wada, M.; Williams, L. (2006): Game of shadows. New York: Gotham.
  • 4Meuser, M.; Scholz, S. (2005): Hegemoniale Männlichkeit. Versuch einer Begriffserklärung aus soziologischer Sicht, in: Dinges, M. (Hg.): Männer - Macht - Körper. Frankfurt: Campus.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
202
vom Oktober 2010
Seite 16 - 18

Irmgard Vogt ist Professorin im Ruhestand am Institut für Suchtforschung an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Sie arbeitet derzeit zu Themen wie Drogenkonsum und Drogenabhängigkeit im Alter; Psychotherapie, Beratung und Behandlung von (süchtigen) Frauen und ihren Kindern sowie zum Thema Kochen und Essen mit Genuss.

zur Artikelübersicht

Nur durch Spenden ermöglicht!

Einige Artikel unserer Zeitschrift sowie unsere Online-Artikel sind sofort für alle kostenlos lesbar. Die intensive Recherche, das Schreiben eigener Artikel und das Redigieren der Artikel externer Autor*innen nehmen viel Zeit in Anspruch. Bitte tragen Sie durch Ihre Spende dazu bei, dass wir unsere vielen digitalen Leser*innen auch in Zukunft aktuell und kritisch über wichtige Entwicklungen im Bereich Biotechnologie informieren können.

Ja, ich spende!  Nein, diesmal nicht