Zugelassen und abgehakt?
Der Bluttest auf Trisomien bleibt umkämpft
Seit der Kassenzulassung des nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) im Juli 2022 ist die umstrittene Testpraxis weitestgehend aus der parlamentarischen Debatte verschwunden. Dabei ergeben sich aus der Kassenfinanzierung des NIPT weitere Regelungsbedarfe – sowohl bezüglich der derzeitig verfügbaren Tests als auch bezüglich einer möglichen Ausweitung des Testspektrums.
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So hatte der damalige SPD-Fraktionsvize und heutige Gesundheitsminister Karl Lauterbach bereits in der Orientierungsdebatte im Bundestag auf das schier endlose Potential der Pränataldiagnostik verwiesen: „Wir werden sehr viele dieser Tests bekommen. Wir werden Tests auf fast jede erdenkliche genetische Erkrankung bekommen.“1 Daher brauche es für die Prüfung der Zulassung neue Gremien und neue Verfahren. Relativ einhellig waren auch die Wortbeiträge, die betonten, dass es nicht zu einem Reihenscreening auf Trisomie 21 kommen dürfe. Vor genau dieser Gefahr hatten Fachverbände bereits im Vorfeld gewarnt. Die unklare Formulierung in den Mutterschaftsrichtlinien und der Versicherteninformation führe de-facto dazu, dass die Tests ohne Notwendigkeit einer medizinischen Indikation als Regelleistung verstanden und dementsprechend in Zukunft von einem Großteil der Schwangeren in Anspruch genommen würden.
Viele offene Fragen – hoher politischer Handlungsbedarf
Dass auch bereits umgesetzte Beschlüsse von der Zivilgesellschaft weiterhin kritisch beobachtet werden, zeigt sich an der Arbeit des #NoNIPT-Bündnisses. Im September 2022 trafen sich Vertreter*innen des Zusammenschlusses mit Mitgliedern der interfraktionellen Arbeitsgruppe im Bundestag, die ebenfalls weiterhin zu den Bluttests arbeitet. In diesem Zusammenhang überreichte das Bündnis auch einen Forderungskatalog, der die Regelungsbedarfe im Kontext des NIPT umfassend darstellt. So fehlt es etwa noch immer an einer gesetzlichen Regelung des Angebotes von Testverfahren ohne therapeutischen Nutzen und auch das bereits in der Orientierungsdebatte angemahnte neue Bewertungsverfahren abseits des lediglich technisch-medizinisch urteilenden Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) scheint nicht auf der aktuellen politischen Agenda zu stehen. Darüber hinaus findet derzeit kein umfassendes Monitoring der Umsetzung des Finanzierungsbeschlusses statt – das bedeutet auch, dass völlig unklar ist, ob Befürchtungen hinsichtlich eines Massenscreenings auf Trisomie 21 sich in der Praxis bestätigen.
Wichtige Fragen – ausweichende Antworten im Bundestag
Seit der Übergabe des Papiers ist inzwischen ein halbes Jahr vergangen. Am 15. März nutzten einige Mitglieder der interfraktionellen Gruppe die Fragestunde des Bundestags, um beim zuständigen Gesundheitsministerium nachzuhaken. Die Fragestunde ist ein Instrument der parlamentarischen Kontrolle, die Fragen werden von einzelnen Abgeordneten an die Regierung gerichtet. Stephan Pilsinger (CDU/CSU) stellte eine mögliche Ausweitung des Testspektrums sowie die Frage nach Maßnahmen der Regulierung pränataldiagnostischer Verfahren ohne therapeutischen Nutzen ins Zentrum seines Beitrags. Statt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach stand für die Antworten lediglich der parlamentarische Staatssekretär Edgar Franke zur Verfügung und bot wenig Konkretes: statt einer Antwort stellte Franke rhetorische Rückfragen und verwies auf bestehende Strukturen wie den G-BA. Der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe wollte wissen, inwiefern sich eine Verfestigung „eugenischer Tendenzen“2 im Zuge der Kassenzulassung des NIPT feststellen lasse und was die Bundesregierung dagegen zu tun gedenke. Franke antwortete ausweichend und verwies lediglich auf den finanziellen Aspekt der Kassenzulassung. Diese Strategie wiederholte sich bei der Wortmeldung der Grünen-Abgeordneten Corinna Rüffer, die unter Verweis auf den Welt-Down-Syndrom-Tag am 21. März fragt: „Wo liegt denn eigentlich der medizinische Nutzen des Tests auf Trisomie 21, der laut Gendiagnostikgesetz Voraussetzung ist?“. Hier konstruierte Franke eine vermeintliche Opposition zwischen dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und der gesellschaftlichen Strahlkraft der Kassenfinanzierung des NIPT, um dann abermals zu resümieren, der Zugang zum Verfahren dürfe keine Frage des Geldbeutels sein.
Insgesamt blieben die Antworten aus dem Gesundheitsministerium schwammig und ließen keine konkreten Vorhaben der Bundesregierung erkennen, die offenen Regelungsbedarfe anzugehen.
Der Druck lässt nicht nach – Widerstand aus dem kleinsten Bundesland
Der NIPT ist jedoch mit der Fragestunde im Bundestag nicht von der politischen Tagesordnung verschwunden. Denn in Deutschlands kleinstem Bundesland formiert sich Widerstand. Ein gemeinsamer Dringlichkeitsantrag aller demokratischen Fraktionen (d.h. ohne AfD) der Bremischen Bürgerschaft (Landesparlament von Bremen) mit dem Titel „Verantwortungsvoll und gemeinsam eine Grundlage für eine sachgerechte, ethisch verantwortliche und rechtssichere Anwendung von nicht-invasiven Pränataltests schaffen“ fordert das Land auf, eine Bundesratsinitiative zum NIPT anzustoßen. Der Antrag enthält die Forderungen nach einer umfassenden Evaluation der neuen Praxis beim NIPT und ihrer Auswirkungen sowie nach der Einsetzung eines Expert*innengremiums, das künftig rechtliche, ethische und gesundheitspolitische Grundlagen für die Zulassung nicht-invasiver Pränataltests prüfen soll. Ursprünglich eingebracht hatten das Anliegen die Landesfrauenbeauftragte und der Landesbehindertenbeauftragte. „Mit der Bundesratsinitiative versuchen wir jene Kontroverse auf Bundesebene anzuschieben, die leider vor der Kassenzulassung des NIPT nicht stattgefunden hat – zumindest nicht im Parlament. Alle rechtlichen, ethischen und gesundheitspolitischen Argumente aus der Zivilgesellschaft, von Gynäkolog*innen und Hebammen, von Behindertenverbänden und anderen Aktivist*innen können hierdurch noch einmal verstärkt werden“, erklärt Mo Urban, Referentin für Gesundheit der Landesfrauenbeauftragten in Bremen.
Beeindruckender Etappensieg – Einstimmiger Beschluss aus Bremen
Am 15. März sprach sich die Bremische Bürgerschaft für die Bundesratsinitiative aus – einstimmig. Landesbehindertenbeauftragter Arne Frankenstein zeigt sich erleichtert über den Beschluss – und unterstreicht Aktualität und Dringlichkeit der Initiative: „Die Praxishinweise von Mediziner*innen und werdenden Eltern aus Bremen liefern erste Hinweise darauf, dass die Kassenzulassung in seiner [sic!] jetzigen Form nicht bestehen bleiben darf. Es ist an der Zeit, die Versäumnisse der Vergangenheit zu korrigieren und vor eine Neubewertung des Tests eine umfassende wissenschaftliche und ethische Analyse sowie eine Bewertung von Expert*innen unterschiedlicher Fachrichtungen zu stellen.“ Frankenstein betont, dass Vertretungen behinderter Menschen in diese Bewertung einbezogen werden müssen und verweist auf den „gesetzlichen Auftrag, eine inklusive Gesellschaft zu werden“.
Die Grundlage stehen – deutlicher Handlungsauftrag an die Politik
Mit der Bremer Bundesratsinitiative ist der NIPT zurück auf der politischen Agenda. Der Handlungsauftrag an die Bundespolitik ist deutlich. Sowohl die Bremer Initiative als auch der zivilgesellschaftliche Druck von Gruppen wie dem #NoNIPT-Bündnis zeigen, dass die Debatte an dieser Stelle nicht beendet ist. Damit rückt auch ein Monitoring der Testpraxis wieder in greifbare Nähe – und mit belastbaren Daten könnten auch neue Ansatzpunkte für eine tatsächliche Auseinandersetzung mit den behindertenfeindlichen Implikationen des Verfahrens und vielleicht sogar Anstöße für ein Umsteuern entstehen.
- 1Plenarprotokoll vom 11.04.2019: https://dserver.bundestag.de/btp/19/19095.pdf
- 2Plenarprotokoll vom 15.03.2023: https://dserver.bundestag.de/btp/20/20090.pdf
Jonte Lindemann ist Mitarbeiter*in des GeN und Redakteur*in des GiD.
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