Mutanten und Cyborgs

Die posthumanistische Forderung nach Gendoping

Gendoping schafft Chancengleichheit, argumentieren Posthumanisten und beziehen sich dabei auf Donna Haraways feministische ­Naturwissenschaftskritik. Mit ihrem Aufruf zur Selbstoptimierung verabschieden sie mit dem Humanen auch das Humanitäre.

Dass man mit der Genetik Menschen mit besonderen Fähigkeiten züchten könne, ist ein alter Mythos. Schon die eugenischen Bewegungen im letzten Jahrhundert zielten nicht nur auf die Verhinderung von Krankheit und Behinderung durch Selektion und Ermordung derjenigen, die nicht in ihr Weltbild passten. Es ging immer auch um das Hervorbringen besonders potenter Leistungsträger. Aldous Huxley hat diese Version einer Welt der Glückseligkeit - geschaffen durch Biotechnologie, Eugenik und Psychopharmaka - in seinem Roman Brave New World bereits 1932 karikiert.

Fischmenschen und Gladiatoren

Da wundert es nicht, dass auch Gendoping von solchen Vorstellungen begleitet wird. Zielt es doch auf das Zentrum dieser Phantasien: die genetische Veränderung des einzelnen Menschen zum „Über-Menschen“. Und wie schon bei Frankensteins Monster geht die Hoffnung mit Angst vor der Kreatur, die der Mensch da schafft, einher. Auch beim Gendoping werden die genetisch veränderten SportlerInnen zu Aussätzigen, Gruselgestalten und Monstern. Anlässlich der olympischen Sommerspiele in Peking vor zwei Jahren titelte die Online-Ausgabe von „Das Magazin“: „Mutanten greifen an“. Da ist die Rede von „Fischmenschen [...] mit Schwimmhäuten“ und „Gladiatoren [...] mit Megamuskeln“, die in die Sport­arenen einlaufen. Zwar korrigiert der Autor Beat Glogger: „Es werden Athleten sein, die aussehen wie Menschen“, nur „ihre Leistungsfähigkeit ist übermenschlich. Denn sie sind genetisch manipuliert.“1 Das Bild von den Mutanten aber ist unvergleichlich stärker. An anderer Stelle wird vom „Stadion-Cyborg“ berichtet, den Gendoping hervorbringe.2 Die Cyborgs und Mutanten, die die Phantasie beflügeln, entstammen den Vorstellungswelten der Science Fiction-Literatur und -Filme. Bildlich vielleicht am prägnantesten sind ihre VertreterInnen aus der Comic-Welt. Auch hier geht es nicht um die Züchtung von Menschen, sondern vielmehr um deren Veränderung, etwa durch somatische Gentherapie. Die Comic-Mutanten erhalten ihre besonderen Fähigkeiten durch radioaktive Strahlung oder genetische Experimente, wobei dabei zumeist etwas schief gegangen ist. Die Comic-Cyborgs sind Maschinen, die durch Biotechnologie menschenähnliche Gestalt angenommen haben. Mutanten sind wild und impulsiv, sie können ihre Gefühle nicht kontrollieren und sind manchmal auch ein bisschen dumm. Cyborgs sind dagegen dem normalen Menschen oft intellektuell überlegen, aber berechnend und emotionslos, ihnen fehlt das Einfühlungsvermögen, die „emotionale Intelligenz“. Beide Figuren repräsentieren übermenschliche Kampfmaschinen, gegen die niemand ankommt. Als Armee sind sie unbesiegbar. Für ihre Fähigkeiten werden sie aus der Ferne bewundert - aber auch gefürchtet. Im Privaten sind die Comic-Mutanten und Comic-Cyborgs daher oft sehr einsam. Die Kehrseite der Superkräfte ist Ausgrenzung und Diskriminierung. In der Rezeption der Comic-Literatur stehen Mutanten und Cyborgs, zumindest die „Guten“ unter ihnen, für eine unterdrückte oder diskriminierte Minderheit. An ihrem Beispiel wird rassistische Ausgrenzung thematisiert.

Der Cyborg als emanzipatorische Vision

Die Vision hybrider Existenz ist aber nicht nur Thema von gruseligen Erzählungen. Die amerikanische Biologin und Feministin Donna Haraway dreht das Bild vom Mensch-Technik- (die Cyborg) und vom Mensch-Tier-Hybrid (die Coyote) offensiv ins Positive. Die Hybride entziehen sich nämlich jenen affirmativen Festlegungen, die Grundlage von Herrschaft und Unterdrückung sind. Für Haraway sind sie ideale Denkfiguren, um gegen eine essentialistische und individualistische Vorstellung von Weiblichkeit, das Rekurrieren auf eine weibliche Natur, „die Göttin“, in der feministischen Debatte Position zu beziehen. Mit der Cyborg ruft Haraway zur Überwindung der Opferhaltung gegenüber Gen- und Reproduktionstechnologien und für eine Einmischung von Frauen auf. In der Technologieentwicklung liege aus feministischer Perspektive das Potenzial für eine Verwischung der dichotomen Identitäten Mann-Frau, Natur-Technik, Mensch-Tier und damit einer Infragestellung der mit diesen verbundenen Macht und Herrschaft. Dazu gehört nach Haraway aber auch, sich von der Vorstellung der friedfertigen Frau, die niemanden unterdrückt und von Geburt an im Einklang mit der Natur und ihrem Körper lebt, zu verabschieden. Diese Reinheitsvorstellung entspräche nicht der Wirklichkeit, denn: „Wir sind immer schon mittendrin!“3

Der posthumanistische Erfolgsmensch

Eine sich selbst als „Posthumanisten“ bezeichnende Gruppe von Philosophen und Bioethikern benutzt Haraways Argument, dass es das „Natürliche” faktisch nicht gibt, um für die technische Verbesserung des Menschen einzutreten. Von technischen Hilfsmitteln über leistungssteigernde Substanzen bis hin zu genetischen Eingriffen preisen sie das „Alltags-Enhancement“ als Rezeptur für beruflichen Erfolg und höhere Lebensqualität. Die Posthumanisten wenden sich damit vehement gegen den Abstinenz- und Reinheitsmythos auch der Sportverbände und Anti-Doping-Behörden. Der Bioethiker Andy Miah fordert in seinem Buch „Genetically modified Athletes“ konsequent die Freigabe des Gendopings. Erst mit Hilfe von Gendoping, so sein Argument, sei wirkliche Chancengleichheit im Sport möglich, da nur damit die „natürlichen“ genetischen Vorteile einzelner SpitzensportlerInnen für alle ausgeglichen werden könnten. Die Ausgrenzung gentechnisch veränderter Menschen aus dem Wettkampfsport käme genetischer Diskriminierung gleich.4 Auch der Sportwissenschaftler Kutte Jönsson argumentiert, erst Gendoping mache es möglich, „Sport jenseits von Geschlecht“ (sport beyond gender) und damit auch jenseits der Diskriminierung nach Geschlecht zu denken - und verweist dabei auf trans- und intersexuelle Sportlerinnen, denen untersagt wurde, an Frauenwettkämpfen teilzunehmen.5 Sowohl Miah als auch Jönssen beziehen sich in ihrer Argumentation auf Haraway und ihre Cyborg-Metapher. In der Dämonisierung liege zudem die Gefahr der gesellschaftlichen Ausgrenzung und Abwertung von „Cyborgs“ und „Mutanten“. Diese widerfahre den (gen)gedopten SportlerInnen schon jetzt wie ihren Vorbildern aus den Comic-Heften. Die rassistischen und dämonisierenden Bilder, die zur Abschreckung vor dem Gendoping verwendet werden, sprechen, wie die Posthumanisten richtig aufzeigen, all denjenigen, die aus welchen Gründen auch immer gentechnische Eingriffe an ihrem Körper vornehmen (lassen), das Mensch-Sein ab. Die von den Anti-Doping-Behörden vertretene Position einer zu schützenden Reinheit des Körpers, diese Illusion von Natürlichkeit, mit der der Spitzensport sich anpreist, ist dennoch eine wirksame Verkaufsstrategie.

Technik ohne Soziales

Gegen eine solche Heroisierung von Natur, auch von Seiten der feministischen Bewegung, wendet sich Haraway. Allerdings zielt Haraways Aufruf zur subversiven Einmischung nicht auf die Selbstoptimierung, die die Posthumanisten propagieren. Die posthumanistische Intervention ist nichts anderes als eine Zurichtung des Körpers, um sich besser und erfolgreicher im Sport oder auf dem sonstigen Arbeitsmarkt durchsetzen zu können. Damit wird einerseits eine Ökonomisierung und Instrumentalisierung des Körpers vorangetrieben, in der dieser nur noch als „Ressource“ zum Erfolg gedacht wird. Andererseits wird dadurch, entgegen der posthumanistischen Rhetorik, eine Biologisierung beziehungsweise Genetifizierung mensch­licher Lebensäußerungen forciert. Denn wenn der Fokus für eine Verbesserung unseres Lebens primär auf der biologischen beziehungsweise genetischen Veränderung der Spezies Mensch liegt, fallen die gesellschaftlichen Bedingungen, die sozialen und kulturellen Dimensionen menschlicher Entwicklung und damit auch gesellschaftlich-soziale Formen von Behinderung aus dem Blick. Durch die Technisierung soziokultureller Veränderung kann die soziale Frage in den Hintergrund gedrängt und individualisiert werden. Die Posthumanisten interessiert nicht, wer den Zugang zu der Technologie hat, und auch nicht, warum, wer, wie auf technische Lösungen zur Selbst­­optimierung zurückgreifen muss, um den Arbeits­alltag - sei es im Spitzensport oder anderswo - zu bewältigen. Mit ihrer Überwindung des Humanismus verabschieden sie das Humanitäre (im Sinne Sartres, für den die Verantwortung für die Anderen, die gegenseitige Solidarität das Mensch-Sein mit konstituiert) im menschlichen Zusammenleben gleich mit. Damit aber vertreten die Posthumanisten gerade das, was mit Haraway eigentlich zu kritisieren wäre: den technischen Zugriff auf die Frau/den Menschen mit dem Ziel ihrer/seiner (besseren) Verwertbarkeit. Nur dass Haraway sich gerade dafür stark machte, diese Kritik nicht auf eine romantisierte Vorstellung von weiblicher Natur zu stützen. Statt einen originär weiblichen Körper zu konstruieren oder einen technisch optimierten Körper zu schaffen, muss es immer von Neuem darum gehen, die gesellschaftlichen Konsequenzen der technischen Entwicklungen, wie den verschärften ökonomischen Zugriff auf die Körper, in den Blick zu nehmen und sich hier einzumischen. Bei den Posthumanisten wie im Comic sind Cyborgs und Mutanten einsam und allein. Haraways Cyborg oder Coyote bewegen sich dagegen in vielfältig verschränkten sozialen Beziehungen, an vielfältigen Knotenpunkten gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion. Die Cyborg/Co­yo­te sind wir alle bereits schon jetzt. Dafür braucht es kein Gendoping.

  • 1Glogger, B. (2008): Die Mutanten greifen an, Das Magazin Online, 25.07.08.
  • 2Hartmann, G. (2008): Kopernikanische Wende, Berliner Zeitung Online, 13.03.08.
  • 3Vgl. „Wir sind immer mittendrin“: Interview mit D. Haraway, in: Haraway, D. (1995): Die Neuerfindung der Natur, Campus: Frankfurt/M.
  • 4Vgl. Miah, A. (2004): Genetically modified athletes: biomedical ethics, gene doping and sport. Routledge: Abingdon, Oxon. Zum Argument der genetischen Diskriminierung siehe S. 166.
  • 5Vgl. Jönsson, K. (2010): Sport beyond gender and the emergence of cyborg athletes. Sport in Society: Cultures, Commerce, Media, Politics, 13(2), S. 249-259.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
202
vom Oktober 2010
Seite 14 - 15

Vanessa Lux ist Diplom-Psychologin und forscht im Projekt „Kulturelle Faktoren der Vererbung“ zum Verhältnis von Epigenetik und Psychologie (siehe: www.zfl-berlin.org).

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