Die Verbrauchersicht in der GVO-Diskussion
Verbraucher lehnen gentechnisch veränderte Nahrungsmittel mehrheitlich ab. Verbraucherschutzverbände fordern für die Grüne Gentechnik die Anwendung der Wahlfreiheit und des Verursacherprinzips sowie eine konsequente Weiterentwicklung der Kennzeichnung der Prozessqualität von Produkten.
Das verträgliche Nebeneinander des Anbaus mit und ohne GVO ist derzeit in der Europäischen Union nicht gesichert. Solange keine strengen und verbindlichen Maßnahmen definiert sowie Sanktionen festgelegt sind und die Haftungsfrage nicht im Detail geklärt ist, müssen die Verbraucher von einer stetig stattfindenden Verunreinigung ihrer Nahrungsmittel mit gentechnisch veränderten Organismen ausgehen. Außerdem bezahlen sie die Kosten für eine Anbau- und Verarbeitungsform, die sie mehrheitlich ablehnen. Endverbraucher und Landwirte tragen ein vermeidbares Risiko, an dem Unternehmen mit Konzernstruktur profitieren, die ihrerseits aber nicht zur Übernahme des Risikos bereit sind.
Moratoriumsende?
Mit einer Freigabe des EU-Zulassungsmoratoriums zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde massiv gegen das Prinzip der Wahlfreiheit und gegen das Verursacherprinzip verstoßen. Dem Erzeuger wird die Möglichkeit genommen, gentechnikfreie Produkte zu produzieren und sich damit an der Nachfrage der Verbraucher zu orientieren. Verbrauchern wird die Option auf ihre Ernährungsweise verwehrt. Dies ist aus der Sicht der Verbraucher entschieden abzulehnen. Grundsätzlich sollte die Herstellung von Lebensmitteln auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet sein. Eine übergroße Mehrheit der Bürger lehnt die Gentechnik im Bereich Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung ab, weil für sie daraus kein Nutzen entsteht. Es besteht keine Notwendigkeit, ein vermeidbares Risiko zu tragen. Die Interessen der Bürger müssen Vorrang vor den Interessen der Erzeuger von Saatgut und darauf abgestimmter Pflanzenschutzmittel und Dünger haben. Zur Aufrechterhaltung von Optionen - für Landwirte und Verbraucher - muss der GVO-freie Anbau auch langfristig erhalten werden. Außerdem: Der Einsatz der grünen Gentechnik zeichnet sich durch eine massive Verdrängungstendenz aus und führt uns weg von einer standortgerechten, ressourcenangepassten Landbewirtschaftung. Er schränkt die Möglichkeiten der Landwirte ein, mit Verbrauchern gemeinsam zu einer vielfältigen, mit diversem Zusatznutzen verbundenen Landwirtschaft zu kommen.
Sicherung der Rückverfolgbarkeit
Durch die Verordnungen über gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel und über die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit (siehe Kasten) sind Unternehmen zukünftig verpflichtet, mit einem warenbegleitenden Dokumentations- und Identifikationssystem den Nachweis zu erbringen, dass die Verunreinigungen tatsächlich zufällig und technisch unvermeidbar sind. Das warenbegleitende Dokumentations- und Identifikationssystem dient auch dazu, GVO-Produkte und ihre Bestandteile über die Lebensmittelkette hinweg zurückverfolgen zu können. Dies ist eine Voraussetzung für mögliche Rückrufaktionen. In Zukunft sollten auch Produkte gekennzeichnet werden müssen, in denen der Nachweis, dass sie GVO enthalten, am Produkt selbst nicht mehr geführt werden kann. Dies würde zum Beispiel für Öle gelten, bei denen durch Raffinierung und anschließendes Abfiltern keine GVO-Bestandteile mehr nachweisbar sind. Für Verbraucher würde dies einen großen Fortschritt gegenüber der alten Regelung bedeuten, da damit auch die Prozessqualität zu einem Entscheidungskriterium für den Einkauf werden kann. Denn auch durch den bestehenden Status ist die Wahlfreiheit massiv beeinträchtigt. Eine Vielzahl von Produkten enthält Zutaten, die mit Hilfe gentechnisch veränderter Organismen hergestellt worden sind oder aus solchen bestehen, ohne dass Verbrauchern diese Information auf der Verpackung zugänglich wäre. So fehlt auch bei der neuen Kennzeichnungsregelung die konsequente Durchsetzung des Prinzips der Prozessqualität als Grundlage für die Kennzeichnung. Zukünftig muss daher darauf hingewirkt werden, dass auch Enzyme und tierische Produkte, die auf einer GVO-Futterbasis erzeugt wurden, gekennzeichnet werden. Außerdem sollte die Kennzeichnungsregelung auch auf Produkte ausgeweitet werden, die in der Gastronomie und in der Gemeinschaftsverpflegung angeboten werden (siehe Kasten). Für einige Unternehmen der Lebensmittelbranche wird sich mit dem neuen System nicht viel ändern: vielmehr stellt es nur eine Fortführung ihrer bisherigen Praxis der Rückverfolgbarkeit der Warenströme dar. So wird dieses System bereits von vielen Akteuren im Futter- und Lebensmittelbereich genutzt. Dieses System für die Rückverfolgung bekommt in Zukunft durch den Schwellenwert eine neue Bedeutung, wenn Unternehmen eine Kennzeichnung unterhalb von 0,9 Prozent vermeiden wollen. Nur so kann der Nachweis erbracht werden, dass vorhandene Verunreinigungen zufällig und unvermeidbar waren und eine Kennzeichnung unterhalb von 0,9 Prozent der Zutat unterbleiben (siehe Kasten). Aber auch die zuständigen Behörden sind gefordert: Sie müssen entsprechende Kontrollen durchführen. Dazu fehlen ihnen bislang Erfahrungen mit solchen Dokumentations- und Identifikationssystemen. Im Übrigen fehlen ihnen auch klare Vorgaben, was als technisch unvermeidbar gelten kann und was nicht.
Anwendung des Verursacherprinzips
Bisher ist nicht sichergestellt, dass diejenigen, die die neue Technologie einführen wollen, auch die Kosten dafür tragen. Damit sind nicht nur die Kosten gemeint, die entstehen, um andere Anbauformen vor dem Einfluss der Gentechnologie zu schützen. Auch die Kosten, die der Allgemeinheit durch Kontrollen der neuen Technologie entstehen, sollten von den Verursachern und den Profiteuren der Technologie übernommen werden. Der Verursacher muss die Kosten möglicher Abwehr- und Kontrollmaßnahmen tragen und in Schadensfällen haften. Der großflächige GVO-Anbau führt insgesamt zur Verteuerung aller Anbausysteme (mit oder ohne GVO-Einsatz) und stellt somit für die Verbraucher eine Verschlechterung gegenüber ihrer Ausgangssituation dar. Wirtschaftlichen Schaden erleidet der Verbraucher, wenn GVO-freie Produkte mehr kosten, weil sich diese Erzeugungsform durch zusätzliche Kosten für Abwehr- und Kontrollmaßnahmen verteuert. Aber der wirtschaftliche Schaden entsteht für Verbraucher und die Allgemeinheit auch dann, wenn diese die Kosten der Risikotechnologie trägt und dieses Geld nicht mehr - zum Beispiel - für den vorsorgenden Verbraucherschutz an anderer Stelle zur Verfügung steht. Es gibt bisher weder Erfahrungswerte noch genauere Prognosen, wie hoch diese Kosten sein könnten Dies ist ein Versäumnis der Politik.
Informationen
Verbraucher müssen darüber informiert werden, dass sich die Rahmenbedingungen für Ihren Einkauf mit der neuen Kennzeichnungsregelung verändert haben. Die Informationen der Verbraucherverbände spielen dabei eine bedeutende Rolle, erreichen aber längst nicht jeden Haushalt. Daher ist es notwendig, dass in Verbindung mit der neuen Kennzeichnungsregelung eine groß angelegte Verbraucheraufklärungs-Kampagne durchgeführt wird, vergleichbar zum Beispiel der Kampagne zur Einführung des Bio-Siegels. Auch an dieser Stelle ist die Politik gefordert, dieses Versäumnis mit entsprechenden Maßnahmen der Verbraucherinformation und Risikokommunikation zu beheben.
EU-GVO-Landbau-Verordnung
Parallel zur Umsetzung der Freisetzungsrichtlinie im Rahmen der Novelle des deutschen Gentechnikgesetzes ist es notwendig, eine verbindliche Regelung für diese neue Sonderform der landwirtschaftlichen Erzeugung zu entwickeln. Dies böte die Möglichkeit, mit harmonisierter Rechtssprechung die Gentechnik in der Landwirtschaft in ganz Europa zu reglementieren. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es zu ziemlich unterschiedlichen Regelungen in den verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU kommen wird. Dies gilt aller Voraussicht nach zum Beispiel für die festzulegenden Koexistenzregeln, aber auch für mögliche Sanktionsmaßnahmen. Eine EU-weit gültige Vorschrift – in Form einer EU-GVO-Landbau-Verordnung - könnte sich an der Stringenz einer EU-Öko-Verordnung orientieren, die von konkreten Anbauregeln bis zu den Sanktionen detailliert ausgeführt ist. Damit würde nicht nur die Forderung nach gleichen Wettbewerbsbedingungen für die Erzeuger, sondern auch nach einem gleichen Schutzstandard für Verbraucher berücksichtigt werden.
Fazit
Ein generelles Nebeneinander zwischen verschiedenen Anbauformen ohne Verstoß gegen das Prinzip der Wahlfreiheit der Verbraucher und ohne Verstoß gegen das Verursacherprinzip ist mit den bisherigen Regelungen nicht zu gewährleisten. Der GVO-freie Anbau ist vor den Auswirkungen des Anbaus mit GVO zu schützen, nicht umgekehrt. Daher darf der GVO-Anbau nur in geeigneten, dafür eigens ausgewiesenen Regionen (GVO-Zonen) stattfinden. Solange aber die notwendigen verbindlichen Regelungen, die die Wahlfreiheit der Verbraucher und die Anwendung des Verursacherprinzips garantieren weder definiert, in Kraft getreten und umgesetzt sind noch funktionieren, ist im Interesse des Verbrauchers die Freigabe eines großflächigen Anbaus gentechnisch veränderter Organismen nicht zu verantworten.
Jutta Jaksche ist Referentin im Team Lebensmittel im Bundesverband der Verbraucherzentralen, Berlin, u.a. zuständig für Gentechnik-Fragen.
Neue EU-Vorschriften zu genetisch veränderten Lebens- und Futtermitteln
Im November sind zwei neue EU-Verordnungen zu gentechnisch veränderten Organismen in Kraft getreten. Sie regeln die Zulassung, die Kennzeichnung und die Rückverfolgbarkeit von GVO, die in Futter- und Lebensmitteln verwendet werden. Verordnung über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel - EG Nr. (1829/2003): Die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Futter- und Lebensmittel baut auf dem Grundsatz auf, dass gekennzeichnet werden muss, was aus (einem oder mehreren) GVO hergestellt worden ist und nicht, was mit einem solchen hergestellt wurde. Diesem Grundsatz folgend müssen in Zukunft auch solche Produkte gekennzeichnet werden, in denen nicht mehr nachgewiesen werden kann, ob sie aus einem GVO hergestellt wurden. Dies kann zum Beispiel bei Ölen der Fall sein, wenn sie raffiniert und gefiltert worden sind. Auch bestimmte Zucker aus - zum Beispiel - gentechnisch verändertem Mais können nicht mehr auf ihren gentechnisch veränderten Ursprung zurückgeführt werden. Eine weitere zentrale Neuerung ist, dass in Zukunft Produkte aus genetisch veränderten Organismen, die als Futter- und Lebensmittel eingesetzt werden können, auch als Futter- und Lebensmittel zugelassen werden müssen. Das heißt, diese Produkte bekommen ihre Zulassung als Futter- und Lebensmittel oder gar nicht. Allgemein gilt wie bisher: Gentechnisch veränderte Produkte müssen gekennzeichnet werden. Die Verpflichtung zur Kennzeichnung beginnt bei einem Anteil von 0,9 Prozent. Dieser Wert gilt, wenn die Unternehmer, die das Produkt auf den Markt bringen wollen, nachweisen können, dass der Anteil zufälllig oder technisch nicht zu vermeiden ist. Was das heißt, wird noch zu regeln sein. Um diesen Grenzwert auch mittel- und langfristig halten zu können, wird im Rahmen dieser Verordnung die EU-Freisetzungslinie über die absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen geändert. Mit dieser Änderung soll das "unbeabsichtigte Vorhandensein" von GVO verhindert werden. Die Freisetzungsrichtlinie erhält einen neuen Artikel 26a, nach dem die Mitgliedsstaaten entsprechende Maßnahmen ergreifen können (Koexistenzmaßnahmen). Tiere, die mit gentechnisch verändertem Futter gefüttert wurden, müssen nicht gekennzeichnet werden. Verordnung über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen - EG Nr. (1830/2003): Diese Verordnung ergänzt die Verordnung über genetisch veränderte Futter- und Lebensmittel um Bestimmungen, die eine Rückverfolgbarkeit von Produkten, die aus GVO bestehen oder GVO enthalten, gewährleisten soll. Die an dem Prozess der Herstellung des Produktes Beteiligten (Firmen, Verarbeiter, Händler...) müssen über ein System verfügen, mit dem sie über einen Zeitraum von fünf Jahren die gentechnisch veränderten Bestandteile eines Produktes und ihre Quellen nachvollziehen können. Außerdem wird es einen spezifischen Erkennungsmarker für jeden GVO geben - vermutlich in Form eines Strichcodes. (pau)
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