Stellungnahme des GeN zum Entwurf für ein Gendiagnostikgesetz
Aus Anlass der Vorlage eines Entwurfes für ein "Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (Gendiagnostikgesetz - GenDiagG)" durch die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat das Gen-ethische Netzwerk die folgende Stellungnahme abgegeben.
Das Gen-ethische Netzwerk e.V. begrüßt die Gelegenheit, zum Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen über genetische Untersuchungen beim Menschen Stellung zu nehmen. In den nun über zwanzig Jahren seines Bestehens hat unser Verein kontinuierlich die wissenschaftlichen Entwicklungen und gesellschaftlichen Effekte der Gendiagnostik dokumentiert und kommentiert. Die Forderung nach einer angemessenen Regulierung der Gendiagnostik gehört ebenfalls seit langer Zeit zu unseren Anliegen.
1. Vorbemerkung: Die Erforschung und Verwendung molekulargenetischer Untersuchungsmethoden findet in einem politischen und soziokulturellen Kontext statt, der unmittelbar Relevanz für Anforderungen an eine gesetzliche Regelung der Gendiagnostik hat. Als wichtigste Eckpfeiler sind hier folgende Entwicklungen zu nennen:
- die Genetifizierung von Krankheits- und Körperbildern, die dazu führt, dass genetischen Informationen eine wachsende Bedeutung hinsichtlich der physischen Entwicklung, aber auch der Identität von Menschen zugeschrieben werden. - die von staatlichen und privaten Leistungsträgern postulierte Krise der sozialen Sicherungssysteme, der einerseits mit dem Rückzug des Staates, andererseits mit dem Vordringen privater Vorsorgemodelle begegnet wird.
- das Primat der Vorsorge in der Gesundheitspolitik; dabei werden Gesundheitsrisiken einerseits immer mehr in den Zuständigkeitsbereich der Einzelnen verschoben, andererseits wird gerade im Namen des Solidarprinzips und des Allgemeinwohls verstärkt an die Eigenverantwortung der Bürger appelliert.
Aus der Verfügbarkeit genetischer Tests und der Finanzierungskrise der staatlichen Sicherungssystems leiten viele Bioethiker, aber auch staatliche Entscheidungsträger eine „genetische Verantwortung“ und eine moralische Pflicht zur Mitwirkung an molekulargenetischen Forschungszielen ab. Solch eine Pflicht soll (und kann) zwar keineswegs rechtlich festgeschrieben werden. Unter dem Druck knapper Kassen formuliert sich aber zunehmend im Vorfeld bereits die moralisierende Erwartung gegenüber den Versicherten, sich „rational“ oder „solidarisch“ zu verhalten. Solche Verschiebungen des Verhältnisses von individuellen und allgemeinen Pflichten stehen allerdings immer in der Gefahr, im Effekt genau das Gegenteil zu bewirken, nämlich bestehende Entsolidarisierungstendenzen weiter zu bestärken.
Der öffentliche Appell an eine (wie auch immer gestaltete) „genetische Verantwortung“ widerspricht zudem dem Recht auf Nichtwissen und zieht unter Umständen weit reichende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht nach sich: Sie betreffen Fragen des Lebensstils, der Familienplanung, aber auch das Verhältnis von Familienangehörigen untereinander. Der Gesetzgeber hat die Verantwortung, diese Persönlichkeitsrechte zu schützen und muss deshalb möglichst weit reichende Schutzvorkehrungen zu ihrer Wahrung formulieren. Dies gilt selbstverständlich für das Recht auf Wissen, unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen aber in besonderem Maße für das Recht auf Nichtwissen, das angesichts der beschriebenen gesellschaftspolitischen Entwicklungen zunehmend unter Druck geraten wird.
Ökonomische und volkswirtschaftliche Interessen dürfen dabei nicht höher gewichtet werden als das Recht von potentiell benachteiligten Individuen oder Gruppen.
Vor diesem Hintergrund hält das Gen-ethische Netzwerk eine Regulierung der Gendiagnostik für dringlich. Die grundsätzliche Ausrichtung des vorliegenden Gesetzentwurfs, besonders die umfassenden Regelungen zum Schutz von Versicherten und Arbeitnehmen können wir nachdrücklich unterstützen.
An mehreren Stellen sehen wir jedoch Konkretisierungsbedarf und teilweise auch Widersprüche, insbesondere zu dem im Gesetzentwurf an prominenter Stelle genannten „Recht auf Nichtwissen“. Unsere Haupteinwände richten sich gegen - die inhaltliche Ausrichtung der genetischen Beratung - genetische Untersuchungen an nicht einwilligungsfähigen Personen - Regelungen zur Forschung
(...)
Den vollständigen Text der Stellungnahme des Gen-ethischen Netzwerkes finden Sie in dem unten angefügten pdf-Dokument. Der Entwurf zum Gendiagnostikgesetz im Netz als Bundestags-Drucksache 16/3233 (pdf-Dokument, 788 KB).
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