Kein Zeuge aus dem Labor
Ein Prozess gegen linke Aktivist*innen verdeutlicht die Grenze von DNA-Beweisen
Am 15. Juli endete der Prozess gegen zwei Menschen vor dem Amtsgericht Tiergarten mit einem Freispruch. Den Mitte 30-Jährigen wurde vorgeworfen sich zusammen mit anderen Personen zur Begehung eines Verbrechens verabredet zu haben. Der Fall zeigt, dass auch vermeintlich objektive Ergebnisse von DNA-Analysen anzweifelbar sind.
Im Rahmen der "Finger weg von meiner DNA"-Kampagne des GeN 2011/2012 informierte das Maskottchen Willi Watte über polizeiliche DNA-Analysen.
Die beiden Angeklagten waren in der Nacht vom 15. auf den 16. Februar 2023 an einem Gleistunnel in der Nähe des S-Bahnhofs Adlershof in Berlin verhaftet worden. Laut Anklage wollten die Verdächtigen mit einer Brandstiftung eine erhebliche Störung an kritischer Infrastruktur verursachen. Trotz der Schwere des Vorwurfs, waren die Beweise der Staatsanwaltschaft rar. Vor der Verhaftung hatte ein Hubschrauber der Bundespolizei auf einem Überwachungsflug zwei Personen beobachtet. Die Angeklagten trugen jedoch bei ihrer Festnahme keine Gegenstände bei sich, die eindeutig mit einer Brandstiftung in Verbindung stehen könnten. Auch Hausdurchsuchungen ergaben nichts. Einer der zentralen Beweise der Staatsanwaltschaft: ein Rucksack, der in der Nähe der Festnahmeortes in einem Tunnel gefunden wurde. In diesem befand sich ein Kanister mit einer Flüssigkeit, die später als Benzin identifiziert wurde. An dem Rucksack wurden DNA-Spuren sichergestellt, die dem DNA-Profil eines Angeklagten zugeordnet wurden.
Die Unterstützer*innengruppe unter dem Namen Wir haben eine Verabredung vermutet hinter der Anklage den Versuch, linke Organisierung an sich zu bekämpfen. Laut den Anwältinnen der Angeklagten hätten die Ermittler*innen den Vorwurf von Sachbeschädigung zu Brandstiftung geändert, nachdem sie die Personalien der beiden geprüft und diese der linksradikalen Szene zugeordnet hatten. Eine Verabredung zu einer Straftat ist erst dann strafbar, wenn sie auf ein Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr – wie Brandstiftung – ausgerichtet ist.
Wahrheitsmaschine DNA-Analyse
Es ist keine Seltenheit, dass sich Anklagen in so zentraler Art und Weise auf einen DNA-Beweis stützen. Die forensische DNA-Analyse würde „als scheinbar unwiderlegbarer Sachbeweis […] den Ermittlungsbehörden und den Tatgerichten häufig den zentralen Baustein bei der Überführung eines Beschuldigten“ liefern, so der Rechtsanwalt Thomas Bliwier. Nicht selten würde sie sogar den einzigen Beweis bei der Urteilsfindung bilden. In sozialwissenschaftlichen Untersuchungen wurden DNA-Analysen daher auch als truth machine, als Wahrheitsmaschine, bezeichnet. Wie in der öffentlichen Diskussion um die Einführung neuer forensischer DNA-Analysen, der sog. erweiterten DNA-Analyse, hervorgebracht wurde, erscheint DNA den Ermittler*innen als ein „stummer Zeuge – ein Zeuge wie jeder andere auch“ – so hat es ein ehemaliger Polizeipräsident formulierte. Aber nicht nur das – durch ihre Wissenschaftlichkeit erscheinen DNA-Analysen als „objektiver“, im Gegensatz zu „subjektiven“ Beweisformen wie Zeug*innenaussagen. Tatsächlich wirken die biostatistischen Auswertungen beeindruckend. Von „über 30-Millarden-Mal wahrscheinlicher“ ist im DNA-Gutachten des Falls die Rede, wenn es um die Zuordnung der DNA-Profile zu DNA-Spuren geht. Aus gutachterlicher Sicht bestünde „somit kein begründeter Zweifel“ daran, dass die untersuchten DNA-Spuren auf die verdächtigen Personen zurückzuführen seien.
Doch „die Dinge sind […] nicht so aussichtslos, wie sie scheinen“, so Bliwier. Für die Verteidigung mache es Sinn, DNA-Beweise zu hinterfragen und nach Fehlerquellen Ausschau zu halten, denn Fehler passieren immer wieder. Ein besonders spektakuläres Beispiel dafür ist der Fall des „Phantoms von Heilbronn“, der auch als „Wattestäbchen-Affäre“ medial bekannt wurde. Hier war die DNA-Spur einer unbekannten weibliche Person über Jahre hinweg an ganz verschiedenen Tatorten in mehreren Ländern gefunden worden – unter anderem im Zusammenhang mit dem Mord an der Polizistin Michéle Kiesewetter. Schließlich stellte sich heraus, dass es sich um eine Kontamination in der Wattestäbchenfabrik gehandelt hatte. Kiesewetter war Opfer der rechten Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Das Gen-ethische Netzwerk nahm die Enthüllung des Ermittlungsfehlers 2009 zum Anlass auf die „gravierenden Probleme“ aufmerksam zu machen, „die aus der Fokussierung von Ermittlungsmethoden auf die DNA-Analyse resultieren“. Die Fehlerquellen würden unter anderem auf der Ausweitung der Analyse auf immer winzigere Proben beruhen. Denn je besser, je sensibler die DNA-Analyse wird, desto mehr Spuren, desto höher die Gefahr von Kontaminationen. Jeder Mensch hinterlässt andauernd DNA, in Haaren und kleinen Hautschuppen. An jedem berührten Gegenstand werden kleinste Hautabriebspuren hinterlassen, die auch von einer Person auf einen anderen Gegenstand übertragen werden können.
Begründete Zweifel
Tatsächlich ist in dem DNA-Gutachten zum anfangs beschriebenen Fall von „Mikrospuren“ zu lesen, die von den bei der Festnahme sichergestellten und am Tatort gefundenen Gegenständen genommen wurden. Während des Prozesses erklärte die Forensikerin dies als eine Spur, die nicht durch Sekrete nachgewiesen ist, sondern durch z.B. Hautschuppen. Einige Spuren sind Mischspuren, bei anderen ist die DNA-Qualität und -Menge zu gering für eine Analyse. Am Gurt und Henkel des Rucksacks stellten die Forensiker*innen das DNA-Profil des einen Verdächtigen fest, doch am Kanister konnten sie lediglich ein „komplexes Mischprofil“ und das DNA-Profil einer unbekannten Person nachweisen. In der schriftlichen Auswertung ist in Bezug auf den Rucksack lediglich zu lesen „die Person […] ist als Mitverursacher der Spuren in Betracht zu ziehen“.
Bei der Bewertung von DNA-Beweisen zählt nicht nur die Übereinstimmung von Profilen sondern auch der Kontext. Nur weil DNA gefunden wurde, sagt dies wenig darüber aus, wie diese dort hingekommen ist. Laut einer Stellungnahme der gemeinsamen Spurenkommission der rechtsmedizinischen und kriminaltechnischen Institute, rücke durch die immer sensiblere DNA-Analyse „die Möglichkeit eines DNA-Transfers ohne Bezug zu einer strafrechtlich relevanten Handlung in den Fokus der Diskussion“. Für die Kommission erscheine es daher notwendig „das Bewusstsein für mögliche alternative Szenarien zur Spurenentstehung zu schärfen“. Durch indirekten DNA-Transfer seien mehrstufige Übertragungen zwischen Personen und Gegenständen zum Tatort möglich. Die forensische Fachliteratur beschäftigt sich intensiv mit dem „Einfluss unterschiedlichster Faktoren (Oberflächenbeschaffenheit, individuelle Fähigkeit der beteiligten Personen Hautschuppen abzugeben [engl. ‚shedder status‘], Intensität und Dauer von Berührungen usw.)“.
Der Blick in die „Verabredung“-Akte zeigt wie relevant diese Expert*inneneinschätzung ist. Denn laut Aussage der beteiligten Polizist*innen wurden die Verdächtigen erst verhaftet und durchsucht und anschließend der Rucksack z.T. durch die gleichen Polizist*innen angefasst. Eine Übertragung von kleinsten DNA-Spuren erscheint sehr wahrscheinlich. Zudem ist zu lesen, der Rucksack sei „nicht spurenschützend behandelt“ worden – ein Fauxpas, der während des Prozesses noch einmal bestätigt wurde.
Die Verteidigung argumentierte also unter anderem damit, dass die Beweismittel nicht spurensichernd behandelt wurden und die DNA-Spuren so durch jede*n an jedes Beweismittel transportiert worden sein könnten. Die Zuordnung des Rucksacks zu einem*einer konkreten Täter*in sei daher nicht mehr möglich. Diesem Argument gaben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Gericht recht. Laut der Urteilsbegründung sei die Verabredung zu einem Verbrechen nicht nachweisbar, die Angeklagten seien daher freizusprechen. Ein großer Erfolg für die Angeklagten und ihre Unterstützer*innen und eine deutliche Erinnerung an die Grenzen von DNA-Analysen.
Dr. Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin des GeN.
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