Polizeiliche DNA-Begehrlichkeiten

Ein Mord als Anlass für sicherheitspolitische Aufrüstung

Wir befinden uns in Hochzeiten sicherheitspolitischer Aufrüstung - das macht auch vor dem Thema DNA-Analyse nicht Halt. Rassistische Hetze in Freiburg nach einem Mord gab den Anstoß. Justizminister Heiko Maas will nun auf der nächsten Justizministerkonferenz die Ausweitung forensischer Analysekompetenzen der Polizei diskutieren.

(pdf)

Im November 2016 steckte ein Flugblatt in zehntausendfacher Anfertigung in Freiburger Briefkästen.1 Darin protestierte eine obskure rassistische Sekte namens „Bund gegen Anpassung“ dagegen, dass „die Justiz den Dreisam-Mörder wegen seiner Rasse“ decke und erklärte, die Herkunft des Täters könne „ganz leicht“ per DNA-Analyse herausgefunden werden. Hintergrund war der Mord an der Studentin Maria L. im Oktober. In diesem Fall führte allerdings keine DNA-Herkunfts-Analyse, sondern ein auf spezifische Weise gefärbtes Haar, der Abgleich mit Videoüberwachung in einer Straßenbahn und die Identifizierung via DNA im Dezember zu einem Ermittlungserfolg.2

Sicherheitspolitische Wunschliste

Sicherheitspolitiker_innen nutzten die medial massiv vorangetriebene Stimmungsmache dennoch, um eine Ausweitung der polizeilichen Befugnisse für die DNA-Analyse körperlicher Merkmale wie Haar- und Augenfarbe und der „biogeographischen“ Herkunft zu fordern. Zuerst preschte der Freiburger Polizeipräsident Bernhard Rotziger vor, da die Freiburger Polizei mit diesen Daten im Fall Maria L. hätte „viel zielgerichteter vorgehen können“, so Rotziger.3 Auch die baden-württembergischen Justiz- und Innenminister Guido Wolf und Thomas Strobl, sowie der Bund deutscher Kriminalbeamter forderten die Ausweitung.4 Die Spurenkommission der rechtsmedizinischen und kriminaltechnischen Institute unterstützte die Forderung bereits wenige Tage später prinzipiell.5 Und selbst der baden-württembergische Landesdatenschutzbeauftragte Volker Broo sekundierte, es spreche „manches dafür, dass sich eine solche Erweiterung noch im Rahmen des verfassungsmäßig Zulässigen halten dürfte“.(6 Schließlich versprach auch Bundesjustizminister Heiko Maas, das Thema DNA-Analyse auf die Tagesordnung der nächsten Justizministerkonferenz im Juni 2017 zu bringen; er zog einen Referentenentwurf seines Ministeriums aus der Schublade, in dem es gleich noch um eine andere polizeiliche Begehrlichkeit geht, nämlich die Verwandtensuche via DNA-Teiltreffer. Die aktuelle Debatte bezieht sich auf den Paragraphen 81e der Strafprozessordnung (StPO), der die DNA-Analyse in laufenden strafrechtlichen Ermittlungen regelt (zu unterscheiden von dem Paragraphen 81g zur zentralen DNA-Datenspeicherung und 81h zu Massengentests). Erlaubt ist bisher die molekulargenetische Analyse von sogenannten nicht-kodierenden DNA-Sequenzen zum Zwecke der Identifizierung und zur Analyse der familiären Abstammung. Außerdem ist seit 2003 auch die Analyse des chromosomalen Geschlechts möglich.7

Ein offener Brief stellt Fragen

Die Darstellung, „DNA-Analysen in der polizeilichen Ermittlungsarbeit seien einfach, trivial, zuverlässig und unproblematisch“ halten Wissenschaftler_innen aus Deutschland und Großbritannien für „unverantwortlich“. In einem Offenen Brief erklären sie, dass die „technische Zuverlässigkeit für forensisches Arbeiten im Polizeidienst keinesfalls einwandfrei geklärt ist.“ Und sie warnen vor „rechtlichen, ethischen und sozialen Risiken“, denn es stehe „nichts Geringeres als das Verhältnis von Staat und Mensch auf dem Spiel“.8 All dies bleibe aber in der aktuellen Debatte völlig außen vor.

Tatsächlich geht es bei der Zuordnung von Haar- und Augenfarben nicht um die Analyse individueller Merkmale, sondern um die Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte genetische Varianten mit bestimmten Haar- oder Augenfarben korrelieren. Angaben über die prozentuale Höhe der Trefferwahrscheinlichkeiten variieren sehr stark, sowohl je nach Farbe (braune und blaue Augen lassen sich angeblich sicherer vorhersagen als grüne und graue) als auch nach wissenschaftlicher Studie. Auch die sogenannten Abstammungsmarker sind in ihrer Genauigkeit umstritten. Hier geht es um einen Abgleich bestimmter Gen-Varianten mit Datensammlungen kommerzieller oder wissenschaftlicher Institute zur regionalen Häufigkeit bestimmter Marker. Ergebnis sind wahrscheinliche „kontinentale“ Zuschreibungen. Die Geschichte globaler Migration führt bereits auf dieser Ebene dazu, dass solche „biogeographischen“ Zuschreibungen immer auch irreführend sein können. Genauere, „subkontinentale“ oder gar nationale Zuordnungen haben auch laut Spurenkommission eine reduzierte Aussagekraft.9 Polizeiliche Ermittlungen können also durchaus in eine falsche Richtung gelenkt werden, wenn die gesuchte Person zu der unwahrscheinlicheren Gruppe gehört, bei der diese Korrelationen nicht zutreffen.

Problematisch sind jedoch nicht nur mögliche Fehlzuordnungen, sondern auch die Zuordnungen selbst. Dass gerade genetische Wahrscheinlichkeitsberechnungen zur Haar- und Augenfarbe sowie genetisch konstruierte Herkünfte im Zentrum der Debatte stehen, ist nicht zufällig, sondern nur im Kontext der aktuellen rassistischen Stimmungsmache zu verstehen. Ergebnis davon kann nur die Schaffung verdächtiger Bevölkerungsgruppen via DNA-Analyse sein - mit allem, was eine solche genetische Kategorisierung an weiteren offenen Fragen, etwa der Datenspeicherung, nach sich ziehen mag.10 Auch aus der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Antisemitismus, Rassismus und rechte Gewalt engagiert, kommt deswegen Protest gegen eine solche Form des Racial Profiling.11

DNA-Familiensuche auf der Tagesordnung

Dass Heiko Maas die Debatte nutzt, um gleich noch eine weitere drastische Erweiterung der polizeilichen DNA-Analysen einzufordern, macht deutlich, wie günstig das Klima derzeit für die sicherheitspolitischen Begehren eingeschätzt wird. Die Verwandtensuche via DNA war zwar im Koalitionsvertrag bereits vorgesehen, das Vorhaben schien aber bisher eher im Sande zu verlaufen. Bereits Mitte Dezember stimmte das Bundeskabinett einem Gesetzentwurf „zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ zu, der unter anderem die Verwandtensuche beinhaltet.12 Künftig soll es im Rahmen von Massengentests erlaubt sein, gezielt nach so genannten Teiltreffern zwischen dem DNA-Spurenprofil und den DNA-Profilen aus den abgegebenen Speichelproben zu suchen und Ermittlungen gegen Verwandte der Probengeber_innen einzuleiten. Mit diesen Verfahren wird eine ganze Gruppe von Menschen zu Verdächtigen, weil sie mit jemandem verwandt sind, der oder die freiwillig eine Speichelprobe abgegeben hat. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht so weit, dass „in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grad“ ermittelt werden darf - ein enormer Freifahrtschein für die Ermittlungsbehörden, der nicht den tatsächlichen technischen Möglichkeiten eines solchen Verfahrens entspricht.13

Auch hier stehen nicht nur die Erlaubnis für ein fehleranfälliges Verfahren, sondern grundsätzliche Fragen des Datenschutzes auf dem Spiel. Jede_r kann über die genetische Konstruktion verdächtiger Gruppen ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten. Leider scheinen Fragen des Datenschutzes und der überwachungsstaatlichen Expansion derzeit kaum eine Lobby zu haben - und es ist fraglich, ob sich bis zur Justizministerkonferenz ausreichend öffentlicher Widerspruch formiert.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
240
vom Februar 2017
Seite 26 - 28

Susanne Schultz lehrt Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt a. M., forscht zu Demografiepolitik, ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Rosa Luxemburg Stiftung und promovierte zum Thema Frauengesundheitsbewegungen.

zur Artikelübersicht

Nur durch Spenden ermöglicht!

Einige Artikel unserer Zeitschrift sowie unsere Online-Artikel sind sofort für alle kostenlos lesbar. Die intensive Recherche, das Schreiben eigener Artikel und das Redigieren der Artikel externer Autor*innen nehmen viel Zeit in Anspruch. Bitte tragen Sie durch Ihre Spende dazu bei, dass wir unsere vielen digitalen Leser*innen auch in Zukunft aktuell und kritisch über wichtige Entwicklungen im Bereich Biotechnologie informieren können.

Ja, ich spende!  Nein, diesmal nicht